Landgericht Oldenburg
Beschl. v. 09.12.2008, Az.: 1 Qs 487/08
Zwingendes Erfordernis der richterlichen Anordnung für Blutentnahmen im Falle des Verdachts einer Trunkenheitsfahrt gem. § 81a Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO); Anordnungskompetenz der Ermittlungsbehörden beim Verdacht einer Trunkenheitsfahrt aufgrund von Gefahr im Verzug
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 09.12.2008
- Aktenzeichen
- 1 Qs 487/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 31086
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:2008:1209.1QS487.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Oldenburg - 28.10.2008
Rechtsgrundlagen
- § 81a Abs. 2 StPO
- § 111a Abs. 1 StPO
Amtlicher Leitsatz
§ 81 a Abs. 2 StPO lässt sich das zwingende Erfordernis einer richterlichen Anordnung für Blutentnahmen im Falle des Verdachts einer Trunkenheitsfahrt nicht herleiten. Beim Verdacht einer Trunkenheitsfahrt ist vielmehr grundsätzlich von Gefahr im Verzug und damit von der Anordnungskompetenz der Ermittlungsbehörden auszugehen.
In der Strafsache
...
hat die 1. große Strafkammer des Landgerichts in Oldenburg
am 09.12.2008
durch
die unterzeichnenden Richter
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 28.10.2008 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Gründe
Durch den angefochtenen Beschluss, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Hiergegen wendet sich die Beschwerde, auf deren Begründung verwiesen wird.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Nach § 111 a Abs. 1 StPO kann die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen gem. § 69 StGB endgültig entzogen werden wird.
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, wie das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat. Das Beschwerdevorbringen vermag eine andere Entscheidung nicht zu rechtfertigen.
Gegen den Beschuldigten besteht aufgrund der bisherigen Ermittlungen der dringende Verdacht , am 11.10.2008 gegen 8.05 Uhr in ..... in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand (Blutalkoholgehalt Mittelwert: 0,80Promille zur Entnahmezeit um 9.26 Uhr) das Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen.....geführt und damit alkoholbedingt einen Verkehrsunfall verschuldet zu haben.
Der alkoholbedingt fahruntüchtige Zustand ergibt sich insbesondere aus dem Blutalkohol-Gutachten des medizinischen Versorgungszentrums aus Geesthacht vom 14.10.2008. Die Blutentnahme wurde durch den Polizeibeamten PHK ..... angeordnet. Zuvor ergab ein freiwillig durchgeführter Atemalkoholtest einen Wert von 0,72Promille. Die Blutprobe wurde von Dr. .... entnommen. Aus der Akte ergeben sich keine Hinweise darauf, dass seitens der Polizei versucht worden wäre, das Gericht oder die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Aus dem Vermerk BI. 11 ergibt sich lediglich, dass durch die Staatsanwaltschaft die Sicherstellung des Führerscheins angeordnet wurde. Eine informatorische Befragung dieser Staatsanwältin durch den Berichterstatter der Kammer ergab keine weiteren Hinweise. Gleiches gilt hinsichtlich der Polizeibeamten.
Das Blutalkohol-Gutachten ist entgegen der Auffassung des Verteidigers des Beschuldigten dennoch verwertbar. Der Verteidiger beruft sich unter Hinweis auf die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, 2 BvR 273/06 vom 12.02.2007) auf ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Ergebnisses der Blutentnahme, weil die Blutentnahme unter bewusster Umgehung des Richtervorbehaltes aus § 81a StPO unmittelbar durch die Polizei selbst angeordnet worden sei. Richtig ist zwar, dass das Bundesverfassungsgericht in der vom Verteidiger herangezogenen Entscheidung festgestellt hat, dass die Strafverfolgungsbehörden "regelmäßig" versuchen müssen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen.
Dies bedeutet aber auch, dass es Ausnahmen von der Regel geben muss (vgl. LG Braunschweig, NdsRpfl 2008, 84; LG Hamburg NZV 2008, 213; OLG Stuttgart, OLGSt StPO, § 81a Nr. 5; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, NJW 2008, 2597; Nds. OVG, VD 2008, 242). Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung ausgesprochen, dass - wie es dem Wortlaut des § 81a Abs. 2 StPO entspricht - bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und - nachrangig - ihrer Ermittlungsperson bestehe.
Weder aus dieser Entscheidung noch aus § 81 a Abs. 2 StPO lässt sich das zwingende Erfordernis einer richterlichen Anordnung für Blutentnahmen im Falle des Verdachts einer Trunkenheitsfahrt herleiten. In dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall war auf Grund richterlichen Durchsuchungsbeschlusses wegen des Verdachts der Hehlerei die Wohnung des Beschwerdeführers durchsucht worden. Während der Durchsuchung wurden Hinweise auf Cannabisbesitz gefunden, weshalb die Staatsanwaltschaft um 9.00 Uhr morgens die Blutentnahme anordnete um festzustellen, ob dieser Umgang mit Betäubungsmitteln hatte. In dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall ging es also darum, grundsätzlich zu klären, ob der Beschwerdeführer Cannabis-Konsument war oder nicht. Es war also letztlich egal, wann die Blutentnahme erfolgen würde, so dass in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall eine Eilkompetenz evident nicht gegeben war.
In dem hierzu entscheidenden Fall liegt jedoch eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die Einschaltung eines Richters oder auch Staatsanwaltes vor. Damit sind die Grundsätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.02.2007 nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Denn beim Verdacht einer Trunkenheitsfahrt würde jedes weitere Zuwarten den Untersuchungserfolg gefährden. Wegen des Abbaus des Blutalkoholgehalts führt jede zeitliche Verzögerung der Blutentnahme zu größeren Ungenauigkeiten oder bei geringen Alkoholisierungsgraden um 0,3Promille sogar dazu, dass an dem Tatzeitpunkt gegebene Alkoholisierung gar nicht mehr nachweisbar wäre (so auch das LG Hamburg, Nds.Rpfl 2008, 84).
Die Notwendigkeit sofortigen Handelns gerade bei der Feststellung von Blutalkohol hat sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mithin nicht geändert.
Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass vorliegend der Unfall um 8:05 Uhr geschah und der Unfall sich in unmittelbarer Nähe zum Amtsgericht in...... ereignet. Aus den dargestellten Gründen war auch hier die unmittelbarer die Gefährdung des Untersuchungserfolges gegeben, so dass auch in dieser Konstellation ein Zuwarten nicht möglich war.
Schließlich war es auch nicht erforderlich, die Gefährdung des Untersuchungserfolges durch begründete, einzelfallbezogene Tatsachen, aktenkundig zu machen. Denn auch das Bundesverfassungsgericht erachtet eine solche Dokumentation nur dann für geboten, wenn die Dringlichkeit nicht evident ist.
Dies ist aber regelmäßig beim Verdacht der Trunkenheitsfahrt und insbesondere auch vorliegend der Fall, was bereits ausgeführt wurde. Aus den oben geschilderten Gesichtspunkten ergibt sich, dass beim Verdacht der Trunkenheitsfahrt die Blutentnahme möglichst schnell durchzuführen ist. Die Dringlichkeit ist somit evident.
Durch eine bloße telefonische Einschaltung des Richters würde dem Richtervorbehalt nicht Genüge getan. Keinem Richter kann zugemutet werden, ohne Aktenkenntnis, ohne schriftliche Entscheidungsgrundlage, nur auf Grund telefonischer Anhörung der Beteiligten eine Entscheidung zu fällen. Deshalb ist es im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich, dass sich der Unfall in unmittelbarer Nähe zum Gebäude des Amtsgerichts in.... ereignete. Es hätte zunächst eine schriftliche Dokumentation erfolgen müssen, die dann dem Richter in Form einer vorläufigen Akte zur Verfügung gestellt hätte werden können, damit dieser auf Grund der schriftlichen Aufzeichnungen eine Entscheidung treffen kann.
Da es vorliegend wegen der drohenden Gefährdung des Untersuchungserfolges einer richterlichen Anordnung der Blutentnahme nicht bedurfte, besteht auch kein Beweisverwertungsverbot. Darüber hinaus weist die Kammer daraufhin, dass, selbst wenn Gefahr im Verzug nicht vorgelegen hätte, es dennoch nicht zu einem Beweisverwertungsverbot gekommen wäre. Die strafgerichtliche Rechtsprechung, der die Auslegung des Begriffs der Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerungen in erster Linie obliegt (BVerfG NJW 2007, 1425), hat bisher nur in absoluten Sonderfällen schwer wiegende Rechtsverletzungen, die auf grober Verkennung der Rechtslage beruhten, ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Es wird dabei auf die Schwere des Eingriffs in Rechte des Betroffenen einerseits sowie auf das staatliche Ahndungsinteresse und das gefährdete Rechtsgut andererseits abgestellt, die gegeneinander abzuwägen seien (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 81a, Rar. 32, m.w.N.).
Ein Beweisverwertungsverbot wäre insbesondere dann anzunehmen, wenn die Durchführung der Maßnahme auf einer bewusst fehlerhaften bzw. objektiv willkürlichen Annahme der Eingriffsbefugnis durch den Polizeibeamten beruht hätte.
Das ist nach den Feststellungen indes nicht der Fall gewesen. Der Polizeibeamte war nach den Feststellungen der Auffassung im Rahmen seiner Befugnisse zu handeln. Danach käme insoweit nur ein Irrtum über die Voraussetzungen seiner Anordnungskompetenz in Betracht. Sein Handeln war nicht darauf ausgerichtet, eine Beweiserhebung objektiv entgegen dem Gesetz oder subjektiv unter Ausschaltung des Bereitschaftsrichters anzuordnen. Ein irrtümlicher Verstoß gegen die gesetzliche Zuständigkeitsregelung führt aber nicht zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 242; Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 81a Rar. 32).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abc. 1 StPO.