Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 15.12.2006, Az.: 2 B 278/06

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
15.12.2006
Aktenzeichen
2 B 278/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 44431
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2006:1215.2B278.06.0A

Amtlicher Leitsatz

Es ist in der Regel ausreichend, den Abstand, den eine Schweinestallanlage von Wohnbebauung einzuhalten hat, nach dem Abstandsdiagramm der VDI-Richtlinien 3471 zu bemessen. Eine zusätzliche Anwendung der GIRL ist nicht geboten.

Gründe

1

I.

Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen eine der Beigeladenen vom Antragsgegner erteilte Baugenehmigung für einen Schweinemaststall.

2

Die Gesellschafter der Beigeladenen wollen auf den im Außenbereich gelegenen Flurstücken 317 und 417/318 der Flur 3 der Gemarkung Q... einen Schweinemaststall für 672 Tiere (448 Mastschweine und 224 Ferkel) mit Güllekeller und Regenrückhaltemulde errichten. Das Baugrundstück liegt östlich der Ortschaft Q.... Es wird derzeit - wie die es umgebenden Grundstücke - ackerbaulich genutzt.

3

Die Antragsteller sind Eigentümer von Hausgrundstücken, die - bis auf das Grundstück des Antragstellers zu 5) - sämtlich in dem mit dem Bebauungsplan Nr. 50 "R...", der insoweit Allgemeines Wohngebiet festsetzt, überplanten Neubaugebiet in Q... liegen. Der Abstand ihrer Grundstücke zum östlich gelegenen Baugrundstück für den Schweinestall beträgt im Fall des Antragstellerin zu 6) etwa 348 Meter. Das Grundstück der Antragsteller 3) und 4) liegt ungefähr 390 Meter und das der Antragsteller zu 1) und 2) ca. 400 Meter vom geplanten Errichtungsort des Stalles entfernt. Das Grundstück des Antragstellers zu 5) befindet sich im alten Ortskern von Q..., sein Abstand zum streitbefangenen Baugrundstück der Beigeladenen beträgt über 700 Meter. Das Gelände zwischen der Neubausiedlung und dem geplanten Standort des Stalles ist leicht hängig, wobei sich das Wohngebäude der Antragstellerin zu 6) mit ihm noch auf etwa gleicher Höhe (ca. 185 m über NN) befindet und die Grundstücke der übrigen Antragsteller bis ca. 20 m tiefer liegen. Nach Osten bzw. Südosten steigt das Gelände deutlich an, zunächst auf 327 m über NN am 1,3 km entfernten Gipfel des Berges "T..." an, um dann im weiteren Verlauf eine Höhe von über 400 m über NN bei den ca. 5 km entfernten Bergen "S..." zu erreichen.

4

Bereits am 30.04.2003 hatte die Beigeladene beim Antragsgegner einen Bauantrag für den Schweinestall gestellt, der zunächst mit Bescheid vom 13.04.2004 im Wesentlichen mit der Argumentation abgelehnt worden war, das Vorhaben werde wegen zu hoher Ammoniakimmissionen schädliche Umweltauswirkungen auf einen benachbarten Wald haben. Der dagegen erhobene Widerspruch der Beigeladenen hatte Erfolg. Im Laufe einer vor der erkennenden Kammer geführten Untätigkeitsklage (2 A 239/05) wurde mit Bescheid vom 27.07.2005 der ablehnende Bescheid vom 13.04.2004 aufgehoben und vom Antragsgegner bei der Fa. meodor Immissionsschutz GmbH ein Geruchsgutachten unter Berücksichtigung der Geruchsimmissions-Richtline - Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen - in der Fassung vom 21.09.2004 (im folgenden: GIRL) eingeholt. Dieses kam am 23.12.2005 zu dem Ergebnis, aufgrund nächtlicher Kaltluftabflüsse, die zu einer deutlichen Erhöhung der östlichen Windrichtungshäufigkeiten im Untersuchungsgebiet führten, seien bei Errichtung und Inbetriebnahme des geplanten Stalles Geruchsbelastungen in der Spitze bis in einen Bereich von 9% bis 11% der Jahresstunden am Ortsrand von Q... zu erwarten. Daraufhin wurde vom Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2006 die begehrte Baugenehmigung erteilt, was zur Hauptsacheerledigung des Klageverfahrens 2 A 239/05 führte In der Baugenehmigung ist u.a. geregelt, dass eine thermostatische Zwangsentlüftung nach DIN 18910 (Oberflurabsaugung) einzubauen sei. Über Zuluftöffnungen solle Frischluft in den Stall geleitet und die Stallluft mittels Ventilatoren über 8 Abluftschächte über Dach abgeführt werden, wobei die Abluftkamine 1,5 m über den 4,93 m hohen Dachfirst zu führen seien.

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Am 09.06.2006 haben die Antragsteller gegen die der Beigeladenen im Widerspruchsbescheid erteilte Baugenehmigung Klage erhoben (2 A 226/06) und sodann am 21.07.2006 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht, nachdem ein Antrag gem. § 80 Abs. 4 VwGO auf Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung vom Antragsgegner abgelehnt worden war. Sie tragen vor, dass die Baugenehmigung § 22 BImSchG, § 19 NBauO verletze und sich die Beigeladene nicht auf die Privilegierung des § 35 BauGB berufen könne, da das baurechtliche Rücksichtnahmegebot infolge zu erwartender Geruchsbelastungen nicht beachtet werde. Dies würde eine ordnungsgemäße Begutachtung nach der GIRL, die sehr wohl anzuwenden sei, nachweisen. Sie führen weiter aus, das meodor-Gutachten sei zum Ergebnis gekommen, die Grenzwerte würden nur äußerst knapp am Rande des Neubaugebietes eingehalten. Dem könne nicht zugestimmt werden. Das Gutachten berücksichtige nicht ausreichend die außergewöhnlichen topographischen Besonderheiten der Lage des Baugrundstücks und der Grundstücke der Antragsteller, weshalb man sich nicht schematisch auf die Einhaltung der durch die VDI-Richtlinie 3471 (Tierhaltung - Schweine) - im Folgenden: VDI-Richtlinie - vorgegebenen Abstände zurückziehen dürfe. Das Gutachten verharmlose nämlich die ausgeprägten Kaltluftabflüsse vom T..., die wie eine "Frischluftpumpe" wirkten und die aus dem Schweinestall entweichenden Gerüche nicht nur in das auf etwa gleicher Höhe wie der geplante Stall liegende Neubaugebiet, sondern auch in weiten Teilen des Dorfes Q... weiterleiten würden. Dieses Phänomen zeige sich deutlich jedes Jahr im Frühling, wenn im Dorf der Bärlauch deutlich zu riechen sei, da der von den am T... blühenden Pflanzen ausgehende Duft von der aus Osten am Hang abfließenden Kaltluft nachts kilometerweit transportiert würde. Da das meodor-Gutachten - fälschlicherweise - die Windrose von Leinefelde bei der Windhäufigkeitsverteilung zugrundelege, würde die reale Häufigkeit von Ostwinden, also aus Richtung des geplanten Schweinestalles, unterschätzt, was zu einer fehlerhaften Prognose der belasteten Geruchsjahresstunden führe. In mindestens 30% der Nächte - statt zwischen 20% und 25%, wie der Gutachter annehme - komme es in Q... zu Kaltluftabflüssen. Hinzu trete, dass das Gutachten die Kaltluftabflüsse, die fast immer mit einer Inversionswetterlage einhergingen, in der Ausbreitungsberechnung wie Ostwinde behandele, also wohl eine Verdünnung im Laufe der Ausbreitung annehme; eine Ausbreitung finde bei Kaltluftabflüssen indessen kaum statt. Demgegenüber würden Talwinde völlig vernachlässigt. Des weiteren gehe das Gutachten unzutreffend davon aus, dass die geplante Quellhöhe der Emissionen von 6-7 Metern ausreiche, um eine rasche Verteilung der Geruchsstoffe zu erreichen. Schon die VDI-Richtlinie verlange eine effektive Quellhöhe von mindestens 10 Metern und die Berücksichtigung der jeweiligen Topographie, weshalb hier lediglich eine Quellhöhe von ca. 35 Metern akzeptabel sei. Aus Kostengründen habe der Antragsgegner davon abgesehen, eine detaillierte Ermittlung der Auswirkungen der nächtlichen Kaltluftabflüsse vorzunehmen, was das Gutachten, das ungeachtet seiner Fehler das Bauvorhaben als bedenklichen Grenzfall einstufe, entwerte.

6

Die Antragsteller beantragen,

die aufschiebende Wirkung der Klage 2 A 226/06 gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 13.04.2004 und vom 27.07.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2006 anzuordnen.

7

Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen, den Antrag abzulehnen.

8

Der Antragsgegner verteidigt die streitbefangene Baugenehmigung und meint, das Bauvorhaben halte den nach der VDI-Richtlinie gebotenen Abstand problemlos ein. Dies gelte umso mehr, als der bei 73,92 Großvieheinheiten erforderliche Mindestabstand von 233 Metern um ca. 50% überschritten werde. Man habe, um sicher zu gehen, zusätzlich das meodor-Gutachten zur Ermittlung der Geruchsausbreitungswahrscheinlichkeit nach der GIRL in Auftrag gegeben, das im Ergebnis ebenfalls die Unbedenklichkeit des Vorhabens feststelle. Dieses Gutachten, dem die vollständigen Bauantragsunterlagen zugrunde gelegen hätten, verwende zurecht die Windausbreitungsklassenstatistik der Windrose von Leinefelde, weil diese - anders als die Göttinger Windrose - nach der Auskunft des DWD die topographische Lage von Q... nachvollziehe.

9

Die Beigeladene meint, in Anlehnung an die Entscheidung des 7. Senats des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 28.03.2006 (7 ME 159/04) sei ausschließlich die Abstandsberechnung nach der VDI-Richtlinie vorzunehmen und daneben die GIRL nicht anwendbar. Den grundsätzlichen Vorrang der VDI-Richtlinie gegenüber der GIRL hätten bereits das Bundesverwaltungsgericht und ebenso das Nds. Oberverwaltungsgericht seit langem festgestellt. Angesichts der hier gegebenen Abstände zwischen dem Standort des Bauvorhabens und den Grundstücken der Antragsteller sei eine relevante Geruchsbelästigung mit Sicherheit auszuschließen. Sonderbeurteilungen seien nur im Nahbereich geboten, der hier nicht in Rede stehe. Auch die Landwirtschaftskammer habe keinerlei Bedenken geäußert. Hinzu komme, das die VDI-Richtlinie bereits einen Sicherheitszuschlag von 100% beinhalte und auch das meodor-Gutachten, das nicht nur übersetzte Großvieheinheiten seinem Rechenwerk zugrunde lege, sondern überdies von einer Vielzahl von für das Vorhaben der Beigeladenen zu ungünstigen Prämissen ausgehe, im Ergebnis keine Einwände erhebe.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten 2 A 226/06, 2 A 239/05 und 2 B 278/06 sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Antragstellers Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.

11

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleibt erfolglos.

12

1. Die Kammer versteht das Rechtsschutzbegehren der Antragsteller so, dass sie sich ausschließlich gegen die im Widerspruchsbescheid erstmals erteilte Baugenehmigung wenden. Soweit die Antragsteller darüber hinaus beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage 2 A 226/06 gegen die an die Beigeladene gerichteten Bescheide des Antragsgegners vom 13.04.2004 und vom 27.07.2005 anzuordnen, ist ein derartiger Antrag für ihr Begehren weder nötig noch wäre er zulässig. Denn diese Bescheide beschweren die Antragsteller nicht. Mit dem Bescheid vom 13.04.2004 wurde nämlich nur der Baugenehmigungsantrag abgelehnt, der Beigeladenen jedoch keinerlei Rechtsansprüche gewährt, weshalb eine Verletzung der Rechte von Nachbarn ausgeschlossen ist. Ebenso belastet der Bescheid vom 27.07.2005 die Antragsteller in keiner Weise, hebt er doch nur den Bescheid vom 13.04.2004 auf, dies ebenfalls, ohne der Beigeladenen (Bau-)Rechte einzuräumen. Soweit in diesem Bescheid inzidenter festgestellt wird, dass dem angrenzenden Wald durch das Bauvorhaben keine konkrete Gefahr drohe und insoweit ein Entgegenstehen öffentlicher Belange im Sinne von § 35 Abs. 1, 3 BauGB nicht mehr vorliege, wird dadurch ebenfalls nicht in subjektive Rechte der Antragsteller eingegriffen.

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2. Der Antrag, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller 2 A 226/06 gegen den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 08.05.2006 anzuordnen, ist - bis auf das Begehren des Antragstellers zu 5 - zulässig, weil die Antragsteller zu 1-4 und 6 Nachbarn des beabsichtigten Bauvorhabens sind und ihrer Klage gegen die Baugenehmigung gemäß § 212a Abs 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt. Auch haben die Antragsteller vor Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erfolglos einen Aussetzungsantrag nach § 80 Abs 4 VwGO beim Antragsgegner gestellt.

14

Dass der Antragsteller zu 5 als Nachbar durch die erteilte Baugenehmigung in seinen Rechten verletzt sein könnte, vermag die Kammer jedoch nicht nachzuvollziehen. Sein Grundstück liegt nicht in dem am Dorfrand von Q... befindlichen Neubaugebiet, sondern im Ortskern, der über 700 Meter von dem Bauplatz für die Schweinemastanlage entfernt ist. Weder das Vorbringen dieses Antragstellers noch ein in das Verfahren eingeführtes Gutachten gibt der Kammer Veranlassung zu der Annahme, dass in solch großer Entfernung Immissionen des Stalles ihn noch belasten könnten.

15

Sofern der Eilantrag zulässig ist, ist er allerdings unbegründet. Im Rahmen der Entscheidung nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO bedarf es einer Abwägung der gegenseitigen Interessen der Beteiligten. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Baunachbarklage ist in der Regel nur dann geboten, wenn die Interessen des Nachbarn an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs die Interessen des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung überwiegen. Maßgeblich für die vom Gericht zu treffende Entscheidung sind dabei in erster Linie die Erfolgsaussichten der Klage, wobei das Gericht im Rahmen des Eilverfahrens lediglich eine summarische Prüfung der Sachlage vornehmen kann. Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt hier das Interesse der Beigeladenen an der Vollziehung der Baugenehmigung.

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Ein Nachbar kann eine nach § 75 NBauO erteilte Baugenehmigung nur dann erfolgreich anfechten, wenn er die Verletzung von Vorschriften geltend macht, die zumindest auch seinem Schutz dienen. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich nach § 35 Abs. 1 BauGB, da das Grundstück, auf dem der Schweinestall errichtet werden soll, im Außenbereich liegt. Das Vorhaben der Beigeladenen ist auch privilegiert, wobei die Kammer es offen lässt, ob dies nun auf § 35 Abs 1 Nr. 1 BauGB oder auf § 35 Abs 1 Nr. 4 BauGB beruht. Denn es spricht Überwiegendes dafür, dass das Bauvorhaben sowohl dem von den Gesellschaftern der Beigeladenen geführten landwirtschaftlichen Betrieb dient (Nr. 1), weil das Tierfutter überwiegend von den Gesellschaftern der Beigeladenen selbst erzeugt wird, als auch, dass es wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung im Außenbereich ausgeführt werden soll (Nr. 4).

17

Dem Vorhaben, dessen Erschließung unstreitig gesichert ist, stehen keine öffentliche Belange entgegen. Insbesondere nicht das von den Antragstellern in Anspruch genommene Gebot der Rücksichtnahme, das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO seine Ausprägung gefunden hat und in § 35 Abs. 3 BauGB mit dem Erfordernis, dass ein Bauvorhaben schädliche Umwelteinwirkungen zu vermeiden hat, gesetzlich besonders ausgeformt ist, da durch den Betrieb des Vorhabens die Antragsteller nicht unzumutbaren Geruchs- oder Staubimmissionen ausgesetzt werden.

18

Bei dem Betrieb des Schweinestalls werden Geruchsstoffe, insbesondere durch die erzeugte Gülle freigesetzt, mithin Luftverunreinigungen bewirkt, die schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) darstellen. Gemäß § 3 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Deshalb ist das Regelungsgefüge des BImSchG ergänzend zur Beantwortung der Frage heranzuziehen, was der Nachbar einer emittierenden Anlage als zumutbar hinnehmen muss. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG müssen beim Betrieb einer - wie hier - nach diesem Gesetz nicht genehmigungsbedürftigen Anlage schädliche Umwelteinwirkungen, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, verhindert werden. Ob ein Geruch, den eine Schweinemastanlage verbreitet, eine unzumutbare Belästigung darstellt, wird von den meisten Menschen unterschiedlich empfunden, bleibt also im wesentlichen eine subjektive Wahrnehmung. Objektive gesetzliche Regelungen, die verbindlich zu beachten wären, gibt es dazu nicht. Für die Ermittlung und Bewertung, ob eine nicht genehmigungspflichtige Anlage, für die die TA Luft deshalb nicht gilt, unzumutbare Gerüche emittiert, gibt es auch keine untergesetzlichen zwingend zu beachtenden Vorschriften. Die Verwaltungspraxis und auch die Verwaltungsgerichte ziehen deshalb unter Beachtung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles rechtlich unverbindliche technische Regelwerke heran, die das Spannungsfeld zwischen hinzunehmender Beeinträchtigung und erheblichen Belästigungen regeln (vgl. OVG Münster, Urt. v. 28.10.2005 - 7 D 17/04.NE, Natur und Recht 2006, 464ff. m.w.N.).

19

Hierzu zählt vorrangig - soweit es wie hier um Gerüche von Schweinen geht - die VDI -Richtlinie 3471, die in Nr. 3.2.1 Mindestabstandsregelungen für den von der Anlage zur nächsten Wohnbebauung einzuhaltenden Abstand trifft, die sich nach der Anzahl der Tiere im Stall (gemessen in Großvieheinheiten) richten. Diese Abstandsregelungen beruhen auf Durchschnittswerten nach Erhebungen in der Praxis, bei denen die Geruchsschwellenentfernung ermittelt wurde, also in Abhängigkeit von der Stalltechnik (max. 100 Punkte) und Bestandsgröße (Großvieheinheiten) erstmalig spezifischer Stallgeruch wahrnehmbar war. Auf den so gefundenen Abstandswert wurde ein Sicherheitsaufschlag hinzugerechnet, der im Ergebnis einer Verdoppelung des Geruchsschwellenabstandes entspricht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 25.03.1994 - 1 K 6147/92, NVwZ 1995, 714). Nach Nr. 2.1.1 der Richtlinie sind topographische Besonderheiten der Lage des Stalles zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung der Abstandsregelungen der VDI-Richtlinie dürften entgegen der Ansicht der Antragsteller von der Nutzung des geplanten Bauvorhabens für sie keine unzumutbaren Umwelteinwirkungen ausgehen.

20

Im geplanten Stall will die Beigeladene 672 Schweine halten. Die Berechnung des erforderlichen Abstandes erfolgt anhand einer Mindestabstandskurve, die mit zunehmender Zahl von Großvieheinheiten (1 GV = 500 kg Tierlebendmasse) im Stall einen größeren Abstand zur Nachbarbebauung verlangt. Daraus ergibt sich hier Folgendes: 224 Aufzuchtferkel (7-25 kg x 0,03 GV/Platz) sind 6,72 GV und 448 Mastschweine (25-120 kg x 0,15 GV/Platz) sind 67,2 GV, insgesamt mithin werden im Stall 73,92 GV untergebracht. Dieser Wert liegt auch der streitbefangenen Baugenehmigung zugrunde. Daraus folgt in Anwendung der Tabelle zu Nr. 3.2.1 der Richtlinie ein erforderlicher Mindestabstand von 233 m. Tatsächlich wahrt die Anlage zur nächstgelegenen Nachbarbebauung, dem Grundstück der Antragstellerin zu 6, einen Abstand von 348 m. Der einzuhaltende Mindestabstand wird also um fast 50% überschritten. Deshalb sind aller Voraussicht nach schädliche Umwelteinwirkungen durch Gerüche von der geplanten Anlage auf die Grundstücke der Antragsteller nicht zu erwarten.

21

Besondere Umstände des Einzelfalls, die angesichts des deutlich überschrittenen Mindestabstandes dennoch eine Sonderbeurteilung der Geruchsimmissionen erforderlich machen würden, kann die Kammer im Eilverfahren nicht feststellen. Zwar weisen die Antragsteller zu Recht darauf hin, dass sowohl der geplante Stall als auch ihre Grundstücke im Einflussbereich eines Kaltluftabflusses von der Höhenlage des T... liegen. Allein daraus folgt jedoch nicht mit der gebotenen Sicherheit, dass die abfließende Kaltluft überhaupt oder zumindest in nicht mehr hinzunehmendem Umfang Geruchsemissionen des Schweinemaststalls bis zu den Grundstücken der Antragsteller mitführen wird. Für die entsprechende Annahme der Antragsteller spricht insbesondere nicht, dass im Frühjahr in weiten Teilen des Dorfes Q... - so auch im Neubaugebiet, in dem die Grundstücke der Antragsteller liegen - Bärlauchgeruch festzustellen ist. Dieser von den Blüten der Pflanzen stammende Geruch dürfte zwar durchaus von der vom T... (wo die Pflanzen blühen) abfließenden kalten Luft mitgeführt werden. Doch blühen die Bärlauchpflanzen knapp über Bodenhöhe, während die Emissionen aus dem geplanten Stall etwa in 6,5 Metern Höhe aus den Abluftkaminen austreten werden. Für die - von den Antragstellern wohl vertretene Annahme, dass die vertikale Erstreckung dieser Kaltluftabflüsse die Emissionen des Stalles erfasst und über hunderte von Metern praktisch unverdünnt ihren Grundstücken zuführt, spricht derzeit nichts. Das DWD-Gutachten vom 15.11.2005, das Grundlage der Prognosen des meodor-Gutachtens vom 23.12.2005 ist, führt insoweit (Seite 5) nur aus, dass die Kaltluftabflüsse in der Regel "nur eine geringe vertikale Erstreckung" haben und sich an Geländetiefpunkten zu Kaltluftseen ansammeln würden. Das meodor-Gutachten selbst wirft in keiner Weise die Frage auf, wie, wo, und in welchem Ausmaß sich die warme Luft, die aus dem Stall austritt, mit der Kaltluft vermischen wird. Als Anlage 14 zur Klageschrift im Verfahren 2 A 226/06 fügen die Antragsteller eine Ausarbeitung von Röckle und Richter, Freiburg, (undatiert, ohne Veröffentlichungshinweis) zur Ausbreitung von Gerüchen in Kaltluftabflüssen bei. Dort wird die - nicht weiter belegte - These aufgestellt, dass die am Hang abfließende Kaltluft durch Einmischung von Luft aus darüber liegenden Schichten anwachse und die vertikale Mächtigkeit einer Kaltluftströmung mit ca. 5% der zurückgelegten Höhendifferenz eines Luftpakets bis zum benachbarten Punkt abgeschätzt werden könne. Weise ein Hang eine Höhendifferenz von 200 m auf, so betrage die vertikale Mächtigkeit des Kaltluftabflusses im Bereich des Hangfußes etwa 10 m. Im vorliegenden Fall beträgt die Höhendifferenz zwischen dem geplanten Standort des Stalles und dem etwa 1.300 m entfernt liegenden Gipfel des T... ca. 140 m. Dass daraus zu folgern wäre, dass die vertikale Mächtigkeit der Kaltluftströmung am Standort 7 m betrage und die Abluftfahne des Stalles somit innerhalb des Kaltluftabflusses liege, erscheint der Kammer allerdings zu spekulativ, da die Kaltluft sich nicht ungehindert ausbreiten kann. So befindet sich östlich des Standortes eine Geländestufe mit hohem Baumbestand, die die Ausbreitung der Luftströmungen sicherlich beeinflussen dürfte.

22

Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner nicht nur die VDI-Richtlinie angewandt, sondern zusätzlich von der meodor Immissionsschutz GmbH ein Geruchsgutachten nach der Verwaltungsvorschrift zur Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen vom 14.11.2000 - Geruchsimmissionsrichtlinie, Nds. MBl., S. 224 ff. - GIRL, eingeholt.

23

Verwaltungsbehörden und Gerichte dürfen sich neben der VDI-Richtlinie zur Erkenntnisgewinnung auch der GIRL bedienen (Nds. OVG, Urt. v. 03.05.2006 - 1 LB 259/04, Rechtsprechungsdatenbank des Nds. OVG). Die GIRL versucht, die Beeinträchtigung durch Gerüche mit einem Ausbreitungsmodell zu erfassen und bewertet die Zumutbarkeit von Gerüchen unter Berücksichtigung der Hedonik des Geruchs und der besonderen Umstände des Einzelfalles anhand einer prozentualen Schätzung der Jahresstunden, in denen die Gerüche auf die benachbarte Bebauung einwirken. Die GIRL geht in Nr. 3.1 davon aus, dass in einem Wohn- oder Mischgebiet für dessen Bewohner die Belastungsgrenze durch Gerüche bei 10% der Jahresstunden liegt und bei einer höheren Jahresstundenzahl im Regelfall eine Unzumutbarkeit anzunehmen ist. Eine "volle" Geruchsstunde wird bereits bei jeder positiven Einzelmessung, sei es auch nur über eine Minute, angenommen (vgl. Auslegungshinweise zu Nr. 4.4.7). Mit dem BayVGH (Urt. v. 27.11.2006 - 15 BV 06.422, JURIS) hält die Kammer die GIRL allerdings für problematisch bei der Beurteilung von Geruchsimmissionen aus landwirtschaftlicher Tierhaltung, eben weil das Geruchsstundenmodell schon Belastungen, die nur Minuten andauern, als volle Geruchsstunde bewertet und überdies nicht nur deutlich wahrnehmbare Gerüche für erheblich hält, sondern schon den geringsten Grad der spezifischen Geruchswahrnehmung (1 GE/cbm). Demgegenüber misst die GIRL der typischen Hedonik und Ortsüblichkeit von landwirtschaftlichen Gerüchen im Dorfgebiet und angrenzenden Wohngebieten nicht die notwendige Bedeutung bei. Nach Auffassung des Nds. OVG (Beschl. v. 28.03.2006 - 7 ME 159/04, NVwZ-RR 2006,682), die von der Kammer geteilt wird, kann auf eine Heranziehung der GIRL dann verzichtet werden, wenn die geplante Anlage den Anforderungen der VDI-Richtlinie 3471 genügt, also unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles einen ausreichenden Abstand zu den angrenzenden Wohngrundstücken einhält. Da dies - wie oben dargelegt - jedenfalls im Rahmen des Eilverfahrens der Fall ist, braucht sich die Kammer mit den Angriffen der Antragsteller gegen das meodor-Gutachten an dieser Stelle nicht weiter zu befassen.

24

Um es noch einmal deutlich hervorzuheben:

25

Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass die Wirkweise der Kaltluftabflüsse vom T. hier eine Sonderbetrachtung nach der VDI-Richtlinie erforderlich macht. Die Antragsteller haben die verbleibenden minimalen Unsicherheiten hinzunehmen. Dies ist auch nicht im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) bedenklich. Denn sie bleiben - selbst wenn der Stall nun errichtet wird und sich beim Betrieb der Anlage wider Erwarten herausstellen sollte, dass die Antragsteller doch unzumutbar von den Gerüchen der Anlage beeinträchtigt werden - nicht schutzlos. Die in § 22 BImSchG aufgestellten Betreiberpflichten gelten nämlich auch für den laufenden Betrieb der Anlage. Der Antragsgegner hätte in diesem Fall trotz der erteilten Baugenehmigung die Verpflichtung, nachträglich gem. §§ 22, 24, 25 BImSchG, z.B. durch die Anordnung des Einbaus höherer Abluftkamine oder von Filteranlagen, immissionsschutzrechtlich unbedenkliche Zustände zu schaffen.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159, 162 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich zudem in der Sache an die Seite des obsiegenden Antragsgegners gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass ihr ihre außergerichtlichen Kosten erstattet werden.

27

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer orientiert sich an den Streitwertannahmen der Bausenate des OVG Lüneburg (Nds. VBl. 2002, Seite 192) die bei einem Nachbarwiderspruch gegen eine Baugenehmigung bei geltend gemachter Beeinträchtigung eines Einfamilienhauses einen Rahmen von 4.000,- bis 30.000,- € vorsehen. Die Kammer hält je Antragsteller - die personenbezogen ihre Rechte aus dem Grundeigentum wahrnehmen - einen Wert von 10.000,00 € für angemessen. Im Hinblick auf den Charakter des Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO als eine vorläufige Entscheidung ist die Hälfte des Wertes für ein Hauptsacheverfahren, hier also 6 x 5.000,00 € = 30.000,00 €, als Streitwert festzusetzen.