Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 17.02.2011, Az.: L 7 AS 1323/10 B

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
17.02.2011
Aktenzeichen
L 7 AS 1323/10 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 28125
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2011:0217.L7AS1323.10B.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - 20.08.2010 - AZ: S 37 AS 241/09

Tenor:

Der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 20. August 2010 wird aufgehoben.

Der Klägerin wird für die Durchführung ihres Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Hildesheim Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt D. aus E. bewilligt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

1

I. Die Klägerin beansprucht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung ihres Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) mit dem Ziel der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

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Die im Jahr 1984 geborene Klägerin besitzt die vietnamesische Staatsangehörigkeit. Sie reiste mit einem vom 22. September bis 20. Dezember 2008 gültigen Visum vom 19. September 2008 zu ihrem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ehemann F. ein, der seit 1985 die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Im Visum der Klägerin ist als Zweck der Einreise "Familienzusammenführung" angegeben. Eine Erwerbstätigkeit war ihr nicht gestattet. Ab 14. November 2008 besitzt die Klägerin eine zunächst bis 13. November 2009 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz. Eine Erwerbstätigkeit ist ihr nunmehr gestattet.

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Herr F. beantragte am 17. Oktober 2008 für sich und die Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Aufgrund dieses Antrags bewilligte der Beklagte dem Ehemann der Klägerin durch Bescheid vom 30. Oktober 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II mit Wirkung ab 01. Oktober bis 30. November 2008 in Höhe von insgesamt 520,62 EUR. Der Beklagte hatte die Höhe der Leistungen mit der Begründung reduziert, nur noch Anspruch auf eine Regelleistung in Höhe von 316,00 EUR und auf die halbe Miete zu haben, weil er seine Ehefrau in die Haushaltsgemeinschaft aufgenommen habe. Sobald die Klägerin gültige Ausweispapiere besitze werde sie in die Bedarfsgemeinschaft mit aufgenommen. Durch einen weiteren Bewilligungsbescheid vom 11. Dezember 2008 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II mit Wirkung ab 01. bis 31. Dezember 2008 in Höhe von 1.041,26 EUR und mit Wirkung ab 01. Januar bis 31. Mai 2009 in Höhe von 1.036,33 EUR monatlich. Die Klägerin sei ab dem 14. November 2008 Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Schließlich bewilligte der Beklagte durch Bescheid vom 05. Januar 2009 dem Ehemann der Klägerin Leistungen mit Wirkung ab 01. bis 13. November 2008 in Höhe von 225,60 EUR sowie der Klägerin und ihrem Ehemann mit Wirkung ab 14. bis 30. November 2008 Leistungen in Höhe von 589,88 EUR, weil die Klägerin ab 14. November 2008 Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sei. Schließlich gab der Beklagte durch Bescheid vom 29. Januar 2009 einem Überprüfungsantrag des Ehemanns der Klägerin hinsichtlich der Leistungsreduzierung von 351,00 EUR auf 316,00 EUR mit Bescheid vom 30. Oktober 2008 statt.

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Gegen die Bescheide vom 30. Oktober und 11. Dezember 2008 legten die Klägerin und ihr Ehemann unter dem 08. Januar 2009 und gegen den Bescheid vom 05. Januar 2009 unter dem 20. Januar 2009 Widersprüche ein. Die Widersprüche wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheide vom 27. und 28. Januar 2009 als unbegründet zurück.

5

Die Klägerin hat am 06. Februar 2009 Klage erhoben, mit der sie eine Änderung der Bescheide vom 30. Oktober, 11. Dezember 2008, 05. und 26. Januar 2009 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 27. und 28. Januar 2009 sowie die Bewilligung von Leistungen für den Zeitraum vom 22. September bis 13. November 2008 verlangt. Gleichzeitig beansprucht sie die Bewilligung von PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt D. für die Durchführung des Klageverfahrens.

6

Das SG Hildesheim hat den PKH-Antrag durch Beschluss vom 20. Oktober 2010 abgelehnt. Weil die Klägerin erst ab dem 14. November 2008 eine Aufenthaltserlaubnis besessen habe, könne sie für den Zeitraum zwischen ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland und dem 13. November 2008 keine SGB II-Leistungen beanspruchen. Einem Leistungsanspruch stehe der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II entgegen. Dieser Leistungsausschluss beziehe sich nicht nur auf die Leistungsberechtigten im Sinn des § 7 Abs. 1 SGB II, sondern erfasse auch die Leistungsberechtigten nach § 7 Abs. 2 SGB II, das heißt auch die nicht erwerbsfähigen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Zudem stehe einem Anspruch auch entgegen, dass sich die Klägerin nach Angaben ihres Ehemanns in der Zeit vom 22. September bis 13. November 2008 nur besuchsweise bei ihm aufgehalten habe. Ein besuchsweiser Aufenthalt stehe einem SGB II-Anspruch ebenfalls entgegen.

7

Hiergegen führt die Klägerin am 15. November 2010 Beschwerde. Das SG habe in seiner Entscheidung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs außer Betracht gelassen. Soweit ein Unionsbürger einen Asylbewerber heirate, stehe diesem ein EU-Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger zu, sodass der SGB II-Ausschluss entfalle. Dies gelte ohnehin, falls vom Leistungsausschluss Betroffene einen deutschen Staatsangehörigen heirateten. Dies treffe auf die Klägerin zu.

8

Der Beklagte tritt dem Vorbringen entgegen und weist zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss des SG Hildesheim hin.

9

II. Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss des SG Hildesheim vom 20. Oktober 2010 ist aufzuheben. Die Klägerin hat Anspruch auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung ihres Verfahrens vor dem Sozialgericht Hildesheim.

10

Gemäß § 73a SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) hat Anspruch auf die Bewilligung von PKH, wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin zu 1) hat Anspruch auf die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den streitigen Zeitraum vom 22. September bis 13. November 2008, wenn die Leistungsvoraussetzungen der §§ 19 Satz 1, 7 SGB II vorliegen. Dies ist nicht auszuschließen. Die Klägerin war im streitigen Zeitraum allerdings nicht erwerbsfähig im Sinn des § 8 SGB II, weil ihr eine Erwerbstätigkeit nicht gestattet war (§ 8 Abs. 2 SGB II).

11

Die Klägerin hat indes möglicherweise einen Anspruch auf Bewilligung von Sozialgeld gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der Verbindung mit § 28 SGB II. Nach dieser Vorschrift erhalten auch Personen Leistungen, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buchs haben (§ 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Weil die Klägerin mit ihrem Ehemann seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland eine Bedarfsgemeinschaft bildet und keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buchs hat, können die genannten Leistungsvoraussetzungen vorliegen. Zwar vertritt das SG Hildesheim in dem angefochtenen Beschluss unter Hinweis unter anderem auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen (Urteile vom 28.07.2008 und 22.03.2007 - L 19 AS 13/08 und L 19 B 21/07 -) die Auffassung, dass der in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorgesehene Ausschluss sich nicht nur auf die Leistungsberechtigten im Sinn des § 7 Abs. 1 SGB II beschränkt, sondern auch die Leistungsberechtigten nach § 7 Abs. 2 SGB II, also auch nicht erwerbsfähige Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft erfasst. Hiergegen hat das SG Nürnberg (Urteil vom 26.08.2009 - S 20 AS 906/09 - veröffentlich in Juris) mit beachtenswerten Argumenten eingewandt, dass weder der Wortlaut des Gesetzes noch die Gesetzessystematik einen derartigen Schluss rechtfertigten. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II stelle neben § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II eine weitere selbstständige Grundlage für Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB II zur Verfügung. Ausländische Ehepartner eines Hilfebedürftigen im Sinn des SGB II seien zudem nicht vom Anwendungsbereich der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in der am 28. August 2007 in Kraft getretenen Fassung erfasst. Zweck der gesetzlichen Regelung sei es nicht, Familienangehörige deutscher erwerbsfähiger Hilfebedürftiger in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts von Leistungen nach dem SGB II auszuschließen.

12

Soweit sich das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss auf die o. g. Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen (aaO.) bezieht und einen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II annimmt (vgl. auch Beschluss des Senates vom 25.01.2011 - L 7 AS 6/11 B ER -), ist dem bereits deshalb nicht zu folgen, weil die Klägerin die Leistungsvoraussetzungen nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz nicht erfüllt.

13

Ob die Argumentation des SG Nürnberg (aaO.) letztlich einen Leistungsanspruch der Klägerin hindert, ist in diesem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend zu entscheiden. Vielmehr soll die Bewilligung von PKH es der prozessarmen Klägerin wie einem Bemittelten ermöglichen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 06. 05. 2009 - 1 BvR 439/08; veröffentlicht in juris), diese schwierige und komplexe Rechtsfrage nicht im summarischen Verfahren der PKH, sondern in einem Hauptsacheverfahren durch das SG klären zu lassen. Dies rechtfertigt die Annahme hinreichender Erfolgsaussichten des Klageverfahrens im Sinn des § 114 ZPO.

14

Der Verzicht auf Ratenzahlung folgt aus § 120 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten aus § 121 Abs. 2 ZPO.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

16

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).