Landgericht Oldenburg
Urt. v. 27.11.2000, Az.: 13 O 2271/00
Verletzung einer Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit dem Abschluß eines Versicherungsvertrages; Aufklärungspflicht über den räumlichen Geltungsbereich einer Versicherung; Vorvertragliche Pflichtverletzung bei Abschluss einer Vollkaskoversicherung
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 27.11.2000
- Aktenzeichen
- 13 O 2271/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 33885
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:2000:1127.13O2271.00.0A
Rechtsgrundlage
- § 2 a AKB
Fundstellen
- NJW-RR 2001, 1472-1473 (Volltext mit red. LS)
- NVersZ 2001, 277-278
In dem Rechtsstreitverfahren
hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 06.11.00
durch
die Richterin ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.814,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 18.02.00 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 22.000,- DM vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert beträgt 16.814,- DM.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung einer Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit dem Abschluß eines Versicherungsvertrages.
Im Oktober 1998 beantragte der Kläger bei der Beklagten den Abschluß einer Vollkaskoversicherung für einen PkW VW Passat, Fahrzeugnumme ..., amtliches Kennzeichen .... Der Antrag wurde von dem Versicherungsagenten der Beklagten, Herrn Ording, entgegengenommen und der Vertrag abgeschlossen.
Der Kläger behauptet, am 21.12.1999 in seinem Heimatdorf ... mit dem PkW VW Passat einen Unfall erlitten zu haben. Er habe dort eine Straße befahren, als ein entgegenkommendes Fahrzeug ins Schleudern geraten und mit seinem PkW kollidiert sei. Bei Abschluß des Versicherungsvertrages, am 18.10.1998, habe er Herrn ... ausdrücklich darauf hingewiesen, mit dem PkW auch in seine Heimat, ... reisen zu wollen. Herr ... habe - unstreitig - nicht darauf hingewiesen, daß nach den Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung ... außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Versicherung liege. Bei entsprechendem Hinweis hätte er eine Erweiterung des Versicherungsschutzes beantragt oder wäre mit dem Fahrzeug nicht nach ... gereist. Nach Abzug der vereinbarten Selbstbeteiligung habe er aufgrund des Unfalls einen Schaden von - unstreitig - 16.814,- DM erlitten.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 16.814,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 17.02.00 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, Herr ... sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger über den räumlichen Geltungsbereich der Versicherung aufzuklären. Dies gelte bereits aufgrund dessen, daß dem Kläger, so behauptet sie, bekannt gewesen sei, mit seinem Fahrzeug in ... keinen Versicherungsschutz zu genießen. Die Beklagte bestreitet, daß der Kläger mit dem bei ihr vollkaskoversicherten Fahrzeug überhaupt einen Unfall erlitten hat.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluß vom 11.11.00. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Sitzungsprotokoll vom 06.11.00.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und bis auf einen Teil des Zinsanspruchs auch begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte unter dem Gesichtspunkt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 16.814,- DM.
Deren Versicherungsagent, ... hat den Kläger, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre, nicht darauf hingewiesen, daß ... vom räumlichen Geltungsbereich der Kraftfahrtversicherung nicht umfaßt ist.
Der Agent einer Versicherung ist zwar ohne besonderen Anlaß grundsätzlich nicht gehalten, sämtliche Bedingungen des Vertrages und der AVB zu besprechen. Er kann sich auf die Erläuterung der Punkte beschränken, denen nach der Verkehrsanschauung für den Abschluß des Vertrages wesentliche Bedeutung beigemessen wird. (Prölss/Martin, 26. Auflage, § 43 VVG Rn. 36). Auf den räumlichen Geltungsbereich der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung wird ohne weiteres nicht einzugehen sein.
Der Kläger hat jedoch im Zusammenhang mit dem Abschluß des Versicherungsvertrages Herr ... gegenüber zum Ausdruck gebracht, mit dem Fahrzeug auch in seine Heimat fahren zu wollen. Dies steht nach der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Zeuge ... hat glaubhaft ausgesagt, es sei zwar nie von ... die Rede gewesen, er habe aber gewußt, daß der Kläger mit dem PkW ... nach ... zu fahren beabsichtige. Für die Richtigkeit der Aussage des Zeugen spricht, daß er in sachlicher Weise bekundet hat, wie bei dem Abschluß eines Versicherungsvertrages verfahren wird. Unumwunden hat der Zeuge eingeräumt, nicht gewußt zu haben, daß Teile ..., nämlich die Gebiete östlich des ... vom räumlichen Geltungsbereich der AKB nicht umfaßt sind. Daß er um die Wahrheit bemüht war, wird darin deutlich, daß er Erinnerungslücken ohne weiteres offenbart hat. Auf das Gericht hat der Zeuge einen sehr aufgeschlossenen Eindruck gemacht. Es haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß er mit seiner Aussage eine der Parteien zu begünstigen beabsichtigte.
Zu den Belehrungspflichten des Herrn ... hätte es gezählt, den Kläger darüber aufzuklären, daß ... nur zum Teil vom räumlichen Geltungsbereich der Kraftfahrtversicherung umfaßt wird. Eine umfassende Beratung ist dann geboten und erforderlich, wenn der Versicherungsnehmer sich erkennbar falsche Vorstellungen über den Inhalt und Umfang des Versicherungsschutzes macht oder wenn der Agent aufgrund der komplizierten Regelungen der verwendeten AVB oder sonstiger Unterlagen mit der Möglichkeit von Mißverständnissen rechnen muß (Prölss/Martin, a.a.O., § 43 VVG Rn. 36). Betrachtet man den Wortlaut des § 2 a AKB. "Die Kraftfahrtversicherung gilt für Europa und für die außereuropäischen Gebiete, die zum Geltungsbereich des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gehören. ...", ist dem nicht ohne weiteres zu entnehmen, in welchen Gebieten Versicherungsschutz besteht. Insbesondere die für ... geltende Regelung - Versicherungsschutz für den Bereich nur westlich des ... ist für den Versicherungsnehmer außerordentlich kompliziert gestaltet und ohne weiteres überhaupt nicht nachvollziehbar. In einem solchen Fall ist der Versicherungsagent zu weiterer Aufklärung verpflichtet. Herr ... hätte hinterfragen müssen, in welche Region ... der Kläger reisen wolle. Auf diese Weise hätte er in Erfahrung bringen können, daß es sich um den nicht vom Versicherungsschutz umfaßten Bereich, um ..., handelte und den Kläger entsprechend aufklären müssen.
Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, Herr ... habe seinerseits von dem räumlichen Geltungsbereich der Versicherung keine Kenntnis gehabt. Eine Versicherung hat derart geschulte Mitarbeiter einzusetzen, daß die notwendige Aufklärung und Information gewährleistet ist. Die Versicherungsagenten und sonstigen Mitarbeiter müssen, wenn dies erforderlich ist, in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden. Werden sie das nicht, ist dem Versicherer ein Organisationsverschulden vorzuwerfen.
Die Beklagte hat auch nicht beweisen können, daß der Kläger seinerseits Kenntnis von dem räumlichen Geltungsbereich der Vollkaskoversicherung gehabt hat. Der Kläger hat zwar am 19.12.1999 Zusatzversicherungen für das Gebiet der russischen Föderation und der Republik ... abgeschlossen. Die Beklagte hat dem Vortrag des Klägers aber nicht widersprochen, diese Versicherungen erst unterwegs, nämlich an der Grenze, abgeschlossen zu haben, und zwar aufgrund einer dort erhobenen Forderung.
Rechtsfolge der vorvertraglichen Pflichtverletzung ist, daß die Beklagte den Kläger so zu stellen hat, wie er ohne die Pflichtverletzung stehen würde (vgl. dazu Prölss/Martin, a.a.O. § 43 VVG Rn. 40). Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, die kausale Verknüpfung zwischen Beratungsfehler und Schaden darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (Römer/Langheid, § 43 VVG Rn. 27). Die Beklagte hat dem Vortrag des Klägers nicht widersprochen, bei Aufklärung über den räumlichen Geltungsbereich der Versicherung entweder eine Zusatzversicherung abgeschlossen zu haben beziehungsweise nicht mit dem Fahrzeug nach ... gereist zu sein. In diesem Fall hätte der Kläger nicht mit dem PkW einen Unfall erlitten, für den die Beklagte nach den Allgemeinen Kraftfahrtbedingungen nicht einzustehen verpflichtet ist.
Daß der Kläger mit dem bei der Beklagten vollkaskoversicherten Fahrzeug in dem Dorf ... einen Verkehrsunfall erlitten hat, steht nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Die Bedenken der Beklagten, es handle sich bei dem in ... untersuchten Fahrzeug möglicherweise nicht um das des Klägers, haben sich als nicht berechtigt erwiesen. Der Kläger hat im Termin mehrere Lichtbilder vorgelegt, auf welchen der im Frontbereich beschädigte PkW VW Passat, ein ... Polizeiwagen und das weitere an dem Unfall beteiligte Fahrzeug zu erkennen waren. Auf einem der Fotos war ansatzweise, nämlich mit den Ziffern 687, auch das Nummernschuld des klägerischen PkW zu erkennen. Die Zeugin ... hat glaubhaft ausgesagt, bei dem VW Passat auf den Lichtbildern handle es sich um das Fahrzeug des Klägers. Die Fotos habe sie geschossen. Die Zeugin war sichtlich um die Wahrheit bemüht. Sie hat, offenbar um nicht falsch auszusagen, zunächst sehr zögerlich und zurückhaltend die Fragen beantwortet, dann aber unter Vorlage der Lichtbilder eine deutliche und nachvollziehbare Aussage gemacht. Es haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die Zeugin ausschließlich daran interessiert war, eine für den Kläger, ihren Ehemann, günstige Aussage zu machen.
Der Fahrzeugschaden beläuft sich unstreitig auf 17.464,- DM. Abzüglich der Selbstbeteiligung in Höhe von 650,- DM ergibt sich der zuerkannte Betrag. Die Beklagte hat zwar vorgetragen, der Kläger habe bei Abschluß einer Zusatzversicherung eine erheblich höhere Prämie zahlen müssen. Einen konkreten Betrag hat sie jedoch nicht genannt. Eine Reduzierung des Schadens unter diesem Gesichtspunkt kommt deswegen nicht in Betracht.
Der Zinsanpruch beruht auf § 284, 285, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befindet sich seit dem 18.02.00 im Zahlungsverzug. Einer Mahnung bedurfte es nicht, da mit Schreiben vom 17.02.00 die Leistung aus der Vollkaskoversicherung ernsthaft und endgültig verweigert wurde. Zinsen konnten im Hinblick auf § 187 Abs. 1 BGB erst seit dem 18.02.00 zugesprochen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO.
Das Vorbringen der Beklagten in dem Schriftsatz vom 06.11.00 konnte, da nicht nachgelassen, nicht mehr berücksichtigt werden. Es bestand kein Grund, die mündliche Verhandlung gem. § 156 ZPO wiederzueröffnen.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert beträgt 16.814,- DM.