Landgericht Oldenburg
Urt. v. 11.12.2002, Az.: 5 O 1060/01
Arbeitslosenhilfe; Ausgleichsfunktion; Aussage; Behandlung; Betreuungssituation; Genugtuungsfunktion; Glaubwürdigkeitsuntersuchung; Kind; Krankheitswert; Mädchen; Nervosität; psychische Folgen; Sachverständigengutachten; Schlafprobleme; Schmerzensgeld; sexuelle Handlung; sexueller Missbrauch; Strafverfahren; Tatfolgen ; ursächlicher Zusammenhang
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 11.12.2002
- Aktenzeichen
- 5 O 1060/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43717
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs 2 BGB
- § 847 Abs 2 BGB
- § 177 StGB
Tenor:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.000,- € zu bezahlen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 3/10, der Beklagte trägt 7/10.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags, für den Beklagten ohne Sicherheitsleistung. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Streitwert: 5.624,21 €
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen sexuellen Mißbrauchs in drei Fällen auf Schmerzensgeld in Anspruch.
Der Beklagte hatte im Zeitraum Oktober 1998 bis Juni 1999 die damals 7-jährige Klägerin, die er zusammen mit ihren jüngeren Brüdern auf Bitten der Eltern des öfteren beaufsichtigte, in drei Fällen sexuell mißbraucht durch Lecken an der Scheide, Manipulation mit den Fingern an der Scheide und Reiben seines entblößten Geschlechtsteils am Unterkörper des Mädchens. Er wandte insoweit zwar keine Gewalt an und verursachte der Klägerin keine Schmerzen, setzte sich jedoch darüber hinweg, daß das Mädchen dies, wie sie ihm zu verstehen gab, ekelig empfand. Er wurde wegen dieser Taten durch Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 25.09.2000 wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 8 Monaten verurteilt, wobei diese Freiheitsstrafe im Berufungsurteil zur Bewährung ausgesetzt wurde mit der Bewährungsauflage, 1.000,- DM an den Verein Wildwasser zu bezahlen. Da er die Taten erstinstanzlich geleugnet hatte, mußte die Klägerin auch vor Gericht aussagen und sich auf ihre Glaubwürdigkeit untersuchen lassen. Streitpunkt sind die psychischen Tatfolgen bei der Klägerin. Der Beklagte lebt von Arbeitslosenhilfe in Höhe von ca. 600,- € im Monat.
Die Klägerin trägt im wesentlichen vor, sie leide unter erhöhter Nervosität, habe Schwierigkeiten einzuschlafen, wache nachts oft auf, habe Alpträume und bekomme Angstzustände, wenn nur der Vorname des Beklagten genannt werde, und sei in ihren schulischen Leistungen extrem abgesackt, was auf die Taten zurückzuführen sei. Sie befinde sich seit Offenbarung der Taten in psychologischer Behandlung. Es handle sich um Erscheinungen mit echtem Krankheitswert.
Die Klägerin beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen.
Der Beklagte beantragt
Klagabweisung.
Er trägt im wesentlichen vor, die Klägerin habe die Geschehnisse ohne größere psychische Schäden verkraftet. Die angeblichen Probleme der Klägerin seien, so sie denn vorliegen sollten, auf ihr familiäres und schulisches Umfeld zurückzuführen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Es wurde Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf das Gutachten der Sachverständigen Dipl.-Psych. U. vom 20.06.2002 (Bl. 59 ff d.A.) Bezug genommen. Die Akten Amtsgericht Oldenburg... / Landgericht Oldenburg... wurden zu Informationszwecken beigezogen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und überwiegend auch begründet.
Der Klägerin steht bei Abwägung aller Umstände des vorliegenden Falls nach Überzeugung der Kammer ein Schmerzensgeld von 4.000,- € zu.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldanspruchs gemäß § 847 Abs. 2 BGB ist zum einen der Ausgleichsfunktion, zum anderen der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes Rechnung zu tragen. Daß und wie der Beklagte strafrechtlich verurteilt wurde, wirkt sich grundsätzlich nicht mindernd auf die Höhe des Schmerzensgeldes aus, da die strafrechtliche Sanktion den Interessen der Allgemeinheit und nicht der Genugtuung des Geschädigten dient (BGHZ 128, 117 ff.; BGH NJW 96, 1591).
Der Beklagte hat hier mehrmals über einen längeren Zeitraum hinweg unter Ausnutzung der Betreuungssituation die damals erst 7 Jahre alte Klägerin sexuell mißbraucht. Auch wenn der Beklagte der Klägerin dabei keine physischen Schmerzen zugefügt und keine Gewalt angewandt hat, handelt es sich um massive sexuelle Handlungen, die der Beklagte gegen den erkennbaren Willen des Kindes vornahm. Auch war das Kind den Belastungen einer Aussage sowohl im Ermittlungsverfahren, als auch im späteren Strafverfahren gegen den Beklagten ausgesetzt und mußte sich einer Glaubwürdigkeitsuntersuchung stellen, bei der es ebenfalls zu den Taten befragt wurde.
Daß die Klägerin noch anhaltende Folgen des Mißbrauchs davongetragen hat, denen ein Krankheitswert zukommt, kann jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht als bewiesen angesehen werden. Wie die Sachverständige U. in ihrem Gutachten überzeugend und nachvollziehbar ausführt, ergaben sich keine Hinweise auf eine massive psychische oder physische Beeinträchtigung der Klägerin. Eine tiefgreifende seelische Störung im Sinne einer Psychose oder psychischen Erkrankung konnte sie ausschließen. Die Person des Beklagten wirkt bei der Klägerin zwar immer noch angstauslösend, ein zwingender ursächlicher Zusammenhang zwischen der feststellbaren emotionalen Labilität der Klägerin, den geklagten Kopfschmerzen und Schlafstörungen und den Taten läßt sich aber nicht herstellen. Die schulischen Leistungen der Klägerin sind sowohl nach den eigenen Angaben der Klägerin bei ihrer Untersuchung, als auch nach den Angaben ihrer Mutter gegenüber der Sachverständigen nach wie vor gut.
Dessen ungeachtet hinterlassen derartige Taten tiefe Spuren in der Psyche eines Kindes und erschweren die spätere Entwicklung einer unbefangenen Beziehung zum anderen Geschlecht und zur Sexualität auch dann, wenn die Taten - hier mit psychotherapeutischer Unterstützung - ohne die Ausbildung von Symptomen mit Krankheitswert verarbeitet werden konnten.
Ein Betrag von 4.000,- € ist damit ausreichend, aber auch erforderlich, um der Schmerzensgeldfunktion gerecht zu werden. Die schlechte wirtschaftliche Situation des Beklagten wurde hierbei bereits berücksichtigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit basiert auf §§ 709, 708 Ziff. 11, 711 ZPO.