Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.10.2009, Az.: 2 K 429/08
Berücksichtigung der Beiträge zur Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) bei der Ermittlung der maßgeblichen Einkünfte und Bezüge im Sinne des § 32 Abs. 4 S. 2 Einkommensteuergesetz (EStG)
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 27.10.2009
- Aktenzeichen
- 2 K 429/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 31920
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2009:1027.2K429.08.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 17.06.2010 - AZ: III R 81/09
Rechtsgrundlage
- § 32 Abs. 4 S. 2 EStG
Fundstellen
- DStR 2010, 9
- DStRE 2010, 862-863
- StBW 2010, 201
Tatbestand
Die Parteien streiten, ob bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge der Tochter T, geboren am 28. Juni 1984, auch deren Beiträge zur Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) zu berücksichtigen sind.
Die Tochter T befand sich vom 1. Oktober 2003 bis 30. September 2006 in einem Berufsausbildungsverhältnis zur Krankenpflegerin beim Klinikverbund K. Die Familienkasse zahlte zunächst für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis einschließlich 30. September 2006 Kindergeld. Mit dem angefochtenen Bescheid hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung auf und forderte das gezahlte Kindergeld für 2005 in Höhe von 2.148 EUR und für die Zeit von Januar bis September 2006 in Höhe von 1.232 EUR zurück. Die Rückforderung erfolgte, da der Grenzbetrag (in den Streitjahren jeweils 7.680 EUR; anteilig für die Zeit von Januar bis September 2006 5.760 EUR) überschritten sei.
Dabei sind die Einkünfte der Tochter zwischen den Parteien unstreitig. Im Jahr 2005 erzielte T Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von 11.048,79 EUR; unter Berücksichtigung des Werbungskostenpauschbetrages sowie der Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung verblieben 7.786,20 EUR.
In der Zeit von Januar bis September 2006 erzielte die Tochter Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von 8.264,70 EUR; unter Berücksichtigung des Arbeitnehmeranteils zur gesetzlichen Sozialversicherung sowie der unstreitigen Werbungskosten verblieben 5.804,14 EUR.
Daneben zahlte die Tochter Beiträge zur VBL, und zwar im Jahr 2005 in Höhe von 151,98 EUR sowie für das Jahr 2006 in Höhe von 116,54 EUR. Unter Berücksichtigung der VBL-Zahlungen ergeben sich zu berücksichtigende Einkünfte und Bezüge für das Jahr 2005 in Höhe von 7.634,22 EUR, anteilig für die Zeit von Januar bis September 2006 in Höhe von 5.687,60 EUR, die Jahresgrenzbeträge wären unstreitig jeweils unterschritten.
Die Beklagte berücksichtigte dabei die Aufwendungen für die Beiträge zur VBL nicht, da es sich dabei nicht um eine gesetzliche Versicherung handele. Der Jahresgrenzbetrag sei in beiden Zeiträumen deshalb überschritten.
Gegen die Versagung des Kindergeldes wendet sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage.
Sie ist der Ansicht, dass die Beiträge der Tochter T zur VBL bei der Berechnung der Einkünfte und Bezüge zu berücksichtigen seien. Bei der VBL handele es sich ebenfalls um eine Pflichtversicherung, die für den Arbeitnehmer immer dann verpflichtend sei, wenn der Arbeitgeber durch eine Beteiligungsvereinbarung der VBL beigetreten sei. Die Klägerin legte insoweit auch eine Bescheinigung des Klinikverbundes K vom 16. März 2007 vor (Bl. 43 der Gerichtsakte). Danach wird ausdrücklich bescheinigt, dass es sich bei dem VBL-Beitrag um Pflichtbeiträge handelt, die der Mitarbeiter zu entrichten habe. Die Klägerin legte ferner ein Schreiben der VBL aus Oktober 2007 vor. Danach wird ein Versicherungsnachweis VBL Klassik ausdrücklich als Pflichtversicherung bezeichnet.
Wegen dieses Pflichtcharakters der Versicherungsbeiträge sei kein Unterschied zur gesetzlichen Sozialversicherung gegeben.
Die Klägerin beantragt,
die Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide für das Jahr 2005 sowie für den Zeitraum Januar bis September 2006, beide vom 30. Juli 2008, jeweils in Gestalt der Einspruchsbescheide vom 11. November 2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer Rechtsauffassung fest. Eine Berücksichtigung der Beiträge zur VBL sei nicht möglich.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Klägerin steht für die Tochter für den gesamten streitigen Zeitraum Kindergeld zu. Die Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide verletzen die Klägerin deshalb in ihren Rechten.
1.)
Der Klägerin steht nach §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a Einkommensteuergesetz (EStG) für den streitigen Zeitraum Kindergeld für ihre Tochter zu, da diese das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und in dem streitigen Zeitraum für einen Beruf ausgebildet wurde. Die Kindergeldberechtigung ist dabei zwischen den Beteiligten grundsätzlich auch unstreitig.
2.)
Die Tochter der Klägerin hat dabei für den gesamten Streitraum auch lediglich Einkünfte und Bezüge bezogen, die unter dem gesetzlichen Grenzbetrag liegen.
a)
Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wird ein Kind nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder die Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 EUR im Kalenderjahr hat. Für jeden Monat, in dem sich das Kind nicht in Ausbildung befand, ermäßigt sich dieser Betrag um 1/12 (§ 32 Abs. 4 Satz 7 EStG). Der auf die Ausbildungsmonate Januar bis September 2006 entfallende anteilige Grenzbetrag beträgt demnach 5.760 EUR.
Die Tochter der Klägerin hatte in den streitigen Zeiträumen nach Abzug von Werbungskosten und den gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträgen Einkünfte und Bezüge, die jeweils geringfügig über diesem Grenzbetrag liegen. Unter Berücksichtigung der geleisteten Zahlungen an die VBL lägen in beiden Zeiträumen die anzurechnenden Einkünfte und Bezüge unstreitig unter den Grenzbeträgen.
b)
Entgegen der Ansicht der Beklagten sind bei der Berechnung allerdings auch die Beiträge der Tochter der Klägerin zur VBL zu berücksichtigen.
Ausgangspunkt der Grenzbetragsregel des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist die Überlegung, dass Eltern, deren volljährige Kinder sich in Ausbildung befinden, durch diese noch finanziell belastet sind. Diese Belastung nimmt jedoch ab, wenn und soweit das Kind aus seinen eigenen Einkünften und Bezügen zu den Kosten seines Unterhalts und seiner Berufsausbildung beitragen kann. Hinsichtlich der Bestimmung dieser Einkünfte und Bezüge hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 11. Januar 2005 (2 BvR 167/02, BVerfG 112, 164) entschieden, dass die Einkünfte des Kindes, soweit sie als Sozialversicherungsbeiträge vom Arbeitgeber abgeführt werden und deshalb nicht in den Verfügungsbereich des auszubildenden Kindes gelangen, keine Minderung der Unterhaltslasten und somit auch keine Erhöhung der Leistungsfähigkeit der unterhaltsverpflichteten Eltern bewirken können. Soweit dies unabhängig vom Willen der Kinder und deren Eltern geschehe, sei es gerechtfertigt, jedenfalls diejenigen Beträge, die, wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge, von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht verfügbar sind, sondern anderen Zwecken als der Bestreitung des Unterhalts zu dienen bestimmt sind, nicht in die Bemessungsgrundlage des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen.
Die vom Arbeitgeber der Tochter der Klägerin abgeführten Beiträge an die VBL sind den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung vergleichbar. Die Tochter erhält vom Klinkverbund K eine Ausbildungsvergütung nach dem Tarif "Ausbildungsvergütung KR-Tarifgruppe ABJ 3 Stufe 1". Aufgrund dieses Ausbildungsvertrages hatte die Tochter Beiträge an die VBL abzuführen, da der Klinkverbund K durch eine Beteiligungsvereinbarung der VBL als Beteiligter beigetreten war. Es handelt deshalb für die Tochter der Klägerin um eine Pflichtversicherung. Dieses wird im Übrigen ausdrücklich bestätigt durch die Bescheinigung des Klinikverbundes K vom 16. März 2007 sowie durch Bescheinigung der VBL vom Oktober 2007.
Aufgrund dieses Charakters als Pflichtversicherung ist es gerechtfertigt, die Beiträge zur VBL bei der Ermittlung der maßgeblichen Einkünfte und Bezüge im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen ( so auch Urteile des Nds. FG vom 24.08.2006, 6 K 278/06, EFG 2006, 1768; FG Baden-Württemberg vom 30.07.2009, 13 K 1831/09, StE 2009, 615; FG Köln vom 28.08.2009, 5 K 1568/07). Der einzige Unterschied zu den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung nämlich liegt darin, dass die Verpflichtung zur Beitragszahlung bei der VBL nicht gesetzlich geregelt ist. Dies allein jedoch ist nicht entscheidend. Es kommt vielmehr darauf an, dass wie auch bei den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung, sich die Tochter des Klägers der Pflicht zur Beitragszahlung nicht durch eigene Willensentscheidung entziehen konnte. Denn der Klinikverband K hat durch seinen Beitritt zur VBL geregelt, dass diese Beiträge für jeden Mitarbeiter vom Lohn abzuziehen sind.
Da unstreitig unter Berücksichtigung der gezahlten Beiträge zur VBL die jeweiligen Jahresgrenzbeträge nicht überschritten sind, ist für die Tochter der Klägerin für die streitigen Zeiträume Kindergeld zu zahlen. Die Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide waren daher aufzuheben.
3.)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
4.)
Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, weil die Frage, inwieweit bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Beiträge zu einer nicht gesetzlichen Pflichtversicherung zu berücksichtigen sind, grundsätzliche Bedeutung hat.