Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 15.03.2012, Az.: L 11 AS 1175/11 B
Erstausstattung; Schwangerschaft; Geburt; Bedarf; Automatische Anrechung der Leistung für älteres Geschwisterkind
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 15.03.2012
- Aktenzeichen
- L 11 AS 1175/11 B
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 14915
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2012:0315.L11AS1175.11B.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 17.10.2011 - AZ: S 36 AS 480/11
Rechtsgrundlagen
- § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II i.d.F. vom 20.07.2006
- § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II i.d.F. vom 24.03.2011
Redaktioneller Leitsatz
1. Bei der Neuanschaffung von Kleidung und Gegenständen handelt es sich bei einem Neugeborenen um eine Erstausstattung.
2. Das gilt auch, wenn für ein wenige Jahre älteres Geschwisterkind schon früher solche Bedarfe erbracht wurden.
Tenor:
Die Beschwerde gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 17. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.
Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Die Kläger wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ihr vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim geführtes Klageverfahren S 36 AS 480/11, in dem Leistungen für Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt streitig sind.
Die Kläger stehen im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Zu ihrer Bedarfsgemeinschaft gehören auch die am H. geborene Tochter der Klägerin zu 1. I. sowie der Lebenspartner der Klägerin zu 1. und Vater des Klägers zu 2., J. K ...
Der Beklagte gewährte Ende 2008 anlässlich der Geburt von I. Leistungen als Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt im Wert von 455,- Euro. Hierbei handelte es sich um eine Barleistung in Höhe von 135,- Euro sowie um sog. Kostengarantiescheine zur Anschaffung eines Kinderbettes, eines Schrankes und eines Kinderwagens. Der Bewilligungsbescheid vom 4. November 2008 enthielt den Zusatz: "Ich weise darauf hin, dass die Ihnen bewilligten Kleidungsstücke und Gegenstände anlässlich der Geburt Ihres Kindes mindestens 5 Jahre aufzubewahren sind, da bei weiteren Geburten innerhalb der Aufbewahrungsfrist eine erneute Gewährung nicht möglich ist."
Am 8. Oktober 2010 beantragte die Klägerin zu 1. wegen der anstehenden Geburt des Klägers zu 2. bei dem Beklagten erneut die Gewährung von Leistungen als Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt ("Babyerstausstattung, Kinderbett, Wickelkommode, Schrank, Sachen allgemein, Umstandskleidung"). Der Beklagte lehnte diesen Antrag unter Hinweis auf die bereits im November 2008 gewährten Erstausstattungen ab (Bescheid vom 16. November 2010). Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde mangels Nachweises einer Bevollmächtigung von Rechtsanwalt L. als unzulässig verworfen (Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2010).
Mit dem im erstinstanzlichen Klageverfahren streitbefangenen Antrag vom 2. Februar 2011 begehrten die Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 16. November 2010 gem. § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) bzgl. der Gewährung von Leistungen für Erstausstattungen anlässlich der Geburt des Klägers zu 2. Nach Ablehnung dieses Antrags (Bescheid vom 15. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2011) haben die Kläger am 15. März 2011 beim SG Klage erhoben und geltend gemacht, dass die "beantragten Kosten für die Erstausstattung bei Geburt, einem Kinderbett und einem Schrank zu bewilligen" seien. Der Begriff der Erstausstattung sei nicht zeit- sondern bedarfsbezogen zu verstehen. Ein entsprechender Bedarf sei aufgrund der Geburt des Klägers zu 2. erneut entstanden. Die im Jahre 2008 zur Verfügung gestellten Gegenstände (Bett und Schrank) würden weiterhin von I. genutzt.
Das SG hat die Kläger wiederholt zu ergänzendem Vortrag aufgefordert (Aufklärungsverfügungen vom 5. Juli und 31. August 2011). Während die Kläger diese Schreiben unbeantwortet gelassen haben, hat der Beklagte während des laufenden Klageverfahrens einen Hausbesuch durchgeführt. Hierbei ist festgestellt worden, dass die Wohnung der Kläger über zwei Kinderzimmer verfügt, die jeweils mit Kinderbetten und Kleiderschränken ausgestattet sind. In dem Zimmer von I. befinden sich zusätzlich u.a. eine Wickelkommode, in dem Kinderzimmer des Klägers zu 2. u.a. ein offenes Regal sowie eine Kommode. Der Lebenspartner der Klägerin zu 1. hat gegenüber den Mitarbeitern des Beklagten angegeben, die Möbel für den Kläger zu 2. ca. 3 bis 4 Monate nach dessen Geburt unter Einsatz eines Teils der Regelleistung gekauft zu haben (Kinderbett: 100,- Euro, Schrank und Regal: 150,- Euro). Belege oder Quittungen könne er nicht vorweisen.
Das SG hat den PKH-Antrag der Kläger mit Beschluss vom 17. Oktober 2011 wegen fehlender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Kläger gegenüber dem Beklagten den geltend gemachten Bedarf nicht hinreichend belegt hätten. Mittlerweile sei der Bedarf zumindest bezüglich des Kinderbetts und des Kleiderschranks weggefallen. Die gerichtliche Anfrage vom 5. Juli 2011 sei seitens der Kläger nicht beantwortet worden.
Gegen den den Klägern am 24. Oktober 2011 zugestellten Beschluss richtet sich ihre am 16. November 2011 eingelegte, inhaltlich jedoch nicht begründete Beschwerde.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat die Gewährung von PKH zutreffend abgelehnt.
Auch wenn im Hauptsacheverfahren bislang nicht abschließend geklärte Rechtsfragen entscheidungserheblich werden könnten (s. nachfolgend unter 1.), kommt die Gewährung von PKH wegen fehlender hinreichend substantiierter Darstellung des Streitgegenstandes nicht in Betracht (s.u. 2.).
1. Es erscheint sehr fraglich, ob der vom Beklagten erfolgte Verweis auf die Ende 2008 gewährten Leistungen die vollständige Ablehnung des Antrags vom 8. Oktober 2010 trägt. Schließlich hat der Hausbesuch ergeben, dass das im Jahre 2008 zur Verfügung gestellte Kinderbett weiterhin von I. genutzt wird und dem Kläger zu 2. dementsprechend nicht zur Verfügung steht. Dessen diesbezüglicher Bedarf konnte im Oktober/November 2010 somit nicht wegen Bedarfsdeckung abgelehnt werden. Auch hinsichtlich der weiteren von der Klägerin zu 1. für den Kläger zu 2. beantragten Leistungen ("Babyerstausstattung" sowie "Sachen allgemein") bestehen erhebliche Zweifel, ob tatsächlich der vollständige diesbezügliche Bedarf durch die der Schwester des Klägers zu 2. im Jahre 2008 gewährten Leistungen gedeckt war. Schließlich zählen zu der kompletten Babyerstausstattung (vgl. zu diesem Begriff: Begründung des Gesetzentwurfs zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, BT-Drucks. 16/1410, zu Nr. 22 (§ 23)) u.a. auch Fläschchen und Sauger, Erstausstattung an Windeln, Matratze, Wolldecke, Bettwäsche und Laken (Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: 2012, § 24 Rn 326; Münder in: LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 24 Rn 34; Gerenkamp in: Mergler/Zink, SGB II, Stand 2011, § 23 Rn 26). Soweit einzelne Gegenstände nach wie vor von I. benutzt werden (z.B. Bett, Matratze, Bettdecke), zwischenzeitlich verbraucht (z.B. Erstausstattung an Windeln) oder infolge Gebrauch verschlissen sind (etwa: Sauger, Fläschchen), kann ein Bedarf des Klägers zu 2. nicht insgesamt negiert werden. Zutreffend weisen die Kläger in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Begriff der Erstausstattung nicht zeitlich, sondern bedarfsbezogen zu interpretieren ist (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 19. September 2008 - B 14 AS 64/07 R, Rn 19; BSG, Urteil vom 23. März 2010 - B 14 AS 81/08 R, Rn 16; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: 2012, § 24 Rn 304 m.w.N.).
Mit der Rechtsfrage, ob bei einem möglicherweise nur teilweise gedeckten Bedarf ergänzende Leistungen nach § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II (in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung - nunmehr: § 24 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II) in Betracht kommen, haben sich bislang weder der Beklagte noch das SG auseinandergesetzt. Vertreten wird hierzu vereinzelt, dass die Gewährung einer Erstausstattung einen diesbezüglich vollständig ungedeckten Bedarf voraussetzt (Hengelhaupt, aaO., K § 24 Rn 330 m.w.N. aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Bundessozialhilfegesetz - BSHG). Überwiegend wird hingegen - u.a. unter Hinweis auf Gleichbehandlungsgesichtspunkte - vertreten, dass Leistungen zur Erstausstattung auch dann in Betracht kommen, wenn der diesbezügliche Bedarf zwar nicht vollständig, jedoch zumindest teilweise ungedeckt ist (SG Bremen, Beschluss vom 27. Februar 2009 - S 23 AS 245/09 ER; Kohte in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Auflage 2011, § 24 SGB II Rn 15; Herold-Tews in: Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Auflage 2011, § 24 Rn 24; vgl. auch Bender in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand 2012, § 24 Rn 64, wonach einzelne vorhandene Gegenstände den Anspruch auf Erstausstattung nicht entfallen lassen, sondern sich lediglich anspruchsmindernd auswirken; ebenso zur Wohnungserstausstattung: BSG, Urteil vom 19. September 2008 - B 14 AS 64/07 R, BSGE 101, 268, Rn 16; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 29. Oktober 2007 und 25. März 2008 - L 20 AS 12/07 und L 19 B 13/08 AS ER, FEVS 59, 520 sowie Hengelhaupt, aaO., K § 24, Rn 305). Erneute Leistungen für Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt von Geschwisterkindern sehen sogar Verwaltungsanweisungen einzelner Leistungsträger vor (abgestufte Teilbeträge der Erstaustattungspauschalen, vgl. Nr 2 der Verwaltungsanweisung zu § 24 Absatz 3 Nr. 1 und 2 SGB II der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen der Freien Hansestadt Bremen vom 16. September 2011, veröffentlicht auf der Internetseite www.soziales.bremen.de). Eine vollständige Ablehnung des Antrags auf Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt allein unter Hinweis auf die bei Geburt des älteren Geschwisterkindes gewährten Leistungen begegnet somit erheblichen rechtlichen Bedenken.
Unabhängig davon ist bislang auch noch nicht geprüft worden, welche Rechtsfolgen sich für den streitbefangenen Anspruch auf Erstausstattungen daraus ergeben, dass der Beklagte mittlerweile die im November 2008 erfolgte Leistungsbewilligung zurückgenommen und gegenüber der Klägerin zu 1. einen diesbezüglichen Erstattungsanspruch von 455,- Euro geltend gemacht hat (Bescheid vom 30. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2011).
2. Trotz dieser rechtlichen Bedenken gegen die Begründung der Leistungsablehnung hat das SG auch nach Überzeugung des Senats die Gewährung von PKH zu Recht abgelehnt. Es fehlt nach wie vor an einer substantiierten Darlegung des Streitverhältnisses, aufgrund derer die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung geprüft werden könnte (vgl. zu dieser Voraussetzung für die Gewährung von PKH: BVerfG, Beschluss vom 14. April 2011 - 1 BvR 362/10; Burkiczak, NZS 2011, 326, 328 m.w.N.; Beschlüsse des Senats vom 15. und 30. Juni 2011 - L 11 AS 426/11 B und L 11 AS 457/11 B). Schließlich haben die Kläger zu keinem Zeitpunkt konkret vorgetragen, welche Bedarfe bei der Klägerin zu 1. (Erstausstattung bei Schwangerschaft) bzw. beim Kläger zu 2. (Erstausstattung bei Geburt) noch ungedeckt sein sollen. Nach erfolgtem Hausbesuch steht fest, dass die Bedarfe an Einrichtungsgegenständen wie u.a. Kinderbett, Schrank, Regal und Wickelkommode - zumindest mittlerweile - vollständig gedeckt sind. Die Kläger haben weder schlüssig vorgetragen noch glaubhaft gemacht (vgl. zu diesen Anforderungen an den Vortrag im PKH-Verfahren: § 73a SGG i.V.m. § 118 Abs 2 Satz 1 ZPO), dass sie durch die zwischenzeitlich erfolgte "Ersatzbeschaffung" weiterhin wirtschaftlich belastet sind. Dies wäre jedoch erforderlich, da ansonsten auch der ursprünglich bestehende Anspruch mit dem Wegfall des Bedarfs nachträglich entfallen wäre. Es ist nicht einmal plausibel gemacht worden, dass die Kindermöbel tatsächlich neu gekauft wurden. Kaufbelege existieren nicht. Dies verwundert um so mehr, als der Lebenspartner der Klägerin zu 1. als Selbständiger am Erwerbsleben teilnimmt und somit weiß, dass Forderungen - insbesondere wenn sie Gegenstand eines Klageverfahrens sind - auch der Höhe nach durch entsprechende Quittungen zu belegen sind. Zudem wirkten die Kindermöbel nach dem Eindruck der Mitarbeiter des Beklagten nicht mehr neu, sondern bereits deutlich älter. Es erscheint somit nicht ausgeschlossen, dass die Kindermöbel nicht gekauft, sondern z.B. von Verwandten oder Bekannten - möglicherweise kostenfrei - überlassen wurden. In diesem Fall läge kein Bedarf mehr vor, der einen Leistungsanspruch auslösen könnte (vgl. zum Verlust eines Anspruchs auf Leistungen für Erstausstattung bei zwischenzeitlich vollständigem und endgültigem Wegfall des Bedarfs: BSG, Urteil vom 27. September 2011 - B 4 AS 202/10 R).
Nach alledem kommt wegen des bislang unzureichenden Vortrags eine PKH-Gewährung nicht in Betracht, zumal auch die Beschwerde trotz Erinnerung nicht begründet worden ist. Ob sich die Rechtsverfolgung aufgrund der Untätigkeit der Klägerseite (keine Beantwortung der richterlichen Verfügungen vom 5. Juli 2011, 27. Juli 2011, 31. August 2011, 22. November 2011, 28. November 2011 und 19. Januar 2012) darüber hinaus auch als mutwillig i.S.d. § 114 ZPO darstellt, kann der Senat offenlassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).