Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 01.10.2012, Az.: 11 A 2921/11

Kosovo; Staatsangehörigkeit; Reiseausweis für Staatenlose; Serbien; Staatsangehörigkeitseintrag; Ausländerakte

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
01.10.2012
Aktenzeichen
11 A 2921/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44462
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Anerkennung der Republik Kosovo durch die Bundesrepublik Deutschland hindert deutsche Ausländerbehörden nicht daran zu akzeptieren, dass aus dem Kosovo stammende Personen auch die serbische Staatsangehörigkeit besitzen können.
2. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die serbischen Behörden in Deutschland lebenden Roma systematisch die Ausstellung von Reisepässen verweigern.
3. Ob die Republik Kosovo Personen, die das Land vor dem 1. Januar 1998 verlassen haben, ohne einen Einbürgerungs- bzw. Registrierungsantrag schon jetzt als eigene Staatsangehörige ansieht, ist unklar.

Tenor:

Der Beklagte wird verpflichtet, die Staatsangehörigkeitsangabe "kosovarisch" in der Duldung der Klägerin sowie in allen Dateien, auf die der Beklagte Eintragungs- und Zugriffsrechte hat, zu sperren. Der Bescheid des Beklagten vom 23. November 2011 wird aufgehoben, soweit er dem entgegen steht.

Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 7/8 und der Beklagte zu 1/8; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Jeder Beteiligte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der andere Beteiligte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin wurde am 24. November 1974 in der Stadt M. in der damaligen autonomen Provinz Kosovo der damaligen Teilrepublik Serbien der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien geboren. Sie reiste am 21. November 1997 zusammen mit ihrer ältesten Tochter nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Der Asylantrag wurde mit Bescheid vom 20. Januar 1998 abgelehnt; die anschließende Klage vor dem erkennenden Gericht blieb erfolglos (vgl. Urteil vom 9. Juni 1998 - 12 A 363/98 -, rechtskräftig seit dem 27. Juni 1998). Nach Abschluss ihres Asylverfahrens wurde die Klägerin zunächst geduldet. Sie brachte am 7. Juni 2001, 27. Juni 2004 und 3. März 2008 drei weitere Töchter sowie im Jahre 2010 einen Sohn in Deutschland zur Welt.

Am 1. November 2005 beantragte die Klägerin für sich und ihre damals bereits geborenen Kinder Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 5 AufenthG, deren Erteilung der Beklagte mit Bescheid vom 22. Dezember 2005 ablehnte. Hiergegen erhoben die Klägerin und ihre Töchter Klage zum erkennenden Gericht (11 A 388/06 - 391/06). Während des Klageverfahrens beantragten sie am 11. Oktober 2007 erneut die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, nun gestützt auf die damals neu in Kraft getretene "Altfallregelung" des § 104a AufenthG. Nach einer Zusicherung des Beklagten, dass Aufenthaltserlaubnisse erteilt würden, besorgte sich die Klägerin beim serbischen Generalkonsulat in Hamburg einen bis zum 28. Februar 2018 gültigen, blauen serbischen Reisepass. Daraufhin erteilte der Beklagte der Klägerin und ihren Kindern am 18. April 2008 Aufenthaltserlaubnisse nach § 104a AufenthG, die bis zum 31. Dezember 2009 gültig waren. Die Klage auf rückwirkende Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG ab dem 1. November 2005 wurde von der erkennenden Kammer mit Urteil vom 21. Mai 2008 abgewiesen.

Am 2. November 2009 beantragte die Klägerin die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis, hilfweise die Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf anderer Rechtsgrundlage. Da die Klägerin Leistungen nach dem SGB II bezog und der Beklagte nicht bis zum 31. Dezember 2009 über eine Verlängerung nach der sogenannten "Bleiberechtsregelung 2009" (RdErl. des Nds. Ministeriums für Inneres, Sport und Integration vom 11. Dezember 2009 - 42.12-12230/1-8 (§23) -) entscheiden wollte, verlängerte er die Aufenthaltserlaubnisse der Klägerin und ihrer Töchter kurzfristig bis zum 31. Januar 2010 und bat um Vorlage weiterer Unterlagen, insbesondere um Nachweise über Arbeitsverhältnisse und Bewerbungsaktivitäten.

Mit Bescheid vom 11. Februar 2010 lehnte der Beklagte den Antrag auf Verlängerung bzw. Neuerteilung der Aufenthaltserlaubnis ab, da die Klägerin ihren Lebensunterhalt vollständig durch Sozialleistungen bestritten und keine ernsthaften Bemühungen um Arbeit nachgewiesen habe. Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 13. Dezember 2010 - 11 A 819/10; OVG Lüneburg, Beschluss vom, 17. März 2011 - 8 LA 28/11 -).

Mit Schreiben vom 30. August 2011 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose, hilfsweise eines Reiseausweises für Ausländer. Außerdem beantragte sie die Löschung, hilfsweise die Sperrung, der Staatsangehörigkeitsangabe "serbisch oder kosovarisch" in ihrer Duldung und in allen Dateien, auf die der Beklagte Eintragungs- und Zugriffsrechte hat. Zur Begründung führte die Klägerin aus, sie besitze nach Art. 29 Abs. 1 des kosovarischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 20. Februar 2008 nicht die kosovarische Staatsangehörigkeit, da sie am 1. Januar 1998 ihren ständigen Wohnsitz außerhalb des Kosovo hatte. Sie dürfe vom Beklagten auch nicht als serbische Staatsangehörige angesehen werden, da Deutschland den Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt habe und deutsche Behörden sich daher die serbische Rechtsauffassung, wonach dieses Gebiet immer noch ein Teil Serbiens sei, nicht zu eigen machen dürften.

Mit Bescheid vom 23. November 2011 lehnte der Beklagte die Anträge ab. Ein Reiseausweis für Staatenlose könne der Klägerin schon deswegen nicht ausgestellt werden, weil sie serbische Staatsangehörige sei. Dies beweise der am 29. Februar 2008 ausgestellte serbische Reisepass. Gründe für ein Erlöschen der serbischen Staatsangehörigkeit seien nicht ersichtlich; die Klägerin habe auch keine Erlöschensbescheinigung nach Art. 43 des serbischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vorgelegt. Die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch Deutschland spiele im vorliegenden Verfahren keine Rolle. Die Klägerin habe sich 2008 freiwillig für die Beantragung eines serbischen Passes entschieden, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Die kosovarische Staatsangehörigkeit habe die Klägerin dagegen nach dem kosovarischen Staatsangehörigkeitsrecht in der Tat nicht erlangt; sie könnte sich dort aber als Angehörige der kosovarischen Diaspora einbürgern lassen. Ein Reiseausweis für Ausländer könne schon deswegen nicht ausgestellt werden, weil die Klägerin einen gültigen serbischen Reisepass besitze. Im Übrigen besitze sie weder eine Niederlassungs- noch eine Aufenthaltserlaubnis und hätte auch nach der Ausstellung des Reiseausweises keinen Anspruch darauf. Daher käme ein Reiseausweis für Ausländer allenfalls in Betracht, um der Klägerin die endgültige Ausreise aus dem Bundesgebiet zu ermöglichen; dies beabsichtige sie aber gerade nicht. Da sie serbische Staatsangehörige sei, müsse auch der Antrag auf Datenlöschung bzw. Datensperrung abgelehnt werden. Würde die Klägerin in den Akten als Staatenlose oder Person mit ungeklärter Staatsangehörigkeit geführt, wäre dies falsch.

Die Klägerin hat am 27. Dezember 2011 zwei Klagen erhoben (11 2921/11 und 2922/11) erhoben, die das Gericht mit Beschluss vom 20. Juli 2012 verbunden hat. Sie ist der Auffassung, der Beklagte betreibe entgegen Art. 32 GG eine eingenständige Außenpolitk, die derjenigen der Bundesregierung widerspreche, wenn er sie trotz der Anerkenung der Unabhängigkeit des Kosovo durch Deutschland als serbische Staatsangehörige behandle. Dies sei so ähnlich, als würden grenznahe Landkreise deutsche Reisepässe für Angehörige der deutschen Minderheiten in Belgien und Dänemark ausstellen. Die Haager Landkriegsordnung verbiete es den Parteien eines bewaffneten Konflikts, Gebietsansprüche durch großzügige Verleihung der eigenen Staatsangehörigkeit an Bewohner fremder Gebiete durchzusetzen. Daher dürfe die Bundesrepublik Deutschland die Verleihung der serbischen Staatsangehörigkeit an Personen aus dem Kosovo nicht akzeptieren. Im Übrigen sei ihr Reisepass am 31. Dezember 2011 nach serbischem Recht ungültig geworden, da es sich noch um einen nicht-biometrischen Reisepass der "Bundesrepublik Jugoslawien" handle. Ein neuer Reisepass würde ihr voraussichtlich nicht ausgestellt werden, da Serbien den Angehörigen der Volksgruppe der Roma in menschenrechtswidriger Weise kollektiv die Ausreisefreiheit verweigere. Sie habe keinerlei Beziehung zum heutigen Serbien - wo sie nie gelebt habe - und fühle sich auch nicht mit dem Kosovo verbunden, da ihr dort schreckliche Dinge widerfahren seien, die schließlich zur Flucht nach Deutschland geführt hätten. Den serbischen Pass habe sie nur auf Drängen des Beklagten erworben, damit ihr die Aufenthaltserlaubnis ausgestellt wird. Außerdem stehe ihren Kindern aufgrund verschiedener Rechtsgrundlagen, insbesondere Art. 7 der UN-Kinderrechtskonvention, ein Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband zu.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 23. November 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten,

1.) ihr einen Reiseausweis für Staatenlose, hilfsweise einen Reiseausweis für Ausländer, auszustellen,

2.) die Staatsangehörigkeitsangabe "serbisch oder kosovarisch" in der Duldung sowie in allen Dateien, auf die der Beklagte Eintragungs- und Zugriffsrechte hat, zu löschen, hilfsweise zu sperren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er wiederholt nochmals seine Rechtsauffassung, dass die Klägerin nicht staatenlos im Sinne von Art. 1 Abs. 1 des Staatenlosenübereinkommens sei, weil sie von der Republik Serbien nach serbischem Recht als serbische Staatsangehörige angesehen werde. Die Klägerin selbst habe sich dadurch zu Serbien bekannt, dass sie im Jahre 2008 einen serbischen Reisepass beantragt hat. Dass die Geltungsdauer ihres Reisepasses wegen der Einführung neuer, biometrischer Pässe möglicherweise verkürzt wurde, bewirke nicht den Verlust der Staatsangehörigkeit. Die Klägerin könnte jederzeit unter Vorlage ihres alten Passes einen neuen, biometrischen Pass vom serbischen Generalkonsulat bekommen. Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Staatsangehörigkeitseintrags in der Ausländerakte bzw. dem Ausländerzentralregister bestünden nicht, da die Klägerin zumindest serbische Staatsangehörige sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Klagen sind begründet, soweit die Klägerin die Sperrung der Staatsangehörigkeitsangabe "kosovarisch" begehrt. Im Übrigen sind sie dagegen unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 23. November 2011 ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, als die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose bzw. eines Reiseausweises für Ausländer abgelehnt wurde.

Nach Art. 28 Satz 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 (BGBl. 1976 II 474; im Folgenden: StaatenlÜbk) stellen die Vertragsstaaten den Staatenlosen, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, Reiseausweise aus, es sei denn, dass zwingende Gründe der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Nach Satz 2 der Vorschrift können die Vertragsstaaten auch jedem anderen in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen einen solchen Reiseausweis ausstellen.

Um einen Reiseausweis für Staatenlose erhalten zu können, müsste die Klägerin also "staatenlos" im Sinne des Übereinkommens sein. Nach Art. 1 Abs. 1 StaatenlÜbk ist ein "Staatenloser" im Sinne dieses Übereinkommens eine Person, die kein Staat auf Grund seines Rechts als Staatsangehöriger ansieht. Das Abkommen verweist für die Frage, wann jemand Staatsangehöriger eines bestimmten Staates ist, also auf dessen nationales Staatsangehörigkeitsrecht. Es ist nur auf de jure, nicht dagegen auf de facto staatenlose Personen anzuwenden (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 1988 - 1 C 20/88 -, InfAuslR 1989, 91 ff. (zit. nach juris Rn. 35)).

Die Klägerin ist nicht in diesem Sinne staatenlos, denn die Republik Serbien sieht sie nach serbischem Recht als serbische Staatsangehörige an. Dies wurde vom Beklagten im angefochtenen Bescheid anhand der Vorschriften des serbischen Staatsangehörigkeitsgesetzes detailliert erläutert (vgl. S. 3 des angefochtenen Bescheides) und kommt überdies in dem Umstand zum Ausdruck, dass das serbische Generalkonsulat der Klägerin am 29. Februar 2008 einen serbischen Nationalpass ausgestellt hat. Auch die Klägerin bestreitet letztendlich nicht, dass Serbien sie als Staatsangehörige betrachtet, sondern wendet lediglich ein, dass Deutschland sich diesen Rechtsstandpunkt nicht zueigen machen dürfe und ihr Reisepass inzwischen abgelaufen sei. Diese Einwände führen aber nicht zum Erfolg der Klage:

Ob der Reisepass der Klägerin noch gültig oder im Zuge der Einführung neuer, biometrischer Pässe vorzeitig abgelaufen ist, kann hier dahinstehen. Denn der Ablauf eines Reisepasses berührt die Staatsangehörigkeit der betroffenen Person nicht. Die Klägerin hat keine Gründe vorgetragen, aus denen sie die serbische Staatsangehörigkeit verloren haben könnte; solche sind auch für das Gericht nicht ersichtlich.

Deutsche Behörden sind nicht verpflichtet und wohl nicht einmal berechtigt, die serbische Staatsangehörigkeit der Klägerin zu negieren. Der Ansatz des Staatenlosenübereinkommens, für die Frage des Besitzes bzw. Nichtbesitzes einer Staatsangehörigkeit allein auf das innerstaatliche Recht abzustellen, entspricht dem allgemeinen Völkergewohnheitsrecht. Dieses überlässt es den Staaten, die Voraussetzungen für den Erwerb bzw. Verlust ihrer Staatsangehörigkeit zu regeln (vgl. IGH, Nottebohm Case (Lichtenstein ./. Guatemala), Urteil vom 6. April 1955, ICJ-Reports 1955, 4 (20, 23)). Andere Staaten sind völkerrechtlich grundsätzlich verpflichtet, die Verleihung der Staatsangehörigkeit an eine Person durch einen bestimmten Staat zu respektieren, es sei denn, sie spiegelt keinerlei tatsächliche Beziehung des Betroffenen zu dem Staat wider (vgl. IGH, Nottebohm Case (Lichtenstein ./. Guatemala), Urteil vom 6. April 1955, ICJ-Reports 1955, 4 (23 f.)). Eine tatsächliche Beziehung der Klägerin zu Serbien ergibt sich schon daraus, dass das Gebiet, in dem sie geboren und aufgewachsen ist, zur damaligen Zeit als autonome Provinz ein Bestandteil der jugoslawischen Teilrepublik Serbien war, bevor es im Jahre 2008 - lange nach der Ausreise der Klägerin - unabhängig wurde (zur historischen Entwicklung vgl. auch den Beschluss der Kammer vom 28. November 2011 - 11 B 2550/11 - juris Rn. 7).

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Bundesrepublik Deutschland den Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt hat. Der Anerkennung des Staates Kosovo widerspricht es nicht, wenn deutsche Behörden gleichzeitig anerkennen, dass aus dem Kosovo stammende Personen neben der kosovarischen Staatsangehörigkeit noch weitere Staatsangehörigkeiten besitzen können. Die Republik Kosovo selbst erkennt mehrfache Staatsangehörigkeiten ihrer Bürger ohne Einschränkungen an (vgl. Art. 3 desGesetzes Nr. 03/L-034 über die Staatsangehörigkeit von Kosovo; im Folgenden: kosovarisches Staatsangehörigkeitsgesetz). Vor diesem Hintergrund hat sie kosovarisch-serbischen Doppelstaatsangehörigen im Mai 2012 sogar die Teilnahme an den serbischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen erlaubt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom 17. Juni 2012, S. 21). Erst recht völkerrechtlich problemlos ist es, wenn sich die Anerkennung der serbischen Staatsangehörigkeit durch deutsche Behörden auf eine Person bezieht, die - wie wahrscheinlich die Klägerin (s.u.) - gar nicht kosovarische Staatsangehörige ist. Ein Eingriff in die Personalhoheit des Kosovo liegt in diesem Falle offensichtlich nicht vor, denn die betroffene Person ist gerade nicht Teil des kosovarischen Staatsvolkes. In einer solchen Situation die einzige Staatsangehörigkeit, die sie sicher besitzt (nämlich die serbische), nicht anzuerkennen, widerspräche dem völkerrechtlichen Grundsatz, wonach Staatenlosigkeit ein unerwünschter Zustand ist, den es (v.a. im Interesse der Betroffenen) möglichst zu vermeiden gilt (vgl. den 2. Erwägungsgrund der Präambel des Übereinkommens zur Vermeidung der Staatenlosigkeit vom 30. August 1961, BGBL. 1977 II, 1217).

Sofern die Klägerin argumentiert, die Haager Landkriegsordnung stehe der Anerkennung ihrer serbischen Staatsangehörigkeit durch Deutschland entgegen, spielt sie wohl auf Art. 45 jenes Vertrages an, der es untersagt, die Bevölkerung eines besetzten Gebiets zu zwingen, der feindlichen Macht den Treueid zu leisten. Diese Vorschrift ist hier aber schon allein deswegen nicht einschlägig, weil der Kosovo von Serbien nicht militärisch besetzt ist. Sofern die Klägerin behauptet, sich dem serbischen Staat nicht verbunden zu fühlen, ist ihr entgegen zu halten, dass es nach dem Völkerrecht nicht auf ein subjektives Verbundenheitsgefühl sondern auf das objektive Vorliegen irgend einer Art von tatsächlicher Verbindung zwischen Staat und Staatsangehörigem ankommt (vgl. auch IGH, Nottebohm Case (Lichtenstein ./. Guatemala), Urteil vom 6. April 1955, ICJ-Reports 1955, 4 (23 f.)). Diese objektive tatsächliche Verbindung besteht hier darin, dass das Gebiet, in dem die Klägerin geboren wurde und aufgewachsen ist, zur damaligen Zeit zu Serbien gehört hat.

Die weiteren Ausführungen der Klägerin zur Sicherheitslage im Norden des Kosovo und zum angeblichen Einbürgerungsanspruch ihrer Kinder sind für die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose irrelevant. Selbst wenn die Sicherheitslage im Nordkosovo so schlecht wäre, wie die Klägerin behauptet, und selbst wenn ihre Kinder einen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband hätten, würde die Klägerin dadurch nicht staatenlos werden.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf einen Reiseausweis für Ausländer. Grundvoraussetzung für die Ausstellung eines solchen Reiseausweises ist nach § 5 Abs. 1 AufenthV, dass der Ausländer keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann. Als zumutbar gilt es nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift insbesondere, rechtzeitig die Verlängerung des Passes zu beantragen. Selbst wenn man unterstellt, dass der am 29. Februar 2008 ausgestellte Reisepass der Klägerin inzwischen ungültig ist, sind keinerlei Gründe ersichtlich, wieso ein Antrag auf Verlängerung bzw. Neuausstellung ausnahmsweise unzumutbar bzw. offensichtlich aussichtslos sein sollte. Die Klägerin hat ihren Reisepass im Jahr 2008 offenbar problemlos über das serbische Generalkonsulat in Hamburg bekommen; mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass sie von dort ebenso problemlos einen neuen, biometrischen Pass bekommen würde. Der von der Klägerin vorgelegte Bericht des "European Roma Rights Centre" über die Diskriminierung von Roma bei der Ausreise aus Serbien rechtfertigt keine andere Betrachtung. Der Bericht bezieht sich darauf, dass Serbien in dem Bemühen, die Liberalisierungen im Visa-Verkehr mit den Schengen-Staaten zu bewahren, Roma den Reisepass bzw. die Ausreise verweigert, wenn sie im Verdacht stehen, im Ausland Asyl beantragen zu wollen. Die Klägerin befindet sich aber schon in Deutschland; die Verweigerung eines Reisepasses würde nicht ihre Ausreise aus Serbien, sondern allenfalls ihre Rückkehr dorthin verhindern. Da es keinerlei Erkenntnismittel gibt, die darauf hindeuten, dass die serbischen Konsulate bereits in Deutschland lebenden Roma ständig oder häufig Reisepässe verweigern, wäre ein Versuch der Klägerin, einen neuen serbischen Reisepass zu bekommen, jedenfalls nicht von vornherein offensichtlich aussichtslos. Deshalb ist es der Klägerin zuzumuten, diesen Versuch vor der Beantragung eines deutschen Reiseausweises für Ausländer zunächst zu unternehmen.

Aber selbst wenn die Klägerin einen neuen serbischen Pass nicht in zumutbarer Weise erlangen könnte, lägen die zusätzlich erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Satz 1 AufenthV nicht vor: Die Klägerin besitzt weder einen der in Nr. 1 der Vorschrift genannten Aufenthaltstitel noch hat sie einen nur an der Nichterfüllung der Passpflicht scheiternden Anspruch auf einen solchen Titel (Nr. 2 der Vorschrift, vgl. dazu das Urteil der Kammer vom 13. Dezember 2010 - 11 A 819/10 -) noch beabsichtigt sie die endgültige Ausreise aus Deutschland (Nr. 3 der Vorschrift) noch liegen die Voraussetzungen der Nr. 4 der Vorschrift vor.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Löschung bzw. Sperrung der Staatsangehörigkeitsangabe "serbisch" in ihrer Duldung und den Dateien, über deren Inhalt der Beklagte verfügen kann.

Nach § 17 Abs. 1 NDSG sind personenbezogene Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 NDSG sind personenbezogene Daten zu sperren, solange und soweit ihre Richtigkeit von den Betroffenen bestritten wird und sich weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit feststellen lässt.

Die Eintragung der Staatsangehörigkeit "serbisch" ist - wie oben ausgeführt - nachweislich richtig, so dass insoweit weder ein Berichtigungs- noch Sperrungsanspruch besteht.

Bezüglich der Staatsangehörigkeitsangabe "kosovarisch" hat die Klägerin ebenfalls keinen Anspruch auf Berichtigung, da nicht zur vollen Überzeugung des Einzelrichters feststeht, dass die Klägerin keine kosovarische Staatsangehörige ist. Sie hat aber einen Anspruch auf Sperrung dieser Angabe, da sie bestreitet, kosovarische Staatsangehörige zu sein und der Einzelrichter vom Gegenteil nicht vollständig überzeugt ist. Ob die Klägerin die kosovarische Staatsangehörigkeit derzeit besitzt, ist unklar.

Nach Art. 155 der Verfassung der Republik Kosovo sind kosovarische Staatsangehörige zum einen alle Personen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verfassung rechtmäßig den Status eines "resident" hatten (Abs. 1, vgl. dazu auch Art. 28 des kosovarischen Staatsangehörigkeitsgesetzes), und zum anderen alle Staatsangehörigen der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien, die am 1. Januar 1998 ihren ständigen Wohnsitz im Kosovo hatten sowie deren Abkömmlinge (Abs. 2; vgl. dazu auch Art. 29 des kosovarischen Staatsangehörigkeitsgesetzes).

Dies trifft auf die Klägerin nach dem Gesetzeswortlaut nicht zu, da sie schon 1997 ihren ständigen Wohnsitz nach Deutschland verlegt hat. Aus diesem Grund geht selbst der Beklagte im angefochtenen Bescheid davon aus, dass die Klägerin derzeit nicht kosovarische Staatsangehörige ist (vgl. S. 3, oberster Absatz des Bescheides).

Die Verwaltungsvorschrift 05/2009 des Innenministeriums der Republik Kosovo definiert in Art. 4 den Begriff "der Person, die ihren ständigen Wohnsitz am 1. Januar 1998 im Kosovo hatte", jedoch über den Gesetzeswortlaut hinaus sehr weit. Darunter fallen auch Personen, die vor dem 1. Januar 1998 im Kosovo geboren wurden, die vor dem 1. Januar 1998 mindestens fünf Jahre im Kosovo gelebt haben oder die vor Ablauf dieser fünf Jahre zur Flucht aus dem Kosovo gezwungen wurden sowie die Kinder solcher Personen (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. April 2012 - 8 ME 224/11 - juris Rn. 6). Zu diesem Personenkreis könnte auch die Klägerin gehören, denn sie wurde 1974 im Kosovo geboren und hat dort bis 1997 gelebt. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, wäre sie aber damit noch nicht aktuell nachweislich kosovarische Staatsangehörige. Denn nach Art. 29 Abs. 3 des kosovarischen Staatsangehörigkeitsgesetzes werden die von den Abs. 1 und 2 der Vorschrift erfassten Personen nur auf Antrag in das Staatsangehörigkeitsregister aufgenommen. Zwar soll diese Registrierung nach einigen Erkenntnisquellen nur deklaratorisch und nicht für den Staatsangehörigkeitserwerb konstitutiv sein (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom 17. Juni 2012, S. 35), Belege aus der Rechtsprechung oder rechtswissenschaftlichen Literatur des Kosovo nennen diese Quellen für ihre nach dem Gesetzeswortlaut nicht unbedingt naheliegende Rechtsauffassung jedoch nicht.

Zusammenfassend ist daher mit Blick auf das Recht der Republik Kosovo festzustellen: Die Klägerin hat mit Sicherheit die Möglichkeit, Staatsangehörige der Republik Kosovo zu werden, in dem sie einen Registrierungsantrag nach Art. 29 Abs. 3 des kosovarischen Staatsangehörigkeitsgesetzes stellt oder ihre Einbürgerung nach Art. 13 des kosovarischen Staatsangehörigkeitsgesetzes, der die Einbürgerung von Personen aus der kosovarischen Diaspora regelt (vgl. dazu auch S. 3, oberster Absatz des Bescheides sowie OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. April 2012 - 8 ME 224/11 - juris Rn. 7), beantragt. Doch darauf kommt es für die Richtigkeit des Staatsangehörigkeitseintrags in den Akten und Dateien des Beklagten nicht an. Der Staatsangehörigkeitsantrag bezeichnet nicht die Staatsangehörigkeiten, die ein Ausländer erwerben könnte, sondern diejenigen, die er aktuell besitzt. Dass die Klägerin schon aktuell die kosovarische Staatsangehörigkeit besitzt, steht aber nicht zur vollen Überzeugung des Einzelrichters fest. Denn weder gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sie bereits einen erfolgreichen Einbürgerungs- bzw. Registrierungsantrag gestellt hat, noch steht zweifelsfrei fest, dass sie auch ohne einen solchen Antrag schon jetzt kraft Gesetzes als kosovarische Staatsangehörige gilt. Da aufgrund der Erkenntnislage zum kosovarischen Recht aber auch nicht definitiv ausgeschlossen werden kann, dass ein Registrierungantrag nur deklaratorisch wirkt und die Klägerin schon vorher von der Republik Kosovo als Staatsangehörige angesehen wird, ist letztendlich offen, ob die Klägerin derzeit Kosovarin ist. Vor diesem Hintergrund kann sie nur die Sperrung, nicht aber die Berichtigung des Staatsangehörigkeitseintrags "kosovarisch" verlangen.