Landgericht Oldenburg
Urt. v. 22.07.2002, Az.: 5 O 278/02
Ausgleichsfunktion; Behandlung; Demütigung; Genugtuungsfunktion; Jugendliche; Nachtatverhalten; Nötigung; psychischer Schaden; Schaden; Schadensersatz; Scham; Schmerzen; Schmerzensgeld; Schmerzensgeldhöhe; sexuelle Belästigung; Strafverfahren; Vergewaltigung; Verurteilung; Widerstand
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 22.07.2002
- Aktenzeichen
- 5 O 278/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43718
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs 2 BGB
- § 847 BGB
- § 176 StGB
- § 177 StGB
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, über den mit Teilanerkenntnisurteil vom 17.6.2002 zuerkannten Betrag hinaus an die Klägerin weitere 5.000 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 7.12.2001 sowie 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus weiteren 5.000 € für die Zeit vom 7.12.2001 bis zum 23.5.2002 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus den an ihr begangenen Sexualstraftaten des Beklagten aus der Zeit vom 1.6. bis zum 4.10.2001 noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 12.000 € bis zum 16.6.2002 und auf 7.000 € ab dem 17.6.2002 festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin ist als 17jährige von dem Beklagten vergewaltigt worden. Der Beklagte hatte die Klägerin, die seit mehreren Jahren regelmäßig auf dem Ponyhof des Beklagten die Pferde reiten und versorgen durfte, schon zuvor - wie andere junge Mädchen auch - mehrfach zwischen den Beinen und am Busen angefaßt. Anfang Oktober 2001 lockte er sie in sein Auto und fuhr mit ihr in ein Waldstück. Dort verriegelte er nach den Anhalten die Autotüren, zog ihr gegen ihren Widerstand die Hose aus und vollzog auf dem Beifahrersitz, obwohl sie Widerstand leistete, gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr mit ihr. Anschließend verbot er ihr, etwas über den Vorfall zu erzählen. Noch am gleichen Tag wollte er die Klägerin veranlassen, ein Schriftstück zu unterschreiben, nach dem sie den Geschlechtsverkehr mit ihm freiwillig ausgeübt habe. Dies lehnte die Klägerin jedoch ab.
Die Klägerin trägt vor, durch die Tat habe sie neben den körperlichen Folgen einer Vergewaltigung große psychische Schäden davongetragen. Sie befinde sich deswegen nach wie vor in ärztlicher Betreuung.
Sie beantragt, nachdem auf das Teilanerkenntnis des Beklagten ein Teilanerkenntnisurteil über 5.000 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit ergangen ist, noch,
1. den Beklagten zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 4.10.2001 - abzüglich des anerkannten Anspruchs - zu zahlen,
2. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus den unerlaubten Handlungen des Beklagten (sexuelle Belästigungen und Nötigungen sowie der Vergewaltigung) aus der Zeit vom 1.6. bis zum 4.10.2001 noch entstehen werden.
Der Beklagte beantragt, soweit er den Anspruch nicht anerkannt hat,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Darstellung der Klägerin unwidersprochen gelassen, insbesondere auch die Vergewaltigung im Auto eingeräumt, behauptet aber, daß die Klägerin zuvor - sowohl bei diversen Gelegenheiten auf dem Ponyhof als auch bei der Autofahrt im Oktober 2001 - Berührungen durch den Beklagten geduldet habe, ohne zu erkennen zu geben, daß ihr diese unangenehm wären. Erst bei der Ausübung des Geschlechtsverkehrs habe die Klägerin Widerstand geleistet, wodurch dem Beklagten erst bewußt geworden sei, daß sie den Geschlechtsverkehr nicht wollte. Er ist der Ansicht, daß unter diesen Umständen ein Schmerzensgeld von 5.000 € ausreichend sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat wegen der Vergewaltigung und deren Folgen gegen den Beklagten einen Schmerzensgeldanspruch aus § 847 BGB, 176, 177 StGB in Höhe von 10.000 €.
Die Vergewaltigung selbst ist schlüssig dargetan und unstreitig. Die weiteren sexuellen Übergriffe, die in der Klage auf mindestens 10 Handlungen beziffert werden, sind allerdings nicht ausreichend substantiiert vorgetragen. Es ist nicht nachzuvollziehen, wann und wo der Beklagte an der Klägerin welche sexuellen Handlungen vorgenommen hat.
Allein die Vergewaltigung rechtfertigt aber unter Berücksichtigung der übrigen unstreitigen Tatumstände ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 €. Die Klägerin war bei Begehung der Tat erst 17 Jahre alt. Der Beklagte nutzte die Freude der Klägerin an den Ponies und am Reiten aus, die darum immer wieder den Ponyhof aufsuchte, um die Klägerin sexuell zu berühren. So war es auch an dem Tag der Vergewaltigung, als die Klägerin zum Beklagten ins Auto stieg, weil dieser angeblich nach einem Pony sehen wollte. Selbst wenn es zutrifft, daß die Klägerin die Berührungen des Beklagten nicht ausdrücklich zurückgewiesen hat, wie der Beklagte behauptet, läßt dies seine Tat nicht in einem wesentlich milderen Licht erscheinen. Denn der Beklagte konnte entgegen seinem Vortrag, er sei irrtümlich davon ausgegangen, daß die Klägerin gegen die sexuellen Berührungen nichts einzuwenden hatte und daß sie auch möglicherweise mit der Durchführung des Geschlechtsverkehrs einverstanden sein würde, hierauf nicht ernsthaft vertrauen. Er war bereits 1988 wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern verurteilt worden. Er hatte also allen Anlaß, sich über die Freiwilligkeit der Duldung von sexuellen Handlungen seinerseits zu vergewissern. Er hat auch die anderen Mädchen, die bei ihm auf dem Ponyhof ritten und die Ponies versorgten, sexuell belästigt und genötigt. Das Gericht hält daher seine Einlassung für eine reine Schutzbehauptung. Tatsächlich hat der Beklagte dann auch sofort nach Erreichen des Waldstücks die Autotüren verriegelt. Daraus kann nur geschlossen werden, daß er mit Widerstand der Klägerin rechnete.
Neben den ganz unmittelbaren Folgen einer Vergewaltigung, den Schmerzen, der Demütigung und Scham, die die Klägerin erlitten hat, hat sie auch erhebliche psychische Schäden davongetragen, deretwegen sie sich nach wie vor in ärztlicher Behandlung befindet. Die Verarbeitung des traumatischen Erlebnisses ist äußerst schwierig und noch nicht abgeschlossen. Daneben ist auch das Nachtatverhalten des Beklagten schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen.
Der eine Zweck des Schmerzensgeldes, die Genugtuung, wird durch die strafrechtliche Verfolgung allenfalls teilweise erreicht. Der andere Zweck ist der Ausgleich der durch die Tat verursachten Folgen, die - wie sich aus den Ausführungen oben ergibt - ganz erheblich sind.
Nach alledem erscheint ein Schmerzensgeld von 10.000 € keineswegs überhöht.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 ff.
Der Feststellungsantrag ist berechtigt, da weitere Komplikationen aufgrund der psychischen Schäden nicht ausgeschlossen werden können.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 92 II, 709 ZPO.