Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 18.09.2019, Az.: S 36 R 220/18

Beitragsnachentrichtung; Hinweispflicht; schulische Ausbildungszeiten; sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
18.09.2019
Aktenzeichen
S 36 R 220/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69532
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der Rentenversicherungsträger ist nach § 115 Abs 1 Satz 1 SGB VI verpflichtet, jedenfalls dann auf die Möglichkeit der Nachentrichtung von Beiträgen für nicht als Anrechnungszeiten berücksichtigungsfähige schulische Ausbildungszeiten (§ 207 SGB VI) hinzuweisen, wenn diese Gestaltungsmöglichkeit nach dem Ergebnis eines Kontenklärungsverfahrens genutzt werden kann.
2. Verletzt der Rentenversicherungsträger diese Pflicht, und ist deshalb der Versicherte nicht in der Lage, den Antrag vor Vollendung seines 45. Lebensjahres zu stellen (§ 207 Abs 2 Satz 1 SGB VI), so ist die rechtzeitige Antragstellung mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu fingieren.

Tenor:

Der Bescheid vom 14. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2018 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Nachentrichtung von Beiträgen durch den Kläger für die Ausbildungszeiten vom 12. Oktober 1980 bis 11. Oktober 1981 sowie vom 1. November 1991 bis zum 29. Januar 1993 zuzulassen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger noch berechtigt ist, Beiträge für schulische Ausbildungszeiten nachzuentrichten. Der Kläger macht diesbezüglich eine unzureichende Beratung durch die Beklagte geltend.

Der am F. geborene Kläger ging bis zum 19. Juni 1984 zur Schule. Im Anschluss erlernte er den Beruf des Kraftfahrzeugschlossers und begann danach am 1. Oktober 1986 ein Maschinenbaustudium, welches er am 29. Januar 1993 erfolgreich abschloss. Seitdem ist er laufend als Versuchsingenieur abhängig beschäftigt. Mit Bescheid vom 20. Juli 2006 stellte der beklagte Rentenversicherungsträger auf die vom Kläger beantragte Kontenklärung hin die im Versicherungsverlauf des Klägers enthalten Daten für die Zeiträume bis zum 31. Dezember 1999 verbindlich fest. Sie merkte folgende Ausbildungszeiten vor:

- 12. Oktober 1981 bis 19. Juni 1984: Schulausbildung,

- 20. Juni 1984 bis 31. August 1984: Schulausbildung (Überbrückungszeit),

- 1. Oktober 1986 bis 29. Januar 1993: Hochschulausbildung.

Die Zeit vom 1. August 1977 bis 11. Oktober 1981 erkannte sie nicht als Anrechnungszeit an, weil diese vor Vollendung des 17. Lebensjahres zurückgelegt worden sei. Ausweislich des zugehörigen Versicherungsverlaufs berücksichtigte die Beklagte ferner die Hochschulzeiten ab dem 1. November 1991 nicht mehr, weil die Höchstanrechnungsdauer von acht Jahren überschritten sei. Hinweise auf die Möglichkeit der Nachentrichtung von Beiträgen für nicht berücksichtigte Ausbildungszeiten enthielt weder der Bescheid noch die Rentenauskunft vom gleichen Tage. Gleiches gilt für weitere schriftliche Auskünfte/Renteninformationen, die der Kläger vor 2010 erhalten hat.

Am 27. November 2017 beantragte der Kläger die Nachentrichtung von Beiträgen für die Ausbildungszeiten vom 1. Oktober 1980 bis 30. September 1981 sowie vom 1. November 1991 bis 31. Januar 1993. Ihm sei bekannt, dass er die Nachentrichtung vor dem 45. Lebensjahr hätte beantragen müssen. Darauf sei er aber nicht hingewiesen worden. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Nach § 207 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) müsse der Antrag auf Nachentrichtung bis zur Vollendung des 45. Lebensjahres (hier 11. Oktober 2009) gestellt werden. Dies sei nicht der Fall (Bescheid vom 14. Dezember 2017).

Der Kläger legte am 12. Januar 2018 Widerspruch ein. Er sei zu keinem Zeitpunkt in den Bescheiden und Schreiben der Beklagten sowie in Beratungsgesprächen (insbesondere bei einem im Mai 2006 in Wolfsburg) auf die Folgen der Nichtanrechnung der Ausbildungszeiten und die Möglichkeit dies abzuwenden hingewiesen worden. Auf die Möglichkeit der Nachentrichtung sei er erstmals im Mai 2017 bei einem Beratungsgespräch hingewiesen worden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2018 als unbegründet zurück. Ein Beratungsfehler durch die Beklagte sei nicht nachgewiesen worden.

Der Kläger hat am 11. Mai 2018 Klage erhoben und verfolgt sein Begehren weiter. Bei Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten Zeiten nach § 207 SGB VI würde sich für ihn die Möglichkeit eröffnen, später die Wartezeit für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu erfüllen.

Er beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Nachentrichtung von Beiträgen durch den Kläger für die Ausbildungszeiten vom 12. Oktober 1980 bis 11. Oktober 1981 sowie vom 1. November 1991 bis 29. Januar 1993 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt ihre getroffenen Entscheidungen. Ergänzend trägt sie vor, dass sie keine Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI hinsichtlich der Möglichkeit der Beitragsnachentrichtung treffe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten als Verwaltungsvorgänge vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 14. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2018 beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), da dieser rechtswidrig ist. Die Beklagte hat dessen Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen (§ 207 SGB VI) zu Unrecht abgelehnt. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Regelung (§ 207 Abs. 1 SGB II) sind erfüllt (dazu 1.), obgleich der Antrag nicht innerhalb der von Norm geforderten Frist (§ 207 Abs. 2 SGB VI) gestellt wurde (dazu 2.). Der Kläger ist aber mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte er den Antrag rechtzeitig gestellt (dazu 3.).

1. Für Zeiten einer schulischen Ausbildung nach dem vollendeten 16. Lebensjahr, die nicht als Anrechnungszeiten berücksichtigt werden, können Versicherte auf Antrag freiwillige Beiträge nachzahlen, sofern diese Zeiten nicht bereits mit Beiträgen belegt sind (§ 207 Abs. 1 SGB VI). Diese Anforderungen sind für die Zeiträume vom 12. Oktober 1980 bis 11. Oktober 1981 und vom 1. November 1991 bis 29. Januar 1993 erfüllt.

Der erstgenannte Zeitraum betrifft das 17. Lebensjahr des Klägers, in dem dieser eine allgemeinbildende Schule besuchte. Als Anrechnungszeit sind aber nur schulische Ausbildungszeiten nach dem vollendeten 17. Lebensjahr anzuerkennen (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI). Der zweite Zeitraum betrifft Teile des Hochschulstudiums des Klägers, die als Anrechnungszeit nicht mehr anerkennungsfähig sind, weil die übrigen zuvor zurückgelegten Ausbildungszeiten bereits insgesamt die Höchstanerkennungsdauer von acht Jahren (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI) ausschöpfen.

2. Darüber hinaus ist einem Antrag nach § 207 SGB VI abgesehen von der hier nicht einschlägigen Ausnahmeregelung des § 207 Abs. 2 Satz 3 SGB VI aber nur dann zu entsprechen, wenn er vor der Vollendung des 45. Lebensjahres oder bis zum 31. Dezember 2004 gestellt worden ist (§ 207 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VI). Dies ist hier nicht der Fall, weil der Kläger den Antrag erst am 27. November 2017 gestellt hat.

3. Die nicht rechtzeitige Antragstellung muss sich der Kläger aber nicht entgegenhalten lassen. Er ist im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte er den Antrag rechtzeitig gestellt. Dessen (im Wesentlichen dreigliedriger) Tatbestand fordert zunächst das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnen ist. Dadurch muss beim Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein. Schließlich muss durch Vornahme einer Amtshandlung des Trägers der Zustand wiederhergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre.

Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch kommt insbesondere in Betracht, wenn ein Leistungsträger durch Verletzung einer ihm aus dem Sozialleistungsverhältnis obliegenden Haupt- oder Nebenpflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung, nachteilige Folgen für die Rechtsposition des Betroffenen herbeigeführt hat und diese Rechtsfolgen durch ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln wieder beseitigt werden können. Ein Herstellungsanspruch ist mithin regelmäßig zu bejahen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Vorliegen einer Pflichtverletzung, die sich der Sozialleistungsträger im Verhältnis zum Berechtigten zurechnen lassen muss, (2) Eintritt eines rechtlichen Schadens bzw. Nachteils beim Berechtigten, (3) Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt und (4) Möglichkeit der Herstellung des Zustands, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre (stRspr z.B. BSG vom 22. März 2018 - B 5 RE 1/17 R - m.w.N.).

a) Eine der Beklagten zurechenbare Pflichtverletzung im Rahmen des Beratungsgesprächs im Mai 2006 ist allerdings nicht nachgewiesen. Zwar ist die Kammer nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (vgl. § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) davon überzeugt, dass ein solches Gespräch im Mai 2006 in der Beratungsstelle in W. stattgefunden hat. Den klägerischen Vortrag untermauert insoweit die von diesem vorgelegte Bestätigung der Beklagten über den Eingang eines Antrages auf Kontenklärung vom 1. Juni 2006. Dies passt zu der klägerischen Einlassung, dass er das zugehörige Antragsformular im Rahmen des Beratungsgesprächs ausgefüllt hat.

Aufzeichnungen über den Inhalt des Gesprächs existieren allerdings nicht. Insoweit kann die Kammer vor dem Hintergrund des Zeitablaufs den genauen Inhalt und Ablauf des Beratungsvorgangs nicht mehr mit der notwendigen Sicherheit rekonstruieren. Daher lässt sich ein Beratungsfehler im Rahmen dieses Gesprächs nicht feststellen.

b) Die Beklagte hat aber im Nachgang zu diesem Gespräch die ihr obliegende Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI verletzt, weil sie verpflichtet gewesen wäre, anlässlich des am 1. Juni 2006 eingeleiteten Kontenklärungsverfahrens, welches konkret die Anerkennung von schulischen Ausbildungszeiten zum Gegenstand hatte, auf die Möglichkeit des Antrages nach § 207 SGB VI hinzuweisen.

Nach § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. Diese Hinweispflicht hat den Zweck Versicherte in bestimmten Fällen vor den Nachteilen des Antragsprinzips der gesetzlichen Rentenversicherung zu bewahren, zumindest dann, wenn diese im Hinblick auf die komplizierte gesetzliche Regelung schwierig vorauszusehen sind. Wenn die Adressaten derartiger Hinweise jedenfalls als „Fallgruppe“ bestimmbar sind, haben die Angehörigen dieser Gruppe auch ein subjektiv-öffentliches Recht auf Erteilung eines solchen Hinweises. Die Formulierung „in geeigneten Fällen“ ist daher ein gerichtlich voll überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff. Des Hinweises bedürfen die Berechtigten jedenfalls dort, wo es für Ungeschulte schwierig ist, die gesetzliche Regelung zu durchschauen und Gestaltungsmöglichkeiten zu erkennen. Nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 11/5530) sollen entsprechende Hinweise in solchen Fällen erfolgen, in denen es naheliege, dass Versicherte Leistungen in Anspruch nehmen wollen, wie z.B. bei der Regelaltersrente und der Hinterbliebenenrente; hier liege ein geeigneter Bereich vor, in dem die allgemeine Aufklärungs- und Informationspflicht zu einer konkreten Informationspflicht ausgebaut werden könne. Da eine solche Informationspflicht wegen der unzureichenden Unterlagen nicht generell erfüllbar sei, sei die Selbstverwaltung aufgerufen, die Personengruppen näher zu bestimmen (zum Vorstehenden: BSG vom 22. Oktober 1998 - B 5 RJ 56/97 R - juris Rn. 26 ff.). § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI findet entgegen der von der Beklagten geäußerten Auffassung zudem nicht nur bei Rentenleistungen Anwendung. Vielmehr erstreckt sich der Anwendungsbereich auf alle Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, da Kernpunkt der Regelung die mit dem Antragsprinzip verbundenen Härten, insbesondere der Anspruchsverlust bei verspätetem Antrag, und nicht die besondere Qualität der im Streit stehenden Leistung ist (BSG vom 20. Mai 2000 - B 10 LW 16/99 R - juris Rn. 22 zur Parallelvorschrift in § 44 Abs. 2 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte - ALG -; dort stand der Anspruch auf eine Beitragserstattung im Streit; Pflügler in jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 115 Rn. 98 f.). Ein „geeigneter Fall“ im Sinne des § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI liegt nach der Rechtsprechung des BSG mithin jedenfalls dann vor, wenn es naheliegt, dass der Berechtigte die Leistung in Anspruch nehmen will und die Anspruchsvoraussetzungen ohne weiteres aus dem Versicherungskonto ersichtlich sind (BSG, aaO.).

c) Aus diesem Normverständnis folgt, dass der Rentenversicherungsträger nach § 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI verpflichtet ist, auf die Möglichkeit der Nachentrichtung von Beiträgen für nicht als Anrechnungszeiten berücksichtigungsfähige schulische Ausbildungszeiten (§ 207 SGB VI) jedenfalls dann hinzuweisen, wenn diese Gestaltungsmöglichkeit nach dem Ergebnis eines Kontenklärungsverfahrens genutzt werden kann. Wird ein Kontenklärungsverfahren im Hinblick auf etwaige Ausbildungszeiten durchgeführt, hat der Rentenversicherungsträger nach dessen Abschluss alle notwendigen Informationen, um feststellen zu können, ob schulische Ausbildungszeiten von der Nichtanrechnung bedroht sind. Insoweit regelt der Feststellungsbescheid nach § 149 Abs. 5 SGB VI regelmäßig zunächst, ob Anrechnungszeittatbestände vorliegen. Nicht verbindlich geregelt wird allerdings, ob die berücksichtigten Zeiten schlussendlich als Anrechnungszeiten zu bewerten sind, weil dies erst bei Vorliegen des Versicherungsfalls entschieden werden kann. Gleichwohl wird im Bescheid und Versicherungsverlauf kenntlich gemacht, dass Zeiten von mehr als acht Jahren nicht als Anrechnungszeiten berücksichtigt werden können. Ob der Anwendungsbereich des § 207 SGB VI eröffnet ist, kann der Rentenversicherungsträger also zu diesem Zeitpunkt dem Versicherungskonto entnehmen, ohne dass weitere Nachfragen beim Versicherten notwendig wären, weil die notwendigen Daten (von Nichtberücksichtigung bedrohte schulische Ausbildungszeiten und Lebensalter des Versicherten) im Konto gespeichert sind. Erfolgt dann aber kein Hinweis auf die Möglichkeit der Beitragsnachentrichtung, wird der Versicherte nicht vollständig informiert, weil die Nichtberücksichtigung einer schulischen Ausbildungszeit als Anrechnungszeit eben nicht bedeutet, dass diese Zeit rentenrechtlich völlig unberücksichtigt bleiben muss.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass trotz dieser Informationslage es für den Rentenversicherungsträger nicht naheliegt, dass der Versicherte diese Leistung (Beitragsnachentrichtung) bei objektiver Betrachtung in Anspruch nehmen würde, wie das etwa beim Erreichen der Regelaltersgrenze im Hinblick auf die Regelaltersrente der Fall ist. Nach der Gesetzesbegründung dient § 207 SGB VI der Vermeidung möglicher erheblicher Versorgungslücken durch die Nichtberücksichtigung von schulischen Ausbildungszeiten als Anrechnungszeiten. Was den Gesetzgeber zu der im SGB VI sonst untypischen Regelung bewogen hat, dass der Antrag nur bis zur Vollendung des 45. Lebensjahres gestellt werden kann, wird nicht ausgeführt (BT-Drs. 11/4124, S. 192). Aufgrund des somit bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt drohenden Anspruchsverlustes liegt es daher zumindest nahe, dass der Versicherte bei objektiver Betrachtung von dieser Gestaltungsmöglichkeit erfahren wollen würde. Der Norm des § 207 SGB VI ist es zudem gerade vor dem Hintergrund der Notwendigkeit der frühen Antragstellung immanent, dass die Auswirkungen der Beitragsnachentrichtung im Antragszeitpunkt nicht abschließend beurteilt werden können. Dies hat der Gesetzgeber auch selbst gesehen, weil für den Fall, dass die schulischen Ausbildungszeiten, für die Beiträge nachentrichtet worden, letztlich doch aufgrund einer geänderten Rechtslage als Ausbildungszeiten berücksichtigungsfähig sind, eine Rückerstattungsmöglichkeit besteht (§ 207 Abs. 3 SGB VI). Der Umstand der fehlenden sicheren Vorhersagbarkeit der Auswirkungen der Gestaltungsmöglichkeit der Beitragsnachentrichtung führt dann im Gegenteil sogar zu einem gesteigerten Aufklärungs- und Informationsbedarf des Versicherten, weil der Anspruch bereits frühzeitig aufgrund der gesetzlichen Antragsfrist verlustig gehen kann, zumal die Existenz dieser Gestaltungsmöglichkeit kaum einem signifikanten Teil der Versicherten bekannt sein dürfte.

d) Im Falle des Klägers hat die Beklagte diese Hinweispflicht verletzt. Sie schloss das Kontenklärungsverfahren mit dem Feststellungsbescheid nach § 149 Abs. 5 SGB VI vom 20. Juli 2006 ab. Sie merkte sämtliche schulische Ausbildungszeiten mit Ausnahme der Schulausbildungszeit vor der Vollendung des 17. Lebensjahres als Anrechnungszeittatbestände vor und wies sowohl in der Begründung des Bescheides als auch im Versicherungsverlauf daraufhin, dass die Zeiten ab dem 1. November 1991 wegen Erreichen der Höchstanrechnungsdauer nicht berücksichtigungsfähig sein werden. Ein Hinweis auf die Möglichkeit der Beitragsnachentrichtung enthielt weder der Bescheid noch die beigefügte Rentenauskunft. Die Beklagte hat letztlich auch gar nicht behauptet, den Kläger vor Vollendung von dessen 45. Lebensjahr auf diese Möglichkeit hingewiesen zu haben. Den vom Kläger vorgelegten von der Beklagten erhaltenen Unterlagen (insbesondere weitere Renteninformationen, Versicherungsverläufe etc. aus den Jahren 2005 bis 2017) kann eine solche Information dementsprechend nicht entnommen werden.

e) Die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind auch im Übrigen erfüllt. Durch die Hinweispflichtverletzung hat der Kläger einen sozialrechtlichen Nachteil erlitten, weil er den Antrag nach § 207 SGB VI nicht rechtzeitig stellen konnte. Der Einwand der Beklagten, der Kläger habe sein aktuell mit der Beitragsnachentrichtung verfolgtes Ziel – absehbares Erreichen der Wartezeit von 45 Jahren für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte (§ 38 SGB VI) – bei einer Antragstellung vor Vollendung des 45. Lebensjahres am 11. Oktober 2009 noch gar nicht verfolgen können, weil die Regelung erst zum 1. Januar 2012 in Kraft getreten sei (Art. 27 Abs. 10 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007), überzeugt nicht. Unabhängig davon, dass die Regelung bereits am 30. April 2007 verkündet wurde (BGBl. I 2007, S. 554), ist der Norm des § 207 SGB VI gerade vor dem Hintergrund der Notwendigkeit der frühen Antragstellung immanent, dass die Auswirkungen der Beitragsnachentrichtung im Antragszeitpunkt nicht abschließend beurteilt werden können. Insoweit ist auf die Ausführungen unter 3c), 2. Abs. zu verweisen. Der eingetretene Nachteil kann und ist durch die Fingierung einer rechtzeitigen Antragstellung auszugleichen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.