Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 12.01.2000, Az.: 5 A 41/98

Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Industrie- und Handelskammern; Handelsgesellschaften, welche im Bezirk der Industrie- und Handelskammer entweder eine gewerbliche Niederlassung oder eine Betriebsstätte oder eine Verkaufsstelle unterhalten; Natürliche und juristische Personen und Personengesellschaften, die in der Handwerksrolle oder in dem Verzeichnis der handwerksähnlichen Gewerbe eingetragen sind; Mitglieder der Industrie- und Handelskammern; Begriff des Handwerks; Abgrenzung zwischen Handwerk und Industrie

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
12.01.2000
Aktenzeichen
5 A 41/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 11648
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2000:0112.5A41.98.0A

Fundstelle

  • GewArch 2000, 156

Verfahrensgegenstand

Streitgegenstand: Kammerbeiträge für 1997 und 1998

Prozessführer

Werkzeug und Maschinenbau GmbH,
vertreten durch den Geschäftsführer ...

Prozessgegner

Industrie- u. Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg, Am Sande 1, 21335 Lüneburg, - r-du-e -

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 5. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 12. Januar 2000
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts ...
den Richter am Verwaltungsgericht ... und den Richter am Verwaltungsgericht ... sowie
die ehrenamtlichen Richter Herr ... und Herr ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Beitragserhebung durch die Beklagte für die Jahre 1997 und 1998. Sie ist eine GmbH und im Handelsregister des Amtsgerichts Lüneburg eingetragen. Gegenstand des Unternehmens ist u.a. die Herstellung von Werkzeug und Maschinen für die Metallbearbeitung, die Herstellung von Möbeln und der Vertrieb von Arbeitsschutzkleidung.

2

Mit Bescheid vom 11. März 1998 setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin für 1997 und 1998 einen Grundbeitrag von je 390,00 DM vorläufig fest. Die Klägerin legte dagegen am 26. März 1998 Widerspruch ein mit der Begründung, dass sie seit August 1973 in der bei der Handwerkskammer Lüneburg-Stade geführten Handwerksrolle als Schlosser- und Werkzeugmacher eingetragen sei.

3

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1998 zurück. Der Widerspruch sei zum einen unzulässig, weil die Widerspruchsfrist versäumt sei. Darüber hinaus sei er unbegründet. Die Klägerin unterliege als gemischt-gewerbliches Unternehmen der Beitragspflicht. Anlässlich eines Abgrenzungsbesuchs am 27. Juni 1996 habe sie zusammen mit Vertretern der Handwerkskammer festgestellt, dass im Hinblick auf den industriellen Möbelbau der Klägerin eine Aufteilung von 35 % Industrie und 65 % Handwerk vorzunehmen sei. Mit ihrem nichthandwerklichen Betriebsteil gehöre die Klägerin der IHK an. Der Kammerbeitrag sei der Höhe nach gerechtfertigt. Für 1997 und 1998 werde lediglich der Grundbeitrag geltend gemacht.

4

Die Klägerin hat am 24. Juli 1998 Klage erhoben.

5

Sie macht geltend: Sie führe kein gemischt-gewerbliches Unternehmen, sondern ausschließlich einen Handwerksbetrieb. Sie fertige Möbel und produziere Maschinen in Lohnarbeit. Außerdem verkaufe sie Arbeitskleidung, die von Dritten hergestellt werde. Ihre Mitarbeiter seien überwiegend Handwerker. Der Bereich des Möbelbaus weise keine industriell-gewerbliche Produktionsweisen auf. Das Material werde von der Firma GAPA geliefert und von ihren eigenen Mitarbeitern abgelenkt, verformt, gelocht, gebogen, zusammen gesteckt und verschweißt. Die Galvanisierung der Metallstücke übernehme eine Fremdfirma. Jedes Produkt sei ein Unikat und das Ergebnis handwerklicher Leistung. Der Umsatz habe 1996 im Bereich des Möbelbaus etwa 2 Mio. DM betragen.

6

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 11. März 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 1998 aufzuheben.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie hält an ihrer Rechtsauffassung fest. Der Gesamtumsatz der Klägerin habe nach Angaben ihres Geschäftsführers damals etwa 16 Mio. DM betragen. Auf den Möbelbau sei etwa 1/3 entfallen, d.h. ca. 5,3 Mio. DM. In einem rein handwerklich strukturierten Unternehmen sei ein solcher Umsatz nicht zu erzielen. Das Gleiche gelte hinsichtlich der Stückzahlen von ca. 15.000 Stühlen, 2.000 Tischen und 3.000 Bänken pro Jahr. Unerheblich sei, wie der Vertrieb der Artikel organisiert sei. Für die Abgrenzung zwischen Handwerk und industrieller Fertigung komme es auf die Art der Herstellung an. Die Möbel würden im Rahmen einer Serienfertigung im Wesentlichen nur für einen Großkunden hergestellt, und zwar durch weitgehend wiederkehrende Arbeiten und weitgehende Arbeitsteilung.

9

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

10

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

11

Die Klägerin hat die Widerspruchsfrist nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingehalten. Sie hat den Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. März 1998 am 26. März 1998 und damit innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts eingelegt.

12

Die Festsetzung des Grundbeitrages für die Jahre 1997 und 1998 durch den Bescheid der Beklagten vom 11. März 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 1998 ist rechtmäßig.

13

Die Beitragsfestsetzung der Beklagten beruht auf § 3 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18. Dezember 1956 (BGBl.. 1 S. 920) - IHKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Juli 1998 (BGBl. 1 S. 1887), und §§ 1 und 4 der Beitragsordnung der Beklagten vom 15. September 1994. Nach § 3 Abs. 2 S. 1 IHKG werden die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Industrie- und Handelskammern, soweit sie nicht anderweitig gedeckt sind, nach Maßgabe des Haushaltsplans durch Beiträge der Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung aufgebracht. Wer Mitglied der Beklagten ist, bestimmt sich nach § 2 IHKG. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift gehören zur Industrie- und Handelskammer, sofern sie zur Gewerbesteuer veranlagt sind, u.a. Handelsgesellschaften, welche im Bezirk der Industrie- und Handelskammer entweder eine gewerbliche Niederlassung oder eine Betriebsstätte oder eine Verkaufsstelle unterhalten. Gemäß Abs. 3 der Vorschrift gehören auch natürliche und juristische Personen und Personengesellschaften, die in der Handwerksrolle oder in dem Verzeichnis der handwerksähnlichen Gewerbe eingetragen sind, mit ihrem nicht handwerklichen oder nicht handwerksähnlichen Betriebsteil der Industrie- und Handelskammer an.

14

Die Klägerin ist danach in den Beitragsjahren 1997 und 1998 Kammerzugehörige in der Beklagten gewesen. Sie ist zwar in der Handwerksrolle der Handwerkskammer Lüneburg-Stade mit dem Maschinenbaumechaniker-, dem Metallbauer-, dem Werkzeugmacher- und dem Dreherhandwerk eingetragen. Ihr Betriebsteil Möbelherstellung ist jedoch als nichthandwerklicher Betriebsteil anzusehen, so dass sie nach § 2 Abs. 3 IHKG der Beklagten angehört hat.

15

Der Begriff des Handwerks und seiner Abgrenzung gegen andere Gewerbearten, insbesondere die Industrie, sind nicht unveränderlich starr. Technische, wirtschaftliche und soziale Entwicklungen haben von jeher dazu geführt, dass einzelne Zweige des Handwerks wie auch sonstige Berufszweige zu anderen Betriebsformen überwechseln. Ob ein Gewerbebetrieb zum Bereich des Handwerks oder der Industrie zu rechnen ist, lässt sich deshalb nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweils in Betracht kommenden Gewerbezweigs beantworten und mit annähernder Sicherheit nur für den Einzelbetrieb anhand seiner Gesamtstruktur einschließlich der Betriebsgröße beurteilen. Nach herkömmlicher Auffassung unterscheidet sich der Industriebetrieb vom Handwerksbetrieb durch die stärkere Arbeitsteilung zwischen der leitenden Tätigkeit des Unternehmers und der technischen Tätigkeit der Gehilfen, durch die umfangreichere Verwendung von technischen Hilfsmitteln und durch den verhältnismäßig stärkeren Kapitaleinsatz (BVerwG, Urteil v. 12.07.1979 - 5 C 10.79 -, BVerwGE 58, 217, 223 f [BVerwG 12.07.1979 - 5 C 10/79]; vgl. auch Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, § 106 II 1).

16

Nach diesen Maßstäben ist die Herstellung von Möbeln für die Firma ... als industriemäßig anzusehen. Auch wenn die Klägerin in dem Betriebsteil Möbelfertigung handwerklich ausgebildete Mitarbeiter einsetzt, spricht schon der Umfang der Produktion gegen eine handwerksmäßige Herstellung der Artikel. Anlässlich des Abgrenzungsbesuchs bei der Klägerin am 27. Juni 1996 wurde festgestellt, dass die Möbelfertigung in einer separaten Halle durchgeführt wird und in dem damaligen Zeitraum von "nur" 18 Mitarbeitern Stückzahlen von 15.000 Stühlen, 2.000 Tischen und 3.000 Bänken produziert wurden. Nach eigenen Angaben hat die Klägerin damals mit der Möbelfertigung einen Umsatz von 2 Mio. DM erwirtschaftet, nach Schätzung der Beklagten sogar rund 5,3 Mio. DM. Sowohl der Umfang der Produktion als auch der Umsatz weisen darauf hin, dass der Schwerpunkt in der Massen- bzw. Serienproduktion und nicht in der handwerklichen Bearbeitung und Fertigung der einzelnen Möbelstücke liegt. Denn bei dem zuvor genannten Verhältnis zwischen der Anzahl der Mitarbeiter und den produzierten Möbelstücken ist es ausgeschlossen, dass bei der Herstellung besondere handwerkliche Fertigkeiten erforderlich sind. In dem Protokoll des Abgrenzungsbesuchs heißt es dementsprechend, dass die arbeitsteilige Fertigung in diesem Betriebsteil eindeutig industrielle Züge habe. Es würden überwiegend Arbeiten für einen Kunden verrichtet, die sich in immer wieder gleichen und wiederkehrenden einfachen Arbeitsgängen dokumentierten. Die Kammer hält diese Beschreibung für nachvollziehbar und angesichts des geschilderten Umfangs der Produktion für zutreffend. Daran ändert auch nichts, dass das Material von den Mitarbeitern der Klägerin in jeweils einzelnen Arbeitsschritten abgelenkt, verformt, gelocht, gebogen, zusammen gesteckt und verschweißt wird. Das Vorhandensein mehrerer Arbeitsschritte bedeutet nicht, dass dabei auch besondere, d.h. handwerkliche Fertigkeiten entfaltet werden müssen.

17

Gegen die Höhe des mit jeweils 390,00 DM für 1997 und 1998 festgesetzten Grundbeitrags bestehen keine Bedenken. Sie ergibt sich aus § 4 Abs. 1 der Beitragsordnung der Beklagten i.V.m. Ziff. II A 3 a der Haushaltssatzung für die Rechnungsjahre 1997 und 1998. Einwendungen gegen die Berechnung des Grundbeitrags hat die Klägerin auch nicht erhoben.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß § 13 Abs. 2 GKG auf 780,00 DM festgesetzt.