Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.10.2009, Az.: 15 K 160/09

Bestehen eines Anspruchs auf Erstattung von Vorauszahlungen zur Einkommensteuer und auf den Solidaritätszuschlag nach Ablauf der Festsetzungsfrist; Entfallen des Rechtsgrunds für das Behaltendürfen einer geleisteten Vorauszahlung nach Ablauf der Festsetzungsfrist; Bestandskräftige Vorauszahlungsbescheide als eigenständiger Grund zum Behaltendürfen der geleisteten Einkommensteuervorauszahlungen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
20.10.2009
Aktenzeichen
15 K 160/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 30184
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2009:1020.15K160.09.0A

Fundstellen

  • DStRE 2010, 658-660
  • EFG 2010, 538-540

Abrechnungsbescheid

Einkommensteuervorauszahlungsbescheide schaffen keinen Rechtsgrund für das endgültige Behaltendürfen geleisteter Vorauszahlungen.

Der Regelungsgehalt eines Vorauszahlungsbescheides erledigt sich nach § 124 Abs. 2 AO "auf andere Weise", wenn eine Einkommensteuerfestsetzung wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich ist.

Tatbestand

1

Die Kläger beanspruchen die Erstattung von Vorauszahlungen. Diese seien ohne Rechtsgrund gezahlt worden, da dem Erlass eines Jahressteuerbescheides der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegenstehe.

2

Die Kläger sind Eheleute. Sie leisteten aufgrund von Einkommensteuervorauszahlungsbescheiden für 1997 in 1997 -dem Grunde und der Höhe nach zwischen den Beteiligten unstreitige- Vorauszahlungen zur Einkommensteuer von umgerechnet 26.695,05 EUR, auf den Solidaritätszuschlag von 2.026,75 EUR und zur Kirchensteuer von 183,03 EUR. Wegen der Einzelheiten wird insofern auf den Ausdruck aus dem Erhebungsspeicher vom 16. September 2009 (Blatt 20 der Gerichtsakte) Bezug genommen.

3

Nach den vorgelegten Einkommensteuerakten setzte der Beklagte (das Finanzamt -FA-) die Vorauszahlungen für 1997 durch die Einkommensteuerbescheide 1994 vom 3. Juli 1996, 1991 und 1993 vom 16. Juli 1997, 1992 vom 21. Juli 1997, 1994 vom 28. Juli 1997 und den Vorauszahlungsbescheid vom 10. September 1997 fest.

4

Am 12. August 2002 verfügte der Beklagte unter Ansatz geschätzter Besteuerungsgrundlagen eine Festsetzung der Einkommensteuer 1997 auf 28.543 EUR. Der Jahressteuerbescheid war auf den 22. August 2002 datiert.

5

Am 27. September 2005 reichten die Kläger ihre Einkommensteuererklärung ein. Auf die formlose Mitteilung des Beklagten, eine Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 22. August 2002 komme nicht in Betracht, teilten die Kläger mit, dass ihnen ein solcher Steuerbescheid nicht bekannt gegeben worden sei. Gleichzeitig beantragten sie die Erstattung der Abschluss- und Vorauszahlungen. Im Folgenden stellten die Beteiligten Einvernehmen darüber her, dass den Klägern der Steuerbescheid vom 22. August 2002 nicht wirksam bekanntgegeben worden sei bzw. der Beklagte eine solche Bekanntgabe nicht nachweisen könne. Wegen der Einzelheiten wird insofern auf die Aktenvermerke ... Bezug genommen.

6

Mit Abrechnungsbescheid vom 6. September 2007 stellte der Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der zum 25. September 2002 geleisteten Abschlusszahlungen fest. Der Erstattung der Vorauszahlungen stehe aber der Eintritt der Zahlungsverjährung entgegen. Der Lauf der Verjährungsfrist habe mit Ablauf des 31. Dezember 1997 begonnen (§§ 229 Abs. 1, 220 Abgabenordnung -AO-) und mit Ablauf des 31. Dezember 2002 geendet (§ 228 AO).

7

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsbescheid vom 5. März 2009 als unbegründet zurück. Seit dem Inkrafttreten der AO handele es sich bei einem Vorauszahlungsbescheid um eine eigenständige Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Satz 2 AO). Dieser Vorbehalt entfalle mit Ablauf der Festsetzungsfrist (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO). Daraus folge, dass der Vorauszahlungsbescheid endgültig seine Wirkung behalte, wenn der Erlass eines Jahressteuerbescheides wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist unmöglich werde.

8

Der Vorauszahlungsbescheid hätte erst dann seine Wirkung verloren, wenn ein Jahressteuerbescheid wirksam bekanntgegeben worden wäre, was vorliegend nicht der Fall sei. Die Vorauszahlungen seien daher nicht rechtsgrundlos geleistet worden und die Kläger verfügten nicht über einen Erstattungsanspruch.

9

Hiergegen richtet sich die Klage, zu deren Begründung die Kläger Folgendes vortragen:

10

Die streitbefangenen Zahlungen seien aufgrund von Vorauszahlungsbescheiden in 1997 geleistet worden. Ein wirksamer Einkommensteuerjahresbescheid für 1997 habe wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr erlassen werden können. Da die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis durch Eintritt der Festsetzungsverjährung nach § 47 AO erloschen seien, also Steuern für 1997 nicht mehr geschuldet würden, habe sich der Regelungsgehalt der Vorauszahlungsbescheide nach § 124 Abs. 2 AO auf andere Weise erledigt. Nach § 37 Abs. 2 AO stehe den Klägern wegen Wegfalls des Rechtsgrundes daher ein Erstattungsanspruch zu. Der Beklagte sei nach § 218 Abs. 2 Satz 2 AO verpflichtet, durch Abrechnungsbescheid festzustellen, dass die geleisteten Vorauszahlungen zu erstatten seien.

11

Die Kläger beantragen,

den Einspruchsbescheid vom 5. März 2009, soweit er Kirchensteuer 1997 betrifft, aufzuheben und im Übrigen den Abrechnungsbescheid vom 6. September 2007 in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom 5. März 2009 dahingehen abzuändern, dass die Kläger einen Anspruch auf Erstattung der in 1997 geleisteten Vorauszahlungen zur Einkommensteuer in Höhe von umgerechnet 26.695,05 EUR und auf den Solidaritätszuschlag von umgerechnet 2.026,75 EUR.

12

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Er bezieht sich zur Begründung seines Antrages im Wesentlichen auf den Ablehnungs- und den Einspruchsbescheid.

Entscheidungsgründe

14

Die Klage ist begründet.

15

I.

Der Abrechnungsbescheid vom 6. September 2007 in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom 5. März 2009 ist - soweit der Beklagte darin das Bestehen eines Anspruchs auf Erstattung von Vorauszahlungen zur Einkommensteuer und auf den Solidaritätszuschlag verneint hat - rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).

16

Die Kläger verfügen über einen Anspruch auf Erstattung der in 1997 geleisteten Vorauszahlungen zur Einkommensteuer in Höhe von 26.695,05 EUR und auf den Solidaritätszuschlag von 2.026,75 EUR.

17

Rechtsgrundlage hierfür ist § 37 Abs. 2 Satz 2 AO. Danach kann derjenige, der eine Steuer gezahlt hat, vom Leistungsempfänger die Erstattung des gezahlten Betrags verlangen, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt. Der Rechtsgrund für das Behaltendürfen der von den Klägern geleisteten Vorauszahlungen ist durch den Ablauf der Festsetzungsfrist entfallen. Denn durch den Eintritt der Festsetzungsverjährung ist der Anspruch auf Einkommensteuer 1997 gem. § 47 Abs. 2 AO erloschen und die Wirksamkeit der für 1997 ergangenen Vorauszahlungsbescheide hat sich dadurch gem. § 124 Abs. 2 AO "auf andere Weise" erledigt.

18

Rechtsgrund der Vorauszahlungen für 1997 waren die Einkommensteuerbescheide 1994 vom 3. Juli 1996, 1991 und 1993 vom 16. Juli 1997, 1992 vom 21. Juli 1997, 1994 vom 28. Juli 1997 und der Vorauszahlungsbescheid vom 10. September 1997, durch die die Finanzbehörde gegenüber den Klägern die streitbefangenen Vorauszahlungen für 1997 festsetzte. Diese Bescheide standen, soweit sie Vorauszahlungen betrafen, kraft Gesetzes unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Satz 2 AO).

19

Die Festsetzung der Vorauszahlungen ist nicht durch einen Einkommensteuerjahresbescheid für 1997 ersetzt worden. Insbesondere kann der Senat aufgrund der vorgelegten Steuerakten und des Vortrages der Beteiligten nicht feststellen, dass der Einkommensteuerbescheid vom 22. August 2002 den Klägern wirksam bekannt gegeben worden ist. Zugestellt wurde der Bescheid den Klägern nicht. Anhaltspunkte, aus denen sich zwingend die Bekanntgabe des Bescheides ergibt, liegen nicht vor. Zwar spricht die unwidersprochene Einziehung der hohen Abschlusszahlung durch den Beklagten für eine Kenntnis der Kläger vom Bescheid. Aber da der Beklagte aufgrund der Fälligkeit weiterer Steuerbescheide zeitgleich weitere hohe Beträge eingezogen hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass der Bescheid vom 22. August 2002 den Klägern -wovon auch nicht Beteiligten übereinstimmend ausgehen- nicht zugegangen ist.

20

Die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO) für die Einkommensteuer 1997 begann nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des 31. Dezember 2000 und endete mit Ablauf des 31. Dezember 2004. Durch den Eintritt der Festsetzungsverjährung erlosch der Anspruch auf die Einkommensteuer 1997 gem. § 47 Abs. 2 AO. Als Rechtsfolge erledigte sich nach Auffassung des erkennenden Senates die Wirksamkeit der Vorauszahlungsbescheide für 1997 nach § 124 Abs. 2 AO "auf andere Weise" (im Ergebnis ebenso: FG Hamburg Urteil vom 5. Dezember 1986 VI 354/85, EFG 1988, 577; Sächsisches OVG Beschluss vom 1. April 2003 5 B 115/01, NVwZ-RR 2003, 588; Koops/ Scharfenberg, DStR 1995, 555; Hartmann, DStZ 2005, 34; Rüsken in Klein, AO, 10. Aufl. 2009, § 171 Rn 120; wohl auch: BFH Urteil vom 19. Dezember 2000 VII R 69/99, BFHE 194, 162, BStBl II 2001, 353; offen gelassen: BFH Urteil vom 13. Februar 1996 VII R 55/95, BFH/NV 1996, 454; anderer Ansicht: Drüen in Tipke/Kruse, AO, § 37 Rn. 45; Hoffmann in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 37 Rn. 11; Drenseck in Schmidt, EStG, 28. Aufl. 2009, § 37 Rn. 1).

21

Bis zur Festsetzung der Einkommensteuer im Veranlagungsverfahren bilden die Vorauszahlungsbescheide den Rechtsgrund für das Behaltendürfen geleisteter Vorauszahlungen. Da im Streitfall der Anspruch des Beklagten auf Einkommensteuer 1997 durch Festsetzungsverjährung nach § 47 AO erloschen sind, also Steuern für das Kalenderjahr 1997 nicht mehr geschuldet werden, hat sich der Regelungsgehalt der Vorauszahlungsbescheide erledigt. Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des Vorauszahlungsverfahrens. So erledigt sich ein Verwaltungsakt, wenn er seine regelnde Wirkung verliert und funktionslos wird. Ein Einkommensteuervorauszahlungsbescheid verpflichtet den Steuerpflichtigen zur Entrichtung von Vorauszahlungen zur Einkommensteuer und begründet für die Finanzbehörde das Recht zur Einbehaltung geleisteter Vorauszahlungen bis zu deren Anrechnung auf die Einkommensteuer gemäß § 36 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

22

Eine Verpflichtung zur Entrichtung der Einkommensteuer entsteht erst nach Festsetzung der Einkommensteuer. Die Einkommensteuervorauszahlung ist keine eigenständige Vorauszahlungssteuer. Die Vorauszahlungsbescheide sind daher in der Dauer ihrer Regelungswirkung bis zum Zeitpunkt der endgültigen Steuerfestsetzung begrenzt. Ergeht der Einkommensteuerbescheid (§ 36 Abs.1 EStG, § 155 Abs.1 Satz 1, § 124 Abs.1 Satz 1 AO), erledigt sich der Vorauszahlungsbescheid "auf andere Weise" i.S. des § 124 Abs. 2 AO (BFH Großer Senat Beschluss vom 3. Juli 1995 GrS 3/93, BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730 m.w.N.). Da die Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer lediglich aufgrund einer regelmäßig auf dem Ergebnis der letzten Veranlagung beruhenden Prognose festgesetzt werden (§ 37 Abs.3 Sätze 2 bis 4 EStG), besteht kein Grund dafür, dass der Vorauszahlungsbescheid weiterhin wirksam bleibt, wenn die Steuer für den Veranlagungszeitraum entstanden (§ 36 Abs.1 EStG) und durch den Einkommensteuerbescheid nach dem Einkommen, das der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum bezogen hat (§ 25 Abs.1 EStG), festgesetzt worden ist (BFH Großer Senat Beschluss vom 3. Juli 1995 GrS 3/93, BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730).

23

Das gleiche muss gelten, wenn eine Steuer wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr festgesetzt werden kann, aber endgültig feststeht, dass sie deshalb in Höhe der festgesetzten Vorauszahlungen nicht geschuldet wird. Die Funktion der Vorauszahlungsbescheide, die Einkommensteuer schon vor deren Festsetzung zu vereinnahmen, geht verloren, wenn eine Endabrechnung über die Steuer nicht mehr möglich ist. Die Rechtswirkung der Vorauszahlungsbescheide kann in seiner Wirkung nicht weiter reichen als die Einkommensteuerpflicht, auf die sie sich bezieht.

24

Ein eigenständiger Grund zum Behaltendürfen der geleisteten Einkommensteuervorauszahlungen ist mit den bestandskräftigen Vorauszahlungsbescheiden nicht geschaffen worden. Es widerspräche der Natur der Vorauszahlungsbescheide, deren Ziel allein auf die Abrechnung mit festgesetzten Einkommensteuern begrenzt ist, dem Fiskus Einnahmen zu verschaffen, die ihm wegen § 47 AO endgültig nicht geschuldet werden. Darf die Jahressteuerschuld nicht mehr festgesetzt werden oder wird die Festsetzung aufgehoben, so fällt die Vorauszahlungsschuld ebenfalls weg (BFH Urteil vom 13. März 1979 III R 79/77, BFHE 127, 550, BStBl II 1979, 461).

25

Offensichtlich hatte auch der Gesetzgeber die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung bei Einfügung des § 171 Abs. 14 AO in die AO durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 vom 19. Dezember 1985 (BStBl I 1985, 735) vor Augen. Anderenfalls hätte es dieser Vorschrift, durch die der Ablauf der Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch bis zum Eintritt der Zahlungsverjährung mit einem damit zusammenhängenden Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO gehemmt wird, nicht bedurft.

26

Eine andere Bedeutung von Vorauszahlungsbescheiden folgt nach Auffassung des Senates auch nicht aus § 164 Abs. 4 Satz 1 AO. Danach entfällt der Vorbehalt der Nachprüfung mit Ablauf der Festsetzungsfrist. Da die Vorschrift auch für die kraft Gesetzes unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Vorauszahlungsbescheide (§ 164 Abs. 1 Satz 2 AO) gilt, wird teilweise der Schluss gezogen, aus dem Vorauszahlungsbescheid würde mit Ablauf der Festsetzungsfrist ein vorbehaltloser wirksamer Steuerbescheid (so Brockmeyer/Ratschow in: Klein, AO, 10. Aufl. 2009, § 37 Rn. 7; Heuermann in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO, Stand 2006 § 164 Rn. 41; Boeker in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Stand 2000, § 37 Rn. 49; Boeker in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Stand 2003, § 47 Rn. 39). Dieser Schluss aber ist verfehlt. Denn § 164 Abs. 1 Satz 2 fingiert keine Identität des Vorauszahlungsbescheids mit dem Steuerbescheid (Sächsisches OVG Beschluss vom 1. April 2003 5 B 115/01, NVwZ-RR 2003, 588). Die Regelungen des § 164 Abs.1 Satz 2 und Abs. 4 Satz 1 AO beinhalten lediglich, dass der Vorauszahlungsbescheid ab dem Zeitpunkt der Festsetzungsverjährung nicht mehr (ohne weitere Voraussetzungen) nach§ 164 Abs. 2 AO aufgehoben oder geändert werden kann. Dass der Vorauszahlungsbescheid aber durch Erledigung auf andere Weise (§ 124 Abs. 2 AO) seine Wirkungen verliert, wenn dennoch ein Jahressteuerbescheid ergeht, wird durch die vorstehenden Bestimmungen nicht in Frage gestellt (BFH Urteil vom 13. Februar 1996 VII R 55/95, BFH/NV 1996, 454).

27

Im Ergebnis kann es nach Auffassung des Senates für die Erledigung eines Vorauszahlungsbescheides keinen Unterschied ausmachen, ob nach Ablauf der Festsetzungsfrist ein Jahressteuerbescheid ergeht, der später aufgehoben wird (Entscheidungsfälle der BFH-Urteile vom 13. Februar 1996 VII R 55/95, BFH/NV 1996, 454; und vom 30. April 1996 VII R 122/94, BFH/NV 1996, 866), ob innerhalb der Feststellungsfrist ein nichtiger Jahressteuerbescheid ergeht, der später aufgehoben wird (Entscheidungsfall des Urteil des FG Baden-Württemberg vom 10. März 2003 2 K 147/01, EFG 2004, 1101) oder ob -wie im Streitfall- innerhalb der Festsetzungsfrist ein Jahressteuerbescheid auf den Weg gebracht wird, dessen Zugang später nicht bewiesen werden kann.

28

Schließlich spricht auch die materielle Steuergerechtigkeit für die Auffassung des Senates: Bei Ansatz der von den Klägern erklärten und vom Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Besteuerungsgrundlagen ergäbe sich eine Einkommensteuer für 1997 von 0 EUR mit der Folge, dass auch die geleisteten Vorauszahlungen zu erstatten wären. Hätten die Kläger dagegen Besteuerungsgrundlagen verwirklicht, die zu einer über den geleisteten Vorauszahlungen liegenden Jahressteuer führen würde, wäre die Finanzbehörde unter Anwendung des § 171 Abs. 14 AO auch nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist zur Festsetzung einer Jahressteuer in Höhe des Erstattungsanspruchs berechtigt.

29

2.

Dem Erstattungsanspruch steht entgegen der Auffassung des Beklagten nicht der Eintritt der Zahlungsverjährung entgegen.

30

Gemäß § 228 Satz 2 AO unterliegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis einer Zahlungsverjährung von fünf Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt nach § 229 Abs. 1 Satz 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist. Danach begann die Zahlungsverjährung mit Ablauf des Kalenderjahres 2004. Denn zu diesem Zeitpunkt erledigten sich die Vorauszahlungsbescheide für 1997 wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist der Einkommensteuer 1997 auf sonstige Weise, so dass von diesem Zeitpunkt an kein Rechtsgrund mehr für die erhobenen Vorauszahlungen bestand und die Kläger daher erst von diesem Zeitpunkt an über einen Erstattungsanspruch im Sinne des § 37 Abs. 2 AO verfügten.

31

3.

Der Senat ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu einer Entscheidung befugt. Insbesondere war das Verfahren nicht nach§ 74 FGO auszusetzen.

32

Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei.

33

Diese Voraussetzungen liegen im Hinblick auf eine Einkommensteuerverlagung 1997 unter Ansatz der erklärten Besteuerungsgrundlagen nicht vor.

34

Dem Erlass eines Einkommensteuerjahresbescheides steht der Eintritt der Festsetzungsfrist (31. Dezember 2004), da der Beklagte selbst unter Anwendung des § 171 Abs. 14 AO nicht mehr zum Erlass eines entsprechenden Bescheides berechtigt wäre. Denn nach dieser Vorschrift ist der Ablauf der Festsetzungsfrist nur insoweit gehemmt, als ein mit dem Steueranspruch zusammenhängender Erstattungsanspruch nach§ 37 Abs. 2 AO noch nicht nach § 228 AO verjährt ist. Diese Voraussetzungen sind aber nicht gegeben, weil eine Steuerfestsetzung unter Ansatz der erklärten und vom Beklagten auch nicht bestrittenen Besteuerungsgrundlagen eine Festsetzung der Einkommensteuer auf 0 EUR zur Folge hätte. Ein mit dem Erstattungsanspruch zusammenhängender Steueranspruch ergäbe sich daher nicht.

35

Aber selbst wenn das FA noch beabsichtigte einen auf § 171 Abs. 14 AO gestützten Einkommensteuerbescheid zu erlassen, wäre ein solches Verfahren nicht vorgreiflich. Denn für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung -hier der Einspruchsentscheidung- maßgebend. So kann das FA bei Meinungsverschiedenheiten mit dem Steuerpflichtigen über das Erlöschen einer Zahlungsverpflichtung nur für einen ganz bestimmten Zeitpunkt entscheiden, so dass dieser Zeitpunkt auch den später ergehenden gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt werden muss (BFH Beschluss vom 2. März 1971 VII R 74/68, BStBl II 1971, 498).

36

II.

Der angefochtene Einspruchsbescheid vom 5. März 2009 ist - soweit der Beklagte darin das Bestehen eines Anspruchs auf Erstattung von Vorauszahlungen zur Kirchensteuer verneint hat - rechtswidrig, aber nur isoliert aufzuheben, weil der Beklagte außerhalb seiner sachlichen Zuständigkeit entschieden hat.

37

Der Beklagte hat durch den Einspruchsbescheid auch über die Erstattung von Kirchensteuer entschieden. So er hat ausweislich des Tenors der Einspruchsentscheidung den Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid vom 6. September 2007 ohne Einschränkung insgesamt abgewiesen. Durch diesen Abrechnungsbescheid, der sich ausweislich des Bescheides Seite 1 2. Absatzes auch auf die Zahlungen von Kirchensteuer bezog, lehnte er aber eine Erstattung auch Kirchensteuervorauszahlungen ab, und die Kläger begehrten mit ihrem hiergegen gerichteten Einspruch (vgl. Einspruchsschrift vom 1. Oktober 2007 Seite 2 1. Absatz) auch die Erstattung von Kirchensteuer.

38

Der Beklagte war zur Einspruchsentscheidung wegen Erstattung von Kirchensteuer nicht befugt. Denn diese Entscheidung obliegt in Niedersachen gem. §§ 11 Abs. 5, 10 Abs. 2 Satz 2 Kirchensteuerrahmengesetz den nach der Steuerordnung zuständigen kirchlichen Stellen.

39

Der rechtswidrige Abrechnungsbescheid war daher, soweit er die Erstattung von Kirchensteuer betrifft, isoliert aufzuheben.

40

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

41

Die Revision wird gem. § 115 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, soweit die Entscheidung wegen der Abrechnung von Vorauszahlungen zur Einkommensteuer und auf den Solidaritätszuschlag ergangen ist.