Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 12.08.2003, Az.: 6 B 310/03
Ablaufhemmung; Aufbauseminar; Eintragung; Fahrerlaubnisentziehung; Tilgung; Tilgungsfrist; Verkehrsordnungswidrigkeit; Verkehrszentralregister
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 12.08.2003
- Aktenzeichen
- 6 B 310/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48187
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG - 16.09.2003 - AZ: 12 ME 396/03
Rechtsgrundlagen
- § 28 Abs 2 Nr 6 StVG
- § 29 Abs 1 S 2 Nr 3 StVG
- § 29 Abs 4 Nr 3 StVG
- § 29 Abs 6 S 1 StVG
- § 29 Abs 6 S 3 StVG
- § 4 Abs 2 S 3 StVG
- § 4 Abs 2 S 4 StVG
- § 4 Abs 3 S 1 Nr 3 StVG
- § 4 Abs 7 StVG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eine Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs 7 Satz 1 StVG wegen der Nichtteilnahme an einem Aufbauseminar, die nicht zum Wegfall der im Verkehrszentralregister eingetragenen Punkte für die davor zurückliegenden Zuwiderhandlungen führt (§ 4 Abs. 2 Satz 4 StVG), hemmt als eintragungspflichtige Maßnahme iSd § 28 Abs. 3 Nr. 6 StVG den Ablauf der Tilgungsfrist dieser Zuwiderhandlungen, wenn die Eintragung bei Ordnungswidrigkeiten innerhalb von zwei Jahren nach der Rechtskraft der letzten zurückliegenden Verkehrsordnungswidrigkeit erfolgt.
Gründe
I. Der Antragsteller hatte im Jahre 1995 erstmals eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 erhalten. Als er im Verkehrszentralregister des Kraftfahrt-Bundesamtes wegen einer Anzahl von Verkehrsverfehlungen (überwiegend erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit) einen Eintragungsstand von 17 Punkten erreicht hatte und er der Aufforderung des seinerzeit zuständigen Landkreises O. zur Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 4 StVG nicht gefolgt war, war ihm die Fahrerlaubnis mit Verfügung vom 13. Februar 2001 bestandskräftig entzogen worden.
Auf seinen Antrag vom 26. Juni 2002 wurde dem Antragsteller eine Fahrerlaubnis der Klasse BE am 4. Oktober 2002 neu erteilt. Im Rahmen des Neuerteilungsverfahrens hatte sich der Antragsteller einem Aufbauseminar zu unterziehen, an dem er in der Zeit von August bis September 2002 teilgenommen hatte.
Durch eine Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 23. Juni 2003 erhielt die Antragsgegnerin davon Kenntnis, das der Antragsteller mit 20 Punkten im Verkehrzentralregister eingetragen sei. Nach der Neuerteilung der Fahrerlaubnis hatte der Antragsteller am 31. Januar 2003 wegen zu hoher und den Verkehrsverhältnissen nicht angepasster Geschwindigkeit einen Unfall verursacht. Am 13. März 2003 hatte er mit seinem Fahrzeug die innerörtlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 37 km/h überschritten.
Dem Antragsteller wurde daraufhin mit Verfügung der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2003 mit sofortiger Wirkung die Fahrerlaubnis erneut entzogen. Hiergegen hat der Antragsteller Widerspruch erhoben, über den – soweit ersichtlich ist – noch nicht entschieden wurde.
Am 24. Juni 2003 hat der Antragsteller außerdem beim Verwaltungsgericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er trägt vor:
Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei rechtswidrig, weil die von der Antragsgegnerin angenommene Punktzahl teilweise Verkehrsverstöße betreffe, die im Verkehrszentralregister bereits hätten getilgt werden müssen. Tatsächlich habe er einen Eintragungsstand von 6 Punkten. Die von ihm begangenen Verkehrsverfehlungen seien Ordnungswidrigkeiten gewesen, die nach zwei Jahren zu tilgen seien, sofern nicht weitere Verfehlungen hinzukämen. Zwischen dem Verstoß vom 21. Juni 2000, der am 7. Oktober 2000 rechtskräftig geworden sei, und der Verkehrsverfehlung vom 31. Januar 2003 lägen mehr als zwei Jahre, sodass im Oktober 2002 die davor zurückliegenden Verstöße hätten getilgt werden müssen. Die 5-Jahres-Frist des § 29 Abs. 1 Nr. 2c StVG gelte hier nicht, weil er sich nicht freiwillig einem Aufbauseminar unterzogen habe. Auch habe die Entziehung der Fahrerlaubnis die Tilgung nicht gehemmt. Es fehle insoweit an einer Regelung darüber, welche Auswirkungen eine Entziehung der Fahrerlaubnis auf die Eintragungsdauer vorher begangener Verkehrsverstöße habe. Normalerweise würden nach einer Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 4 Abs. 2 StVG alle im Verkehrszentralregister erfassten Eintragungen gelöscht. Die Regelung des § 29 Abs. 5 StVG über eine Tilgungshemmung sei hier ebenfalls nicht anwendbar, weil ihm die Fahrerlaubnis nicht wegen mangelnder Eignung entzogen gewesen sei. Als Betriebsleiter von Autobahnraststätten sei er auf seine Fahrerlaubnis angewiesen.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Fahrerlaubnisentziehung der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2003 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie entgegnet:
Der Antragsteller gelte nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, weil er mit 20 Punkten im Verkehrszentralregister erfasst sei. Die der Entziehungsverfügung vom 14. Juli 2003 zu Grunde gelegten Verkehrsverfehlungen seien noch nicht tilgungsreif, weil die im Jahre 2001 erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis den Ablauf der Tilgungsfrist der davor zurückliegenden Verkehrsverstöße gemäß § 29 Abs. 6 StVG gehemmt habe. Die für Ordnungswidrigkeiten grundsätzlich geltende Tilgungsfrist von zwei Jahren werde durch die in dieser Zeit neu hinzukommenden weiteren Eintragungen gehemmt. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei eine solche eintragungspflichtige Maßnahme, die die Tilgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten hemme. Die Tilgungsfrist für diese Eintragung belaufe sich gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG auf zehn Jahre. Weil der Antragsteller nicht an einem Aufbauseminar teilgenommen habe, gelte § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c StVG nicht. Auch § 29 Abs. 6 Satz 3 StVG sei nicht einschlägig, da seit der Rechtskraft des ersten hier zu Grunde gelegten Bußgeldbescheides noch nicht fünf Jahre vergangen seien. Soweit in § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG das Verhältnis von mehreren im Verkehrszentralregister eingetragenen Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG geregelt sei, betreffe diese Regelung über die Tilgungshemmung entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers nicht nur die Beziehung „gleichartiger“ Eintragungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, jedoch nicht begründet.
Nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde, mit der – wie hier – dem Inhaber einer Fahrerlaubnis wegen des Erreichens von 18 oder mehr Punkten im Verkehrszentralregister die Fahrerlaubnis entzogen worden ist (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG), keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann in einem solchen Fall allerdings die aufschiebende Wirkung anordnen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO), wenn bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung des Streitstandes Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass der gegen die angefochtene Maßnahme eingelegte Rechtsbehelf mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor.
Zum Schutz vor Gefahren, die von wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßenden Fahrzeugführern und –haltern ausgehen, hat die Fahrerlaubnisbehörde die in § 4 Abs. 3 StVG genannten Maßnahmen zu ergreifen. Diese Regelungen sehen vor, dass bei einem Eintragungsstand von 18 oder mehr Punkten der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt und ihm, nachdem zuvor die unter Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 dieser Vorschrift aufgeführten Maßnahmen ergriffen worden sind, die Fahrerlaubnis zu entziehen ist (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG). Diese Maßnahme hat die Antragsgegnerin mit der von dem Antragsteller angefochtenen Verfügung vom 14. Juli 2003 ergriffen, nachdem der Behörde durch eine Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes der Eintragungsstand von 20 Punkten im Verkehrszentralregister mitgeteilt worden war. Gegen die Rechtmäßigkeit dieser Verfügung sind rechtliche Bedenken nicht zu erheben.
Soweit der Antragsteller die Höhe des Punktestandes anzweifelt und die unter den Nrn. 1 bis 5 der Verfügung vom 14. Juli 2000 angeführten Verkehrsordnungswidrigkeiten für getilgt hält, folgt das Gericht dieser Auffassung nicht. Nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVG betragen bei Entscheidungen wegen einer Ordnungswidrigkeit die Tilgungsfristen im Regelfall zwei Jahre. Bei Verstößen dieser Art beginnt die Tilgungsfrist mit dem Tag der Rechtskraft oder Unanfechtbarkeit der beschwerenden Entscheidung (§ 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG). Bei dem von der Antragsgegnerin unter Nr. 1 aufgeführten Verkehrsverstoß ist die Rechtskraft am 24. Dezember 1998 eingetreten.
Der Ablauf der Tilgungsfrist wird in der Regel durch das Hinzutreten weiterer gemäß § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG in das Register einzutragender Entscheidungen gehemmt. Eine derartige eintragungspflichtige Entscheidung ist die Entziehung einer Fahrerlaubnis (§ 28 Abs. 3 Nr. 6 StVG). Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass diese Eintragung zum Erlöschen der Punkte für die vor dieser Entscheidung begangenen Zuwiderhandlungen führt (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG), sofern die Entziehung nicht darauf beruht, dass der Betroffene nicht an einem Aufbauseminar oder Nachschulungskurs teilgenommen hat (vgl. §§ 4 Abs. 7 Satz 1, 2a Abs. 3 StVG). Ist der Betroffene dagegen – wie hier – einer Aufforderung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar nicht nachgekommen und ist ihm deshalb die Fahrerlaubnis entzogen worden, bleiben die im Verkehrszentralregister erfassten Zuwiderhandlungen mit den darauf entfallenden Punkten bis zur Tilgungsreife weiter erhalten und werden durch hinzutretende Eintragungen im Sinne von § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG in dem Ablauf der Tilgungsfrist gehemmt. Eintragungspflichtige Ordnungswidrigkeiten sind allerdings nur in der Lage, den Tilgungsablauf anderer Ordnungswidrigkeiten, nicht jedoch sonstiger Eintragungen zu hemmen (§ 28 Abs. 6 Satz 2 StVG). Die Eintragung wegen einer Ordnungswidrigkeit wird im Falle einer Hemmung durch eine andere eintragungspflichtige Entscheidung höchstens bis zur Dauer von fünf Jahren in ihrer Tilgung aufgeschoben (§ 28 abs. 6 Satz 3 StVG).
Nach Maßgabe dieser Rechtsregeln hatte die Eintragung der am 17. März 2001 unanfechtbar gewordenen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 7 Satz 1 StVG, für die eine Tilgungsfrist von zehn Jahren gilt (§ 28 Abs. 1 Nr. 3 StVG), den weiteren Ablauf der Tilgungsfrist der Verkehrsordnungswidrigkeit Nr. 5 (Eintritt der Rechtskraft: 7. Oktober 2000) und der davor zurückliegenden Verkehrsordnungswidrigkeiten bis zur Höchsteintragungsdauer von fünf Jahren gehemmt. Da innerhalb der Tilgungsfrist der Eintragung über die Fahrerlaubnisentziehung die Verkehrsverstöße Nr. 6 und 7 hinzugekommen sind und zwischen dem Eintritt der Rechtskraft der im Verkehrszentralregister zuletzt erfassten Verkehrsverfehlung (5. Juni 2003) und der Unanfechtbarkeit des unter Nr. 1 in der Verfügung vom 14. Juli 2003 aufgeführten Verkehrsverstoßes (24. Dezember 1998) weniger als fünf Jahre liegen, sind sämtliche eingetragenen Verkehrsverfehlungen mit einem Gesamtstand von 20 Punkten von der Antragsgegnerin für die hier zu treffende Entscheidung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG zu berücksichtigen gewesen. Erst diese Entscheidung wird im Falle ihrer Rechtskraft zum Wegfall der Punkte für die davor zurückliegenden Zuwiderhandlungen führen (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG).
Der Antrag ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG und beläuft sich auf die Hälfte des im Hauptsacheverfahren festzusetzenden Wertes.