Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 20.12.2006, Az.: 2 B 412/06

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
20.12.2006
Aktenzeichen
2 B 412/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 44439
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2006:1220.2B412.06.0A

Amtlicher Leitsatz

Allein die tatsächliche Unmöglichkeit, in der elterlichen Wohnung unterzukommen, schließt die Versagung von Ausbildungsförderungsleistungen nach § 2 Abs. 1 a S. 1 BAföG nicht aus.

Gründe

1

Der sinngemäß gestellte Antrag der Antragstellerin,

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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin ab Dezember 2006 vorläufig Ausbildungsförderungsleistungen in gesetzlicher Höhe zu bewilligen,

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hat keinen Erfolg.

4

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um von dem Rechtsuchenden wesentliche Nachteile abzuwenden. Sowohl die Dringlichkeit der begehrten gerichtlichen Entscheidung als auch der Anspruch auf die begehrte Leistung sind glaubhaft zu machen (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO).

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Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

6

Der am 3. August 2006 von der Antragstellerin beantragten Gewährung von Ausbildungsförderungsleistungen für den Besuch der zweijährigen Fachschule Wirtschaft an der BBS I in D. steht die Regelung in § 2 Abs. 1 a BAföG entgegen.

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Danach wird für den Besuch der in Absatz 1 Nr. 1 bezeichneten Ausbildungsstätten, zu denen die Fachschule Wirtschaft gehört, Ausbildungsförderung nur geleistet, wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohnt und

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1. von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar ist,

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2. einen eigenen Haushalt führt und verheiratet ist oder war,

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3. einen eigenen Haushalt führt und mit mindestens einem Kind zusammenlebt.

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Die Voraussetzungen der Nr. 2 und 3 erfüllt die Antragstellerin, die ledig ist und mit einer Freundin zusammenwohnt, ersichtlich nicht.

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Auch auf § 2 Abs. 1 a Nr. 1 BAföG kann sich die Antragstellerin nicht berufen.

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Von der Wohnung ihrer Eltern aus ist eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte zu erreichen. Leben die Eltern, wie im Falle der Antragstellerin, getrennt, ist auf jede einzelne Elternwohnung abzustellen. Von der Wohnung ihres Vaters in E. aus ist, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, die BBS I in E. in angemessener Zeit zu erreichen. Zu Unrecht beruft sich die Antragstellerin darauf, sie habe tatsächlich nicht die Möglichkeit, bei ihrem Vater einzuziehen, da er in seiner Dreizimmerwohnung gemeinsam mit zwei Söhnen wohne und für sie daher dort kein Platz vorhanden sei.

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Das Gesetz knüpft in § 2 Abs. 1 a Satz 1 BAföG als Ausgangspunkt für die hier maßgebende Regelung an den typischen Lebenssachverhalt an, dass Eltern ihren Kindern regelmäßig in den Räumen Unterkunft gewähren, die ihnen selbst als Wohnung zur Verfügung stehen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Eltern willens sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sind, den Auszubildenden bei sich aufzunehmen, oder ob zwischen dem Auszubildenden und seinen Eltern noch ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht (BVerwG, Urteil vom 27.2.1992 -5 C 68/88-, NVwZ 1992, 887; Beschluss vom 28.4.1993 -11 B 43/93-, NVwZ-RR 1993, 558; OVG Lüneburg, Beschluss vom 24.9.1998 -10 O 3624/98-). Es kommt daher entgegen der Rechtsmeinung der Antragstellerin nicht darauf an, ob ihre Aufnahme in der Wohnung ihres Vaters tatsächlich möglich ist. Abgesehen davon hat das Gericht auch Zweifel an der Behauptung, ihr Vater lebe in seiner Dreizimmerwohnung mit zwei Söhnen. Die Antragstellerin hat in ihrem Antrag auf Bewilligung von Ausbildungsförderungsleistungen vom 3. August 2006 angegeben, einen Bruder namens F., zu haben. Ein weiterer Bruder wird hier ebenso wenig angegeben wie er sich als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft laut SGB II-Bewilligungsbescheid vom 15. November 2006 an den Vater der Antragstellerin findet. Auch hier werden als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft lediglich der Vater der Antragstellerin und ihr Bruder F. ausgewiesen. Zudem hat die Antragstellerin ihren eigenen Angaben zufolge in der Zeit von Oktober 2004 bis Januar 2006 in der Wohnung ihres Vaters gelebt.

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Eine Ausnahme von diesem weiten Begriff der elterlichen Wohnung ist nach der von der Kammer geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) nur zu machen, wenn das Wohnen des Auszubildenden bei seinen Eltern aus in deren Person liegenden zwingenden persönlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Ehegatte des wiederverheirateten Elternteils die Aufnahme des Auszubildenden in die Ehewohnung ablehnt oder sich der Elternteil in einem Pflegeheim befindet. Derartige Besonderheiten macht die Antragstellerin nicht geltend und sie sind auch sonst für die Kammer nicht ersichtlich. Auch lässt sich nicht erkennen, dass die Verweisung der Antragstellerin auf die Wohnung ihres Vaters aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar wäre. Hiergegen spricht schon der Umstand, dass sie in der Vergangenheit dort gewohnt hat. Auf die Frage, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, von der ihm für einen solchen Fall gegebenen Verordnungsermächtigung nach § 2 Abs. 1 a Satz 2 BAföG Gebrauch zu machen, und wie sich die Untätigkeit des Gesetzgebers für die Antragstellerin auswirkt, ist daher nicht einzugehen.

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Anzumerken bleibt, dass die Antragstellerin nicht ohne staatliche Sicherung ihres Lebensunterhalts bleiben muss. Der Umstand, dass sie wegen § 2 Abs. 1 a BAföG Ausbildungsförderungsleistungen nicht erhält, kann ihr weder im Anwendungsbereich des SGB II (§ 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II) noch im Anwendungsbereich des SGB XII (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 SGB XII) entgegengehalten werden.

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

18

Da der Antrag erfolglos bleibt, ist die beantragte Prozesskostenhilfe für ihn nicht zu bewilligen (§§ 166 VwGO i.V.m. 114 ZPO).