Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 31.10.2008, Az.: 7 B 2870/08

Alter; Altersdiskriminierung; Altersgrenze; Beruf; Berufsfreiheit; Beschäftigung; Gleichbehandlung; Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf; Lotse; Rentenalter; Schiffslotse; Seelotse; Ungleichbehandlung; Ungleichbehandlung freier Berufe; Verbot der Altersdiskriminierung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
31.10.2008
Aktenzeichen
7 B 2870/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 55115
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Altersgrenze für Seelotsen ist mit der Berufsfreiheit der betroffenen Seelotsen vereinbar. Auch im Hinblick auf den medizinischen Fortschritt und das steigende Durchschnittsalter der Bevölkerung ist es weiterhin sachlich gerechtfertigt, den Gefahren, die mit der Tätigkeit älterer Seelotsen verbunden sein können, durch die starre Altersgrenze von 65 Jahren entgegenzutreten.
Die Altersgrenze aus § 18 SeeLG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Einer Anwendung von § 18 SeeLG steht auch nicht das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz - insbesondere § 1 AGG - entgegen. Die Altersgrenze aus § 18 SeeLG verstößt nicht gegen vorrangiges Gemeinschaftsrecht.

Gründe

1

Der Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller über die Vollendung des 65. Lebensjahres hinaus die Bestallung zum Seelotsen zu belassen, ist zulässig, aber unbegründet.

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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Auf den Erlass einer solchen Regelungsanordnung ist das Begehren des Antragstellers bei verständiger Würdigung (§ 88 VwGO) gerichtet; er will seine Rechtssphäre erweitern. Zur Klarstellung weist die Kammer darauf hin, dass sie im Hinblick auf die Ausführungen des Antragstellers zum Anordnungsgrund durchaus erwogen hat, ob hier auch eine „Sicherungsanordnung“ nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO Platz greifen könnte. Das war hier im Interesse des Antragstellers zu klären, weil nach der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung der Erlass einer Sicherungsordnung nicht die verbindliche Bejahung der Unvereinbarkeit der maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften mit Vorschriften des höherrangigen Rechts und damit ihre Nichtigkeit voraussetzt. Vielmehr könne ein Sicherungsbedürfnis gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO bereits dann anzunehmen sein, wenn eine derartige Unvereinbarkeit ernstlich in Betracht zu ziehen sei. So kann es geboten sein, eine einstweilige Anordnung nach " 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO" zu erlassen, um den Rechtsstreit "in der Hauptsache offen zu halten " und die rechtlichen Positionen der Beteiligten bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu wahren (s. OVG Berlin, Beschl. v. 16. April 1992 - 4 S 39.91 -, V.n.b., m.w.N.). Solche Sicherungsanordnungen können in keiner Weise die endgültige Entscheidung vorwegnehmen, was ggf. auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht - hier: von § 18 SeeLG - erfordern würde (s. Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2007, § 123 Rz. 16 m.w.N.). Der Schutz der Interessen des Antragstellers erfordert hier nicht nur die Sicherung seiner bestehenden Rechte, sondern ein „Mehr“.

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Dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO entsprechend kann das Gericht aber in diesem Verfahren grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon im vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit oder unter dem Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte (Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache). Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt dies lediglich dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn der Antragsteller eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rechtzeitig erwirken kann und sein Begehren schon aufgrund der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei Anlegung eines strengen Maßstabes erkennbar Erfolg haben muss (BVerwG, Beschl. v. 13. Aug. 1999 - 2 VR 1/99 - zitiert nach Juris, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier zugunsten des Antragstellers nicht erfüllt. Es spricht kein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für seinen Erfolg auch in der Hauptsache (Klage vom 6. Oktober 2008 - Az.: 7 A 2740/08 - zu diesem Maßstab s. Kopp/Schenke, a.a.O., Rz. 13 m.w.N.).

4

Das Gericht hat in materiell-rechtlicher Hinsicht keine durchgreifenden Bedenken gegen die Altersgrenze von 65 Jahren für Seelotsen. § 18 SeeLG ist höchstwahrscheinlich mit höherrangigem Recht vereinbar. Insoweit verweist das Gericht zunächst auf die im Wesentlichen zutreffenden Erwägungen des Bescheides des Antragsgegners vom 30. Juli 2008, des Widerspruchsbescheids des Antragsgegners vom 3. September 2008 (Feststellung entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO) und seines Schriftsatzes vom 28. Oktober 2008. Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen: Verfassungsrechtlicher Maßstab für die angegriffene gesetzliche Regelung ist Art. 12 Abs. 1 GG und nicht auch Art. 14 Abs. 1 GG. Die Anwendungsbereiche beider Grundrechte werden grundsätzlich danach abgegrenzt, ob das Erworbene, die Ergebnisse geleisteter Arbeit - dann Art. 14 Abs. 1 GG -, oder der Erwerb, die Betätigung selbst - dann Art. 12 Abs. 1 GG - betroffen ist (BVerfGE 88, 366 [BVerfG 25.05.1993 - 1 BvR 345/83]; 102, 26 [BVerfG 16.02.2000 - 1 BvR 420/97]). Auch wenn das Ende der Tätigkeit des Antragstellers als Seelotse auch dessen sachliche Ausstattung betrifft, so steht doch unzweifelhaft im Vordergrund, dass er die Tätigkeit, also die Betätigung selbst weiterhin ausüben will. Im Hinblick auf die Rechte des Antragstellers aus Art. 12 Abs. 1 GG wirkt eine Altersgrenze als eine subjektive Zulassungsbeschränkung. Solche sind zulässig, wenn sie als Voraussetzung zur ordnungsgemäßen Erfüllung des Berufes oder zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes, das der Freiheit des Einzelnen vorgeht, erforderlich sind. Sie dürfen zu dem angestrebten Zweck nicht außer Verhältnis stehen und keine übermäßigen, unzumutbaren Belastungen enthalten (s. BVerfG, Beschluss v. 4. Mai 1983 - 1 BvL 46 und 47/80 -, BVerfGE 64, 72). Diesen Anforderungen wird die hier streitige Altersgrenze gerecht. Anders als der Antragsteller hält es das Gericht insbesondere für sachgerecht, die Erwägungen, mit denen seinerzeit das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (Beschluss v. 18. Okt. 2006 - 12 ME 326/06 -, zitiert nach Juris) die Altersgrenze von 65 Jahren für Verkehrsflugzeugführer als rechtmäßig angesehen hat, zugrundezulegen:

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„Diese Regelung geht auf medizinische Erfahrungswerte zurück, nach denen Flugzeugführer überdurchschnittlichen psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt sind, in deren Folge das Risiko altersbedingter Ausfallerscheinungen und unerwarteter Fehlreaktionen zunimmt. Die Altersgrenze sichert daher nicht nur die ordnungsgemäße Erfüllung der Berufstätigkeit, sondern dient darüber hinaus dem Schutz von Leben und Gesundheit der Besatzungsmitglieder und der Passagiere. Zwar hängt das zur Minderung der Leistungsfähigkeit führende Altern nicht allein vom Lebensalter ab, sondern ist ein schleichender Prozess, der individuell verschieden schnell vor sich geht. Mit höherem Lebensalter wird jedoch ein Altern mit den damit verbundenen Folgen wahrscheinlicher. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass mit zunehmendem Lebensalter die Reaktionsfähigkeit abnimmt und die Gefahr von Ausfallerscheinungen steigt. Die Gefahren sind dann umso größer, wenn mit der Tätigkeit - wie dies bei einem Flugzeugführer der Fall ist - ein erhebliches Sicherheitsrisiko verbunden ist. Der durchschnittlichen altersbedingten Abnahme der Leistungsfähigkeit darf jedenfalls in den Bereichen generalisierend Rechnung getragen werden, in denen erhebliche Sicherheitsrisiken mit katastrophalen Folgen auftreten können und in denen andere Maßnahmen, wie Tauglichkeitsüberprüfungen in zeitlichen Abständen, nicht in gleicher Weise wirksam sind“ (nachgehend BVerwG, 2. Senat 1. Kammer, Nichtannahmebeschluss vom 26. Jan. 2007 - 2 BvR 2408/06 -, zitiert nach Juris).

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Das Gericht teilt die Auffassung des Antragstellers, dass die Festlegung einer solchen starren Altersgrenze nicht die einzig sachgerechte Lösung ist, mit der der Gesetzgeber den Gefahren, die mit der Tätigkeit älterer Seelotsen aufgrund des Alterungsprozesses verbunden sein können, entgegentreten könnte. Das Gericht hält es durchaus für möglich, dass der Gesetzgeber in einwandfreier und anderer Weise den Ausgleich zwischen den Interessen von gesunden Seelotsen, die über das 65. Lebensjahr hinaus ihren Beruf ausüben wollen (und können), und dem überragenden öffentlichen Interesse an der Sicherheit vielbefahrener Seewege findet. Das Gericht hat indes die Einschätzungsprärogative und das spezifische Ermessen des Gesetzgebers bei der Normsetzung zu respektieren. Es ist insbesondere aufgrund des Grundsatzes der Gewaltenteilung nicht befugt, eine andere sachgerechte Lösung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes - sei es auch nur im Einzelfall - an die Stelle der demokratisch legitimierten Entscheidung des Gesetzgebers zu setzen. Nur wenn das Gericht im Rahmen der in diesem Verfahren gebotenen lediglich summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zu der Überzeugung kommt, dass die gesetzgeberische Entscheidung von § 18 SeeLG sich nicht mehr innerhalb des von der Verfassung begrenzten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bewegt, wäre es im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes befugt, einen Anspruch gegen die gesetzliche Rechtsgrundlage zu gewähren (verbunden mit einem Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht). Eine solche Überzeugung hat sich indes beim Gericht nicht gebildet. Es hält es auch im Hinblick auf den medizinischen Fortschritt und das steigende Durchschnittsalter der Bevölkerung weiterhin für sachgerecht, im Falle des freien Berufs der Seelotsen den Gefahren, die mit der Tätigkeit älterer Seelotsen verbunden sein können, durch die starre Altersgrenze für die Berufsausübung entgegenzutreten. Dabei hat das Gericht durchaus die tatsächliche Bedeutung der Tätigkeit des Seelotsen in der Schifffahrt in den Blick zu nehmen, die der Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 28. Oktober 2008 zutreffend beschreibt. Demgegenüber fällt es nicht so sehr ins Gewicht, dass rein formal weiterhin der Kapitän des Schiffs, auf dem der Seelotse beratend tätig ist, die Letztentscheidung behält. Zudem wirft eine Überprüfung der Leistungsfähigkeit ab einem bestimmten Alter im Einzelfall das Problem auf, dass dieses Verfahren regelmäßig erst dann stattfindet, wenn die Leistungsfähigkeit sich verschlechtert hat, und dass die weitere Berufstätigkeit des Seelotsen im Hinblick auf die lange Dauer gerichtlicher Verfahren eventuell noch jahrelang hingenommen werden muss (s. BSG, Urteil vom 6. Februar 2008 - B 6 KA 41/06 R -, zitiert nach Juris, zur Altersgrenze im Vertragsarztrecht). Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber wäre zwar berechtigt, die vom Antragsteller gewünschte Einzelfallprüfung der weiteren Berufstauglichkeit von Seelotsen über das 65. Lebensjahr hinaus vorzusehen (zur Zulässigkeit solcher gesetzgeberischer Regelungen mit „experimentellem“ Charakter s. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2000 - 11 C 8.99 -, zitiert nach Juris), nicht aber das Gericht an seiner Stelle. So hat auch das Bundesverfassungsgericht die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Unverhältnismäßigkeit solcher starren Altersgrenzen, die die Gefährdungen, die von älteren und nicht mehr voll leistungsfähigen Berufstätigkeiten ausgehen, eindämmen sollen, grundsätzlich bestätigt; insbesondere dürfe der Gesetzgeber eine solche - hier gerade auch streitgegenständliche - generalisierende Regelung treffen, anstatt eine individuelle Prüfung der Leistungsfähigkeit Älterer vorzuschreiben (Beschluss v. 31. März 1998 - SozR 3/2500 § 95 Nr. 17).

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§ 18 SeeLG verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gleichheitssatz bedeutet für den Gesetzgeber die allgemeine Weisung, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Dies gilt nicht ausnahmslos, sondern nur, wenn die Gleichheit oder Ungleichheit der Sachverhalte so bedeutsam sind, dass ihre Beachtung unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten geboten erscheint. Auch insoweit ist dem Gesetzgeber weitgehende Gestaltungsfreiheit zuzugestehen. Was dabei in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd ist, lässt sich nicht allgemein und abstrakt feststellen, sondern nur in Bezug auf die Eigenart des konkreten Sachbereichs, der geregelt wird (s. BVerfGE 75, 108 [BVerfG 08.04.1987 - 2 BvR 909/82]; 90, 145; 93, 319 [BVerfG 07.11.1995 - 2 BvR 413/88]). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann das Gericht nicht feststellen, dass § 18 SeeLG die zulässigen Grenzen missachtet. Zwar unterwirft diese Vorschrift die Berufsausübung des Seelotsen im Gegensatz zu derjenigen anderer freier Berufe einer strikten Altersbegrenzung. Diese strengere Behandlung der Seelotsen gegenüber beispielsweise Rechtsanwälten oder Privatärzten ist sachlich gerechtfertigt. Der Gleichheitsgrundsatz gebietet lediglich, wesentlich Gleiches nicht ohne sachliche Rechtfertigung ungleich zu behandeln. Die strikte Altersgrenze für Seelotsen ist - anders als bei den vorbezeichneten Berufsgruppen - durch die besonderen psychischen und physischen Anforderungen (insofern durchaus vergleichbar mit Verkehrspiloten) der Berufsausübung sowie die überragenden öffentlichen Interessen an der Sicherheit vielbefahrener Seewege gerechtfertigt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass - so auch die Argumentation des Antragstellers - der Gesetzgeber gut beraten sein könnte, die Erfahrungen älterer Seelotsen mit dem Erreichen des 65. Lebensjahres nicht wertlos werden zu lassen, sondern diese - gerade in Zeiten einer Knappheit an Seelotsen wie heutzutage - nach Einzelfallprüfung über das 65. Lebensjahr hinaus zu nutzen. Diese Entscheidung obliegt aber dem Gesetzgeber. Auch bei der Überprüfung, ob eine bestimmte gesetzliche Regelung den Anforderungen von Art. 3 Abs. 1 GG genügt, hat das Gericht die Gestaltungsspielräume und die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu respektieren; diese sind mit der geltenden Regelung von § 18 SeeLG nicht - im Hinblick auf das betroffene individuelle Schutzgut des 65-jährigen Seelotsen - verfassungswidrig überschritten. Dabei mag eine besondere Rolle spielen, dass eine Altersgrenze von 65 Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung das übliche sein dürfte und deshalb herabgesetzter gesetzgeberischer Rechtfertigung bedarf. Dabei ist aus Sicht des Gerichts insbesondere zu berücksichtigen, dass die Betroffenen bei der Wahl eines Seelotsen nicht frei sind; diese werden nach Plänen u.a. "zugeteilt". Demgegenüber kann der Bürger seinen Arzt oder seinen Rechtsanwalt grundsätzlich frei wählen und dabei auch dessen Alter in den Blick nehmen. Dem Kapitän eines Schiffes dürfte dies demgegenüber bei der Anforderung eines Seelotsen nicht möglich sein. Die Altersgrenze ist bei Seelotsen indes nicht durch weitere wichtige Gründe - beispielsweise wie die Altersgrenze für die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung - (s. BSG, Urteil vom 6. Februar 2008 - B 6 KA 41/06 - R -, zitiert nach Juris) gerechtfertigt. Die Altersgrenze von § 18 SeeLG dient kaum der Wahrung der Chancen des Berufszugangs für jüngere Kapitäne zum freien Beruf des Seelotsen. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass gegenwärtig - gemessen am Bedarf - zu wenige Seelotsen bestallt und auch zur Ausbildung zugelassen werden.

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Das Begehren des Antragstellers, § 18 SeeLG in seinem Falle nicht anzuwenden, lässt sich auch nicht aus einem Verstoß dieser Vorschrift gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) begründen. Dabei kann eine solche starre Altersgrenze wegen des Verbots der Altersdiskriminierung (§ 1 AGG) durchaus fragwürdig sein (auch wenn § 18 SeeLG als eine nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 AGG zulässige Regelung gelten kann). Dadurch wird § 18 SeeLG indes nicht unwirksam. Zum Einen regelt das AGG nicht, dass „AGG-widriges diskriminierendes“ nationales Recht unanwendbar ist (s. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 18. Sept. 2007 - L 11 B 17/07 KA ER, zitiert nach Juris). Zum Anderen ließe sich ein Widerspruch zwischen dem Diskriminierungsverbot des AGG und § 18 SeeLG auf nationaler Ebene nicht dadurch lösen, dass §§ 1, 7 AGG Vorrang vor § 18 SeeLG haben. Vorschriften des SeeLG und des AGG sind beide Parlamentsgesetz des Bundes und daher gleichrangig. Der Grundsatz, dass im Falle eines Widerspruchs zwischen Gesetzen das jüngere dem älteren vorgeht („lex posterior derogat legi priori“), greift hier im Verhältnis des AGG zu § 18 SeelG nicht. Zurecht weist die Antragsgegnerin daraufhin, dass das erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Seelotswesen vom 28. Juli 2008 (BGBl. I 1507) die Altersgrenze gemäß § 18 unverändert beibehalten hat, und dass die ursprüngliche Möglichkeit, die aktive Lotstätigkeit zu verlängern (§ 21 Abs. 2 SeeLG a.F.) schon längst wieder gestrichen worden ist. Das AGG ist in Bezug auf § 18 SeeLG auch nicht die speziellere Vorschrift, so dass sich ein Vorrang des Verbots der Altersdiskriminierung kraft AGG auch nicht aus dem Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ ergibt. Da der Gesetzgeber bei dem Erlass des AGG durch Art. 3 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897) bestimmte Vorschriften geändert, im Übrigen keinen Handlungsbedarf gesehen und auch bei der jüngsten Änderung § 18 SeeLG nicht neu gefasst hat, so ist anzunehmen, dass der bei Inkrafttreten des AGG bestehende und vom Gesetzgeber nicht geänderte § 18 SeeLG mit dem europarechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung in Einklang steht und deshalb anzuwenden ist (vgl. SG Dortmund, Beschl. v. 25. Juni 2008 - S 16 KA 117/07 -, zitiert nach Juris).

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Das Gericht zieht auch nicht in Betracht, dass § 18 SeeLG wegen eines Verstoßes gegen vorrangiges Gemeinschaftsrecht unanwendbar sein könnte. Vielmehr dürfte diese Vorschrift mit der Richtlinie 2000/78/EG" Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf" vom 20. November 2000 (ABl. L 303,16 - im Folgenden: RL) vereinbar sein.

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Die RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Diskriminierung u.a. wegen des Alters im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf zu erlassen. Nach Art. 2 Abs. 1 iVm Abs. 2 RL darf es in den Mitgliedstaaten keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen des Alters mehr geben. Diese Vorgaben werden zum Einen in Art. 2 Abs. 5 RL eingeschränkt, wonach diese RL „nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehen Maßnahmen berührt, die .... zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind“, und zum Anderen in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 RL, wonach „die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel ... gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind“. Der EuGH hat diese RL-Bestimmungen dahingehend konkretisiert, dass sie auch für wirtschaftliche, soziale, demographische und/oder haushaltsbezogene Erwägungen Raum geben (EuGH, Urteil vom 16. Okt. 2007 - „Palacios“ - NJW 2007, 3339, 3341 sowie Juris). Auch wenn dieses Urteil den Fall eines abhängig Beschäftigten betrifft, so sind doch wesentliche Teile der Urteilsbegründung weder von ihrem Wortlaut noch von ihrem Kontext her auf abhängig Beschäftigte beschränkt, sondern auch auf freie Berufe wie den des Seelotsen anwendbar. Nach den Maßstäben der Entscheidung des EuGH vom 16. Oktober 2007 ist die Regelung über die Altersgrenze in § 18 SeeLG voraussichtlich nicht zu beanstanden. Eine „Benachteilung wegen des Alters“ im Sinne des Art. 1 i.V.m. Art. 2 RL liegt zwar vor, sie ist aber gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 RL (vgl. § 10 Satz 1 und 2 AGG) gerechtfertigt. Insoweit muss es im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes genügen, auf die Erwägungen, wonach die angegriffene Regelung im Lichte von Art. 12 GG und Art. 3 GG nicht zu beanstanden sei, zu verweisen. Das Gericht braucht daher auch nicht zu prüfen, ob das AGG die RL vollständig umgesetzt hat mit der Folge, dass es möglicherweise einen europarechtlichen Anwendungsvorrang der RL nicht mehr gibt (s. hierzu LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 9. Nov. 2007 - L 3 KA 69/07 ER -, zitiert nach Juris).