Amtsgericht Hannover
Beschl. v. 12.07.2023, Az.: 43 XIV 37/23 B

Bibliographie

Gericht
AG Hannover
Datum
12.07.2023
Aktenzeichen
43 XIV 37/23 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 30622
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In der Abschiebungshaftsache
betreffend den albanischen Staatsangehörigen
M.
geb. am. ### in ###
ohne festen Wohnsitz in Deutschland
- Betroffener -
Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt ###, Hannover
weitere Verfahrensbeteiligte:
Landeshauptstadt Hannover - Der Oberbürgermeister -
Fachbereich öffentliche Ordnung
- Ausländerangelegenheiten und Staatsangehörigkeit -
Am Schützenplatz 1, 30169 Hannover
- Antragstellerin -
hat das Amtsgericht Hannover - Abteilung 43 - durch den Richter am Amtsgericht Meffert
am 12.07.2023 beschlossen:

Tenor:

Der Beschwerde des Betroffenen vom 19.06.2023 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 14.06.2023 wird nicht abgeholfen.

Das Verfahren wird der Beschwerdekammer des Landgerichts Hannover zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin betreibt die Ausweisung und Abschiebung des Betroffenen nach Albanien, dessen Staatsangehöriger der Betroffene ist.

Der Betroffene wurde am 09.06.2023 durch Beamte der Polizei Hannover vorläufig festgenommen, nachdem diese den Betroffenen bei Austauschhandlungen mit Drogen beobachtet hatten. Das Amtsgericht Hannover hat am 10.06.2023 einen Hauptverhandlungshaftbefehl gemäß § 127 b StPO zur Sicherung des beschleunigten Verfahrens gegen den Betroffenen erlassen. Die Hauptverhandlung fand am 14.06.2023 und 16.06.2023 statt. Der Betroffene wurde wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Gegen das Urteil hat der Betroffene Rechtsmittel eingelegt.

Am 12.06.2023 stellt der Verfahrensbevollmächtigte für den Betroffenen einen Asylantrag. Diesen hat er per Faxschreiben an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gerichtet. Die persönliche Anhörung des Betroffenen beim BAMF erfolgte am 23.06.2023. Im Rahmen dieser ,Anhörung nahm der Betroffenen seinen Asylantrag zurück. Das BAMF stellte daraufhin mit Bescheid vom 26.06.2023 das Verfahren ein und setzte dem Betroffenen eine Frist von einer Woche Deutschland zu verlassen. Zudem setzte es ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monate ab Ausreise fest. Die Zustellung an den Betroffenen erfolgte am 29.06.2023. Rechtsmittel wurden nicht eingelegt.

Auf Antrag der Ausländerbehörde und Beschwerdegegnerin vom 14.06.2023 hat das Amtsgericht Hannover mit Beschluss vom 14.06.2023 nach Anhörung des Betroffenen Vorbereitungshaft im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum Ablauf des 05.07.2023 angeordnet. Mit weiterem Beschluss vom 05.07.2023 (43 XIV 38/23) hat das Amtsgericht die (endgültige) Vorbereitungshaft bis zum 13.07.2023 angeordnet. Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene kein Rechtsmittel eingelegt. Der Rückflug des Betroffenen ist für den 12.07.2023 gebucht.

Gegen den Beschluss vom 14.06.2023 hat der Verfahrensbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 19.06.2023, bei Gericht eingegangen am selben Tag um 15.57 Uhr, das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt. Diese wird damit begründet, dass die Abschiebungshaft wegen des gestellten Asylbegehrens nicht hätte angeordnet werden dürfen.

Die Beschwerdegegnerin hat am 26.06.2023 ihre Stellungnahme abgegeben.

Zum Sachverhalt wird i. Ü. auf den Antrag der Antragstellerin, den angefochtenen Beschluss und die Schriftsätze des Verfahrensbevollmächtigten und der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin Bezug genommen.

II.

Der Beschwerde wird gemäß § 68 FamFG nicht abgeholfen. Die Beschwerde ist statthaft, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

Die Ausführungen des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen im Beschwerdeschriftsatz vom 19.06.2023 verhelfen der Beschwerde indessen nicht zum Erfolg.

1. Die Voraussetzungen für die Anordnung von Vorbereitungshaft nach § 62 Abs. 2 AufenthG im Wege der einstweiligen Anordnung lagen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung vor.

a) Der Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft ist von der zuständigen Ausländerbehörde gestellt worden und entsprach den Anforderungen des § 417 FamFG.

b) Die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung von Vorbereitungshaft sind ebenfalls gegeben, wie im angefochtenen Beschluss ausgeführt und im Beschluss des Gerichts vom 05.07.2023 bestätigt.

2. Soweit die Beschwerde auf die Ansicht gestützt wird, das gestellte Asylbegehren hätte der Anordnung von Abschiebungshaft entgegengestanden, trifft dies nicht zu.

a) Insoweit setzt sich bereits der angefochtene Beschluss unter II. 5. mit der Frage der Asylantragstellung und deren Auswirkungen auf die Anordnung von Abschiebungshaft auseinander.

b) Der Beschwerdeführer verkennt in seiner Begründung zudem, dass die Gewahrsamssituation der Hauptverhandlungshaft nach § 127 b Abs. 2 StPO gerade nicht mit dem - kurzfristigen - Polizeigewahrsam zum Zwecke der Vorführung vor den Richter vergleichbar ist.

aa) Dies ergibt sich bereits aus der Begrifflichkeit selbst. Nach § 127 b Abs. 1 StPO erfolgt zum Zwecke der Durchführung des beschleunigten Verfahrens die vorläufige Festnahme. Diese darf ohne Vorführung vor den Richter maximal bis zum Ablauf des auf die Festnahme folgenden Tages dauern, wie sich aus § 128 Abs. 1 StPO ergibt. Ein Haftbefehl darf in diesen Fällen gerade noch nicht erlassen sein (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 128 Rdnr. 1).

bb) Von dieser Regelung abweichend soll § 127 b Abs. 2 StPO gerade durch die (richterliche) Anordnung von Haft die Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren sichern, wenn deren Durchführung binnen einer Woche gewährleistet ist (Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O. § 127 b Rdnr. 17). Materielle Voraussetzung ist daher auch, dass nicht nur ein hinreichender, sondern dringender Tatverdacht gegen den Betroffenen besteht (Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O. Rdnr. 16).

cc) Demgemäß liegt mit der Anordnung eines Haftbefehls nach § 127 b Abs. 2 StPO gerade keine vorübergehende und kurzfristige Maßnahme vor. Vielmehr entspricht die Intention des Haftbefehls der Sicherungsfunktion eines Untersuchungshaftbefehls nach § 114 StPO. Lediglich die Anforderungen an die Voraussetzungen seines Erlasses sind geringer (Meyer-Goßner/Schmitt o. a. O. Rdnr. 18).

dd) Daher ist in der Sache auch die Hauptverhandlungshaft als Untersuchungshaft im Sinne von § 14 Abs. 3 Nr. 1 AsylG anzusehen. Weil ein aus der Haft heraus gestellter Asylantrag generell - und ohne Möglichkeit der Widerlegung - als rechtsmissbräuchlich angesehen wird (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht 14. Aufl. 2022, § 14 AsylG Rdnr. 26), hindert dieser die Anordnung von Abschiebungshaft nicht.

ee) I. Ü. ist das Gericht - wie bereits im angefochtenen Beschluss ausgeführt - davon überzeugt, dass die Asylantragstellung im vorliegenden Fall (wie zur Überzeugung des Gerichts auch in diversen vergleichbaren Fällen [...]) genau zu dem taktischen Zweck der Vermeidung der Haftanordnung erfolgte, die der Gesetzgeber mit der Einführung der Vorschrift verhindern wollte (BT-Drs. 13/4948 S. 10/11; Bergmann/Dienelt a. a. O.). Dies ergibt sich deutlich daraus, dass der Betroffene im Rahmen seiner Anhörung vor dem BAMF offensichtlich keinerlei hinreichende Asylgründe vortragen konnte. Vielmehr ist mit der Rücknahme des Asylantrages und der Äußerung seines Heimreisebegehrens in der Anhörung vom 05.07.2023 klargestellt, dass ein Asylgrund in der Person auch nach seiner eigenen Wahrnehmung nie vorhanden war.

Darüber hinaus handelt es sich bei Albanien um einen sicheren Herkunftsstaat im Sinne von § 29 a Abs. 2 AsylG (in Verbindung mit Anlage II), wie die Antragstellerin in ihrer Stellungnahme richtig ausführt. Unter Berücksichtigung auch dieses Gesichtspunktes ist deutlich erkennbar, dass dem Betroffenen keinerlei Verfolgung droht, sondern die Antragstellung unter eklatantem Missbrauch des Asylgrundrechts stattfand. Das Gericht kann insoweit nicht verhehlen, dass - auch mit Blick auf andere vergleichbare Fälle - diese "taktische Maßnahme" kaum von dem Betroffenen selbst ausgegangenen sein dürfte, sondern einer - im Hinblick auf das durch die Verfassung geschützte Recht als äußerst zweifelhaft zu betrachtenden - rechtlichen Beratung entsprang.

Demnach lagen die Voraussetzungen für die Anordnung von Vorbereitungshaft im Wege der der einstweiligen Anordnung vor. Der Beschwerde war daher nicht abzuhelfen.

Meffert Richter am Amtsgericht