Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 11.10.2018, Az.: 2 B 389/18
auf Vorrat; Aufklärung; Aussetzung der Vollziehung; Aussetzungsantrag; Kostenbeitrag; Unterhaltspflicht
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 11.10.2018
- Aktenzeichen
- 2 B 389/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74229
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 42 SGB 8
- § 92 Abs 3 SGB 8
- § 80 Abs 6 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Erhebung des Kostenbeitrags gem. §§ 91 ff. SGB VIII setzt u.a. eine Aufklärung über die Folgen für die Unterhaltspflicht voraus (§ 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII). Diese muss zumindest beinhalten, dass die Jugendhilfeleistung unterhaltsrechtlich entlastende Auswirkungen hat (wie BVerwG, Urteil vom 11.10.2012 - 5 C 22/11 -, BVerwGE 144, 313 = juris, Rn. 14; Nds. OVG, Beschluss vom 08.12.2014 - 4 LA 46/14 -, juris, Rn. 6).
Gründe
Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung seiner am 29.08.2018 erhobenen Klage (2 A 358/18) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 02.08.2018 anzuordnen,
hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Klage gegen den Bescheid vom 02.08.2018, mit dem der Antragsgegner einen Kostenbeitrag gemäß §§ 91 ff. SGB VIII festgesetzt hat, hat keine aufschiebende Wirkung. Der Kostenbeitrag ist eine öffentliche Abgabe i. S. d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, weil er in erster Linie eine Finanzierungsfunktion hat (Nds. OVG, Beschluss vom 20.01.2009 – 4 ME 3/09 –, juris, Rn. 2 ff.; Mann, in: Schellhorn u.a., SGB VIII, 5. Aufl. 2017, § 92 Rn. 26 m.w.N. zum Meinungsstand).
Die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, weil der Antragsgegner über einen Aussetzungsantrag des Antragstellers nicht in angemessener Frist entschieden hat.
Bei Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten ist der Antrag auf gerichtlichen Eilrechtsschutz nur zulässig, wenn zuvor die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat (§ 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 VwGO) oder eine Vollstreckung droht (§ 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO).
Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 25.06.2018 gegenüber dem Antragsgegner die „Aussetzung der Vollziehung des Bescheides“ beantragt. Es handelte sich dabei um einen eindeutigen Antrag auf behördliche Aussetzung der Vollziehung. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Antragsgegner den Kostenbeitrag zwar noch nicht durch Leistungsbescheid festgesetzt, sondern den Antragsteller lediglich mit Schreiben vom 11.06.2018 dazu angehört. Über diesen „auf Vorrat“ gestellten Aussetzungsantrag hätte der Antragsgegner aber zusammen mit oder zeitnah nach dem Erlass des Leistungsbescheides am 02.08.2018 eine Entscheidung treffen können und müssen. Insbesondere hatte sich der Antrag nicht durch die Mitteilung des Antragsgegners vom 28.06.2018 erledigt, wonach noch kein Bescheid vorliege. Es widerspräche zudem dem Sinn und Zweck des § 80 Abs. 6 VwGO und wäre bloßer Formalismus, würde man dem Antragsteller abverlangen, nach Erlass des Leistungsbescheides nochmals einen Aussetzungsantrag zu stellen. Die Chance zu einer verwaltungsinternen Kontrolle (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 4. VwGOÄndG vom 27.4.1990, BT-Drucks. 11/7030, Seite 24) bestand für den Antragsgegner. Es liegt kein zureichender Grund dafür vor, dass er den Aussetzungsantrag bis zur Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes am 26.09.2018 nicht beschieden hat.
Dass der Antragsgegner laut Verwaltungsvorgang für die Kostenbeitragsforderung eine Mahnsperre bis zum 31.10.2018 gesetzt hat, lässt das Rechtsschutzbedürfnis für den Eilantrag nicht entfallen. Denn bis dahin wird voraussichtlich kein Rechtsschutz in der Hauptsache gewährt werden.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist begründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO durch Beschluss anordnen. In entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO soll eine Aussetzung der Vollziehung bei öffentlichen Abgaben dann erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Für eine unbillige Härte hat der Antragsteller bereits nichts vorgetragen.
Bei der vom Gericht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Interessenabwägung kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Gesetzgeber in § 80 Abs. 2 Nrn. 1 – 3 VwGO eine generalisierende Interessenabwägung getroffen hat, wonach für bestimmte Arten von Entscheidungen ein Vorrang des öffentlichen Vollzugsinteresses statuiert wird. Das Gericht hat deshalb die in § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO getroffene Wertung, dass das Vollzugsinteresse hinsichtlich öffentlicher Abgaben in der Regel Vorrang vor den Belangen des Betroffenen hat, vor der rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Einforderung von Abgaben von Vollzugsmaßnahmen verschont zu bleiben, nachzuvollziehen (Bayerischer VGH, Beschluss vom 03.12.2015 – 7 AS 15.2585 –, juris, Rn. 3; vgl. auch Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 69). Von der in § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zum Ausdruck kommenden Interessenbewertung kann nur dann abgewichen werden, wenn die Klage offensichtlich oder zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird.
Hier muss von einer überwiegenden Erfolgswahrscheinlichkeit der Klage ausgegangen werden. Es bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 02.08.2018.
Rechtsgrundlage für die Heranziehung des Antragstellers zu einem Kostenbeitrag aus seinem Einkommen ist § 92 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. §§ 91 Abs. 1 Nr. 7, 42 Abs. 1 Nr. 1 und 94 Abs. 1 SGB VIII.
Die am 02.04.2001 geborene 17-jährige (Adoptiv)Tochter des Antragstellers wurde am 09.05.2018 vom Antragsgegner in Obhut genommen. Als Vater gehört der Antragsteller zu dem Personenkreis der Kostenbeitragspflichtigen (§ 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII). Diese können gem. § 94 Abs. 1 SGB VIII aus ihrem Einkommen in angemessenem Umfang zu den Kosten bestimmter Jugendhilfemaßnahmen herangezogen werden. Die Inobhutnahme eines Minderjährigen gemäß § 42 SGB VIII gehört zu den kostenbeitragspflichtigen Jugendhilfeleistungen (BVerwG, Urteil vom 21.10.2015 – 5 C 21/14 –, BVerwGE 153, 150 = juris, Rn. 28; Nds. OVG, Beschluss vom 08.12.2014 – 4 LA 46/14 –, juris, Rn. 3 ff.).
Der Heranziehung des Antragstellers steht allerdings entgegen, dass der Antragsgegner ihn nicht in einer den Anforderungen des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII entsprechenden Weise über die Folgen der Jugendhilfegewährung für seine Unterhaltspflicht gegenüber seiner Tochter aufgeklärt hat.
Gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII kann ein Kostenbeitrag bei Eltern, Ehegatten und Lebenspartnern ab dem Zeitpunkt erhoben werden, ab welchem dem Pflichtigen die Gewährung der Leistung mitgeteilt und er über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jungen Menschen aufgeklärt wurde. Die Information ist eine materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzung für die Erhebung eines Kostenbeitrags (Nds. OVG, Beschluss vom 21.11.2011 – 4 LA 40/11 –, juris, Rn. 3 m.w.N.). Die Vorschrift verfolgt das Ziel, demjenigen, der zu einem Kostenbeitrag herangezogen werden könnte, die Möglichkeit zu Vermögensdispositionen im Hinblick auf die drohende Beitragspflicht zu eröffnen. Erforderlich ist eine Mitteilung über die Gewährung der Leistung (§ 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB VIII), eine Aufklärung über die Folgen für die Unterhaltspflicht (§ 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII) sowie ein deutlicher Hinweis auf die mögliche Kostenbeitragspflicht (BVerwG, Urteil vom 21.10.2015 – 5 C 21/14 –, BVerwGE 153, 150 = juris, Rn. 28 m.w.N.). Zudem muss die konkrete Art der im Einzelfall erbrachten Jugendhilfeleistung benannt werden (Nds. OVG, Beschluss vom 08.12.2014 – 4 LA 46/14 –, juris, Rn. 8; Beschluss vom 27.08.2018 – 10 LA 7/18 –, juris, Rn. 18).
Ist ein Elternteil – wie hier der Antragsteller – gegenüber dem Minderjährigen, der Jugendhilfeleistungen erhält, naturalunterhaltspflichtig, muss die Aufklärung über die unterhaltsrechtlichen Folgen der Leistungsgewährung zumindest beinhalten, dass die Jugendhilfeleistung unterhaltsrechtlich entlastende Auswirkungen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.10.2012 – 5 C 22/11 –, BVerwGE 144, 313 = juris, Rn. 14; Nds. OVG, Beschluss vom 08.12.2014 – 4 LA 46/14 –, juris, Rn. 6). Ein derartiger Hinweis wurde dem Antragsteller nicht erteilt; insbesondere nicht in den Schreiben vom 17.05.2018. Dort heißt es lediglich:
„Die Kosten der Inobhutnahme gem. § 42 SGB VIII werden von hier getragen und direkt mit der Jugendhilfeeinrichtung abgerechnet“ (Bescheid über die Inobhutnahme)
bzw.:
„ich gewähre Ihrem […] Kind seit dem 09.05.2018 Jugendhilfe nach dem SGB VIII in Form von Inobhutnahme (§ 42). […]
Sie müssen sich als Elternteil an diesen Kosten beteiligen (§ 91 SGB VIII)“ (Mitteilung über die Kostenbeitragspflicht und die Gewährung einer Jugendhilfeleistung).
Aus den gewählten Formulierungen ergibt sich für einen verständigen Empfänger nicht, wie die Gewährung der Jugendhilfe die eigene Unterhaltspflicht beeinflusst. Dass sie sich unterhaltsrechtlich entlastend auswirkt, weil der Unterhalt des Jugendlichen aus öffentlichen Mitteln sichergestellt wird, wird nicht deutlich.
Bis der Antragsgegner seine Informationspflichten gegenüber dem Antragsteller erfüllt hat, ist dessen Heranziehung nach § 94 Abs. 1 SGB VIII für den davorliegenden Zeitraum rechtswidrig. Dieser Beschluss stellt nicht die von § 92 Abs. 3 SGB VIII geforderte Aufklärung dar. Da sich aus den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners nur der Beginn der Jugendhilfeleistung (09.05.2018) ergibt, nicht jedoch ein Enddatum, wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass die Inobhutnahme eine vorläufige Schutzmaßnahme im Sinne einer Krisenintervention darstellt. Sie ist darauf gerichtet, die Krisensituation zu beseitigen bzw. ihr mit geeigneten Hilfsangeboten zu begegnen, ist aber nicht bereits selbst die vom Gesetz intendierte dauerhafte Lösung erzieherischer Probleme (BVerwG, Urteil vom 08.07.2004 – 5 C 63/03 –, juris, Rn. 14). Ob die Heranziehung des Antragstellers noch aus anderen Gründen rechtswidrig wäre, insbesondere ob die Voraussetzungen des § 92 Abs. 5 SGB VIII vorliegen, bleibt dahingestellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.