Landgericht Verden
Beschl. v. 29.09.2006, Az.: 6 T 192/06

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
29.09.2006
Aktenzeichen
6 T 192/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 43743
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGVERDN:2006:0929.6T192.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Achim - 05.05.2006 - AZ: 9 M 1370/05

In der Beschwerdesache

...

hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Verden am 29.09.2006 durch die Richterin am Landgericht ... als Einzelrichterin beschlossen:

Tenor:

  1. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Achim vom 05.05.2006 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

  2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

  3. Beschwerdewert: 1 500,- €

Gründe

1

I.

Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde des Notars ... vom 28.02.1992 wegen einer Forderung in Höhe von 357 157,30 €. Nachdem die Mobiliarzwangsvollstreckung fruchtlos verlaufen war und im Verfahren zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bereits am 06.07.2004 ein Haftbefehl durch das Amtsgericht Achim (9 M 535/04) ergangen war, setzte der Gerichtsvollzieher am 12.12.2005 erneuten Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung auf den 20.12.2005 fest. Die Schuldnerin beantragte daraufhin, im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 765a ZPO die Abnahme zu untersagen und den Haftbefehl aufzuheben. Sie wies darauf hin, dass sie sich seit November 2003 in nervenärztlicher Behandlung befinde und aufgrund ihres Krankheitsbildes zu befürchten sei, dass sich ihr Gesundheitszustand verschlechtere. Es bestehe insofern akute Suizidgefahr. Sie stützte sich auf ein Attest ihres Arztes ... vom 15.12.2005 (Bl. 5 d.A.).

2

Das Amtsgericht stellte die Anordnung zur Abnahme durch Beschluss vom 20.12.2005 einstweilen ein. Die Gläubigerin beantragte, den Antrag der Schuldnerin zurückzuweisen. Diese versuche seit Jahren ebenso wie ihr Ehemann, alle Vollstreckungsmaßnahmen mit fadenscheinigen Begründungen zu stören. Dazu gehöre auch die Behauptung einer Suizidgefahr. Das Amtsgericht holte das Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie ... vom 16.03.2006 (Bl. 20 - 24 d.A.) ein. Dem trat die Schuldnerin durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ihres Arztes ... vom 18.04.2006 entgegen.

3

Durch Beschluss vom 05.05.2006 wies das Amtsgericht den Antrag der Schuldnerin auf Vollstreckungsschutz zurück und lehnte die begehrte Prozesskostenhilfe ab. Dagegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 18.05.2006. Darin nimmt sich Bezug auf das fachärztliche Attest des Herrn Dr. ... vom 17.05.2006 (Bl. 47-48 d.A.). Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab und legte die Akten mit seinem Nichtabhilfebeschluss vom 19.05.2006 dem Landgericht zur Entscheidung vor, wo das Verfahren zunächst bei einer unzuständigen Kammer lief, bis es am 31.08.2006 von der hiesigen Kammer übernommen wurde. Durch Beschluss vom 08.09.2006 wurde die Zwangsvollstreckung bis zur endgültigen Entscheidung über die Beschwerde eingestellt. Die Sachverständige ... wurde um eine ergänzende Stellungnahme gebeten, zu der sie sich nicht in der Lage sah (Bl. 79 d.A.). Die Schuldnerin regte an, das Gutachten eines weiteren Facharztes einzuholen.

4

II.

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist gemäß § 793 ZPO zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

5

Zu Recht hat das Amtsgericht den Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765a ZPO auf einstweilige Einstellung der Anordnung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung abgelehnt. Nach dieser Vorschrift kann Vollstreckungsschutz nur dann gewährt werden, wenn die Zwangsvollstreckungsmaßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände für den Schuldner eine Härte darstellte, welche mit den guten Sitten nicht mehr vereinbar wäre. § 765a ZPO ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und kommt deshalb nach ständiger Rechtsprechung nur dann zur Anwendung, wenn die Zwangsvollstreckungsmaßnahme nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde (vgl. BGH NJW 2004, 3635 f.; WM 2005, 288 f.). Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kommt es daher sehr wohl auch auf die Belange der Gläubigerin an, welche gegen das Schutzbedürfnis der Schuldnerin abzuwägen sind.

6

Auf Seiten der Schuldnerin ist ihr unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienendes Interesse und damit ihr Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berührt. Nach dem Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie ... besteht bei der Schuldnerin eine erhöhte Suizidgefahr. Sie habe bereits im Jahre 1990 eine psychische Störung entwickelt, welche jedoch durch eine vierjährige stationäre und ambulante Therapie erfolgreich behandelt worden sei. Nach dem Untergang der Firma ihres Ehemannes sei es 1998 zu einem neuerlichen gesundheitlichen Einbruch gekommen. Frau ... sei psychisch instabil, so dass in Stresssituationen suizidale Gedanken und Handlungen nicht auszuschließen seien. Zusätzlich habe sich in den letzten Jahren eine unbehandelte Suchterkrankung entwickelt, welche die psychische Erkrankung in ihrem Ausmaß verstärke. Aufgrund dieser Kombination bestehe in Stresssituationen, zu denen auch Vollstreckungsmaßnahmen gehörten, eine Suizidgefahr, weil diese erfahrungsgemäß bei Personen mit psychischer Erkrankung in Verbindung mit einer Alkoholkrankheit stets deutlich höher sei als bei psychisch Gesunden. Die Suizidgefahr sei jedoch nur latent vorhanden und habe sich seit der letzten Untersuchung im Februar 2004 nicht erhöht. Seit Ende 2003 habe es den Angaben der Frau ... zufolge keinen Suizidversuch mehr gegeben, obgleich sie die verschiedensten Stresssituationen zu bewältigen gehabt habe. Eine konkrete Suizidgefahr besteht danach nicht. Diese lässt sich auch nicht den ärztlichen Stellungnahmen des Herrn ... und des Herrn ... entnehmen. Diese stimmen weitestgehend mit der Sachverständigen ... überein, wobei dahingestellt bleiben kann, ob der von der Schuldnerin eigenen Angaben zufolge täglich betriebene übermäßige Alkoholkonsum bereits die Diagnose einer Alkoholkrankheit rechtfertigt. Allein in der Risikobewertung, ob die Suizidgefahr durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erhöht werde, gehen die Auffassungen der Ärzte auseinander.

7

Dies macht es jedoch nicht erforderlich, ein weiteres ärztliches Gutachten einzuholen. Das Gutachten der Frau ... liegt erst wenige Monate zurück. Dass sich in der Zwischenzeit der Gesundheitszustand der Schuldnerin geändert hat und nunmehr eine konkrete Suizidgefahr vorliegt, wird von ihr nicht behauptet. Soweit es die Frage der Risikobewertung betrifft, wird zu keinem Zeitpunkt eine eindeutige Aussage darüber, ob eine konkret bevorstehende Zwangsvollstreckungsmaßnahme die Schuldnerin in Todesgefahr bringe, möglich sein. Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Fälle der vorliegenden Art dadurch geprägt seien, dass bei entsprechender Veranlagung des Schuldners eine Suizidneigung in unterschiedlichen Verfahrensabschnitten mehr oder weniger stark ausgeprägt sei. Es handele sich um ein dynamisches Geschehen, bei dem der Grad der Gefahr je nach dem Untersuchungs- und Beurteilungszeitpunkt von den Fachärzten unterschiedlich bewertet werde. Es werde deshalb vielfach vom Zufall, nämlich der von zeitlich begrenzten Umständen geprägten Einschätzung abhängen, ob der Schuldner durch die staatliche Zwangsmaßnahme in Todesgefahr gerate oder nicht (vgl. BGH NJW 2006, 505 ff.).

8

Nach Auffassung des BGH, der die Kammer sich anschließt, kann jedoch selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr (also erst recht bei latenter Gefahr,) für das Leben des Schuldners verbunden ist, eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme nicht ohne weiteres eingestellt werden. Erforderlich ist stets eine Abwägung der - in solchen Fällen besonders gewichtigen - Interessen des Schuldners mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch der Gläubiger sich auf Grundrechte berufen kann. Unterbleibt die Vollstreckung wegen der Annahme einer nur auf Wahrscheinlichkeitsprognosen beruhenden Suizidgefahr, wird in das Grundrecht des Gläubigers auf Schutz seines Eigentums eingegriffen (Art. 14 Abs. 1 GG). Der Staat hat jedoch die Pflicht, ordnungsgemäß titulierte Ansprüche notfalls mit Zwang durchzusetzen und dem Gläubiger zu seinem Recht zu verhelfen (vgl. BGH NJW 2005, 1859 ff.). Selbst bei konkreter Suizidgefahr ist daher zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung begegnet werden kann. Dazu gehören neben der Art und Weise der Vollstreckung auch eine mögliche Ingewahrsamnahme des Suizidgefährdeten oder dessen Unterbringung nach PsychKG. Vor allem ist aber der Schuldner selbst gehalten, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Risiken, die für ihn im Falle der Vollstreckung bestehen, zu minimieren. Es kann ihm deshalb zugemutet werden, fachliche Hilfe - gegebenenfalls auch durch einen stationären Klinikaufenthalt - in Anspruch zu nehmen (vgl. BGH NJW 2005, 1859 ff.).

9

Dieser Mitwirkungspflicht ist die Schuldnerin nicht nachgekommen. Im fachärztlichen Gutachten der Frau ... heißt es, dass bereits der Nervenarzt der Schuldnerin angeraten habe, nochmals eine Psychotherapie durchführen zu lassen, was die Schuldnerin jedoch ablehne. Die Schuldnerin hat auch wegen ihrer Suchtproblematik bisher nichts unternommen. Wenn sie selbst nicht bereit ist, an den psychischen Ursachen ihrer erhöhten Suizidgefahr zu arbeiten, fällt die Interessenabwägung zu ihren Lasten aus. Die Gläubigerin versucht seit Jahren erfolglos wegen einer Forderung in der Größenordnung von über 350 000,- € zu vollstrecken. Der Eingriff, welcher der Schuldnerin jetzt bevorsteht, nämlich die schlichte Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, ist beispielweise mit dem Eingriff, der im Falle der Zwangsräumung eines vom Schuldner bewohnten Hauses zu verkraften wäre, nicht zu vergleichen. Selbst für diese Fälle des unmittelbar drohenden Verlustes des Lebensmittelpunktes hat der Bundesgerichtshof die oben genannten Grundsätze aufgestellt. Umso mehr gelten sie im vorliegenden Fall.

10

Deshalb war die sofortige Beschwerde zurückzuweisen, auch soweit sie sich gegen die zu Recht erfolgte Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe richtet.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

12

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO angesichts der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vorliegen.

13

Der Beschwerdewert wurde gemäß §§ 131 Abs. 2, 30 KostO i.V.m. § 25 Abs. 1 Nr. 4 RVG festgesetzt.