Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 26.05.2003, Az.: 3 A 1262/02
Anrechnung; Ausbildungszeiten; Beamter; betriebliche Altersvorsorge; Betriebsrente; Ermessensfehler; Ermessensfehlgebrauch; Gesamtversorgung; Höchstgrenze; Ruhegehalt; Versorgungsbezüge; Vordienstzeiten
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 26.05.2003
- Aktenzeichen
- 3 A 1262/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48118
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 1 BeamtVG
- § 11 BeamtVG
- § 12 Abs 1 BeamtVG
- § 55 BeamtVG
- § 28 BBesG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Allein die Gewährung einer betrieblichen Altersversorgung ( hier: Betriebsrente nach der VersOPost ) steht der Anrechnung von ruhegehaltfähigen Vordienstzeiten im Sinne des § 12 BeamtVG nicht entgegen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt eine weitere Anrechnung ruhegehaltfähiger Vordienstzeiten.
Der 1944 geborene Kläger war Beamter bei der Beklagten. Zuletzt hatte er Bezüge nach der Besoldungsgruppe A 16 bezogen. Ab dem 01.01.1996 war der Kläger als Beamter beurlaubt. Ab diesem Zeitpunkt war er bei der Beklagten, zu diesem Zeitpunkt bereits ein privatrechtliches Unternehmen, aufgrund eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages beschäftigt. Mit Ablauf des Monats November 2001 wurde der Kläger wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Seit dem 01.12.2001 erhält er Versorgungsbezüge nach dem BeamtVG. Daneben erhält er aufgrund seiner privatrechtlichen Tätigkeit von der Beklagten eine Betriebsrente für Führungskräfte nach den Bestimmungen der Versorgungsordnung für Leitende Angestellte der Beklagten ( VersOPost ) in Höhe von 259,22 € = 507,- DM monatlich.
Mit Schreiben vom 23.11.2001 hatte der Kläger bei der Beklagten die Anrechnung seiner nach Vollendung des 17. Lebensjahres durchlaufenen Ausbildungszeiten als ruhegehaltfähige Vordienstzeit auf der Grundlage des § 12 BeamtVG beantragt. In dem angegriffenen Bescheid der Beklagten vom 10.01.2002, mit dem das Ruhegehalt des Klägers festgesetzt wurde, wurden als Vordienstzeiten lediglich 2 Jahre berücksichtigt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sich aus den allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu den §§ 12,11 BeamtVG ergebe, dass im Fall des Bezuges einer zusätzlichen betrieblichen Altersversorgung Vordienstzeiten nur insoweit anerkannt werden könnten, als die in § 55 BeamtVG bezeichnete Höchstgrenze für die Gesamtversorgung nicht überschritten werde. Insoweit habe hier lediglich ein Teil der Ausbildungszeiten in die Berechnung einfließen können.
Hiergegen erhob der Kläger fristgerecht Widerspruch. Mit Schreiben vom 21.03.2002 wurde der Widerspruch damit begründet, dass eine Anrechnung der Betriebsrente nicht erfolgen könne. Aus dem geschlossenen Arbeitsvertrag ergebe sich, dass ein Anspruch auf diese Rente dem Grunde und der Höhe nach bestehe. Zudem habe die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Betriebsrente die 2. Säule der Altersversorgung sei. Diese Vereinbarung bzw. Auskunft könne nicht auf der Grundlage einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift umgangen werden. Der so begründete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.06.2002 unter Wiederholung und Vertiefung der Erwägungen aus dem Ausgangsbescheid zurückgewiesen.
Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage. Der Kläger vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend macht er geltend, dass er bei seiner Dienstzeit nach dem vollendeten 17. Lebensjahr ein Ruhegehalt mit dem Höchstsatz von 75% beanspruchen könne. Zudem könne eine Anrechnung der Betriebsrente auf der Grundlage des § 55 BeamtVG nicht erfolgen, denn diese Rente unterfalle nicht der genannten Vorschrift. Über den Wortlaut der Vorschrift hinaus könne eine Anrechnung auch nicht auf der Grundlage einer Verwaltungsvorschrift erfolgen. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift erforderten eine Anrechnung nicht, weil eine mit dieser Vorschrift zu vermeidende Doppelversorgung nicht bestehe. Schließlich sei ihm, dem Kläger, einerseits durch Vertreter der Beklagten mitgeteilt worden, dass die betriebliche Altersversorgung einen Ausgleich für nicht mehr erfolgte Beförderungen darstelle, andererseits sei ein Hinweis auf eine Anrechnung nicht erfolgt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Ruhegehalt unter Berücksichtigung von ruhegehaltsfähigen Vordienstzeiten im Umfang von weiteren 3 Jahren und 183 Tagen zu gewähren und den Bescheid der Beklagten vom 10.01.2002 und ihren Widerspruchsbescheid vom 13.06.2002 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf die Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden. Ergänzend stellt sie klar, dass es hier nicht um eine Anrechnung der betrieblichen Altersversorgung gehe, die nicht unter den Begriff der Renten im Sinne des § 55 BeamtVG falle. Dementsprechend werde die Rente in voller Höhe gezahlt. Dies gelte auch für das Ruhegehalt. Lediglich zusätzliche Ausbildungszeiten, deren Anerkennung zu einer Erhöhung des Ruhegehaltes führen würden, seien auf der Grundlage der maßgeblichen Verwaltungsvorschriften, an die auch die Beklagte gebunden sei, nicht berücksichtigt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat Erfolg. Die ergangenen Bescheide erweisen sich als rechtswidrig und verletzen den Kläger daher in seinen Rechten, so dass sie aufzuheben waren; darüber hinausgehend hat der Kläger einen Anspruch auf Anrechnung weiterer ruhegehaltsfähiger Vordienstzeiten in dem von ihm geltend gemachten zeitlichen Umfang ( vgl. § 113 Abs. 5 VwGO ).
Rechtsgrundlage für die begehrte Anrechnung weiterer Vordienstzeiten ist § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BeamtVG. Nach dieser Vorschrift kann die nach Vollendung des 17. Lebensjahres verbrachte Mindestzeit der außer der allgemeinen Schulbildung vorgeschriebenen Ausbildung als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden.
Vorab ist klarzustellen, dass , wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, der im Antrag genannte Zeitraum nicht aus weiteren in § 12 BeamtVG liegenden Gründen nicht anrechnungsfähig wäre; insoweit hat die Beklagte weder Gründe über Art und Inhalt der Ausbildung bzw. über Art und Inhalt der dienstlichen Tätigkeit des Klägers gemacht, auch im Rahmen des Ermessens hat die Beklagte sich ausdrücklich allein auf die streitige Frage der gleichzeitigen Rentengewährung berufen. Zudem ergibt sich bereits aus der am 09.01.2002 von der Beklagten aufgestellten Berechnung ( Bl. 403 BA A ), dass die nicht berücksichtigte Ausbildungszeit anrechnungsfähig ist, wie auch die Anrechnung jedenfalls von bisher 2 Jahren zeigt; im übrigen haben die Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass ohne die gewährte Betriebsrente die volle Ausbildungszeit angerechnet worden wäre.
Ausgehend von den zu den §§ 11, 12 BeamtVG ergangenen Verwaltungsvorschriften
( VwVen ) hat die Beklagte den Antrag des Klägers inhaltlich und rechnerisch zutreffend abgelehnt.
Ziffer 12.0.2 der VwVen zu § 12 BeamtVG verweist, wie die Beklagte zutreffend vorträgt, auf die VwVen zu § 11 BeamtVG, Teilziffern 11.0.5 bis 11.0.10, die für die Berücksichtigung von Zeiten nach § 12 BeamtVG im Falle einer Rentengewährung entsprechend gelten. Ziffer 11.0.5 VwV in entsprechender Anwendung sieht vor, dass eine Anrechnung gemäß § 12 BeamtVG in Fällen “in denen das Beamtenverhältnis vor dem 01.01.1966 begründet worden ist oder in denen Versorgungsleistungen im Sinne der Tz. 11.0.10 Satz 2 bezogen werden“, nur teilweise oder gar nicht erfolgen kann, „wenn sich durch ihre Berücksichtigung eine höhere Gesamtversorgung ( beamtenrechtliche Versorgung zuzüglich Rente ) als die in § 55 bezeichnete Höchstgrenze ergeben würde.“ Ziffer 11.0.10 Satz 2 sieht vor, dass - neben den im Rahmen des § 55 BeamtVG zu berücksichtigenden Renten und Geldleistungen, Satz 1 - auch andere Versorgungsleistungen, “z.B. Leistungen aus den betrieblichen Altersversorgungen“ zu berücksichtigen sind. In Anwendung dieser Bestimmungen war dem Antrag des Klägers auf Anrechnung weiterer Zeiten nicht zu entsprechen.
Dies erweist sich dennoch als fehlerhaft, denn die zitierten VwVen tragen diese Betrachtungsweise nicht. Das BVerwG hat in seiner Entscheidung vom 24.09.1987 ( 2 C 52/86, BVerwGE 78, 122 ) ausgeführt:
„Die amtsgemäße Versorgung steht einem Ruhestandsbeamten grundsätzlich unabhängig von anderen Einkommensquellen zu. Eine Entscheidung des Gesetzgebers dahin, daß aus sachgerechten Gründen bestimmte anderweitige Einkommen im bestimmten Umfang auf die Beamtenversorgung angerechnet werden sollen, kann nur angenommen werden, wenn sie sich aus dem Gesetz klar und eindeutig ergibt (vgl. BVerwGE 74, 285 (286)).“
Dieser Grundsatz - in jenem Verfahren ging es um die Frage, ob nicht nur eine VBL-Rente, sondern auch eine solche in Form einer Kapitalabfindung im Rahmen des § 55 BeamtVG anzurechnen ist - gilt für den gesamten Bereich der Beamtenversorgung, mithin auch für die Frage der Berücksichtigung von Vordienstzeiten; er ergibt sich aus § 3 Abs. 1 BeamtVG. Dementsprechend kann auch im Rahmen der Ermessensausübung im Sinne des § 12 BeamtVG jedenfalls nicht auf VwVen abgestellt werden, die gesetzlichen Bestimmungen zuwiderlaufen. Das ist hier der Fall. Die gewährte Betriebsrente stellt eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung dar ( vgl. § 2 Abs. 2 VersO Post ) und unterfällt damit, wie die Beklagte zutreffend im Schriftsatz vom 28.01.2003 ( Seite 2 ) erwähnt, einerseits nicht dem Regelungsbereich des § 55 BeamtVG ( vgl. hierzu BVerfGE 76, 256 [BVerfG 30.09.1987 - 2 BvR 933/82], Leitsatz 3 ). Dementsprechend findet eine Anrechnung der Betriebsrente hier auch nicht statt. Andererseits sind, wie eingangs erwähnt, keine durchgreifenden rechtlichen Gesichtspunkte ersichtlich, die - ohne die Gewährung der Rente - gegen eine Berücksichtigung der Vordienstzeiten sprechen. Vielmehr wären die Vordienstzeiten, wie ihre jedenfalls teilweise Berücksichtigung belegt, in vollem Umfang anzurechnen, denn die teilweise Versagung der Anrechnung beruht allein auf einem Vergleich mit einer fiktiven, aber in Anwendung des § 55 BeamtVG ermittelten Höchstgrenze. Darin liegt nicht nur ein Wertungswiderspruch, sondern der in § 55 BeamtVG manifestierte Wille des Gesetzgebers, Betriebsrenten nicht zu berücksichtigen, wird durch eine untergesetzliche Vorschrift unterlaufen, weil de facto die an sich gebotene, hier aber nicht vorgenommene Berücksichtigung der Vordienstzeiten allein mit dem Argument des Rentenbezugs nichts anderes ist als eine Anwendung der Ruhensregelung auf die Betriebsrente, die das Gesetz gerade auch mit der Erwägung, eine doppelte Belastung öffentlicher Kassen zu vermeiden, nicht vorsieht.
Demgegenüber kann sich die Beklagte auch nicht auf die von ihren Prozessvertretern in der mündlichen Verhandlung angesprochene Entscheidung des OVG Münster ( vom 21.10.1994, 1 A 1668/90, abgedruckt bei Schütz, BeamtR, ES/C III, 1.3 Nr. 19 ) berufen, selbst wenn damit inhaltlich durch Bezugnahme auf die dortigen Entscheidungsgründe die Ergänzung der Ermessenserwägungen, zulässig nach § 114 S. 2 VwGO, beabsichtigt gewesen sein sollte. Insoweit läge ein Ermessensfehlgebrauch vor. Das OVG Münster hat in der erwähnten Entscheidung die Ablehnung einer weiteren Anrechnung von Vordienstzeiten aufgrund der Ermessenserwägung, dass Beamte mit Ansprüchen aus unterschiedlichen Sicherungssystemen nicht besser gestellt werden dürften als „Nur-Beamte“, für gerechtfertigt gehalten. Dieser Auffassung ist jedenfalls in dieser Absolutheit nicht zu folgen, denn allein die Tatsache, dass der Beamte aus unterschiedlichen Versorgungssystemen Ansprüche hat, führt nicht notwendigerweise zu seiner finanziellen Besserstellung im Verhältnis zu dem Beamten, der „nur“ seinen Dienst versehen und damit nur Ansprüche auf Versorgung nach den Vorschriften des BeamtVG erworben hat. Dies ergibt sich aus dem Zusammenwirken der Vorschriften des § 28 BBesG und § 6 BeamtVG. Aus diesen Vorschriften ist herzuleiten, dass insbesondere Zeiten einer Beurlaubung ohne Dienstbezüge, was für den Kläger vom 01.01.1996 bis zum 31.10.2001 der Fall war, nicht zum Erwerb von Anwartschaften auf Versorgungsbezüge führen. Damit ist die als maßgebliche Erwägung angeführte Besserstellung im Grundsatz ausgeschlossen, weil die unterschiedlichen Zeitabschnitte in unterschiedlichen Versorgungssystemen „zu Buche schlagen“. Für die Zeit einer Beurlaubung ohne Bezüge kann es zu einer Besserstellung nur im Fall des § 6 Abs. 1 Nr. 5 BeamtVG kommen. Wenn die Voraussetzungen für die nach dieser Vorschrift zu treffende Ermessensentscheidung - der Kammer ist bekannt, dass die Norm im Zuge gewollter Privatisierungsmaßnahmen durchaus großzügig ausgelegt wurde - tatsächlich vorgelegen haben, ist es jedoch der Wille des Gesetzgebers gewesen, eine Besserstellung in Kauf zu nehmen; dieser Wille des Gesetzgebers steht einer Ermessensausübung im Rahmen der hier interessierenden Frage der Anrechnung von Vordienstzeiten gegen deren Berücksichtigung entgegen. Sollten die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 5 BeamtVG nicht vorgelegen haben, so stellte sich die Versagung der Anrechnung - jedenfalls finanziell gesehen - gleichsam als Heilung von fehlerhaften Entscheidungen im Bereich der Festsetzung der regelmäßigen ruhegehaltfähigen Dienstzeit dar. Zu diesem Zweck wird die Ausübung des Ermessens in § 12 BeamtVG jedoch nicht eröffnet.