Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 22.02.2011, Az.: L 8 AY 62/10 B ER
In der Person eines Asylbewerbers liegendes Abschiebungshindernis kann sich leistungsrechtlich wegen des besonderen Schutzes der Familie nicht auf Ehepartner auswirken; Auswirkungen eines Abschiebungshindernisses auf andere Familienmitglieder; Anspruch auf Asylbewerberleistungen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 22.02.2011
- Aktenzeichen
- L 8 AY 62/10 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 27597
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2011:0222.L8AY62.10B.ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 13.07.2010 - AZ: S 40 AY 132/10 ER
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 AsylbLG
- § 7 Abs. 1 AsylbLG
- Art. 6 GG
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Ist einem nach dem AsylbLG Leistungsberechtigten auf Grund einer posttraumatischen Belastungsstörung eine Rückkehr in sein Heimatland unzumutbar, kann wegen des besonderen Schutzes der Familie dessen Ehepartner die Nichtausreise leistungsrechtlich nicht vorgeworfen werden.
- 2.
Ein Anordnungsgrund für den Erlass einer Regelungsanordnung ist regelmäßig bereits dann glaubhaft gemacht, wenn ein Anspruch auf die höheren Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG anstelle der gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG besteht.
- 3.
Auch nach dem AsylbLG besteht ein gesonderter Individualanspruch auf die existenzsichernden Leistungen in der gesetzlich bestimmten Höhe. Dies ist auch im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bei der Beurteilung eines Anordnungsgrundes zu respektieren und darf nicht durch eine "Gesamtbetrachtung" unterlaufen werden. Das bedarfsmindernde "Wirtschaften aus einem Topf" ist bereits bei der Bemessung der Regelsatzhöhe berücksichtigt.
- 4.
Bei den vom Ehepartner und den Kindern eines Leistungsberechtigten bezogenen Leistungen nach dem AsylbLG in Verbindung mit dem SGB XII handelt es sich nicht um berücksichtigungsfähiges Einkommen im Sinne von § 7 Abs. 1 AsylbLG. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 13. Juli 2010 aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab dem 23. Juni 2010 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zu gewähren.
Der Antragsgegner hat die der Antragstellerin in beiden Rechtszügen entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I. Die 1974 geborene Antragstellerin ist syrische Staatsangehörige kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit. Sie reiste mit ihrem Ehemann D. E. und fünf gemeinsamen Kindern im Januar 1999 nach Deutschland ein. Die Familienmitglieder beantragten hier erfolglos die Anerkennung als Asylberechtigte. Drei weitere Kinder der Antragstellerin und ihres Ehemannes wurden in Deutschland geboren. Die Familie wohnt gemeinsam in Bad Salzdetfurth. Die Antragstellerin und soweit ersichtlich die übrigen Familienmitglieder werden ausländerrechtlich geduldet.
Nach vorangegangenem Bezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG erhielten die Antragstellerin und die übrigen Familienmitglieder bis Ende 2005 Leistungen nach § 2 AsylbLG. In der Zeit von Januar bis Juli 2006 bezog die Familie nur nach § 1a AsylbLG gekürzte Leistungen. Anschließend wurden wieder Leistungen nach § 3 AsylbLG gewährt, so auch vom Antragsgegner mit Bescheid vom 21. Oktober 2007 für November 2007. Die Antragstellerin und insbesondere ihr Ehemann hätten die Dauer des Aufenthalts in Deutschland rechtsmissbräuchlich beeinflusst, weil sie bei der Beschaffung von Pässen bzw der Nachregistrierung der in Deutschland geborenen Kinder nicht ausreichend mitgewirkt hätten. Dagegen erhoben die Antragstellerin und die übrigen Familienmitglieder Widerspruch und beantragten bei dem Sozialgericht Hildesheim (SG), ihnen im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig Leistungen nach § 2 AsylbLG zuzusprechen. Das SG lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 9. Oktober 2008 ab. Die dagegen bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen am 17. Oktober 2008 eingelegte Beschwerde hatte Erfolg. Der seinerzeit zuständige 11. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen verpflichtete den Antragsgegner mit Beschluss vom 27. Januar 2009 L 11 AY 122/08 ER, der Antragstellerin und den übrigen Familienmitgliedern vorläufig ab dem 28. November 2007 bis zur Entscheidung über den Widerspruch vom 8. November 2007, längstens jedoch bis zum 31. März 2009, Leistungen gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zu gewähren. Der Antragstellerin und ihrem Ehemann könne nach summarischer Prüfung ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne von § 2 Abs 1 AsylbLG nicht vorgeworfen werden. Ihnen sei zwar (voraussichtlich) der Vorwurf zu machen, dass sie vorsätzlich und mit dem Ziel des Verbleibs bzw der nachhaltigen Verzögerung des Aufenthalts in der Bundesrepublik unzureichend bei der Beschaffung der notwendigen Heimreisepapiere mitgewirkt hätten. Es könne jedoch nicht mit der notwendigen Sicherheit festgestellt werden, dass dieses isoliert betrachtet rechtsmissbräuchliche Verhalten im Sinne der vom Bundessozialgericht (BSG) vorgenommenen abstrakten Betrachtungsweise kausal für die Nichtdurchführung einer Abschiebung während des gesamten Aufenthalts in Deutschland gewesen sei. Nach den Vorgaben des BSG dränge sich hier eine Ausnahme von der typisierenden Betrachtungsweise auf. Nach dem vorliegenden Gutachten von Dr. F., bestätigt durch die amtsärztlichen Einschätzungen, liege bei dem Ehemann der Antragstellerin eine behandlungsbedürftige posttraumatische Belastungsstörung vor, die gegenwärtig einer Rückführung nach Syrien entgegenstehe. Dieser Umstand wirke sich über Artikel 6 Abs 1 GG bzw Artikel 8 EMRK auf die sonstigen Familienangehörigen, die Antragstellerin und die Kinder, aus. Mit der aktuellen Einschätzung des Amtsarztes vom 25. November 2008 sei es zur Überzeugung des Senats für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hinreichend wahrscheinlich, dass die posttraumatische Belastungsstörung bereits zum Zeitpunkt der Einreise latent vorhanden gewesen sei, weil sie auf Ereignissen beruhe, die sich noch während des Aufenthalts in Syrien ereignet hätten. Zwar seien nach den ärztlichen Unterlagen Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung erstmals 2006 beschrieben worden, doch könne daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass für die Zeit des Aufenthalts von 1999 bis 2006 keine relevante gesundheitliche Beeinträchtigung vorgelegen haben. Vielmehr sei bei diesem Krankheitsbild nicht untypisch, dass die Symptome erst in Situationen auftauchten, bei denen eine erneute Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis bevorstehe, d.h. hier bei der drohenden Rückführung in das Heimatland. Allerdings könne von dem von einer posttraumatischen Belastungsstörung Betroffenen verlangt werden, dass er sich in geeignete, auch therapeutische Behandlung begebe. Deshalb komme hier nur eine gerichtliche vorläufige Regelung bis zum 31. März 2009 in Betracht. Bis zu diesem Zeitpunkt habe der Ehemann der Antragstellerin nachzuweisen, dass er sich in eine Therapie begeben habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2009 gewährte der Antragsgegner dem Ehemann der Antragstellerin und sieben der gemeinsamen Kinder für den Zeitraum von November 2007 bis Juli 2009 Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG, der Antragstellerin und dem jüngsten Kind G. welches die 48 Monate Vorbezugszeit noch nicht erfüllt hatte hingegen lediglich Leistungen nach § 3 AsylbLG. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG, weil sie ihren Aufenthalt in Deutschland rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst habe. Sie habe seit der Einreise unterschiedliche Angaben zu ihrer Staatsangehörigkeit gemacht, zunächst keine Nachweise ihrer Identität vorgelegt und sich nicht ausreichend um Heimreisedokumente bemüht. Nach der maßgeblichen Entscheidung des BSG liege eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer nur dann ausnahmsweise nicht vor, wenn auch ohne das Fehlverhalten in der gesamten Zeit nicht hätte abgeschoben werden können. Hier sei jedoch eine Abschiebung der Antragstellerin auch getrennt von ihren übrigen Familienangehörigen möglich gewesen, die allerdings durch das Verhalten der Antragstellerin verhindert worden sei. Auch auf Grund der Erkrankung ihres Ehemannes sei die Antragstellerin ausgehend von dem Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 15. Juni 2009 L 11 AY 30/09 B ER leistungsrechtlich nicht besser gestellt. Denn das LSG habe in diesem Beschluss ausgeführt:
"Unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung des BSG vom 17. Juni 2008 ist beim Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit jetzt maßgeblich auf das höchstpersönliche und subjektiv vorwerfbare Verhalten des jeweiligen Leistungsempfängers abzustellen. Eine Zurechnung von Fremdverhalten für andere, auch minderjährige, Familienangehörige kommt daher nicht mehr in Betracht. Für jeden Leistungsempfänger sind die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 AsylbLG unabhängig voneinander in eigener Person zu prüfen (vgl. BSG aaO. RdNrn 17 und 18). Daher ist es fraglich geworden, ob das nur bei dem Ehegatten und Vater festgestellte ausländerrechtliche Abschiebungsverbot eine positive Ausstrahlung oder eine Fernwirkung im Sinne einer leistungsrechtlichen Besserstellung der Antragsteller entfalten kann. Der Senat hat hieran Zweifel, ohne diese Rechtsfrage allerdings im vorläufigen Rechtsschutzverfahren abschließend klären zu müssen. Denn für eine solche leistungsrechtliche Besserstellung spricht derzeit auch nicht der Gedanke der leistungsrechtlichen Gleichbehandlung der "Kernfamilie" als Einheit (zur Problematik vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 28. September 2001, Az.: 5 B 94/00 und vorgehend OVG Niedersachsen, Beschluss vom 21.Juni 2000, Az.: 12 L 3349/99)."
Daraufhin hat die Antragstellerin am 6. August 2009 bei dem SG Klage S 40 AY 160/09 erhoben, mit der sie für den vorgenannten Zeitraum Leistungen nach § 2 AsylbLG begehrt.
Mit Bescheid vom 27. Juli 2009 bewilligte der Antragsgegner für August 2009 dem Ehemann und sieben der gemeinsamen Kinder wiederum Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG, der Antragstellerin und dem jüngsten Kind hingegen nur Leistungen nach § 3 AsylbLG. Dieser Bescheid ist Gegenstand des Klageverfahrens S 39 AY 191/09. Ein gleichartiger Bescheid erging unter dem 8. Juli 2010 für den Monat Juli 2010. Dagegen sowie gegen die Leistungsgewährung für die Vormonate erhob die Antragstellerin Widerspruch.
Die Antragstellerin hat am 23. Juni 2010 bei dem SG beantragt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach § 2 AsylbLG iVm mit den Vorschriften des SGB XII zu gewähren. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 13. Juli 2010 mit der Begründung abgelehnt, die Antragstellerin habe einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Gemessen an den ihrer Familie monatlich ausgezahlten Sozialleistungen in Höhe von fast 3.300,00 EUR könne eine besondere Eilbedürftigkeit, die einen Eingriff in die behördliche Entscheidung vom 8. Juli 2010 rechtfertige, nicht erkannt werden. Der mit dem Antrag begehrte Leistungsbetrag in Höhe von ca 100,00 EUR monatlich mache etwa 3 % der der Familie zustehenden Gesamtleistungen aus und übersteige bereits bei weitem die Summe der in den Leistungen der Familienangehörigen enthaltenen Ansparbeträge von ca 17 % der Regelsätze nicht. Deutliches Indiz für eine mangelnde Eilbedürftigkeit der Sache sei außerdem, dass die Antragstellerin den einstweiligen Rechtsschutzantrag erst nach fast einem Jahr Rechtshängigkeit der Klage S 40 AY 160/09 und nach einer über zwei Jahre währenden Leistungsgewährung durch den Antragsgegner (seit November 2007) gestellt habe.
Mit ihrer am 16. Juli 2010 eingelegten Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Sie könne nicht auf die Leistungen ihres Ehemannes und der Kinder verwiesen werden. Diese seien ohne reguläres Einkommen und lebten mit den Leistungen nach § 2 AsylbLG selbst am Rande des Existenzminimums Es sei ihnen daher nicht zumutbar, ihre eigenen Leistungen durch ihre - der Antragstellerin - Unterstützung zu schmälern. In Verfahren der vorliegenden Art werde auch regelmäßig der Anordnungsgrund unabhängig davon bejaht, ob es sich nur um eine antragtellende Person handele oder um eine aus mehreren Personen bestehende Bedarfsgemeinschaft bzw wie hier um ein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft. Eine Rückreise nach Syrien sei ihr und ihren Angehörigen nicht zumutbar, weil ihr Ehemann an einer psychischen Erkrankung leide, die aus seinen Erlebnissen im Heimatland herrühre. Er werde voraussichtlich in Kürze die Feststellung von Abschiebungshindernissen erstreiten, sodass er dann mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet bleiben könne. Wegen Artikel 6 Abs 1 GG müsse dies dann auch für sie und die gemeinsamen Kinder gelten.
Der Antragsgegner erwidert, eine besondere Eilbedürftigkeit sei nicht zu erkennen, weil die Antragstellerin bereits seit Jahren Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalte und auch bereits seit einem Jahr ein Hauptsacheverfahren führe. Zudem sei ein Anspruch der Antragstellerin nach § 2 AsylbLG wegen ihres rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht gegeben. Die Antragstellerin habe wechselnd zu ihrer Staatsangehörigkeit vorgetragen und bei der Beschaffung von Personaldokumenten nicht ausreichend mitgewirkt. Die Abschiebung der Familie habe wegen mangelnder Heimreisepapiere bzw der nicht erfolgten Nachregistrierung der hier geborenen Kinder durch den Ehemann der Antragstellerin nicht erfolgen können. Der Durchführung der Abschiebung hätten damit ausschließlich Gründe entgegengestanden, die im Verantwortungsbereich der Antragstellerin und ihres Ehemannes gelegen hätten. Es sei nicht erkennbar, wo hier besondere Gründe liegen könnten, die eine Rückkehr unzumutbar machen sollten. Das Gegenteil sei der Fall. Es sei der Familie zumutbar, die familiäre Lebensgemeinschaft im Heimatland weiterzuführen. Dabei sei auch (bei vorhandenen Papieren) eine vorübergehende Trennung im Rahmen einer Abschiebung der Familie in Betracht gekommen, weil sie eben nur vorübergehend erfolgt wäre und die Familie im Heimatland die familiäre Gemeinschaft habe fortsetzen können. Insofern hätte also der Aufenthalt der Familie getrennt beendet werden können. Das rechtsmissbräuchliche Verhalten habe zudem auch über Jahre dazu geführt, dass eine Abschiebung nicht habe erfolgen können. Insoweit sei das Verhalten nicht nur abstrakt betrachtet kausal und damit rechtsmissbräuchlich, sondern habe auch tatsächlich die Abschiebung verhindert. Ein gegebenenfalls zukünftig festzustellendes Abschiebungshindernis bei dem Ehemann der Antragstellerin entfalte keine Wirkung im Sinne einer leistungsrechtlichen Besserstellung der Antragstellerin. Es sei in den vergangenen Jahren mehrfach rechtskräftig entschieden worden, dass ein Abschiebungsverbot für den Ehemann nicht bestanden habe. Daran würde auch eine aktuelle Feststellung eines Abschiebungshindernisses nichts ändern.
II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Das SG hat den Antrag der Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG zu gewähren, zu Unrecht abgelehnt.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 ZPO).
Die Antragstellerin hat einen (Anordnungs-) Anspruch gegen den Antragsgegner auf Gewährung von so genannten Analogleistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG glaubhaft gemacht. Nach summarischer Prüfung auf Grund des gegenwärtigen Sach- und Streitstands ist es überwiegend wahrscheinlich, dass ihr ein solcher Anspruch zusteht. Sie hat unstreitig die erforderliche Zeit von 48 Monaten des Vorbezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG erfüllt. Wie sich aus den Leistungsakten des Antragsgegners ergibt, hatte sie bis zum 27. November 2007 insgesamt 50 Monate lang Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen. Die Antragstellerin hat ihren Aufenthalt in Deutschland auch nicht im Sinne von § 2 Abs 1 AsylbLG rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Zwar liegt aus den im Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 20. Juli 2009 im Einzelnen ausgeführten Gründen klar auf der Hand, dass die Antragstellerin sich objektiv rechtsmissbräuchlich verhalten hat, indem sie sich obwohl ihr dies ohne weiteres möglich gewesen wäre von der syrischen Botschaft keine ihre Rückreise nach Syrien ermöglichenden Papiere (Reisepass oder Laissez-Passer) hat ausstellen lassen. Ebenso wenig zweifelhaft ist, dass die Klägerin es vorsätzlich unterlassen hat, bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten mitzuwirken, um eine Beendigung ihres (und ihrer Familie) Aufenthalts in Deutschland zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. Es fehlt jedoch an der zwischen dem rechtsmissbräuchlichen Verhalten der Antragstellerin und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts nach dem Gesetzeswortlaut erforderlichen kausalen Verknüpfung. Eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer nach § 2 Abs 1 AsylbLG liegt (schon dann) vor, wenn bei generell-abstrakter Betrachtungsweise das rechtsmissbräuchliche Verhalten typsicherweise die Aufenthaltsdauer verlängern kann, es sei denn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen Ausländers hätte unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum ab dem Zeitpunkt des Rechtsmissbrauchs nicht vollzogen werden können (vgl BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 B 8/9b AY 1/07 R, BSGE 101, 49 und juris Rdnrn 43, 44). Hier spricht Überwiegendes dafür, dass die seit Sommer 2000 bestehende Ausreisepflicht der Antragstellerin unabhängig von ihrem etwa zeitgleich einsetzenden rechtsmissbräuchlichen Verhalten ohnehin in dem gesamten sich bis heute erstreckenden Zeitraum des Rechtsmissbrauchs wegen der bereits bei der Einreise zunächst unerkannt bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung ihres Ehemannes nicht hätte vollzogen werden können. Bereits der 11. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen hat in seinem Beschluss vom 27. Januar 2009 L 11 AY 122/08 ER zutreffend ausgeführt, dass nach dem vorliegenden Gutachten des Dr. F. (vom 28. Mai 2006), bestätigt durch die amtsärztlichen Einschätzungen, bei dem Ehemann der Antragstellerin eine behandlungsbedürftige posttraumatische Belastungsstörung vorliege, die einer Rückführung nach Syrien entgegenstehe; dieser Umstand wirke sich über Art. 6 Abs 1 GG bzw. Art. 8 EMRK auch zu Gunsten der Antragsstellerin aus. Daran hat sich weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht etwas geändert. Der Ehemann der Antragstellerin hat sich wie vom 11. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen in seinem vorgenannten Beschluss gefordert in therapeutische Behandlung begeben. Nach der Bescheinigung der Dipl.-Sozialpädagogin, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und Geschäftsbereichsleiterin der Jugend- und Familienberatung der Caritas in Hildesheim, Frau H., vom 15. Juni 2010 hat der Ehemann der Antragstellerin seit Sommer 2008 an 63 Therapiesitzungen teilgenommen. Allmählich zeige sich eine deutlich positivere Teilnahme am Leben in seiner Familie, und die Depressionen seien nicht mehr so stark ausgeprägt wie am Anfang der Therapie. Dennoch komme es immer wieder zu Retraumatisierungen, die häufig dann aufträten, wenn behördliche Dinge zu klären seien. Allein die drohende Abschiebung führe immer wieder zu nächtlichen Panikattacken und zermürbenden Depressionen. Eine Abschiebung in sein Heimatland werde immer wieder zu einer Retraumatisierung führen. Sie sei ihm unzumutbar, weil dadurch sein Leben ernsthaft aufs Spiel gesetzt werde. Auch nach dem Befundbericht des behandelnden Hausarztes vom 14. Juni 2010 dauert die psychische Erkrankung des Ehemannes der Antragstellerin an. Solange eine fachärztliche (neurologisch-psychiatrische) oder fundierte amtsärztliche Begutachtung nichts anderes ergibt, ist daher nach wie vor davon auszugehen, dass dem Ehemann der Antragstellerin auf Grund seiner posttraumatischen Belastungsstörung eine Rückkehr nach Syrien unzumutbar ist. Wegen des besonderen Schutzes der Familie, Artikel 6 Abs 1 GG, ist daher auch der Antragstellerin die Ausreise nicht zumutbar. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat wiederholt entschieden, dass das Schutzgebot des Artikel 6 Abs 1 GG auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts bezweckt, familiäre Lebensgemeinschaft zu gewährleisten, indem ein familiäres Zusammenleben ermöglicht wird (vgl BVerwGE, 65, 174 [BVerwG 23.03.1982 - BVerwG 1 C 20.81] und 188). Die Nichtausreise kann daher auch der Antragstellerin (wie den übrigen Familienmitgliedern) zurzeit nicht leistungsrechtlich vorgeworfen werden.
Die in seinem (nicht den vorliegenden Fall betreffenden) Beschluss vom 15. Juni 2009 L 11 AY 30/09 B ER vertretene Auffassung des bis Juli 2010 für Streitigkeiten nach dem AsylbLG zuständig gewesenen 11. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen, es sei wegen der mit Urteil vom 17. Juni 2008 (aaO.) geänderten Rechtsprechung des BSG fraglich geworden, "ob das nur bei dem Ehegatten und Vater festgestellte ausländerrechtliche Abschiebungsverbot eine positive Ausstrahlung oder eine Fernwirkung im Sinne einer leistungsrechtlichen Besserstellung der Antragsteller entfalten kann," teilt der erkennende Senat nicht. Zwar ist der 11. Senat zutreffend davon ausgegangen, dass nach dem Urteil des BSG vom 17. Juni 2008 bei dem Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit maßgeblich auf das höchstpersönliche und subjektiv vorwerfbare Verhalten des jeweiligen Leistungsempfängers abzustellen ist und eine Zurechnung von Fremdverhalten für andere auch minderjährige Familienangehörige nicht in Betracht kommt. Danach scheidet jedoch nur eine Zurechnung sozialwidrigen Verhaltens aus, um die es hier nicht geht. Ebenso wenig ist eine "positive Ausstrahlung oder Fernwirkung" eines Abschiebungshindernisses im Sinne einer leistungsrechtlichen Besserstellung fraglich. Die Antragstellerin hat vielmehr eigene (Schutz-) Rechte aus Artikel 6 Abs 1 GG, die zu der rechtlichen Bewertung führen, dass ihr selbst eine Ausreise unzumutbar war und ist. Dies lässt wiederum die von § 2 Abs 1 AsylbLG für den Ausschluss von Analogleistungen geforderte kausale Verknüpfung zwischen dem rechtsmissbräuchlichen Verhalten und der Beeinflussung der Aufenthaltsdauer (ausnahmsweise) entfallen. Der Einwand des Antragsgegners, die Antragstellerin hätte vor der im Mai 2006 erfolgten Feststellung des posttraumatischen Belastungssyndroms bei ihrem Ehemann allein abgeschoben werden können, wenn sie sich nicht rechtsmissbräuchlich verhalten hätte, überzeugt nicht. Es ist vielmehr überwiegend wahrscheinlich, dass das der Ausreise entgegenstehende posttraumatische Belastungssyndrom des Ehemannes der Antragstellerin auch bereits (früher) durch die Antragstellerin betreffende konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen akut zu Tage getreten wäre und der Beendigung des Aufenthalts der Antragstellerin somit nicht nur latent, sondern auch konkret entgegengestanden hätte.
Entgegen der Auffassung des SG hat die Antragstellerin (auch) den weiterhin erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ist wie hier ein Anspruch auf die höheren Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG anstelle der gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG glaubhaft gemacht, besteht regelmäßig auch ein Anordnungsgrund (so auch in ständiger Rechtsprechung LSG Nordrhein-Westfalen, vgl nur Beschluss vom 31. März 2010 L 20 B 3/09 AY ER, Rdnr 16; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. März 2007 L 7 AY 1386/07 ER B, Rdnr 17; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. September 2007 L 15 B 12/07 AY ER, Rdnr 6; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. Juli 2007 L 11 AY 12/06 ER, sämtlich in juris). Die sogenannten Analogleistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG sollen eine wirtschaftliche Gleichstellung mit Sozialhilfeempfängern nach dem SGB XII erreichen. Die Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII sichern das soziokulturelle Existenzminimum. Wenn ein Leistungsberechtigter nach dem AsylbLG wie hier die Antragstellerin einen (Anordnungs-) Anspruch auf die Gewährung von Analogleistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG glaubhaft gemacht hat, ist es ihm regelmäßig nicht zuzumuten, für die Dauer des sich unter Umständen über mehrere Jahre hinziehenden Hauptsacheverfahrens mit den deutlich geringeren Grundleistungen nach § 3 AsylbLG auszukommen. Dies gilt umso mehr, als die in § 3 AsylbLG festgesetzten Grundleistungsbeträge verfassungswidrig zu niedrig sind (vgl LSG Nordrhein-Westfalen, Vorlagebeschluss vom 26. Juli 20010 L 20 AY 13/09, juris; das Normenkontrollverfahren ist bei dem BVerfG unter dem Aktenzeichen 1 BvL 10/10 anhängig).
Die vom SG genannten Gründe rechtfertigen es nicht, hier ausnahmsweise einen Anordnungsgrund zu verneinen. Die Antragstellerin darf nicht darauf verwiesen werden, die zwischen den ihr zustehenden Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG und den ihr gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von rund 124,00 EUR monatlich bestehende Differenz durch finanzielle Unterstützung ihres Ehemannes und ihrer Kinder (wobei das jüngste Kind für die Dauer seines Leistungsbezuges nach § 3 AsylbLG ohnehin ausscheidet) auszugleichen. Denn diese Familienangehörigen erhalten selbst ihr soziokulturelles Existenzminimum absichernde Leistungen. Die Antragstellerin und jedes ihrer Familienmitglieder haben jeweils einen gesonderten Individualanspruch auf die existenzsichernden Leistungen in der gesetzlich bestimmten Höhe. Dies ist auch im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bei der Beurteilung eines Anordnungsgrundes zu respektieren und darf nicht durch eine wenn auch lebensnahe "Gesamtbetrachtung", wie sie das SG vorgenommen hat, unterlaufen werden. Die vom SG angeführten Argumente stützen eine Abkehr von der gebotenen individualrechtlichen Betrachtungsweise nicht. Der Gesetz- bzw Verordnungsgeber geht zwar wie das SG zutreffend ausgeführt hat insbesondere in § 3 Abs 3 der Regelsatzverordnung davon aus, dass im Rahmen von Bedarfs- und Haushaltsgemeinschaften "aus einem Topf" gewirtschaftet wird und dadurch Einsparungen erzielt werden. Ebenso hat wie das SG weiter ausgeführt hat die zumutbare Inanspruchnahme von Hilfen Dritter, insbesondere Familienangehöriger Vorrang vor der Nothilfe des Staates durch steuerfinanzierte Sozialleistungen. Das "Wirtschaften aus einem Topf" hat der Gesetz- und Verordnungsgeber jedoch bereits normativ bei der Bemessung der Regelsatzhöhe berücksichtigt, und die vom Ehemann und den Kindern der Antragstellerin nach dem AsylbLG iVm dem SGB XII bezogenen Leistungen sind schon kein (berücksichtigungsfähiges) Einkommen, vgl § 19 Abs 1 iVm § 82 Abs 1 Satz 1 SGB XII ("Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch ...").
Die weitere Begründung des SG, ein deutliches Indiz für eine mangelnde Eilbedürftigkeit der Sache sei, dass die Antragstellerin den einstweiligen Rechtsschutzantrag erst nach einem Jahr Rechtshängigkeit der Klage S 40 AY 160/09 und nach einer über zwei Jahre währenden Leistungsgewährung durch den Antragsgegner (seit November 2007) gestellt habe, ist ebenfalls nicht tragfähig. Zum einen bezieht die Antragstellerin nicht bereits seit November 2007 nur Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Bis März 2009 zahlte der Antragsgegner ihr und den übrigen Familienmitgliedern auf Grund des Beschlusses des LSG Niedersachsen-Bremen vom 27. Januar 2009 L 11 AY 122/08 ER Analogleistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG. Nachdem der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2009 entschieden hatte, der Antragstellerin für die Zeit von November 2007 bis Juli 2009 nur Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren, hat die Antragstellerin am 6. August 2009 Klage S 40 AY 160/09 erhoben. Den vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzantrag hat sie zwar tatsächlich erst etwa ein Jahr später am 23. Juni 2010 gestellt. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, sie sei ab diesem Zeitpunkt nicht auf die ungekürzten Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG angewiesen. Welches die Gründe dafür gewesen sind, dass die Antragstellerin nicht früher den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt hat, ist nicht geklärt. Eine naheliegende Erklärung ist zum Beispiel, dass die Antragstellerin den Zeitraum des Bezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG von April 2009 bis zum einstweiligen Rechtsschutzantrag am 23. Juni 2010 (knapp 15 Monate) aus der vom Antragsgegner auf Grund des Beschlusses des LSG Niedersachsen-Bremen vom 27. Januar 2009 L 11 AY 122/08 ER im Februar 2009 erfolgten erheblichen Nachzahlung der Differenz zwischen den Leistungen nach § 3 AsylbLG zu den Leistungen nach § 2 AsylbLG für den Zeitraum vom 28. November 2007 bis Januar bzw Februar 2009 (ebenfalls etwa 15 Monate) überbrückt hat. Im Übrigen ist die "verzögerte" Beantragung einer einstweiligen Anordnung, um möglichst schnell die vorläufige Gewährung gesetzlich vorgesehener Leistungen zu erreichen, kein vorwerfbares Verhalten (vgl zu einem Fall, in dem die Antragsteller nach einem fast 10 Jahre andauernden Bezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG im Wege einer einstweiligen Anordnung Leistungen nach § 2 AsylbLG begehrt haben: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Juni 2007 L 20 B 12/07 AY Juris Rdnr 4).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen, weil der Antragsgegner die der Antragstellerin durch das Beschwerdeverfahren entstanden außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat, und der Antragstellerin daher für ihren PKH-Antrag das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.