Sozialgericht Braunschweig
Beschl. v. 25.03.2020, Az.: S 28 AS 72/20 ER

Eilrechtsschutz betreffend die Weitergewährung von Nachhilfeeinzelförderung im Rahmen des Leistungsrechts nach dem SGB II

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
25.03.2020
Aktenzeichen
S 28 AS 72/20 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 20172
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antragsgegner wird im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, rückwirkend ab dem 1. März 2020 bis zum Ende des Schuljahres 2019/2020 der Antragstellerin Nachhilfeförderung in dem bisherigen Umfang von je zwei Stunden wöchentlich für die Fächer Deutsch und Mathematik zu gewähren. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Rahmen des Eilrechtsschutzes die Weitergewährung von Nachhilfeeinzelförderung im Rahmen des Leistungsrechts nach dem SGB II.

Bei der am 12. September 2010 in Braunschweig geborene Antragstellerin ist ein Förderbedarf im Bereich "Lernen" festgestellt worden. Seit dem 1. November 2016 besucht sie die Grundschule G. in H ... Anfangs wurde sie noch mit einem Nachhilfekurs durch den Deutschen Kinderschutzbund e.V. in H. unterstützt. Aufgrund der Bescheinigung der Schule vom 12. Februar 2017 "Bestätigung der Schule über Notwendigkeit von Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II" erhält die Antragstellerin seit dem 1. März 2017 durchgehend Nachhilfeeinzelförderung für die Fächer Deutsch und Mathematik im Umfang von je 2 Stunden wöchentlich durch das I. in H ... Aus allen Zeugnissen geht hervor, dass die Antragstellerin zieldifferent nach den Bestimmungen des Förderschwerpunktes Lernen unterrichtet wird; deshalb werden bis heute auch keine Noten vergeben, sondern ihr Leistungsstand wird textlich beschrieben. Nachdem die Antragstellerin zu Beginn des Schuljahres 2019/2020 die 4. Schuljahrgangsstufe besucht hatte, wechselte sie auf Antrag der Eltern durch den Konferenzbeschluss der Grundschule J. vom 15. November 2019 in die 3. Jahrgangsstufe zurück.

Durch den letzten Bewilligungsbescheid des Antragsgegners vom 24. September 2019 wurde die Nachhilfeförderung für die Zeit von August 2019 bis Februar 2020 geregelt. Der Weiterbewilligungs-Antrag vom 23. Januar 2020 auf die weitere Finanzierung von Nachhilfeleistungen im bisherigen Umfang wurde durch den Bescheid vom 28. Januar 2020 abgelehnt. Der hiergegen eingelegte Widerspruch vom 17. Februar 2020 wurde durch den Widerspruchsbescheid vom 2. März 2020 zurückgewiesen. Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass das aktuelle Halbjahreszeugnis (der 3. Klasse nach dem Wechsel aus der 4. Klasse) keinen eklatanten Förderbedarf in den Fächern Mathematik und Deutsch ausweise und deshalb im Sinne des § 28 Abs. 5 SGB II das Erreichen der nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele nicht gefährdet sei. Es bestehe aktuell kein so großes Lerndefizit, dass eine Lernförderung erforderlich sei, um die Lernziele zu erreichen.

Am 6. März 2020 haben die Vertreter der Antragstellerin beim Sozialgericht Braunschweig den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Ziel, dass die Nachhilfeförderung ab dem 1. März 2020 weiterhin durch den Antragsgegner finanziert wird.

Das Gericht hat aktuelle Stellungnahmen der Grundschule J. insbesondere der Klassenlehrerin eingeholt. Im Übrigen wird wegen des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner verpflichtet werden soll, weiterhin Nachhilfeförderung nach dem SGB II zu gewähren, hat Erfolg.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gem. § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -), ist von diesem Grundsatz aber eine Abweichung dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009 - 1 BvR 120/09 - NZS 2009, S. 674, unter Verweis auf BVerfGE 79, 69, 74 [BVerfG 25.10.1988 - 2 BvR 745/88] m. w. N.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsanspruch und auch der erforderliche Anordnungsgrund vor.

Nach § 28 Abs. 5 SGB II wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulischen Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Diese Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des erkennenden Gerichts weiterhin, d.h. auch für die Zeit ab dem 1. März 2020, vor.

Dieses ergibt sich schon daraus, dass die Antragstellerin schon gleich zu Beginn des Schuljahres bereits im November 2019 von der 4. Jahrgangsstufe in die 3. Jahrgangsstufe zurückwechseln musste, weil sie den Leistungsanforderungen in der 4. Klasse zumindest noch nicht gewachsen war. Die vom Antragsgegner gewürdigten textlichen Beschreibungen des Leistungsstandes der Antragstellerin im Halbjahreszeugnis vom 31. Januar 2020 sind deshalb auch vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die Antragstellerin die 3. Klasse schon einmal besucht hatte und deshalb der Schulstoff sich wiederholt hat. Aber selbst die textlichen Beschreibungen in diesem Zeugnis vom 31. Januar 2020 zeigen noch deutliche Leistungsrückstände bei der Antragstellerin in den hier streitigen Fächern Deutsch und Mathematik auf. Die Leistungen in diesen Fächern sind noch nicht hinreichend sicher und der Antragstellerin fällt es aufgrund ihrer Konzentrationsprobleme außerdem schwer, neue Unterrichtsthemen in angemessener Zeit zu erfassen. Im Gegensatz zu den Lerninhalten der ersten und zweiten Jahrgangsstufe werde beginnend mit der dritten Jahrgangsstufe und noch gesteigert in der vierten Jahrgangsstufe immer wieder neue Unterrichtsthemen in den Unterricht eingeführt. Außerdem ist auch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin weiterhin zieldifferent nach den Bestimmungen des Förderschwerpunktes Lernen unterrichtet wird und diese Ziele nicht den üblichen Zielen bei der Beschulung im dritten und vierten Schuljahrgang entsprechen.

Deshalb liegen zumindest noch die Voraussetzungen für die Fortführung der Nachhilfe im bisherigen Umfang vor.

Der vorliegende Fall gibt jedoch Anlass, auf grundsätzliche Probleme hinzuweisen, die jedoch nicht auf dem Rücken der förderungsbedürftigen Schülerinnen und Schüler ausgetragen werden dürfen und deshalb im Rahmen der SGB II-Leistungen ausgeglichen werden müssen.

Die Antragstellerin hat einen anerkannten Förderbedarf im Bereich "Lernen". Dieser Förderbedarf ist deshalb grundsätzlich von der Schule zu decken. So ergibt sich auch aus den Bescheinigungen der Grundschule J. vom 10. Februar 2019 und 25. August 2019, dass der Antragstellerin aufgrund ihres Förderstatus im Bereich "Lernen" eigentlich drei individuelle Förderstunden pro Woche zustehen, diese im Rahmen der schulischen Betreuung aufgrund des allgemeinen Lehrermangels sowie der großen Anzahl an Förderkindern in der Klasse fast nicht stattfinden und deshalb eine externe Nachhilfe von großer Hilfe wäre. An dieser Situation hat sich bis heute nichts geändert. Damit werden erhebliche Mängel beschrieben, die seit Jahren die niedersächsische Landesschulverwaltung und Landesgesetzgebung zu vertreten hat, die einerseits die Inklusion in den allgemeinbildenden Schulen eingeführt hat, ohne diese Schule mit den notwendigen sachlichen und insbesondere personellen Ressourcen auszustatten, und andererseits die allerseits sehr anerkannten Förderschulen weitgehend beseitigt hat.

Außerdem müssen sich auch bezogen auf den konkreten Einzelfall der Antragstellerin die zuständigen Stellen in Zusammenarbeit mit den Eltern rechtzeitig und genau überlegen, wie der schulische Werdegang der Antragstellerin nach der Beendigung des vierten Schuljahrganges und dem damit verbundenen Ende des Besuchs der Grundschule fortgesetzt werden soll; bisher scheint ein Konzept zu fehlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.