Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 13.02.2003, Az.: 14 U 11/01

Ersatz zukünftiger materieller und immaterieller Schäden wegen eines Verkehrsunfalls; Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
13.02.2003
Aktenzeichen
14 U 11/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 33642
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2003:0213.14U11.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 28.11.2000 - AZ: 7 O 233/00

Fundstelle

  • OLGReport Gerichtsort 2003, 205-207

Amtlicher Leitsatz

Nur dann, wenn das Verhalten der Kinder oder die Situation, in der sie sich befinden, Auffälligkeiten zeigen, die zu Gefährdungen führen können, wird von dem Kraftfahrer verlangt, dass er besondere Vorkehrungen (z.B. Verringerung der Fahrgeschwindigkeit, Einnehmen der Bremsbereitschaft) zur Abwendung der Gefahr trifft.

In dem Rechtsstreit
...
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 2003
unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ....... und
der Richter am Oberlandesgericht ....... und .......
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 28. November 2000 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Verden wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlussberufung des Klägers wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle zukünftigen materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 25. September 1999 in .............. zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind, sowie alle ihm aus diesem Unfall zukünftig noch entstehenden immateriellen Schäden, soweit diese derzeit noch nicht hinreichend sicher vorhersehbar sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Wert der Beschwer für die Beklagten beträgt 266.954,24 EUR (= 522.117,12 DM).

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger macht mit der Klage gegenüber den Beklagten materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 25. September 1999 gegen 11:45 Uhr ereignete.

2

An diesem Tage befuhr der Beklagte zu 2 mit seinem bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten Pkw Citroen Saxo die Gemeindestraße in ....... aus Richtung des dort gelegenen Campingplatzes in Richtung ........ Auf dieser Straße ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt. Die Straßenverhältnisse waren gut, die Fahrbahn war trocken.

3

Auf Höhe des aus Sicht des Beklagten zu 2 auf der linken Seite der Straße gelegenen Grundstücks ....... Nr. 130 kam es auf der Fahrbahn zu einer Kollision zwischen dem seinerzeit gut 5 Jahre alten Kläger als Fahrer eines Kinderfahrrades und dem vom Beklagten zu 2 geführten Pkw. Dieses Fahrzeug wurde im Bereich des vorderen rechten Scheinwerfers und der rechten Seite der Motorhaube beschädigt, während das Fahrrad insbesondere im hinteren Bereich deformiert wurde. Der Kläger wurde durch den Zusammenstoß ca. 9 bis 10 m durch die Luft über den wiederum aus Sicht des Beklagten zu 2 gesehen rechts der Straße verlaufenden ca. 1,60 m breiten kombinierten Fuß und Radweg, der durch einen ca. 0,90 m breiten unbefestigten Streifen von der Fahrbahn getrennt ist, hinaus in den rechten Seitenbereich der Straße geschleudert.

4

Durch diesen Unfall erlitt der Kläger neben zahlreichen weiteren Verletzungen, deretwegen auf die ärztliche Bescheinigung des Zentralkrankenhauses Sankt.............. in ....... vom 13. Dezember 1999 (Bl. 13) Bezug genommen wird, insbesondere ein schweres Schädelhirntrauma mit offener Keilbeinfraktur rechts. Er kann weder sprechen noch laufen und leidet unter einer spastischen linksseitigen Lähmung. Vom 25. September bis zum 16. Oktober 1999 lag der Kläger im Koma. Am 8. Dezember 1999 wurde er vom Zentralkrankenhaus Sankt.............. in ....... in die Rehabilitationseinrichtung ......., ebenfalls in ......., verlegt. Dort befand er sich bis zum 29. September 2000.

5

Seit dem 2. Oktober 2000 besucht der Kläger den LebenshilfeKindergarten in ......., in dem er gepflegt wird und therapiert werden soll.

6

In erster Instanz haben beide Parteien übereinstimmend vorgetragen, dass der Kläger mit seinem Fahrrad auf dem aus Sicht des Beklagten zu 2 betrachtet rechts der Straße verlaufenden Radweg dem Beklagten zu 2 entgegengekommen und auf Höhe des Grundstücks ....... Nr. 130 aus seiner - des Klägers - Sicht nach rechts über den unbefestigten Streifen hinweg auf die Fahrbahn gefahren sei, wo es alsdann zu der Kollision mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 2 gekommen sei. Ausgehend von diesem Sachverhalt hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass die Beklagten für die Unfallfolgen hafteten, weil der Beklagte zu 2 beim Gewahrwerden seiner - des Klägers - Person nach § 3 Abs. 2 a StVO verpflichtet gewesen wäre, seine Geschwindigkeit ganz erheblich zu reduzieren und ständig bremsbereit zu sein. Mit Anwaltsschreiben vom 2. November 1999 (Bl. 17) hat der Kläger die Beklagte zu 1 vergeblich aufgefordert, bis zum 16. November 1999 einen Schmerzensgeldvorschuss in Höhe von 15.000 DM zu zahlen.

7

Im Klagewege hat der Kläger alsdann ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld geltend gemacht, wobei er seine Begehrensvorstellung für ein angemessenes endgültiges Schmerzensgeld mit 500.000 DM beziffert hat. Außerdem hat er materiellen Schadensersatz in Höhe von 12.117,12 DM für Fahrtkosten verlangt, die seiner Mutter dadurch entstanden seien, dass sie ihn im Krankenhaus Sankt.............. und in der RehaKlinik ....... besucht habe.

8

Die Beklagten sind der Klageforderung mit der Behauptung entgegengetreten, dass der Kläger völlig überraschend und aus voller Fahrt mit seinem Fahrrad auf die Fahrbahn der Gemeindestraße gefahren sei, ohne den Fahrtwechsel durch das Heben des rechten Armes angezeigt zu haben. Da der Beklagte zu 2 mit einer von ihm zum Unfallzeitpunkt eingehaltenen Geschwindigkeit von ca. 45 bis 50 km/h die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten habe, sei der Unfall für ihn unter diesen Umständen unabwendbar gewesen.

9

Das Landgericht hat dem Kläger ein endgültiges Schmerzensgeld von 500.000 DM zugesprochen und die Beklagten zum Ersatz des geltend gemachten materiellen Schadens in Höhe von 12.117,12 DM (jeweils nebst Zinsen) verurteilt. Lediglich im Hinblick auf eine geringfügige Zinsmehrforderung hat es die Klage abgewiesen. Auch wenn der Beklagte zu 2 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h nicht überschritten habe, hat das Landgericht einen schuldhaften Verkehrsverstoß des Beklagten zu 2 darin erblickt, dass er die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs nicht auf Schrittgeschwindigkeit ermäßigt habe, als er den zum Unfallzeitpunkt 5 Jahre alten Kläger auf dessen Fahrrad erblickt habe. Auch ohne konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dieser die Straße habe überqueren wollen, habe der Beklagte zu 2 mit einem derartigen plötzlichen Verkehrsverstoß des Klägers rechnen und sein Fahrverhalten darauf einstellen müssen.

10

Gegen dieses Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung. Damit machen sie zum einen unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geltend, dass das Landgericht die Sorgfaltsanforderungen gegenüber dem Beklagten zu 2 überspannt habe. Erst wenn das Verhalten eines Kindes oder die Situation, in der es sich befinde, Auffälligkeiten zeige, die zu Gefährdungen führen könnten, sei von dem Kraftfahrer zu verlangen, dass er besondere Vorkehrungen zur Abwendung einer Gefahr für das Kind treffe. Eine derartige Verkehrssituation habe hier jedoch nicht vorgelegen. Der Kläger sei nach Erinnerung des Beklagten zu 2 nicht unsicher, sondern zügig geradeaus gefahren. Anhaltspunkte für eine plötzliche Fahrtrichtungsänderung hätten nicht bestanden. Folglich hätten für den Beklagten zu 2, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten habe, keine Veranlassung bestanden, die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs auf Schritttempo zu verringern. Infolgedessen sei der Unfall für den Beklagten zu 2 unabwendbar gewesen.

11

Dies gelte im Übrigen auch für die Sachverhaltsalternative, dass der Kläger in entgegengesetzter Richtung aus Sicht des Beklagten zu 2 plötzlich von links vom Grundstück ....... Nr. 130 kommend die Straße zu überqueren versucht habe und von dem Pkw des Beklagten zu 2 (erst) erfasst worden sei, als er den rechts neben der Fahrbahn verlaufenden Radweg fast erreicht gehabt habe. Da das Grundstück ....... Nr. 130 zur Straße hin mit einer 1,15 m hohen Hecke abgetrennt sei, habe der Beklagte zu 2 den Kläger erst wahrnehmen können, als er hinter der Hecke knapp 2 m vor Erreichen des linken Fahrbahnrandes zum Vorschein gekommen sei. Auch wenn der Unfall sich in dieser Weise ereignet hätte, sei er für den Beklagten zu 2 weder örtlich noch zeitlich vermeidbar gewesen.

12

Die Beklagten beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

13

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

14

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beanstandet das widersprüchliche und sich letztlich gegenseitig ausschließende Vorbringen der Beklagten zum eigentlichen Unfallhergang. Dieses prozessuale Verhalten der Beklagten lasse erkennen, dass sie sich eines fahrlässigen Verhaltens des Beklagten zu 2 und seiner Verantwortlichkeit für den Unfall bewusst seien und versuchten, darüber hinwegzutäuschen.

15

Unabhängig davon ergäben die vorhandenen Unfallspuren, dass der Beklagte zu 2 zum Zeitpunkt des Unfalls mit einer Geschwindigkeit von mindestens 70 km/h gefahren sei. Wäre er nicht zu schnell gefahren und hätte er sich situationsgerecht verhalten, hätte er den Unfall vermeiden können.

16

Im Wege der Klageerweiterung begehrt der Kläger im Übrigen auch die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden. Das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld von 500.000 DM hält er für einen angemessenen Ausgleich für alle bereits eingetretenen Verletzungen und alle voraussehbaren immateriellen Unfallfolgen. Das auf die immateriellen Schäden bezogene Feststellungsbegehren beziehe sich daher auf alle zur Zeit nicht voraussehbaren Verletzungsfolgen.

17

Schließlich begehrt der Kläger höhere Verzugszinsen nach Maßgabe der für die Zeit ab dem 1. Mai 2000 geltenden gesetzlichen Regelungen.

18

Im Wege der Anschlussberufung beantragt er daher,

  1. 1.

    festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm allen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der aus dem Unfall vom 25. September 1999 folgt, soweit Ansprüche nicht von Gesetzes wegen übergegangen sind, und

  2. 2.

    die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 DM nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 485.000 DM seit dem 25. Mai 2000 zu zahlen sowie

    die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 12.117,12 DM nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über

    dem Basiszinssatz auf 7.105,92 DM seit dem 25. Mai 2000 und auf 5.011,20 DM seit dem 15. November 2000 zu zahlen.

19

Die Beklagten beantragen,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und ihrer Anlagen Bezug genommen.

21

Der Senat hat Beweis erhoben zum Unfallhergang durch Vernehmung der Zeugin ....... ....... und durch Einholung eines Gutachtens des Dipl.Ing. ....... ........ Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 27. November 2001 (Bl. 158), auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen ....... vom 26. Juli 2002 (lose im hinteren Aktendeckel) sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 21. Januar 2003 (Bl. 226) verwiesen, in der der Sachverständige ....... sein Gutachten unter Überreichung weiterer Anlagen (ebenfalls lose im hinteren Aktendeckel) mündlich erläutert hat.

Entscheidungsgründe

22

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg, während die Anschlussberufung des Klägers teilweise, nämlich im Hinblick auf den Feststellungsantrag, begründet ist.

23

I.

Berufung der Beklagten

24

Das Urteil des Landgerichts erweist sich im Ergebnis als zutreffend. Eine Abänderung zugunsten der Beklagten ist jedenfalls nicht gerechtfertigt.

25

1.

Allerdings ist den Beklagten einzuräumen, dass das Landgericht bei dem Unfallhergang, den es seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, die Sorgfaltspflichten des Beklagten zu 2 überspannt hat. Auch gegenüber Kindern gilt grundsätzlich der Vertrauensgrundsatz. Nur dann, wenn das Verhalten der Kinder oder die Situation, in der sie sich befinden, Auffälligkeiten zeigen, die zu Gefährdungen führen können, wird von dem Kraftfahrer verlangt, dass er besondere Vorkehrungen (z.B. Verringerung der Fahrgeschwindigkeit, Einnehmen der Bremsbereitschaft) zur Abwendung der Gefahr trifft (vgl. zuletzt BGH VersR 2000, 1556 f.).

26

Solche Auffälligkeiten, die die Annahme rechtfertigten, der Beklagte zu 2 habe nicht auf ein verkehrsgerechtes Verhalten des Klägers vertrauen dürfen, hat das Landgericht jedoch nicht festzustellen vermocht. Nach dem vom Landgericht zugrunde gelegten Sachverhalt fuhr der Kläger selbständig mit dem Fahrrad auf dem Gehweg ohne irgendwelche Unsicherheiten oder seine Absicht erkennen zu lassen, mit seinem Fahrrad die Straße zu überqueren. In einem solchen Fall bedeutet es eine Überspannung der Sorgfaltspflicht des Kraftfahrers, ohne weitere Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung von ihm zu verlangen, das Tempo seines Fahrzeugs vorsorglich auf Schrittgeschwindigkeit zu ermäßigen.

27

2.

Letztlich können diese Überlegungen hier jedoch dahinstehen, weil das Landgericht bei seiner Entscheidung von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist. Der vom Senat mit der Ermittlung des Unfallhergangs beauftragte Sachverständige Dipl.Ing. ....... hat anhand einer Analyse der Beschädigungen des vom Kläger benutzten Fahrrades nämlich eindeutig festzustellen vermocht, dass der Kläger aus Fahrtrichtung des Beklagten zu 2 gesehen nicht von rechts nach links, sondern - umgekehrt - von links nach rechts vom Grundstück ....... Nr. 130 kommend die Fahrbahn überquert hat. Dabei wurde sein Fahrrad kurz vor Erreichen des gegenüberliegenden Fahrbahnrandes von der rechten Front des vom Beklagten zu 2 geführten Pkw Citroen Saxo in Höhe des Hinterrades erfasst. Diese Feststellungen stehen auch in Einklang mit den Bekundungen der Zeugin ....... ......., die das Haus auf dem Grundstück ....... Nr. 130 bewohnt und bei der der Kläger sich bis kurze Zeit vor dem Unfall aufgehalten hat, sowie in Übereinstimmung mit den Ausführungen in dem Gutachten des DEKRASachverständigen Dipl.Ing. ....... vom 21. Februar 2000 (BA 34 ff.), das die Staatsanwaltschaft Verden im Rahmen des gegen den Beklagten zu 2 gerichteten Ermittlungsverfahrens 19 Js 31334/99 eingeholt hat. Auch dieser Gutachter hat insbesondere aus den Verformungen des vom Kläger geführten Fahrrades den Schluss gezogen, dass dieser die Fahrbahn vom Hof des Hauses ....... Nr. 130 kommend in Richtung auf den Radweg überquert hat. Dieses Gutachten hat das Landgericht auf S. 5 der Leseabschrift des angefochtenen Urteils zwar zitiert, Zweifel an der übereinstimmenden hiervon abweichenden Schilderung des Unfallhergangs durch die Parteien aber gleichwohl zu keinem Zeitpunkt artikuliert.

28

3.

Bei Zugrundelegung des Hergangs des Unfalls, wie er sich tatsächlich ereignet hat (Überqueren der Fahrbahn durch den Kläger aus Sicht des Beklagten zu 2 von links nach rechts), haften die Beklagten für die schweren Folgen des Unfalls gemäß §§ 823, 847 BGB i.V.m. § 3 PflVG, weil der Beklagte zu 2 den Unfall schuldhaft verursacht hat. Wie der Sachverständige Dipl.Ing. ....... ermittelt hat, betrug die Annäherungsgeschwindigkeit des vom Beklagten zu 2 geführten Pkw zum Zeitpunkt des Unfalls mindestens 60 km/h. Sie lag damit deutlich über der am Unfallort zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Die vom Sachverständigen ausgewerteten Spuren, nämlich die Beschädigungen an den beiden am Unfall beteiligten Fahrzeugen sowie die Endlage des Klägers und seines Fahrrades, lassen darauf schließen, dass sich der Kläger zum Anstoßzeitpunkt mit einer relativ geringen Geschwindigkeit von etwa 10 km/h bewegt hat. Zur Bestimmung der Kollisionsgeschwindigkeit des Pkw hat der Sachverständige eigens mehrere Versuche mit Fahrzeugen durchgeführt, die den am Unfall beteiligten entsprechen. Das Ergebnis war, dass erst bei einer Kollisionsgeschwindigkeit des Pkw von mindestens 60 km/h eine ähnliche Deformierung der an den Versuchen beteiligten Fahrzeuge zu erreichen war wie im realen Unfallgeschehen.

29

Ausgehend von einer Kollisionsgeschwindigkeit von 60 km/h hat der Sachverständige bei Berücksichtigung der WegZeitZusammenhänge nachvollziehbar gefolgert, dass die Annäherungsgeschwindigkeit des vom Beklagten zu 2 geführten Citroen zum Zeitpunkt des Unfalls mindestens 60 km/h bis maximal 77 km/h betrug. Wie Dipl.Ing. ....... weiter überzeugend dargelegt hat, hätte der Beklagte zu 2 den Unfall in jedem Falle vermeiden können, wenn er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eingehalten und spontan mit einer Vollbremsung auf den mit seinem Fahrrad die Fahrbahn von links nach rechts überquerenden Kläger reagiert hätte, als sich dieser weniger als 1 m vom linken Fahrbahnrand entfernt befand. Wegen der weiteren Einzelheiten der Feststellungen des Sachverständigen wird auf dessen Gutachten vom 26. Juli 2002 Bezug genommen.

30

Bei der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens im Termin vom 21. Januar 2003 (Bl. 226 ff.) hat der Sachverständige im Übrigen bestätigt, dass der Unfall für den Beklagten zu 2 bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erst recht sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht vermeidbar gewesen wäre, wenn als Zeitpunkt der Reaktionsaufforderung nicht erst auf den Moment abgestellt wird, als sich das Fahrrad dem aus Sicht des Beklagten zu 2 linken Fahrbahnrand bereits bis auf 1 m genähert hatte, sondern auf denjenigen (zeitlich früheren), als der Kläger mit seinem Fahrrad die Hecke des Grundstücks ....... Nr. 130 passiert hatte und soeben vollständig auf dem knapp 3 m breiten Grünstreifen zwischen der Hecke und dem linken Fahrbahnrand zu sehen war. Bereits zu diesem Zeitpunkt war für den Beklagten zu 2 eine Reaktionsaufforderung gegeben, weil diese Seite der Fahrbahn in keiner Weise - etwa durch einen Bordstein - begrenzt ist. Wegen der weiteren Einzelheiten der Ausführungen, die der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung gemacht hat, wird auf das Protokoll der Sitzung vom 21. Januar 2003 sowie auf die vom Sachverständigen bei dieser Gelegenheit überreichten Anlagen verwiesen.

31

4.

Steht somit die Haftung der Beklagten für die Folgen des Verkehrsunfalls vom 25. September 1999 fest, ist die Höhe des mit 500.000 DM vom Landgericht ausgeurteilten Schmerzensgeldes angesichts der Schwere der vom Kläger erlittenen Verletzungen nicht zu beanstanden. Die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes in dieser Höhe steht in Einklang mit der sog. Vergleichsrechtsprechung und wird auch von den Beklagten der Höhe nach nicht angegriffen.

32

Dies gilt auch für den dem Kläger vom Landgericht zugesprochenen materiellen Schadensersatz. Die medizinische Notwendigkeit der regelmäßigen Besuche durch die Mutter des Klägers im Krankenhaus sowie die Fahrtkostenhöhe haben die Beklagten in der Berufungsinstanz nicht (mehr) in Zweifel gezogen.

33

Nach alledem erweist sich deren Berufung unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt als begründet. Sie war daher zurückzuweisen.

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II.

Anschlussberufung des Klägers

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Das Rechtsmittel des Klägers hat teilweise Erfolg.

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1.

Sein auf die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für alle zukünftigen materiellen und immateriellen unfallbedingten Schäden gerichteter Antrag ist begründet. Angesichts der dauerhaften Schwerstbehinderung des Klägers liegt es auf der Hand, dass diesem weitere unfallbedingte materielle Aufwendungen entstehen können.

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Angesichts der Schwere der Verletzungen des Klägers erscheinen auch weitere zur Zeit noch nicht voraussehbare Verletzungsfolgen durchaus möglich, die einen weiteren immateriellen Ausgleich erfordern. Das Landgericht hat dem Kläger zwar ein "endgültiges" Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 DM zugesprochen. Der Senat teilt jedoch die vom Kläger im Rahmen seiner Anschlussberufung zum Ausdruck gebrachte Auffassung, dass dieser Betrag einen immateriellen Ausgleich für alle bereits eingetretenen Verletzungen und schon jetzt sicher voraussehbaren Unfallfolgen darstellt.

38

2.

Die Anschlussberufung des Klägers hat jedoch keinen Erfolg, soweit er damit eine höhere Verzinsung als vom Landgericht ausgeurteilt nach Maßgabe der für die Zeit ab dem 1. Mai 2000 geltenden neuen gesetzlichen Regelungen begehrt. Nach Artikel 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB gilt der höhere Zinssatz des § 288 Abs. 1 BGB n.F. lediglich für diejenigen Geldforderungen, die seit dem 1. Mai 2000 fällig geworden sind. Für die am 1. Mai 2000 bereits fälligen Forderungen bleibt es dagegen bei dem bisherigen Zinssatz von 4%. Daran hat auch die erneute Neufassung des § 288 Abs. 1 BGB durch das zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nichts geändert (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl., § 288 Rn. 1; a. A. für die Zeit ab dem 1. Januar 2002 Meier/Grünebaum, MDR 2002, 746, 748).

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Im vorliegenden Fall waren die Ansprüche des Klägers auf Ersatz der infolge des Unfalls vom 25. September 1999 erlittenen materiellen und immateriellen Schäden bereits vor dem 1. Mai 2000 mit der Folge fällig, dass es bei dem vom Landgericht ausgeurteilten Zinssatz von 4% verbleiben muss. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Kläger seine Forderungen erst nach dem 1. Mai 2000, nämlich am 24. Mai 2000 (vgl. Bl. 21 und 23) rechtshängig gemacht und infolgedessen gemäß § 291 BGB ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Prozesszinsen hat. Denn der Zinssatz des § 288 BGB gilt gemäß § 291 Satz 2 BGB auch für Prozesszinsen (vgl. auch Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 291 Rn. 1).

40

III.

Nebenentscheidungen

41

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert der Beschwer für die Beklagten beträgt 266.954,24 EUR (= 522.117,12 DM).

Den Wert der Beschwer hat der Senat im Hinblick auf § 26 Nr. 8 EGZPO festgesetzt. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor.