Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 13.08.2018, Az.: 12 A 2918/15
Anhörung; rechtliches Gehör; unbekannter Aufenthalt; Vergütungsfestsetzung; öffentliche Zustellung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 13.08.2018
- Aktenzeichen
- 12 A 2918/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74365
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs 2 S 2 RVG
- § 11 Abs 1 S 1 RVG
- Art 103 Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Ein Vergütungsfestsetzungsantrag kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass der Antragsteller keine Anschrift des Antragsgegners beigebracht hat, an der ein Anhörungsschreiben hätte zugestellt werden können.
2. Aus der in § 11 Abs. 2 Satz 2 RVG normierten Anhörungspflicht folgt für das Gericht, dass es eine Anschrift zu ermitteln hat, an der dem Antragsgegner das Anhörungsschreiben zugestellt werden kann. Es ist in einem Vergütungsfestsetzungsverfahren nicht Aufgabe des Antragstellers, bei unbekanntem Aufenthalt des Antragsgegners Ermittlungen zu dessen Aufenthalt anzustellen.
Tenor:
Der Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 07.12.2017 wird aufgehoben.
Das Verfahren wird fortgeführt mit Ermittlungen des Gerichts zu einer aktuellen Anschrift, unter der dem Antragsgegner ein Anhörungsschreiben zugestellt werden kann.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Festsetzung der Vergütung gegenüber dem Antragsgegner, seinem Mandanten.
Der Antragsteller hatte für den Antragsgegner am 03.06.2015 eine asylrechtliche Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Nachdem das Gericht mit Beschluss vom 11.06.2015 den Eilantrag des Antragsgegners abgelehnt hatte, stellte der Antragsteller am 30.10.2015 zunächst im Eilverfahren einen Vergütungsfestsetzungsantrag und bat um eine Zustellung der Festsetzung an die Adresse des Bruders des Antragsgegners. Auf Nachfrage erklärte er, dass der Antragsgegner bei seinem Bruder wohne.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle versuchte daraufhin, den Antragsgegner unter der angegebenen Adresse zum Antrag des Antragstellers anzuhören. Das Schreiben kam als unzustellbar zurück, ausweislich der Eintragungen auf der Zustellungsurkunde war der Antragsgegner unbekannt verzogen. Der Antragsteller beantragte sodann die öffentliche Zustellung. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle forderte ihn daraufhin auf, eine neue Anschrift des Antragsgegners zu ermitteln (beispielsweise durch eine Einwohnermeldeamtsanfrage) und einen entsprechenden Nachweis einzureichen.
Im Weiteren stellte das Gericht das Klageverfahren nach Nichtbetreiben des Verfahrens trotz Fristsetzung ein.
Am 17.10.2017 beantragte der Antragsteller auch die Vergütungsfestsetzung im Klageverfahren. Zugleich gab er ein Dorf im Kosovo an, an das - bezogen auf Klage- und Eilverfahren - zugestellt werden solle. Er ginge davon aus, dass der Antragsgegner dorthin zurückgekehrt sei, denn dieser habe in seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angegeben, dort in der Vergangenheit zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwester in einem eigenen Haus gelebt zu haben. Im Kosovo gebe es in den Dörfern weder Straßennamen noch Hausnummern.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle wies den Antragsteller in Folge darauf hin, dass er für eine Zustellung im Kosovo 200,00 € Vorschuss leisten müsse. Der Antragsteller erklärte sodann, dass die Zustellungen an den Bruder des Antragsgegners erfolgen sollten.
Mit Beschluss vom 07.12.2017 wies der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Vergütungsfestsetzungsanträge des Antragstellers für das Eilverfahren und für das Klageverfahren zurück. Zur Begründung führte er aus, Voraussetzung für eine Vergütungsfestsetzung sei, dass dem Antragsgegner rechtliches Gehör gewährt werde. Eine solche Anhörung habe aber mangels einer zustellungsfähigen Anschrift nicht erfolgen können. Da es sich um ein Verfahren handele, dass für bzw. auf Betreiben des Antragstellers durchgeführt werde, sei der Antragsteller gehalten, die zur Durchführung notwendigen Angaben zu machen. Der Antragsteller habe jedoch keine zustellungsfähige Anschrift des Antragsgegners beigebracht.
Der Antragsteller hat am 20.12.2017 die Entscheidung des Gerichts beantragt.
II.
Die Ablehnung des Vergütungsfestsetzungsantrags des Antragstellers ist aufzuheben und das Vergütungsfestsetzungsverfahren ist fortzuführen.
1. Die Ablehnung des Antrags des Antragstellers auf Vergütungsfestsetzung ist rechtsfehlerhaft.
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG wird die gesetzliche Vergütung auf Antrag des Rechtsanwalts durch das Gericht des ersten Rechtszugs festgesetzt. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 RVG sind die Beteiligten vor der Festsetzung zu hören.
Dahinstehen kann insoweit, ob ein Vergütungsfestsetzungsantrag ohne eine Anhörung des Antragsgegners abgelehnt werden kann, wenn ein Anspruch auf Vergütungsfestsetzung schon nach den eigenen Angaben des Antragstellers zu verneinen ist. Denn ein solcher Fall liegt hier ersichtlich nicht vor.
Der Antrag des Antragstellers auf Vergütungsfestsetzung konnte nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass der Antragsteller keine Anschrift des Antragsgegners beigebracht hat, an der ein Anhörungsschreiben hätte zugestellt werden können.
Zwar gilt in Vergütungsfestsetzungsverfahren der Beibringungsgrundsatz und muss der Antragsteller die Tatsachen vortragen, aus denen sich sein Anspruch herleitet und glaubhaft machen, dass die geltend gemachten Gebühren und Auslagen angefallen sind (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG 23. Aufl. 2017, § 11 Rdnr. 205, 207). Zu den anspruchsbegründenden Tatsachen gehört jedoch nicht die aktuelle Anschrift des Antragsgegners. Das ergibt sich aus Folgendem:
§ 11 Abs. 2 Satz 2 RVG sieht für das Vergütungsfestsetzungsverfahren vor, dass die Beteiligten vor einer Entscheidung zu hören sind. Diese Aufgabe obliegt als Ausdruck der verfassungsrechtlichen Garantie des Art. 103 Abs. 1 GG auf rechtliches Gehör dem Gericht. Soll eine Vergütung festgesetzt und damit ein Vollstreckungstitel geschaffen werden, ist zuvor derjenige anzuhören, gegen den aus dem Titel vollstreckt werden kann. Zu Einwendungen gegen die Festsetzungen ist wiederum der antragstellende Rechtsanwalt zu hören (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG 23. Aufl. 2017, § 11 Rdnr. 208).
Um dem Antragsgegner in einem Vergütungsfestsetzungsverfahren rechtliches Gehör zu verschaffen, muss das Gericht einen Antrag auf Vergütungsfestsetzung dem Antragsgegner übersenden und sich zugleich des Zugangs versichern. Über Letzteres gibt nur ein Nachweis der Zustellung verlässlich Auskunft. Um der verfassungsrechtlichen Garantie zu entsprechen, muss das Gericht also über eine Anschrift verfügen, an der dem jeweiligen Antragsgegner das Anhörungsschreiben übergeben (§ 177 ZPO) oder im Wege der Ersatzzustellung zugestellt (§ 178, § 180 und § 181 ZPO) werden kann. Diese wird in der Regel der Anschrift entsprechen, die für den Antragsgegner in der Klage- oder Eilantragsschrift angegeben worden war. Denn zum Zeitpunkt des Eingangs einer Sache bei Gericht wird der Prozessbevollmächtigte - im Vergütungsfestsetzungsverfahren: der Antragsteller - über eine Adresse seines Mandanten - im Vergütungsfestsetzungsverfahren: der Antragsgegner - verfügen, über die er den Mandanten im beiderseitigen Interesse erreichen kann. Ist in einem Vergütungsfestsetzungsverfahren der Antragsgegner aber unbekannt verzogen und kommt aus diesem Grund das Anhörungsschreiben als unzustellbar zurück, folgt aus der verfassungsrechtlichen Garantie des rechtlichen Gehörs eine eigene Ermittlungspflicht des Gerichts (vgl. LG Braunschweig, Beschluss vom 16.04.2012 - 4 T 768/11 (73) -, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 28.10.1975 – 8 W 235/75 -, MDR 1975, 324). Dieser prozessualen Pflicht kann das Gericht nur genügen, wenn es die aktuelle Anschrift, unter der der Antragsgegner erreichbar ist, ermittelt, oder zumindest zu ermitteln versucht.
Auch die Erwägung, dass es sich beim Vergütungsfestsetzungsverfahren um ein Verfahren handelt, das für bzw. auf Betreiben des Antragstellers durchgeführt wird und ihm einen Titel verschaffen soll, kann nicht zu einer Verlagerung der prozessualen Pflichten des Gerichts auf den Antragsteller führen. Aus der verfassungsrechtlichen Garantie der Gewährung rechtlichen Gehörs folgt eine Pflicht der rechtsprechenden Gewalt, die auch in kontradiktorischen Verfahren uneingeschränkt gilt. Auch wenn der Antragsteller die Anschrift des Antragsgegners nicht kennt, muss das Gericht in einem Vergütungsfestsetzungsverfahren dem Antragsgegner die Möglichkeit zu einer vorherigen Stellungnahme offenhalten (so schon OLG Hamburg, Beschluss vom 28.10.1975 – 8 W 235/75 -, MDR 1975, 324). Die angeführte Erwägung würde im Übrigen in ihrer Konsequenz jede öffentliche Zustellung von Anhörungsschreiben nach § 11 Abs. 2 Satz 2 RVG ausschließen. Dem entgegen sieht jedoch die Kommentarliteratur für die Fälle, in denen der Aufenthalt eines Antragsgegners nicht zu ermitteln ist, die Möglichkeit der Anhörung im Wege öffentlicher Zustellung (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG 23. Aufl. 2017, § 11 Rdnr. 223; Bischof in Bischof/Jungbauer u.a., RVG, 8. Aufl. 2018, § 11 Rdnr. 42; N. Schneider in Schneider/Wolf, RVG, 5. Aufl. 2010, § 11 Rdnr. 155). Schließlich hat ein Antragsteller ein Recht darauf, seine Vergütung titulieren zu lassen, welches nicht dadurch verloren geht, „dass der Mandant es vorzieht, sich an einem unbekannten Ort aufzuhalten“ (so schon Egon Schneider, Anm. zu OLG München, Beschluss vom 12.12.1979 – 4 WF 330/79 -, KostRsp. BRAGO § 19 Nr. 20).
Zwar hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle es im vorliegenden Verfahren zu Recht abgelehnt, das Anhörungsschreiben an der Adresse des Bruders des Antragsgegners zuzustellen, da es dazu eines Nachweises der Zustellungsbevollmächtigung des Bruders bedurft hätte. Auch eine Zustellung im Ausland kam nicht in Betracht, da es auch dafür an einem Nachweis des tatsächlichen Aufenthaltes des Antragsgegners gefehlt hat. Der Antragsteller hat lediglich die Vermutung aufgestellt, dass der Antragsgegner in das Dorf im Kosovo zurückgekehrt ist, aus dem er stammt. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat es jedoch versäumt, eigene Ermittlungen anzustellen und stattdessen unter Missachtung der prozessualen Pflicht des Gerichts dem Antragsteller diese Ermittlungen zugeschrieben.
2. Das Vergütungsfestsetzungsverfahren ist fortzuführen mit eigenen Ermittlungen des Gerichts zu einer aktuellen Anschrift, unter der dem Antragsgegner ein Anhörungsschreiben zugestellt werden kann. Ausgehend von der letzten bekannten Adresse des Antragsgegners ist eine Auskunft aus dem Einwohnermelderegister einzuholen. Weiterhin kommt in Betracht, den Bruder des Antragsgegners unter der vom Antragsteller mitgeteilten Anschrift um Auskunft zur aktuellen Adresse des Antragsgegners zu bitten (vgl. Stöber in Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2010, § 185 Rdnr. 2).
Sollten die Ermittlungen kein Ergebnis erbringen, wären alsdann die Voraussetzungen des § 185 ZPO dafür gegeben, das Anhörungsschreiben öffentlich zuzustellen und auf diese Weise rechtliches Gehör zu gewähren. Gemäß § 185 Nr. 1 ZPO kann eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 11 Abs. 2 Sätze 4 und 6 RVG.
Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar (vgl. zur Anwendbarkeit des § 80 AsylG in Vergütungsfestsetzungsverfahren Nds. OVG, Beschluss vom 19.06.2018 - 10 OA 176/18 -, juris; OVG NW, Beschluss vom 09.05.2016 - 1 E 298/16.A -, juris).