Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 22.03.2012, Az.: L 14 U 53/11

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
22.03.2012
Aktenzeichen
L 14 U 53/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44316
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 13.01.2011 - AZ: S 8 U 56/08

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Sucht ein Arbeitnehmer, dem zuvor gekündigt worden ist und der sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat, seinen Arbeitgeber zwecks Überreichens u. a. eines Vordruck für die von diesem auszustellende Bescheinigung nach § 312 SGB III auf, so steht dies in einem inneren Zusammenhang mit der Beschäftigung und begründet bei einem Unfall auf dem Weg von dem Ort des Zusammentreffens zur eigenen Wohnung gesetzlichen Unfallversicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII gegenüber der für den Arbeitgeberbetrieb zuständigen Berufsgenossenschaft.

Tenor:

Auf die Berufungen der Beklagten zu 2. und der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 13. Januar 2011 aufgehoben.

Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten zu 2. vom 22. April 2008 wird abgewiesen.

Der Bescheid der Beklagten zu 1. vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2008 wird aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Verkehrsunfall der Klägerin vom 18. Juni 2007 um einen bei der Beklagten zu 1. versicherten Arbeitsunfall handelt.

Die Beklagte zu 1. trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Verfahren.

Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin bei einem von ihr am 18. Juni 2007 erlittenen Verkehrsunfall bei der Beklagten zu 1. oder der Beklagten zu 2. unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.

Die im Jahre 1984 geborene Klägerin war in der Praxis der Zahnärztin Dr. I. in J. bei K. als Zahnarzthelferin beschäftigt. Am 15. Juni 2007, einem Freitag, wurde ihr Arbeitsverhältnis zum 14. Juli 2007 gekündigt. Am Morgen des folgenden Montags, dem 18. Juni 2007, begab sie sich nach vorheriger telefonischer Mitteilung an eine Mitarbeiterin der Praxis mit ihrem Pkw von der elterlichen Wohnung in K. zur im selben Ort gelegenen Agentur für Arbeit und meldete sich dort (gegen 9 Uhr) arbeitslos. Der für sie zuständige Sachbearbeiter übergab ihr einen Antragsvordruck für die Gewährung von Arbeitslosengeld sowie mehrere spätestens am 28. Juni 2007 von ihr abzugebende Formulare, u. a. eine von ihrer Arbeitgeberin auszufüllende Arbeitsbescheinigung nach § 312 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III). Für den Nachmittag desselben Tages um 14 Uhr wurde ein Termin für ein erstes Beratungsgespräch mit einem Arbeitsvermittler in der Arbeitsagentur vereinbart, zu dem die Klägerin noch eine Aufstellung mit ihren beruflichen Fähigkeiten mitbringen sollte.

Von der Agentur für Arbeit fuhr die Klägerin auf direktem Wege in die Zahnarztpraxis und übergab dort, ohne ihre eigentliche Arbeit aufzunehmen, ihrer Arbeitgeberin die von dieser auszufüllenden Formulare. Sie wies auf den Termin bei der Agentur für Arbeit am Nachmittag hin und erklärte, dass sie nach diesem Termin wieder in der Praxis zur Arbeit erscheinen würde. Gegen 12:30 Uhr, kurz vor Beginn der Mittagspause, die in der Praxis seinerzeit üblicherweise - je nach Patientenaufkommen - in der Zeit von 13 bis 15 Uhr stattfand, verließ sie die Praxis und stieg in ihren Pkw, um in ihre ca. 10 bis 15 Minuten Fahrtzeit entfernte Wohnung zu fahren. Sie wollte dort zunächst die ihr in der Arbeitsagentur übergebenen Formulare ausfüllen, um den dortigen Termin um 14 Uhr wahrnehmen zu können, und anschließend, soweit ihr noch Zeit geblieben wäre, etwas zu Mittag essen. Auf dem Weg von der Zahnarztpraxis zu ihrer Wohnung prallte sie mit ihrem Fahrzeug gegen einen Baum und erlitt hierbei Kopfverletzungen, Frakturen mehrerer Hals- und Brustwirbelkörper sowie Schnittwunden.

Die Beklagte zu 1. lehnte nach Anhörung der Klägerin und ihrer früheren Arbeitgeberin die Anerkennung des Unfallereignisses als Arbeitsunfall mit Bescheid vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2008 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass sich die Klägerin bei der Unfallfahrt von der Zahnarztpraxis zu ihrer Wohnung nicht auf versichertem Weg befunden habe. Ihre Handlungstendenz sei mangels Aufnahme der eigentlichen Tätigkeit als Zahnarzthelferin am Unfalltag nicht auf eine betriebliche, sondern auf eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit, nämlich ihre Arbeitslosmeldung, gerichtet gewesen.

Die Klägerin hat hiergegen am 20. Februar 2008 beim Sozialgericht (SG) Osnabrück Klage (S 8 U 56/08) erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Zuständigkeit der Beklagten zu 1. für ihren Unfall ergebe sich daraus, dass dieser sich auf dem Weg von der Arbeitsstelle nach Hause ereignet habe. Sie habe die Praxis am späten Vormittag des Unfalltages nicht aus reinem Eigeninteresse aufgesucht, sondern aus der ihr gesetzlich auferlegten Pflicht heraus, die mit der ausgesprochenen Kündigung zusammenhängenden Formalien umgehend zu erledigen. Handlungen, die notwendig seien, um ein Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder Einigung über eine vorzeitige Auflösung zu beenden, gehörten zu den versicherten Tätigkeiten. Nach dem Gespräch mit ihrer Arbeitgeberin sei sie ihrer Tätigkeit als Arzthelferin nur wegen des Beginns der üblichen Mittagszeit nicht mehr nachgekommen. Im Anschluss an die Mittagspause, in der sie noch weitere Unterlagen von zu Hauses habe holen wollen, habe sie - im Einverständnis mit ihrer Arbeitgeberin - vorgehabt, wieder bei der Agentur für Arbeit vorstellig zu werden und daran anschließend ihre Arbeit wieder aufzunehmen

Mit Bescheid vom 22. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2008 lehnte auch die Beklagte zu 2. die Anerkennung des Unfalls der Klägerin vom 18. Juni 2007 als Arbeitsunfall ab. Die Klägerin habe zum Unfallzeitpunkt nicht dem Kreis der nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) versicherten Personen angehört. In Frage komme insofern nur die für Arbeitslose für die Zeit der Beanspruchung von Arbeitslosengeld geltende Meldepflicht nach § 309 SGB III, der die Klägerin aber nicht unterlegen sei, da sie noch in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden und somit nicht arbeitslos gewesen sei. Der von der Agentur für Arbeit aus organisatorischen Gründen für den Nachmittag des 18. Juni 2007 vergebene Termin habe lediglich dazu gedient, nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses den künftigen Bezug von Arbeitslosengeld zu gewährleisten, und damit im Eigeninteresse der Klägerin gestanden. Eine Verpflichtung zur Wahrnehmung des Termins habe nicht bestanden, zumal es der Klägerin freigestellt gewesen sei, überhaupt Arbeitslosengeld zu beantragen. Sie habe sich außerdem zum Zeitpunkt des Unfalls nicht auf dem Weg zur Arbeitsagentur, sondern zu ihrer Wohnung befunden.

Die Klägerin hat am 22. September 2008 auch hiergegen beim SG Osnabrück Klage (S 8 U 228/08) erhoben und diese damit begründet, dass ihre Unfallfahrt dem Grunde nach von der Agentur für Arbeit veranlasst worden sei.

Nach Verbindung der beiden Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung hat das SG mit Urteil vom 13. Januar 2011 die Beklagte zu 2. verurteilt, der Klägerin eine Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 18. Juni 2007 zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich die Klägerin am Unfalltag nicht zwecks Ausübung ihrer eigentlichen Tätigkeit als Zahnarzthelferin, sondern lediglich wegen der von ihrer Arbeitgeberin auszufüllenden Formulare in der Zahnarztpraxis aufgehalten habe, um diese anschließend bei dem Termin bei der Agentur am Nachmittag wieder abzugeben. Die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Meldung bei der Agentur für Arbeit stünden daher in keinem inneren Zusammenhang mit ihrer versicherten Tätigkeit in der Zahnarztpraxis. Auch der anschließende Weg der Klägerin von der Praxis zur eigenen Wohnung in der Mittagspause habe vorliegend somit seiner Handlungstendenz nach nicht mittelbar oder unmittelbar betrieblichen Gründen gedient. Die Klägerin habe aber dem Kreis der Versicherten nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII angehört. Die Meldepflicht nach § 309 Abs. 1 Satz 1 SGB III beginne, sobald der Arbeitslose Arbeitslosengeld beantrage, was vorliegend der Fall gewesen sei. Da die persönliche Arbeitslosmeldung zugleich als Antrag auf Arbeitslosengeld gelte, bestehe von diesem Zeitpunkt an Versicherungsschutz. Auch eine Aufforderung, die Agentur für Arbeit aufzusuchen - unerlässliche Voraussetzung für den Unfallversicherungsschutz -, sei vorliegend an die Klägerin ergangen. Es sei nach der Rechtsprechung des BSG (BSGE 51, 213 [BSG 27.02.1981 - 8/8a RU 108/79]) insofern unschädlich, dass eine Arbeitsberatung vor Beendigung eines wirksam gekündigten Arbeitsverhältnisses bei der Arbeitsagentur anberaumt worden sei. Der Weg der Klägerin von der Praxis nach Hause sei von der Handlungstendenz geprägt gewesen, die im Zusammenhang mit der Arbeitslosmeldung stehenden Unterlagen noch am selben Tage um 14 Uhr wieder der Agentur für Arbeit zuzuführen. Bei diesem Termin handele es sich um einen der Klägerin von der Agentur für Arbeit aufgetragenen Termin, den sie aus ihrem Empfängerhorizont als Aufforderung ansehen durfte.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2012 den Tenor des Urteils des SG dahingehend ergänzt, dass die Klage gegen den Bescheid der Beklagten zu 1. vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Dezember 2008 abgewiesen wird.

Die Beklagte zu 2. hat gegen das ihr am 7. Februar 2011 zugestellte Urteil am 22. Februar 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, dass sich die Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht auf dem Weg von oder zu einer der in § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII genannten Stellen, sondern auf dem Weg von ihrem Beschäftigungsort zu ihrem Wohnort befunden habe, um dort ihre Mittagspause zu verbringen. Dieser Weg sei nicht von der Handlungstendenz geprägt gewesen, der Agentur für Arbeit Unterlagen wieder zuzuführen. Es sei von ihr nicht erwartet worden, die ihr von dem zuständigen Sachbearbeiter der Agentur übergebenen Vordrucke bereits am Nachmittag des 18. Juni 2007 abzugeben. Aus der zur Zeit des Unfalls geltenden Vorschrift des § 37b SGB III ergebe sich im Übrigen lediglich eine Pflicht, sich unverzüglich nach Kenntnis der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Dieser Pflicht sei die Klägerin am Vormittag des 18. Juni 2007 nachgekommen. Eine allgemeine, fortgeltende Meldepflicht ergebe sich aus der Vorschrift nicht. Erst die ab dem 1. Januar 2009 in Kraft getretene Nachfolgevorschrift des § 38 SGB III enthalte in Absatz 3 Satz 6 eine Ergänzung gegenüber der früheren Vorschrift dahingehend, dass für Arbeitsuchende die Meldepflichten im Leistungsverfahren entsprechend gälten. Da § 38 SGB III keine Rückwirkungsklausel enthalte, lasse dies den Umkehrschluss zu, dass vorher keine entsprechende Regelung für Personen, die noch nicht im Leistungsbezug stehen, bestanden habe. Die Klägerin unterfalle damit nicht dem Kreis der Versicherten nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII.

Die Berufungsklägerin und Beklagte zu 2. beantragt,

das Urteil des SG Osnabrück vom 13. Januar 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin, die hinsichtlich der Klagabweisung betreffend den Bescheid der Beklagten zu 1. vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 2008 in der mündlichen Verhandlung des Senats Anschlussberufung eingelegt hat, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

1. den Bescheid der Beklagten zu 1. vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2008 aufzuheben,

2. festzustellen, dass das Unfallereignis vom 18. Juni 2007 ein bei der Beklagten zu 1. versicherter Arbeitsunfall ist.

Zur Begründung trägt sie vor, das SG habe sich zu Recht darauf bezogen, dass ihr die Agentur für Arbeit eine konkrete Aufforderung erteilt habe. Sie sei am 18. Juni 2007 nicht mit dem primären Ziel der Durchführung der Mittagspause nach Hause gefahren, sondern um dort die von ihr abzugebenden Unterlagen und Formulare unter Einfügen nur in ihren heimischen Unterlagen befindlicher Versicherungsnummern und Aktenzeichen für die weitere Bearbeitung durch die Agentur für Arbeit vorzubereiten. Es sei ihr Bestreben gewesen, die Formulare möglichst früh vollständig abgeben zu können, um die weitere Sachbearbeitung zu beschleunigen mit dem Ziel, schnellstmöglich eine neue Anstellung zu finden.

Die Beklagte zu 1. beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihre Entscheidungen und das erstinstanzliche Urteil.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten zu 1. und 2. sowie der Agentur für Arbeit K. erwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung der Beklagten zu 2. sowie die Anschlussberufung der Klägerin sind zulässig (§ 143 SGG) und begründet.

Das SG hat zu Unrecht die gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Klage abgewiesen und der gegen die Beklagte zu 2. gerichteten Klage stattgegeben, denn abgesehen davon, dass es sich bei der Verurteilung durch das SG zu einer nicht weiter konkretisierten Entschädigung um ein unzulässig unbestimmtes Grundurteil ohne vollstreckungsfähigen Inhalt handelt (BSG, SozR 4-2700 § 6 Nr. 1) und die Klage vielmehr lediglich als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) zulässig ist, ist vorliegend unter Aufhebung des rechtswidrigen Bescheids der Beklagten zu 1. vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2008 festzustellen, dass es sich bei dem von der Klägerin am 18. Juni 2007 erlittenen Verkehrsunfall nicht um einen bei der Beklagten zu 2., sondern um einen bei der Beklagten zu 1. versicherten Arbeitsunfall handelt.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Zu der versicherten Tätigkeit gehört gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den erforderlichen sachlichen Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist die finale Handlungstendenz des Versicherten, die den objektiven Umständen nach auf eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung hin ausgerichtet sein muss (BSG, SozR 2200 § 550 Nr. 66; SozR 4-2700 § 8 Nr. 19).

Die von der Klägerin um die Mittagszeit des 18. Juni 2007 herum unternommene, zu dem Unfall führende Fahrt mit dem eigenen Pkw von der Zahnarztpraxis in J. zu ihrer Wohnung in K. stand in einem inneren Zusammenhang mit ihrer seinerzeit zwar bereits gekündigten, aber noch nicht beendeten Beschäftigung als Zahnarzthelferin in der Praxis der Zahnärztin Dr. I..

Die Unfallfahrt erfolgte unmittelbar nach Beendigung des Gesprächs in der Zahnarztpraxis zwischen der Klägerin und ihrer Arbeitgeberin mit Überreichen der Bescheinigung nach § 312 SGB III gegen 12:30 Uhr, ohne dass es noch zu einer Aufnahme der eigentlichen versicherten Tätigkeit der Klägerin als Zahnarzthelferin gekommen war. Eine solche Tätigkeit war der Klägerin von ihrer Arbeitgeberin für den Vormittag des 18. Juni 2007 auch nicht mehr abverlangt worden, da bei Beendigung des Gesprächs die Mittagspause kurz bevorstand und daher eine Arbeitsaufnahme keinen Sinn mehr gemacht hätte. Die Arbeitgeberin hatte sich auch damit einverstanden gezeigt, dass die Klägerin ihre Beschäftigung am Nachmittag des 18. Juni 2007 erst nach Beendung des für 14 Uhr vereinbarten Beratungsgesprächs bei der Agentur für Arbeit aufnehmen sollte.

Eine bei der Beklagten zu 1. versicherte Tätigkeit ergab sich vorliegend jedoch aus dem betriebsbezogenen Zweck des Zusammentreffens der Klägerin mit ihrer Arbeitgeberin vor der Unfallfahrt, nämlich der Aushändigung der von der Arbeitgeberin zum Ausfüllen und zur Unterschrift übergebenen Formulare der Agentur für Arbeit. Diese Handlung diente der sowohl im Interesse und in der arbeitsvertraglichen Pflicht der Klägerin als auch ihrer Arbeitgeberin stehenden ordnungsgemäßen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses. Das BSG hat in zwei älteren, nach wie vor einschlägigen Entscheidungen (BSGE 8, 176; 20, 23 [BSG 30.08.1963 - 2 RU 68/60]) entschieden, dass dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht nur Handlungen unterfallen, die notwendig sind, um ein Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder Einigung über eine vorzeitige Auflösung zu beenden, sondern auch solche, die im Nachgang der Kündigung der Abwicklung von unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Rechtsbeziehungen dienen (dem zustimmend Schwerdtfeger, in: Lauterbach, Unfallversicherung (SGB VII), § 8 Rn. 117; Keller, in: Hauck/Notfz, SGB VII, § 8 Rn. 21;. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 SGB VII, Anm. 7.29). Solchen versicherten Handlungen unterfällt die in der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht der Arbeitgeber für die bei ihnen Beschäftigten stehende Aushändigung der Arbeitspapiere in betrieblichen Räumlichkeiten, worunter insbesondere die vom Arbeitgeber auszustellende Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III mit Angaben u. a. zur Dauer und näheren Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses und zu den Gründen für dessen Beendigung fällt (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 78; kritisch dazu: Ziegler, in: Franke/Molkentin, SGB VII, 2. Auflage, § 8 Rn. 77; vgl. auch Steinmeyer, in: Gagel, SGB III, § 312 Rn. 19; Hoehl, in: Eicher/Schlegel, SGB III (Arbeitsförderung), § 312 Rn. 4). In einer solchen das Beschäftigungsverhältnis betreffenden Angelegenheit ist der sich an seinen Arbeitgeber wendende versicherte Arbeitnehmer auch auf dem Weg zu und von dem (evtl. bisherigen) Ort der Beschäftigung versichert. Das BSG hat in seiner letztgenannten, aus dem Jahre 1986 stammenden Entscheidung betont, dass es dem Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung zuwiderlaufe und der Bedeutung der Finalität im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gerecht werde, unter Ausblendung des Geschehens im betrieblichen Bereich nur dem fernen Endziel der Handlung des Versicherten Bedeutung zuzumessen. Maßgeblich darauf abzustellen sei vielmehr, ob der versicherte Arbeitnehmer sich "im betrieblichen Nahbereich" sowohl sozialrechtlich als auch arbeitsrechtlich norm- und vertragsgerecht verhalten habe. Ein derartiges Verhalten hat die Klägerin vorliegend an den Tag gelegt. Indem sie ihrer Arbeitgeberin am 18. Juni 2007 unmittelbar vor der streitgegenständlichen Unfallfahrt bei Erörterung der im Rahmen der Kündigung des Arbeitsvertrages anstehenden weiteren Schritte das von dieser auszufüllende Formular der Arbeitsbescheinigung übergab, war ihre Handlungstendenz nicht vorrangig auf die eigenwirtschaftliche Erlangung von Arbeitslosengeld und die Vorbereitung einer notwendig werdenden Arbeitssuche gerichtet, sondern - dem vorgehend - auf eine ordnungsgemäße Beendigung ihres alten Arbeitsverhältnisses mit möglichst zügiger Abwicklung der hiermit verbundenen Formalitäten. Das Aufsuchen der Zahnarztpraxis am späten Vormittag des 18. Juni 2007 stellte somit eine bei der Beklagten zu 1. versicherte Tätigkeit mit betriebsbezogener Handlungstendenz dar, auch wenn die Klägerin ihre eigentliche Tätigkeit als Zahnarzthelferin nicht aufnahm.

Der aus § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII folgenden Erweiterung des Versicherungsschutzes auf das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges von dem Ort der Tätigkeit steht vorliegend nicht entgegen, dass die Klägerin die Zeit ihrer Mittagspause an dem Tag des streitgegenständlichen Unfalls vor allem zur Vorbereitung des vereinbarten nachmittäglichen Termins bei der Agentur für Arbeit nutzen wollte und erst nach Durchführung des Beratungsgesprächs wieder in die Zahnarztpraxis zwecks Aufnahme ihrer eigentlichen Tätigkeit als Zahnarzthelferin zurückkehren wollte. Auch wenn die mit der Fahrt zur Wohnung verbundene Handlungstendenz der Klägerin sich neben Rückkehr von einer versicherten Tätigkeit zusätzlich auf nicht bei der Beklagten zu 1. versicherte Handlungen erstreckte, und die Klägerin nach der Mittagspause zunächst die Agentur für Arbeit aufsuchen wollte, ist maßgeblich auf den inneren sachlichen Zusammenhang der Unfallfahrt mit der zuvor verrichteten Tätigkeit abzustellen, der - wie ausgeführt - der bei der Beklagten zu 1. versicherten Abwicklung des gekündigten Beschäftigungsverhältnisses zuzuordnen ist. Die Klägerin hätte vorliegend die Fahrt von der Zahnarztpraxis zu ihrer Wohnung in der Mittagspause nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung (hypothetisch) auch dann unternommen, wenn die weitere Motivation ihres Handelns, die beabsichtigte spätere Fahrt zur Agentur für Arbeit zur Wahrnehmung des Termins um 14 Uhr, entfallen wäre (gespaltene Handlungstendenz bzw. gemischte Motivationslage, vgl. dazu BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 39 m. w. N.). Das Aufsuchen der Zahnarztpraxis mit dem Übergeben der von der Arbeitgeberin auszufüllenden Formulare durch die Klägerin stellte sich damit von der betrieblichen Handlungstendenz her auch nicht als bloßer Zwischenaufenthalt auf der Fahrt zu dem für den Nachmittag des Unfalltages geplanten Beratungstermin bei der Agentur für Arbeit dar.

Da nach alledem die Unfallfahrt der Klägerin von der Zahnarztpraxis zu ihrer Wohnung in der Mittagspause ihrer finalen Handlungstendenz nach in einem inneren Zusammenhang mit dem bei der Beklagten zu 1. versicherten Beschäftigungsverhältnis stand, unterfällt sie - ungeachtet der Frage, ob das für 14 Uhr vereinbarte Beratungsgespräch eine Vorsprache auf besondere Aufforderung an eine nach dem SGB II oder SGB III meldepflichtige Person darstellte - nicht dem Versicherungsschutz § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII. Der Unfall ist daher kein bei der Beklagten zu 2. versicherter Arbeitsunfall, so dass deren Bescheid vom 22. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2008 rechtmäßig ist. Der Berufung der Beklagten zu 2. war damit vollumfänglich stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.