Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 21.05.2003, Az.: 6 A 1283/01

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
21.05.2003
Aktenzeichen
6 A 1283/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 40819
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2003:0521.6A1283.01.0A

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen die Neufestsetzung eines Abwasserbeitrages.

2

Er ist Eigentümer des Grundstücks Huxfelder Str. 5 in F. mit der Flurstücksbezeichnung 327/8 der Flur 2, Gemarkung G., zur Größe von 2.958 m2. Das mit einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück, das an den in der Huxfelder Straße verlaufenden Schmutzwasserkanal angeschlossen ist, befindet sich im Geltungsbereich des am 7. August 1996 in Kraft getretenen Bebauungsplans Nr. 27 "Baugebiet Huxfeld -Nord" der Gemeinde F.. Der Bebauungsplan trifft für das Grundstück des Klägers die Festsetzungen Mischgebiet, offene Bauweise, 1 Vollgeschoss, Grundflächenzahl 0,3. Auf dem Grundstück sind ferner zwei Obstflächen ausgewiesen, die als erhaltenswerte Flächen eingestuft sind. Das Wohnhaus des Klägers befindet sich innerhalb eines durch Baugrenzen bestimmten 14 m x 14 m großen Quadrats. Ferner ist parallel zur Huxfelder Straße eine Teilfläche des Grundstücks für Nutzungsbeschränkungen oder für Vorkehrungen zum Schutz gegen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Immissionsschutzrechts vorgesehen.

3

Nördlich des klägerischen Grundstücks erstrecken sich unbebaute Flächen.

4

Mit Bescheid vom 17. Januar 1995 zog die damals zuständige Gemeinde F. den Kläger zu einem Kanalbaubeitrag in Höhe von 3.741,00 DM heran. Der Berechnung dieses Beitrages lag eine Außenbereichslage und eine Beitragsfläche von 435 m2 zugrunde.

5

Unter dem 12. April 2000 stellte der Beklagte dem Kläger für die Herstellung der zentralen Abwasseranlage unter Anrechnung des mit Bescheid vom 17. Januar 1995 festgesetzten Beitrages in Höhe von 3.741,00 DM einen Baukostenzuschuss in Höhe von 21.697,80 DM in Rechnung. Für die Berechnung des Baukostenzuschusses brachte der Beklagte die gesamte Fläche von 2.985,00 m2 sowie jeweils einen Betrag von 4,60 DM/m2 und 4,00 DM/m2 in Ansatz, so dass sich der Baukostenzuschuss auf insgesamt 25.438,80 DM belief. Zur Begründung wies der Beklagte darauf hin, die Einbeziehung des Grundstücks in den Bebauungsplan führe zur Neufestsetzung des Anschlussbeitrages für den Schmutzwasseranschluss.

6

Dagegen wandte sich der Kläger mit Widerspruch vom 5. Mai 2000, den er damit begründete, dass aufgrund der Festsetzungen im Bebauungsplan lediglich eine Fläche von 196 m2 bebaubar sei. Bei Beachtung der im Bebauungsplan festgesetzten Grundflächenzahl von 0,3 benötige man für eine Bebauung eine Grundstücksfläche von 653,33 m2, die die bevorteilte und damit zu veranlagende Fläche darstelle. Berücksichtige man die bereits veranlagte Teilfläche von 435 m2, verbleibe nur eine weitere Veranlagungsfläche von 218,33 m2, die bei einem Beitragssatz von 8,60 DM einen Kanalbaubeitrag in Höhe von 1.877,67 DM ergebe. Eine weitergehende Veranlagung sei dagegen nicht möglich. Der Bebauungsplan der Gemeinde F. sei bezogen auf das klägerische Grundstück nichtig, denn insoweit lägen in sich widersprüchliche, nicht aufeinander abgestimmte Festsetzungen vor. Der Bebauungsplan setze für das rund 3.000 m2 große Grundstück eine GRZ von 0,3 fest, sehe aber andererseits lediglich eine Baufläche von nur 14 m x 14 m vor. Die Gemeinde müsse aber so planen, dass die Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche auf die anderen Regelungen des Bebauungsplanes abgestimmt seien. Wegen ihres wechselseitigen Zusammenwirkens dürften sich die entsprechenden Festsetzungen des Bebauungsplans nicht in der Weise widersprechen, dass die eine Regelung die Ausnutzbarkeit der anderen weitgehend verhindere. Bei einem Bebauungsplan, der - wie vorliegend - die überbaubare Fläche so bemesse, dass ein nennenswerter Teil des zugelassenen Nutzungsmaßes nicht ausgenutzt werden könne, seien zumindest diese beiden Festsetzungen nichtig.

7

Zudem sei die sachliche Beitragspflicht bereits mit dem Bescheid vom 17. Januar 1995 entstanden gewesen, so dass eine Nachveranlagung wegen der erst deutlich später erfolgten Überplanung nicht mehr möglich sei.

8

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. September 2001, zugestellt am 21. September 2001, wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers unter Hinweis darauf zurück, dass durch die Einbeziehung des klägerischen Grundstücks in den Bebauungsplan eine andere Nutzungsmöglichkeit gegeben sei, die die vorgenommene Veranlagung rechtfertige.

9

Dagegen hat der Kläger mit einem am 28. September 2001 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben, mit der er unter Vertiefung seines Vorbringens im Widerspruchsverfahren darauf verweist, dass sich aufgrund der im Bebauungsplan festgesetzten Baulinien eine GRZ von 0,3 nicht annähernd erreichen lasse, sondern maximal eine solche von 0,065. Da der Bebauungsplan mithin in Bezug auf das veranlagte Grundstück des Klägers nichtig sei, sei das Grundstück weiterhin als unbeplantes Außenbereichsgrundstück zu behandeln. Die sich daraus errechnenden Beiträge seien aber bereits mit Bescheid vom 17. Januar 1995 festgesetzt und beglichen worden. Das Gericht könne den Bebauungsplan im vorliegenden Verfahren einer Inzidentkontrolle unterziehen und für nichtig ansehen.

10

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 12. April 2000 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 20. September 2001 aufzuheben.

11

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Er ist der Auffassung, dass der Kläger verkenne, dass die Veranlagung seines Grundstücks mit Bescheid vom 17. Januar 1995 der angefochtenen Veranlagung nicht entgegenstehe. Zum damaligen Zeitpunkt habe das Grundstück im Außenbereich gelegen und habe nur deshalb zu einem Kanalbaubeitrag herangezogen werden können, weil das Grundstück bebaut und tatsächlich an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen gewesen sei. Damals sei lediglich die tatsächlich angeschlossene Teilfläche des Grundstücks zu einem Kanalbaubeitrag herangezogen worden. Nach Inkrafttreten des von der Gemeinde F. beschlossenen Bebauungsplans habe das gesamte Grundstück mit der Folge Baulandqualität erlangt, dass auch für die bislang nicht herangezogene Grundstücksfläche die sachliche Beitragspflicht entstanden sei. Gründe, die die Nichtigkeit des Bebauungsplans begründen würden, seien nicht ersichtlich und seien auch vom Kläger nicht substantiiert vorgetragen worden.

13

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Ferner hat dem Gericht der Bebauungsplan der Gemeinde F. Nr. 27 "Baugebiet Huxfeld - Nord" vorgelegen.

Gründe

14

Die zulässige Klage hat Erfolg.

15

Auch wenn das Schreiben des Beklagten vom 12. April 2000 aufgrund seiner Bezeichnung als Rechnung für die Herstellung des Schmutzwasseranschlusses für das Grundstück den Eindruck einer privatrechtlichen Forderung erweckt, ist der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet. Danach ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.

16

Ob ein Rechtsanspruch als öffentlich-rechtlich oder als privatrechtlich zu beurteilen ist, richtet sich nach der Natur des behaupteten Rechtsverhältnisses, aus dem er hergeleitet wird. Öffentlich-rechtlich sind Ansprüche, wenn sie sich als Folge eines Sachverhalts darstellen, der nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist. Entscheidend ist die wirkliche Natur des behaupteten Anspruchs und nicht, ob er von demjenigen, der sich auf ihn beruft, dem öffentlichen oder dem privaten Recht zugeordnet wird (OVG Schleswig, Beschluss vom 18. März 2002 - 2 O 15/02 - NVwZ - RR 2002, 793).

17

Im vorliegenden Fall gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass der Beklagte mit dem Schreiben vom 12. April 2000 einen Abwasserbeitrag (Anschlussbeitrag) geltend machen wollte. Die Erhebung des Abwasserbeitrages gründet sich auf § 6 des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes - NKAG -. Da es sich dabei um eine Vorschrift handelt, die dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist, ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.

18

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 12. April 2000 und der Widerspruchsbescheid vom 20. September 2001 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Denn die sachliche Beitragspflicht als Grundlage für die Festsetzung des Abwasserbeitrages mit Bescheid vom 12. April 2000 ist nicht entstanden.

19

§ 6 Abs. 6 Satz 1 NKAG sieht insoweit vor, dass die Beitragspflicht "mit der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme" entsteht.

20

Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen OVG, der sich das Gericht anschließt, setzt das Entstehen der sachlichen Abwasserbeitragspflicht voraus, dass bei Eintritt der Vorteilslage, hier der erweiterten Vorteilslage mit Inkrafttreten des Bebauungsplans am 7. August 1996, eine wirksame, ggf. rückwirkend erlassene Abwasserbeitragssatzung besteht (Nds. OVG, Urteil vom 15. September 1995, Az: 9 L 6166/93, Nds. VBl. 1996, 68; vgl. weiter Klausing, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht , Kommentar § 8 Rdn. 1057 m. w. N.).

21

Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Zum 1. Januar 1996 hatte der Rechtsvorgänger des Beklagten, der Wasser - und Abwasserverband "Nord - Ost", Landkreis H., von der Gemeinde F. die Aufgabe der Entsorgung von Schmutzwasser über zentrale Schmutzwasseranlagen übernommen. Zu diesem Zweck hat der Wasser - und Abwasserverband "Nord - Ost", Landkreis H., eine Abwasserbeseitigungssatzung erlassen und die Frage der Entgelte für den Anschluss an die Schmutzwasserkanalisation in den Allgemeinen Bedingungen und Entgelte des Wasser- und Abwasserverbandes "Nord-Ost", Landkreis H., für den Anschluss an die Schmutzwasseranlagen und deren Benutzung (Allgemeine Entsorgungsbedingungen für Schmutzwasser - AEB) vom 12. Dezember 1995 (Abl. LK I. 1995, S. 126) geregelt.

22

Diese AEB stellen keine wirksame öffentlich rechtliche (Beitrags-) Satzung dar, sondern verlangen gem. Art. 25 Nr. 1 AEB von den Benutzern, die einen Grundstücksanschluss erhalten haben, zur anteiligen Deckung des Aufwandes für die Herstellung der öffentlichen Schmutzwasseranlage einen Baukostenzuschuss in Form eines privatrechtlichen Entgelts (vgl. dazu auch Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 1997 - Az: 9 K 5855/95 - NVwZ 1999, 566 - 568; OLG Magdeburg, Urteil vom 9. Juni 1999 - 12 U 51/99 - LKV 1999, 527 - 528). Die AEB, die nicht einmal den Namen Satzung tragen, sondern sich eher an Allgemeine Geschäftsbedingungen anlehnen, stellen nach Auffassung des Gerichts eine privatrechtliche Regelung dar, die nach Art. 1, 2 AEB auf einem Vertragsabschluss zwischen dem Rechtsvorgänger des Beklagten und dem Eigentümer bzw. Berechtigten im Sinne der Abwasserbeseitigungssatzung aufbaut. In diesem Rahmen sollte der Rechtsvorgänger des Beklagten nach den AEB berechtigt sein, einen Baukostenzuschuss von den Benutzern zu verlangen.

23

Bei einer Gesamtschau der Regelungen in den AEB kommt das Gericht zu der Einschätzung, dass es sich hier um ein privatrechtliches Regelungswerk handelt, das die vertragliche Regelung zum zentralen Ausgangspunkt der Verpflichtungen der Benutzer erhebt. Eine satzungsrechtliche Ermächtigung zur Erhebung von Abwasserbeiträgen ist demgegenüber mit den AEB nicht gegeben.

24

Eine solche Satzung hat der Beklagte erst mit der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Entgelte für die Abwasserbeseitigung des Wasser- und Abwasserverbandes H., Landkreis H. vom 19. Dezember 2000 (ABl. LK I., Nr. 42 vom 27. Dezember 2000, S. 125) erlassen, die aber nach § 26 der Satzung rückwirkend erst ab 1. Januar 2000 in Kraft trat. Die Geltung dieser Satzung reicht damit nicht auf den Zeitpunkt des Entstehens der erweiterten Vorteilslage - hier mit Inkrafttreten des Bebauungsplans am 7. August 1996 - zurück. Mithin bleibt festzuhalten, dass es zu diesem Zeitpunkt an einer wirksamen Satzungsgrundlage mangelte und daher die sachliche Beitragspflicht des Klägers, die die Voraussetzung für die neuerliche Festsetzung von Abwasserbeiträgen darstellt, nicht entstanden war.

25

Gründe, die Berufung gem. § 124 a Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.