Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 18.01.2018, Az.: 7 W 79/17

Zeitliche Grenzen der Ablehnung des gerichtlich bestellten Sachverständigen wegen des Inhalts des erstatteten Gutachtens

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
18.01.2018
Aktenzeichen
7 W 79/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 35068
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Bückeburg - 11.01.2018 - AZ: 1 OH 6/13
LG Bückeburg - 17.10.2017 - AZ: 1 OH 6/13

Fundstellen

  • BauR 2018, 874-876
  • BauSV 2018, 74-75
  • GuG 2018, 256-258
  • IBR 2018, 541
  • Mitt. 2019, 195

Amtlicher Leitsatz

Muss sich eine Partei zur Begründung eines Ablehnungsgesuchs gegenüber einem Sachverständigen mit dem Inhalt des Sachverständigengutachtens auseinandersetzen, läuft die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO ab (im Anschluss an BGH, 15. März 2005, VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869, juris-Rdnr. 12).

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg vom 17.10.2017 - auch in Form des Nichtabhilfebeschlusses vom 11.01.2018 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Beschwerdewert wird auf bis 3.000 € festgesetzt.

Gründe

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 406 Abs. 5, §§ 567, 569 ZPO zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

I.

Das Ablehnungsgesuch ist allerdings - entgegen der Ansicht des Landgerichts - zulässig.

Die Ablehnung eines Sachverständigen findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO).

1. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Urt. v. 13.1.1987 - X ZR 29/86, NJW-RR 1987, 893). Eine solche Befürchtung fehlender Unparteilichkeit kann berechtigt sein, wenn der Sachverständige seine gutachterlichen Äußerungen in einer Weise gestaltet, dass sie als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gedeutet werden können. Ergibt sich der Ablehnungsgrund aus dem Inhalt des schriftlichen Gutachtens, muss der Partei eine angemessene Zeit zur Überlegung und zur Einholung von rechtlichem Rat zur Verfügung stehen. Auch wenn durch die zeitliche Begrenzung des Ablehnungsrechts gemäß § 406 Abs. 2 ZPO bezweckt werden soll, der Verzögerung von Prozessen durch verspätete Ablehnungsanträge entgegenzuwirken, ist andererseits zu bedenken, dass der Anspruch einer Prozesspartei auf einen aus ihrer Sicht unparteiischen Sachverständigen unmittelbarer Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips ist und die Durchsetzung dieses Anspruchs nicht durch verfahrensrechtliche Hürden unangemessen erschwert werden darf.

Vor diesem Hintergrund darf die Frage nach der Rechtzeitigkeit eines Ablehnungsantrags nicht ausschließlich von der Beurteilung der Umstände des Einzelfalles durch das Prozessgericht abhängig gemacht werden. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit muss die Partei wissen, welcher Zeitraum ihr zur Prüfung des Gutachtens in jedweder Hinsicht zur Verfügung steht. Muss sich die Partei zur Begründung ihres Antrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen, läuft die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit im Allgemeinen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO ab (BGH, Beschl. v. 15.3.2005 - VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869, juris-Rdnr. 12).

2. So verhält es sich auch hier. Der Befangenheitsantrag gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen ist am vorletzten Tag (10.7.2017) der verlängerten Frist zur Stellungnahme (bis zum 11.7.2017) eingegangen und damit rechtzeitig gestellt worden. Der Antragsgegner hat seinen Antrag mit Darlegungen aus dem Gutachten begründet. Die Auseinandersetzung mit dem Gutachten war demnach Voraussetzung des Ablehnungsgesuchs. Insoweit ist ein unterschiedlicher Fristlauf für die Stellungnahme zum Gutachten und die Einbringung eines Ablehnungsgesuchs sachlich nicht zu rechtfertigen (entsprechend auch BGH, Beschl. v. 15.3.2005 - VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869, juris-Rdnr. 13; insb. gegen OLG Celle, Beschl. v. 25.2.2004 - 16 W 16/04, MDR 2004, 709). Das gilt entsprechend für die Wiederholung des Ablehnungsgesuchs im Schriftsatz vom 26.09.2017 nach Kenntnisnahme der weiteren Stellungnahme des Sachverständigen vom 14.08.2017, weil der Schriftsatz innerhalb der weiteren Stellungnahmefrist bis zum 29.09.2017 (Bl. 552 d.A.) am 26.09.2017 eingegangen ist (Bl. 564 d.A.).

Die im Nichtabhilfebeschluss vertretene andere Ansicht (unter Verweis auf Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 406 Rn. 11 mwN) setzt sich nicht näher mit den unter Ziff. I.1 dargelegten Grundsätzen und auch damit auseinander, dass zumindest in umfangreichen Sachverhalten und Begutachtungen - wie hier - ein zweigleisiger Fristlauf nicht sachgerecht erscheint. Die Parteien müssten unter Ansatz dieser Meinung zunächst etwaige Ablehnungsgründe prüfen und diese sodann unverzüglich geltend machen, danach aber - unter Bezug auf die Ablehnung jedoch nur vorsorglich und hilfsweise - in die weitere Sachprüfung des Gutachtens eintreten. Die vom Landgericht angenommene Frist von "allenfalls sechs Wochen" (Bl. 600 d.A.) ist überdies nicht objektivierbar, wenn für die Auseinandersetzung mit dem Gutachten eine deutlich längere Frist für angebracht gehalten und zugebilligt wird.

II.

Das Ablehnungsgesuch ist jedoch unbegründet.

1. Das Landgericht hat es allerdings versäumt, sich mit den Gründen des Ablehnungsgesuchs zu befassen, obwohl die Kammer ausweislich des Nichtabhilfebeschlusses das Gesuch für zulässig, aber unbegründet hält (Bl. 690 d.A. - die anschließenden Ausführungen im Beschluss verhalten sich allein zur Zulässigkeit).

2. Diese Prüfung ist im Beschwerdeverfahren nachzuholen, führt aber zu keinem Erfolg der Beschwerde.

a) Denn das Gesuch wird nahezu ausschließlich auf Umstände gestützt, die ihre Ursache in einer Auseinandersetzung mit dem sachlichen Inhalt des schriftlichen Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen und seinen ergänzenden Stellungnahmen bzw. einer vermeintlich fehlerhaften und ungenügenden Bearbeitung des Beweisgutachtenauftrags durch den Sachverständigen haben. Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeit mögen das Gutachten entwerten, rechtfertigen für sich allein aber nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit (vgl. BGH, Urt. v. 5.11.2002 - X ZR 178/01, juris). Evtl. sachliche Fehler bei der Untersuchung und Begutachtung können nicht rechtfertigen, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, weil hierdurch dessen Unparteilichkeit nicht in Frage gestellt wird. Der mangelnden Sorgfalt eines Sachverständigen sehen sich beide Parteien in gleicher Weise ausgesetzt. Das Prozessrecht gibt in den §§ 411, 412 ZPO dem Gericht und den Parteien ausreichende Mittel an die Hand, solche Mängel zu beseitigen und auf ein Gutachten hinzuwirken, das als Grundlage für die gerichtliche Entscheidung geeignet ist (vgl. BGH, Beschl. v. 15.3.2005 - VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869, juris-Rdnr. 14.; vgl. auch Musielak/Voit/Huber, ZPO, 15. Auflage 2017, § 406 Rn. 11 mwN).

Der Antragsgegner versucht zwar in seinen detaillierten Darlegungen zum Inhalt des Gutachtens, das er für verfehlt und unverwertbar hält (insb. Bl. 579 ff., 629 ff. d.A.), die Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Gutachtens auf die Person des Gutachters zu verlagern, indem er aus der seiner Ansicht nach ungenügenden oder fehlerhaften Beantwortung der Beweisfragen eine Parteilichkeit des Sachverständigen herleiten will. Insoweit handelt es sich aber ausschließlich um Punkte, die die sachliche Richtigkeit des Gutachtens betreffen und nicht die (Un-)Voreingenommenheit des Sachverständigen. Hier wird ggf. eine ergänzende Stellungnahme des bestellten Sachverständigen einzuholen oder dessen mündliche Anhörung geboten sein. Eine Überprüfung der zahlreichen Angriffe gegen die Richtigkeit des Gutachtes (insb. ab Ziffer II des Beschwerdeschriftsatzes, Bl. 626 bis 660 d.A. nebst Anlagen bis Bl. 671 d.A.) gehört indes nicht in das Ablehnungsverfahren. Insoweit bedarf es auch im Beschwerdeverfahren keiner Auseinandersetzung mit den sachverständig zu würdigenden Angriffen des Antragsgegners.

Das betrifft ebenso den Vorwurf, der Sachverständige habe die Beweisfragen nicht vollständig beantwortet (insb. Bl. 626 ff. d.A.). Soweit das der Fall sein sollte, wäre auch dazu eine weitere Stellungnahme des Sachverständigen einzuholen oder er zu seinem Gutachten mündlich anzuhören. Die Würdigung darüber obliegt dem Landgericht.

b) Die im Übrigen vom Antragsgegner gerügten Punkte sind ohne Bedeutung.

Die beanstandete "Werbung" samt Verwendung von "Zertifizierungssymbolen" (Bl. 578, 625, 650 ff. d.A.) betrifft keine Tatsachen oder Umstände, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Es mag sich dabei um "Stilfragen" handeln; es ist aber nicht erkennbar, dass die anschließenden Ausführungen des Sachverständigen dadurch irgendeine Einseitigkeit erhalten könnten. Dabei ist auch zu beachten, dass sich das vorliegende Verfahren gegen einen Sachverständigen richtet. Es lag also nahe, ggf. vorhandene besondere Sachkunde hervorzuheben, umso mehr, als der Antragsgegner - insofern auch widersprüchlich zu seiner Rüge - genau diese umfassende Sachkunde beim Sachverständigen wiederholt nachdrücklich rügt (zB Bl. 641, 651 ff. d.A.).

Auch bedarf es nicht zwingend weiterer Angaben zur verwendeten Literatur, wenn davon nicht die Verständlichkeit und Nachprüfbarkeit des Gutachtes abhängt. Der Antragsgegner beschränkt sich hier auf abstrakte Darlegungen (Bl. 626, 652 d.A.). Dabei trägt er erneut widersprüchlich vor, wenn er einerseits moniert, der Sachverständige habe nicht dargelegt, auf welche Montageanleitungen er sich bezieht (Bl. 626 d.A.), andererseits dem Sachverständigen gerade vorwirft und damit den Nachweis einer Parteilichkeit begründen will, dass er sich auf Montageanleitungen stütze, die doch lediglich eine Empfehlung des Herstellers seien und keine allgemein anerkannten Regeln der Technik (u.a. Bl. 628, 649 d.A.), und sich im Folgenden auch noch im Einzelnen mit den Montageanleitungen auseinandersetzt (Bl. 639 ff. d.A.). Etwaige Unklarheiten könnten schließlich auch hier durch ergänzende Stellungnahmen beseitigt werden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 ZPO sind nicht gegeben.

IV.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO, wobei der Beschwerdewert mit etwa einem Drittel des Hauptsachewerts anzusetzen ist. Der Wert des Beweisverfahrens orientiert sich an den behaupteten Mängeln der Leistung (hier die behaupteten Mängel der Gutachten des Antragsgegners im Vorprozess) und ggf. deren Auswirkung auf das Vertragsverhältnis und etwaige Ansprüche zwischen den Parteien. Dem Verfahren zugrunde liegt der ursprüngliche Streit um den Restwerklohn (vgl. dazu das Senatsurteil vom 14.11.2012 - 7 U 54/12, in Kopie Bl. 107 ff. d.A.) und die in jenem Prozess erstatteten Gutachten des Antragsgegners. Der Antragsteller hat sein Interesse im Rahmen einer ggf. noch zu erhebenden Schadensersatzklage gegen den Antragsgegner auf 781,58 € Honorar (Bl. 6 d.A.) zzgl. 6.486,21 € Kosten aus dem verlorenen Vorprozess (Bl. 7 d.A.) und so auf insgesamt 7.267,79 € beziffert (Bl. 8 d.A.). Auch wenn im Beweisverfahren nicht die Mängel bzw. Beweisbehauptungen des Antragstellers bestätigt werden sollten, sind für die Streitwertfestsetzung diejenigen Kosten zu schätzen, die sich ergäben, wenn sie festgestellt würden (vgl. Senat, Beschl. v. 06.03.2017 - 7 W 16/17, BauR 2017, 1239, juris-Rdnr. 32; BGH, Beschl. v. 16.09.2004 - III ZB 33/04, NJW 2004, 3488, juris-Rdnr. 18; OLG Celle, Beschl. v. 05.03.2008 - 14 W 6/08, BauR 2008, 1888, juris-Rdnr. 7; OLG Stuttgart, BauR 2006, 1033 juris-Rdnr. 3; OLG Brandenburg, JurBüro 2007, 315, juris-Rdnr. 5 f.; OLG Naumburg, BauR 2008, 144, juris-Rdnr. 5;). Hierbei waren die Angaben des Antragstellers anzusetzen, mit denen er sein Interesse an der Beweiserhebung dargelegt hat.