Amtsgericht Hannover
Urt. v. 16.10.2023, Az.: 435 C 8845/23

Einstweilige Verfügung bzgl. der Untersagung der Behinderung durchgeführter Bauarbeiten durch körperliche Anwesenheit; Besitzstörung durch bloßes Betreten eines Grundstücks

Bibliographie

Gericht
AG Hannover
Datum
16.10.2023
Aktenzeichen
435 C 8845/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 38560
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • RdW 2023, 1064
  • RdW 2024, 85-86

In dem Rechtsstreit
1. Herrn ###
2. Frau ###
Antragsteller
Prozessbevollmächtigte zu 1, 2: ###
gegen
Frau ###
Antragsgegnerin
Prozessbevollmächtigte: ###
hat das Amtsgericht Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 10.10.2023 durch den Richter am Amtsgericht Skeries für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, es zu unterlassen, das Grundstück A### 5, 30657 Hannover-I###, Flurstück ##/## zu betreten und die dort durchgeführten Bauarbeiten durch körperliche Anwesenheit zu behindern.

  2. 2.

    Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassensverpflichtung zu Ziffer 1 die Festsetzung eines Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000,00 EUR, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.

  3. 3.

    Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

  4. 4.

    Der Wert des Streitgegenstandes für die Gerichtsgebühren wird auf bis zu 2000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Antragsteller begehren den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegnerin im Wesentlichen aufgegeben werden soll, das Grundstück der Antragsteller nicht mehr zu betreten.

Die Antragsteller sind Eigentümer des im Tenor zu 1) näher bezeichneten Grundstücks. Die Antragsgegnerin ist (Mit-)Eigentümerin des Nachbargrundstücks. Die Antragsteller errichten auf ihrem Grundstück einen Neubau nebst Nebenanlagen. Für dieses Bauvorhaben hatte die Landeshauptstadt Hannover den Antragstellern mit Bescheid vom 09.08.2022 eine Baugenehmigung erteilt, die mit zahlreichen Nebenbestimmungen versehen war. Zu dem Bauvorhaben hatte der Antragsteller zu 1) ein Gutachten zu den Auswirkungen von Grundwasserabsenkungen auf Bäume und Möglichkeiten von Schadensminderungsmaßnahmen der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen T### eingeholt. Zudem liegt für das Bauvorhaben eine wasserrechtliche Erlaubnis der Region Hannover vor, die zuletzt mit Bescheid vom 24.03.2023 geändert wurde. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die als Anlage zu Protokoll genommene Ablichtung der Baugenehmigung vom 09.08.2023, des Sachverständigengutachtens vom 23.03.2023 sowie des Bescheides vom 24.03.2023 verwiesen. Das Grundstück der Antragsteller ist eingefriedet, zur Straßenseite mit einem Bauzaun und mit einem Hinweisschild ("Betreten verboten") versehen. Auf dem auch der Antragsgegnerin gehörenden Nachbargrundstück befinden sich in der Nähe der Grundstücksgrenze mehrere Bäume, unter anderem eine Birke von etwa 20 Metern Höhe, deren Wurzelwerk bis in das Erdreich des Grundstücks der Antragsteller reicht. Am 24.06.2023 wurden auf dem Grundstück der Antragsteller Baggerarbeiten durchgeführt. Die Antragsgegnerin betrat das Grundstück der Antragsteller und stellte sich vor den dort eingesetzten Bagger, woraufhin die Baggerarbeiten unterbrochen wurden. Am 22.09.2023 betrat die Antragsgegnerin erneut das Grundstück der Antragsteller und behinderte die dort durchgeführten Bauarbeiten.

Die Antragsteller beantragen,

wie erkannt.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin beruft sich darauf, dass es ihr um den Schutz ihres Grundstücks und des dortigen Baumbestandes gegangen sei. Sie sei davon ausgegangen, dass bei den Bauarbeiten die sich aus der Baugenehmigung ergebenden Bestimmungen zum Schutz der auf benachbarten Flächen befindlichen Gehölze, Bäume und Hecken ebenso wenig eingehalten worden seien, wie die Vorgaben in der wasserrechtlichen Genehmigung und dem Gutachten der Sachverständigen T###. Deswegen habe sie sich zum Einschreiten veranlasst gesehen.

Hinsichtlich der weitere Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf zur Akte gereichten Schriftsätze der Parteien sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2023 nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist zulässig und begründet.

I.

Die Antragsteller haben den für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Verfügungsanspruch (1.) und Verfügungsgrund (2.) glaubhaft gemacht. Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache steht dem Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung nicht entgegen (3.).

1. Die Antragsteller haben einen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht. Dieser ergibt sich aus § 862 Abs. 1 S. 2 BGB. Nach dieser Vorschrift kann der Besitzer gegenüber demjenigen, der ihn in seinem Besitz durch verbotene Eigenmacht stört (Störer), auf Unterlassung klagen, wenn weitere Störungen zu besorgen sind. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

a) Die Antragsteller sind Besitzer des im Tenor zu 1) bezeichneten Grundstücks.

b) Die Antragsgegnerin hat den Besitz der Antragsteller zweimal durch verbotene Eigenmacht gestört. Bei einer derartigen Besitzstörung muss der Besitz zwar nicht entzogen, aber entweder bedroht oder in sonstiger Weise im weitesten Sinne beeinträchtigt werden. Dies kann auch der Fall sein, wenn die Nutzung durch den Besitzer selbst nicht beeinträchtigt ist, z.B. beim Betreten eines größeren Grundstücks durch Unbefugte oder dem Parken darauf (vgl. BGHZ 181, 233 Rn. 17 = NJW 2009, 2530 [BGH 05.06.2009 - V ZR 144/08]; KG NJW-RR 1988, 780 [KG Berlin 08.03.1988 - 9 U 1788/87]; BeckOK BGB/Fritzsche, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 858 Rn. 10). Eine Besitzstörung liegt daher bereits im bloßen Betreten, Befahren u.s.w. durch unbefugte Personen, z.B. im Rahmen von Bauarbeiten (vgl. OLG Rostock OLG-NL 2001, 279), aber auch ohne konkreten Anlass (vgl. BeckOK BGB/Fritzsche, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 858 Rn. 12). So liegen die Dinge hier. Die Antragsgegnerin betrat sowohl am 24.06.2023 als auch 22.09.2023 das Grundstück der Antragsteller. Dies steht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung mit der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung hinreichenden Sicherheit fest, § 294, § 920 Abs. 2, § 936 ZPO. Die Antragsgegnerin ist dem Vorbringen der Antragsteller mit der Folge des § 138 Abs. 3 ZPO insoweit nicht entgegengetreten. Diese Besitzstörung erfolgte gegen, jedenfalls ohne den Willen der Besitzer und war auch im Übrigen rechtswidrig. Letzteres wäre nur dann nicht der Fall, wenn ein Gesetz die Störung gestattet hätte. Daran fehlt es indes. Eine gesetzliche Gestattung bzw. Duldungspflicht ergibt sich insbesondere nicht aus bloßen Duldungsansprüchen des Störers gegen den Besitzer sowie Vorschriften der Landesnachbargesetze, deren Duldungsansprüche daher ggf. im Klagewege durchgesetzt werden müssen, ehe von ihnen Gebrauch gemacht wird. Gleiches gilt für Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüche aus § 862 Abs. 1 S. 1, 2, § 1004 Abs. 1 S. 1, 2 BGB (vgl. BeckOK BGB/Fritzsche, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 858 Rn. 24). Unabhängig von der Frage, ob der Antragsgegnerin wegen der ihrerseits befürchteten Schädigung des Wurzelwerkes des auf ihrem Grundstück befindlichen Baumbewuchses überhaupt Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche zustehen, wären sie - selbst wenn sie bestünden - keine taugliche Grundlage für die von der Antragsgegnerin vorgenommenen Selbsthilfemaßnahmen. Dies erklärt sich insbesondere auch aus dem Sinn und Zweck der hier von Antragstellerseite geltend gemachten Besitzschutzansprüche. Sie sollen die Kontinuität der bestehenden Besitzlage gegen Eingriffe schützen und so den allgemeinen Rechtsfrieden wahren (vgl. BeckOGK/Götz, 1.7.2023, BGB § 861 Rn. 3). Die Besitzschutzrechte erschöpfen sich daher darin, verbotene Übergriffe rückgängig zu machen und den eigenmächtig Handelnden in die Bahnen des justizförmigen Verfahrens zur Durchsetzung seines Rechts zu zwingen (vgl. BGHZ 79, 232 = NJW 1981, 6865 (866); BeckOGK/Götz, 1.7.2023, BGB § 861 Rn. 4). Vor diesem Hintergrund hätte es der Antragsgegnerin oblegen, sich zur Durchsetzung etwaiger zivilrechtlicher Ansprüche (zivil-)gerichtlicher Hilfe zu bedienen (vgl. dazu nur Schrödter, Baugesetzbuch, BauGB § 31 Rn. 92 ff. m.w.N.) oder gegenüber den zuständigen Behörden auf ein behördliches Einschreiten - notfalls mittels verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes - hinzuwirken (vgl. dazu nur Schrödter, Baugesetzbuch, BauGB § 31 Rn. 115 f. m.w.N.).

c) Die zweimalige Besitzstörung indiziert die Wiederholungsgefahr. Dabei begründet bereits eine einzige begangene Störung die tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr, die vom Störer regelmäßig nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung zu widerlegen ist (vgl. BGH NJW 2012, 3781 [BGH 21.09.2012 - V ZR 230/11] Rn. 12 mwN; NJW 2016, 863 [BGH 18.12.2015 - V ZR 160/14] Rn. 25; AG Paderborn ZMR 2022, 320 (321); näher Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 2000, 154 ff. mwN; BeckOK BGB/Fritzsche, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 862 Rn. 5). An einer solchen fehlt es ebenso wie an sonstigen Umständen, die die Wiederholungsgefahr ausnahmsweise ausräumen könnten.

2. Die Antragsteller haben auch einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht. Dieser liegt wegen der Besonderheiten des Besitzschutzes in der Norm des § 862 Abs. 1 S. 2 BGB selbst (vgl. OLG Celle ZMR 2008, 288 (289); BeckRS 2001, 31158124; MüKoBGB/F. Schäfer, 9. Aufl. 2023, BGB § 861 Rn. 18 m.w.N.).

3. Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache steht dem Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung nicht entgegen. Wegen Besitzstörungen sind einstweilige Unterlassungsverfügungen trotz ihrer (zumindest vorübergehenden) Befriedigungswirkung zulässig (vgl. OLG Frankfurt NJW 2019, 1463 [OLG Frankfurt am Main 12.03.2019 - 2 U 3/19] Rn. 18 f.; BeckOK BGB/Fritzsche, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 862 Rn. 19).

II.

Der Ausspruch zu Ziffer 2. findet seine Rechtsgrundlage in § 890 Abs. 2 ZPO. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, § 3 ZPO.

Skeries Richter am Amtsgericht