Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 06.03.2017, Az.: 7 W 16/17
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 06.03.2017
- Aktenzeichen
- 7 W 16/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 12520
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2017:0306.7W16.17.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 13.01.2017 - AZ: 9 OH 5/14
Rechtsgrundlagen
- ZPO § 406 Abs. 2 S. 2
Fundstellen
- BauR 2017, 1743-1744
- BauR 2017, 1239-1241
- BauR 2017, 1584
- IBR 2017, 468
- JurBüro 2017, 389
Amtlicher Leitsatz
1. Auch ein Gerichtssachverständiger, der vorgerichtlich eine Partei zu beraten hat, muss binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung abgelehnt werden. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung gem. § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen.
2. Gesichtspunkte, die eine gewisse Parteinähe eines Gutachters begründen könnten, sind jedoch bei der Beweiswürdigung zu beachten und könnten hierbei in Zweifelsfällen besonderes Gewicht erhalten.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Nebenintervenientin zu 2 gegen den Beschluss der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 13.01.2017 - 9 OH 5/14 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Nebenintervenientin zu 2.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Beschwerdewert wird auf bis 140.000 festgesetzt.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Nebenintervenientin zu 2 ist gemäß § 406 Abs. 5, §§ 567, 569 ZPO zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Eine Partei oder deren Streithelferin in einem Rechtsstreit wie auch in einem selbständigen Beweisverfahren kann einen Sachverständigen als befangen ablehnen, wenn objektiv ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen (§ 406 Abs. 1 i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der vom Gericht beauftragte Sachverständige nachweisbar parteilich ist oder ob das Gericht selbst Zweifel an der Unparteilichkeit des Gutachters hat. Es muss aber um solche Tatsachen oder Umstände gehen, die vom Standpunkt einer vernünftigen, nüchtern denkenden Partei die Befürchtung hervorrufen können, der Sachverständige habe sein Gutachten nicht unvoreingenommen und objektiv erstattet (vgl. BGH, NJW 1975, 1363 [BGH 15.04.1975 - X ZR 52/75]; BGH, DB 1987, 1089). Ein solches Ablehnungsgesuch ist jedoch gem. § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO vor der Vernehmung des Sachverständigen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung zu stellen. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung gem. § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
a) Der Sachverständige ist am 1. August 2014 bestellt worden, das Ablehnungsgesuch datiert vom 5. August 2016, also mehr als 2 Jahre nach der Ernennung des Sachverständigen.
b) Aber auch eine spätere Ablehnung aufgrund einer erst nachträglich erlangten Kenntnis der Umstände, die ggf. eine Ablehnung rechtfertigen könnten, ist nicht begründet. Denn die Nebenintervenientin zu 2 war spätestens Anfang 2016 in der Lage, die ihrem Ablehnungsgesuch zugrunde gelegten Umstände - Vorbefassung des mit der Beantwortung eines Teils der Beweisfragen beauftragten Prüfinstituts M. - zu erkennen.
aa) In der mit der Antragsschrift überreichten Anlage Ast 5 wird - über die Darstellung der Nebenintervenientin zu 2 in ihrer Beschwerdeschrift hinaus (Bl. 280 d.A.) - nicht nur im Text "versteckt" (Bl. 282 d.A.) auf einen Prüfbericht des Instituts Dr. M. verwiesen, sondern am Ende des Schreibens hervorgehoben und abgesetzt unter Bezug auf eine eigene Anlage:
"Anhang: Untersuchungsbericht Prüfinstitut Dr. M." (Bl. 18 d.A.).
Das Landgericht hat im Beweisbeschluss vom 26.05.2014 (Bl. 52 ff., 54 d.A.) am Ende ausgeführt, um die Benennung eines geeigneten Sachverständigen solle die IHK Lüneburg gebeten werden, die mit Schreiben vom 13.06.2014 den Sachverständigen P. vorschlug (Bl. 70 d.A.). Mit Schriftsatz vom 24.06.2014 hat sodann die Nebenintervenientin zu 1 beantragt, für die Beantwortung der Beweisfrage V. das Prüfinstitut Dr. M. zu beauftragen (Bl. 77 d.A.). Das hat sie mit Schriftsatz vom 08.07.2014 wiederholt (Bl. 89 d.A.).
Die Nebenintervenientin zu 2 hat sich mit Schriftsatz vom 02.07.2014 zur Akte legitimiert und Akteneinsicht erhalten (Bl. 80 ff., 96 d.A.). Sie hat danach mit Schriftsatz vom 15.07.2014 ihren Beitritt zum Verfahren erklärt (Bl. 99 d.A.) und erklärt,
"gegen die vom Gericht vorgeschlagenen Sachverständigen bestehen seitens der Nebenintervenientin zu 2 keine Bedenken" (Bl. 100 d.A.).
Mit Beschluss vom 01.08.2014 hat das Landgericht mehrere Sachverständige bestellt, u.a. den Sachverständigen P., zur hier entscheidenden Beweisfrage V. den
"Sachverständigen Q., S.-Straße 42, ... I." (Bl. 101 d.A.).
Bis zu diesem Zeitpunkt scheint die Verbindung des Sachverständigen Q. mit dem Prüfinstitut M. - soweit aus der Akte ersichtlich - nicht sofort offenbar gewesen zu sein.
Am 03.03.2015 meldete sich aber das Prüfinstitut und Ingenieurbüro Dr. M. zum Sachstand zur Akte (Bl. 141 d.A.); es firmiert unter derselben Adresse "S.-Straße 42, ... I.", wie der Sachverständige Q.. Dieses Schreiben ist ausweislich der Verfügung vom 05.03.2016 an die Parteivertreter übersandt worden (Bl. 141 d.A.). In diesem Schreiben - wie desgleichen in allen folgenden des Prüfinstituts Dr. M. - wird der Sachverständige Q. im "Brieffuß" als Geschäftsführer bezeichnet. Mit weiterem Schreiben des Prüfinstituts Dr. M. vom 01.09.2015 wurden die Parteien zum Ortstermin am 29.09.2015 geladen (Bl. 179 d.A.). Auch dieses Schreiben ist den Prozessbevollmächtigten übersandt worden (Verfügung Bl. 179 R d.A.). Mit Schriftsatz der Nebenintervenientin zu 1 vom 09.09.2015 hat diese Bezug genommen
"auf die Ladung des Sachverständigen Dr. M. vom 01.09.2015" (Bl. 182 d.A.).
Dieses Schreiben ist ebenfalls an die Bevollmächtigten der Nebenintervenientin zu 2 übermittelt worden (Verfügung Bl. 181 d.A.). Das gilt entsprechend für den nächsten Schriftsatz der Antragsgegnerin, mit dem sie
"anliegend unser Schreiben an das Sachverständigenbüro Dr. M. GmbH & Co. KG vom 28.09.2015" überreicht (Bl. 183 d.A.).
Endgültig kein Zweifel mehr an der Beteiligung des Prüfinstituts Dr. M. bestand für alle Beteiligten mit Übersendung des Gutachtens vom 21.12.2015, das von diesem Institut stammt (Bl. 185 ff. d.A.). In dem Gutachten wird zudem ausdrücklich ausgeführt, dass die Entnahme der Bohrkerne erfolgte durch
"Herrn B. und Herrn Q. (Dr. M. GmbH & Co. KG)" (Bl. 186 d.A.),
was unmissverständlich auf die Verbundenheit des Sachverständigen Q. mit dem Prüfinstitut hinweist, weshalb es auf die Angaben im "Brieffuß", in denen der Sachverständige wie erwähnt als Geschäftsführer dieses Instituts steht, nicht weiter ankommt. Das Gutachten ist allen Beteiligten - auch der Nebenintervenientin zu 2 - zur Stellungnahme übersandt worden (Bl. 209 d.A.) und bei den Prozessbevollmächtigten der Nebenintervenientin zu 2 am 04.01.2016 eingegangen (EB Bl. 215 d.A.). Auf Bitten der Nebenintervenientin zu 2 wurde noch die Stellungnahmefrist bis zum 08.02.2016 verlängert (Bl. 217 d.A.). Am 03.02.2017 hat die Nebenintervenientin zu 2 sodann
"zu dem Gutachten des Sachverständigen Dr. M. Ingenieurbüro" (Bl. 227 d.A.)
Stellung genommen und ergänzende Fragen an den Sachverständigen formuliert, worauf das Landgericht mit Beschluss vom 07.03.2016 ein Ergänzungsgutachten "des Sachverständigen Dr. M. Ingenieurbüro" eingeholt hat (Bl. 252 d.A.). Das Ergänzungsgutachten vom 11.07.2016 (Bl. 265 ff. d.A.) haben die Prozessbevollmächtigten der Nebenintervenientin zu 2 am 20.07.2016 erhalten (EB Bl. 270 d.A.).
Erst jetzt haben sie mit Schriftsatz vom 05.08.2016 den Sachverständigen Q. abgelehnt (Bl. 278 ff. d.A.).
bb) Das war i.S.d. § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu spät. Im Interesse einer sachgerechten und stringenten Verfahrensführung sind etwaige Ablehnungsgesuche unverzüglich nach Kenntniserlangung geltend zu machen. Dass es hierbei nicht allein auf die tatsächliche Kenntnis ankommt, hat der Gesetzgeber in § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO bestimmt; entscheidend ist, ob der Ablehnende - die Nebenintervenientin zu 2 - glaubhaft macht, dass sie ohne ihr Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Insoweit kommt es maßgeblich auf die Möglichkeit der Kenntniserlangung und evtl. Änderungen im Sachverhalt an.
Die Umstände, auf die sich die Nebenintervenientin zu 2 nun berufen will, standen - wie die Ausführungen unter aa) zeigen - jedoch zum Zeitpunkt der Ablehnung im August 2016 schon längst unverändert fest. Die Nebenintervenientin legt auch mit keinem Wort dar, warum sie die Umstände, die im August 2016 eine Ablehnung begründen sollen, nicht schon vorher hat erkennen können. Es waren keine neuen Tatsachen, sondern solche, die seit Anfang 2016 (spätestens) offenbar waren, also seit weit mehr als einem halben Jahr, und aktenkundig bereits seit dem Schreiben des Prüfinstituts Dr. M. Anfang März 2015 feststanden. Die Nebenintervenientin kann nicht glaubhaft machen, dass und warum sie ohne ihr Verschulden gehindert war, den Ablehnungsgrund früher als erst im August 2016 geltend zu machen. Denn an den tatsächlichen Umständen hatte sich jedenfalls nach Erhalt des Hauptgutachtens Anfang Januar 2016 nichts geändert.
Die Ansicht der Nebenintervenientin zu 2 als zutreffend unterstellt, bestünde für sie praktisch ein unbegrenztes Ablehnungsrecht, weil die nachträgliche Entdeckung des "versteckten" Hinweises auf die Vorbefassung des Prüfinstituts immer möglich und nie verfristet wäre; ansonsten wären die Anforderungen an die Prüfungspflichten eines Anwalts übersetzt (wie die Beschwerde ausführt, Bl. 350 ff. d.A.). Das ist aber weder vom Gesetz so vorgesehen noch sachdienlich. Was die Nebenintervenientin zu 2 nach Erhalt des Ergänzungsgutachtens gesehen hat, hätte sie ebenso schon (spätestens) nach Erhalt des Hauptgutachtens erkennen können und - den nun vorgetragenen Standpunkt zugrunde gelegt - erst recht erkennen müssen. Denn die aufwendigste Auseinandersetzung mit dem Akteninhalt und dem Beweisergebnis war nach Erhalt des Hauptgutachtens erforderlich und ist da auch erfolgt.
Die Ablehnungsgründe waren folglich mit Erhalt des Hauptgutachtens genauso offensichtlich, wie nach Eingang des Ergänzungsgutachtens. Dann aber hätte die Nebenintervenientin zu 2 spätestens im Januar 2016 - und aufgrund der geschilderten Umstände wohl auch schon zuvor, was hier jedoch dahinstehen kann - ihr Ablehnungsgesuch anbringen können und müssen. Dass sie während der Auseinandersetzung mit dem Hauptgutachten und bis zum Erhalt des Ergänzungsgutachtens ohne ihr Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund geltend zu machen, trägt sie nicht vor.
3. Soweit die Nebenintervenientin zu 2 ihr Ablehnungsgesuch in ihrer Beschwerdeschrift anscheinend auch mit einer vermeintlich fehlerhaften und ungenügenden Bearbeitung des Beweisgutachtenauftrags durch den Sachverständigen begründen möchte (in diese Richtung Bl. 353 d.A.), ist darauf hinzuweisen, dass evtl. sachliche Fehler bei der Untersuchung und Begutachtung es nicht rechtfertigen können, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, weil hierdurch dessen Unparteilichkeit nicht in Frage gestellt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 15.03.2005 - VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869, juris-Rdnr. 11 ff.; vgl. auch Musielak/Voit/Huber, ZPO, 12. Auflage 2015, § 406 Rn. 11 mwN).
Allerdings wären derartige Gesichtspunkte und auch solche, die eine gewisse Parteinähe eines Gutachters begründen könnten, bei der Beweiswürdigung zu beachten und könnten hierbei in Zweifelsfällen besonderes Gewicht erhalten. Im Rahmen des Ablehnungsverfahrens ist dazu aber keine Entscheidung zu treffen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
5. Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 ZPO sind nicht gegeben.
6. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO, wobei der Beschwerdewert mit etwa einem Drittel des Hauptsachewertes anzusetzen ist. Der Wert des Beweisverfahrens orientiert sich an den behaupteten Mängeln und ggf. deren Auswirkung auf das Vertragsverhältnis und etwaige Ansprüche zwischen den Parteien. In diesem Fall streiten die Parteien um von der Antragstellerin behauptete Mängel am Gebäude einer Biogasanlage, die - so die Behauptung der Antragstellerin - die Mangelhaftigkeit des gesamten nach dem Vertrag herzustellenden Werks begründen sollen (Bl. 20 R, 21 d.A.: "...damit die vertragliche Bestellung nicht erfüllt", ...Forderungen aus der Schlussrechnung nicht gerechtfertigt, da bei derartiger Mangelhaftigkeit die Anlage als nicht fertiggestellt anzusehen ist"). Das Auftragsvolumen belief sich nach dem Angebot der Antragsgegnerin auf 360.400 € netto bzw. 428.876,00 € brutto (Bl. 16 d.A.), wonach sich der Wert der Hauptsache bestimmte. Auch wenn im Beweisverfahren nicht alle behaupteten Mängel bestätigt werden sollten, sind für die Streitwertfestsetzung diejenigen Kosten zu schätzen, die sich ergeben hätten, wenn jene Mängel festgestellt worden wären (vgl. BGH, Beschl. v. 16.09.2004 - III ZB 33/04, NJW 2004, 3488, juris-Rdnr. 18; OLG Celle, Beschl. v. 05.03.2008 - 14 W 6/08, BauR 2008, 1888, juris-Rdnr. 7; OLG Stuttgart, BauR 2006, 1033 juris-Rdnr. 3; OLG Brandenburg, JurBüro 2007, 315, juris-Rdnr. 5 f.; OLG Naumburg, BauR 2008, 144, juris-Rdnr. 5).