Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 11.01.2000, Az.: 1 B 100/99
Einstellung als Beamtin auf Probe im Schuldienst im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes; Verbot der Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 11.01.2000
- Aktenzeichen
- 1 B 100/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 21926
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2000:0111.1B100.99.0A
Rechtsgrundlagen
- § 123 Abs. 1 VwGO
- § 39 Abs. 1 Nr. 2 NBG
Fundstelle
- NVwZ-RR 2000, 373 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Einstellung als Beamtin auf Probe in den Schuldienst
Prozessführer
Frau ...
Prozessgegner
Bezirksregierung Lüneburg, vertreten durch die Regierungspräsidentin, Auf der Hude 2, 21339 Lüneburg, - 410a -
In dem Rechtstsreit
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 1. Kammer -
am 11. Januar 2000
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Antragstellerin beantragt hat, die Antragsgegnerin zu verpflichten, eine für sie geeignete Stelle für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen freizuhalten, d.h. einstweilen nicht mit einem anderen Bewerber/Bewerberin zu besetzen, bis über die Ablehnung der Bewerbung der Antragstellerin durch die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren bestands- oder rechtskräftig entschieden ist.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin und die Antragsgegnerin je zur Hälfte.
- 3.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.020,65 DM festgesetzt.
Gründe
Der Antrag hat, soweit er nicht erledigt ist, keinen Erfolg.
1.
Nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist das Verfahren entsprechend § 93 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Antragstellerin beantragt hat, die Antragsgegnerin zu verpflichten, eine für sie geeignete Stelle für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen freizuhalten, d.h. einstweilen nicht mit einem anderen Bewerber/Bewerberin zu besetzen, bis über die Ablehnung der Bewerbung der Antragstellerin durch die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren bestands- oder rechtskräftig entschieden ist.
2.
Das Gericht kann gemäß § 123 Abs. 1 VwGO eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO - Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn die Regelung - insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen - zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO - Regelungsanordnung). Beide Formen der einstweiligen Anordnung setzen voraus, dass sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., § 123 Rn. 6).
Der Antrag, die Antragstellerin vorläufig bis zum bestands- bzw. rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zum Schuldienst zuzulassen, ist nicht schon deshalb unzulässig, weil die Stelle in Soltau besetzt ist. Unabhängig davon, ob der Bewerbungsbogen so pauschal auszulegen ist, wie dies die Antragstellerin tut, - dagegen spricht, dass im Bogen ausdrücklich gefragt ist, um welche konkreten Stellen die Bewerbung erfolgt -, folgt dies daraus, dass die Antragsgegnerin sich aufgrund ihres Verhaltens im Einstellungsverfahren darauf nicht berufen kann. Ausweislich eines Vermerks vom 13. September 1999 hat Frau Thiele dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin mitgeteilt, dass die Stelle in Soltau anderweitig besetzt werden solle. Auf die Frage, ob die Stelle für die Antragstellerin im Falle eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens freigehalten werde, antwortete sie, dass die Stelle umgehend besetzt werden solle. Im Falle eines Gerichtsbeschlusses zugunsten der Antragstellerin stünde eine andere Stelle zur Verfügung. Darauf bat der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 14. September 1999 um Bestätigung, dass die Stelle in Soltau nicht anderweitig besetzt werde, andernfalls er ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren einleiten werde. Als daraufhin die Mitteilung kam, dass die Stelle bereits am 15. September 1999 vergeben worden sei, findet sich weiterer Schriftwechsel und ein weiterer Vermerk von Frau Thiele, zugesagt zu haben, dass die Stelle an der HS Kreideberg im Falle eines Eilantrages bis zu einer gerichtlichen Entscheidung freigehalten werde. Da die Antragsgegnerin zudem erklärt hat, dass im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren eine geeignete Stelle zur Verfügung gestellt werde, würde der Antragstellerin insoweit auch nicht etwas zugesprochen, was sie im Hauptsacheverfahren nicht erhalten könnte.
Würde dem Antrag zu Ziffer 1, 2. Absatz entsprochen werden, würde die Hauptsache jedoch in unzulässiger Weise vorweggenommen. Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung gilt jedoch dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht.
Die Antragstellerin begehrt ihre vorläufige Zulassung zum Schuldienst und begründet die Eilbedürftigkeit der Anordnung u.a. damit, dass eine spätere Einstellung besoldungs-, beihilfe- und versorgungsrechtliche Konsequenzen zur Folge habe bzw. dass eine spätere Einstellung aus Altersgründen nicht mehr möglich sei. Des Weiteren trägt sie vor, die vorläufige Einstellung als Beamtin auf Probe könne jederzeit rückgängig gemacht werden, sofern die Antragsgegnerin in der Hauptsache obsiegen würde. Daraus wird deutlich, dass die Antragstellerin die vorläufige Zulassung zum Schuldienst im Rahmen eines Beamtenverhältnisses erstrebt. Eine vorläufige Ernennung zum Beamten ist im Beamtenrecht jedoch nicht vorgesehen und angesichts der in diesem Rechtsbereich geltenden Formstrenge auch nicht möglich (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, Rn. 1154). Die Ernennung ist ein rechtsgestaltender, bedingungsfeindlicher Verwaltungsakt, dessen Wirksamkeit von der Einwilligung des zu Ernennenden und der Aushändigung der Ernennungsurkunde abhängt (vgl. Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 4. Aufl., Rn 2). Gegen die Annahme der Möglichkeit einer vorläufigen Ernennung spricht zudem, dass diese zur Folge hätte, dass der nur vorläufig eingestellte Beamte/die Beamtin trotz seiner/ihrer nur vorläufigen Stellung u.U. auch weitreichende Entscheidungen zu treffen hätte (wie z.B. die Antragstellerin Versetzungsentscheidungen), obwohl sich im Hauptsacheverfahren herausstellen könnte, dass die Ablehnung der Einstellung durch die einstellende Behörde nicht ermessensfehlerhaft war.
Die Stattgabe des Antrages würde somit zur Folge haben, dass die Antragstellerin - endgültig - zur Beamtin auf Probe ernannt werden würde. Dies wäre kaum rückgängig zu machen und würde wegen der mit ihr verbundenen weitreichenden Rechtsfolgen für den Dienstherrn zu einer unzumutbaren Belastung führen. Insbesondere könnte, - sollte die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren unterliegen -, sie nicht ohne weiteres entlassen werden. Das Beamtenverhältnis auf Probe kann nur bei Vorliegen bestimmter Entlassungsgründe i.S.v. §§ 36 ff NBG gelöst werden. Dabei dürfte die fehlende Eignung als Beamtin auf Probe, die in dem Tragen des Kopftuches begründet sein könnte, mit einer mangelnden Bewährung in der Probezeit, die zur Entlassung führen könnte (§ 39 Abs. 1 Nr. 2 NBG) nicht gleichbedeutend sein. Vielmehr müsste das Probeverhältnis gemäß § 29 NBG grundsätzlich nach 3 Jahren, spätestens nach 5 Jahren, in ein solches auf Lebenszeit umgewandelt werden (vgl. zum Ganzen Finkelnburg/Jank a.a.O.; Schnellenbach a.a.O. Rn 42; VG Münster, Beschluss vom 31.01.1972 - 4 L 12/72 - MDR 1972, 637).
Gegenüber den von der Antragsgegnerin zu erwartenden Nachteilen sind die Nachteile, die die Antragstellerin durch das Abwarten des Ergebnisses des Hauptsacheverfahrens nicht als unzumutbar anzusehen. Die Antragstellerin wird nicht schlechter gestellt als in den Fällen, in denen zwei Bewerber um eine freie Stelle konkurrieren. Auch dort kann im Eilverfahren nur verhindert werden, dass die Stelle mit einem Konkurrenten besetzt wird, nicht jedoch erreicht werden, selbst ernannt zu werden. Soweit eine Behörde, die einen Bewerber rechtswidrig nicht eingestellt hat, eine "Folgenbeseitigungslast" dergestalt trifft, dass, sobald sich erneut eine Einstellungsmöglichkeit bietet, sie ihr früheres fehlsames Verhalten, soweit ihr rechtlicher Spielraum die zulässt, wieder gutzumachen hat (vgl. Schnellenbach, a.a.O. Fn. 164), heißt dies nicht, dass diese Verpflichtung im Eilverfahren durchzusetzen ist. Die Nachteile, die die Antragstellerin ggf. dadurch erleidet, dass sie die Entscheidung des Hauptsacheverfahrens abwarten muss, können durch eine zügige Terminierung des Verfahrens nach Klägerhebung gemildert werden.
Dagegen, hier eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache zuzulassen, spricht im Übrigen, dass ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache nicht gegeben ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin ein weites Einstellungsermessen hat und das Gericht bei seiner Entscheidung im Hauptsacheverfahren umfangreiche Abwägungen im Bereich der hier vorliegenden Grundrechtskollisionen vorzunehmen haben wird. Angesichts der bisher ergangenen Rechtsprechung in den "Bhagwan-Fällen" bzw. "Kruzifix-Urteilen" sowie der Literatur zum Tragen des Kopftuches sowie (anderer) religiöser Symbole, kann nicht schon jetzt davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren voraussichtlich Erfolg haben wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Soweit die Antragsgegnerin dem Antrag zu Ziffer 1, 1. Absatz entsprochen hat, hat sie sich in die Rolle der unterlegenen Partei begeben.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.020,65 DM festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 4 Satz 1 b GKG.