Amtsgericht Hameln
Urt. v. 07.02.2003, Az.: 23 C 287/02
Gebäude; Schmerzensgeld; Verkehrssicherungspflicht
Bibliographie
- Gericht
- AG Hameln
- Datum
- 07.02.2003
- Aktenzeichen
- 23 C 287/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48165
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs 1 BGB
- § 847 BGB
Tenor:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 1.200,-- EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 16.10.2002 zu zahlen.
2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die durch die Beweisaufnahme entstandenen Kosten des Rechtsstreits. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben,
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin und die Beklagte dürfen die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Beklagte ist seit dem 1.4.1997 Mieterin eines Einstellplatzes in dem von der Beklagten betriebenen Parkhaus "Rattenfänger-Rondell" an der Erichstraße in Hameln. Das Parkhaus kann (u.a.) durch Außenstahltreppen verlassen werden. Die Stufen sind dabei durch Schrauben festgezogen. Eine dieser Treppen des - mehrstöckigen - Parkhauses befindet sich dabei gegenüber dem Jugendzentrum „Regenbogen" und der AOK. Die Beklagte hatte und hat die Kontrolle der Außentreppen dem Pächter des dortigen Kioskes derart aufgegeben, dass dieser nach den getroffenen Vereinbarungen jeden Tag einen Kontrollgang durch die gesamte Anlage machen muss und dabei festgestellte Beschädigungen und Mängel unverzüglich der Netzleitstelle zu melden hatte. Am 25.2.02 verließ die Klägerin gegen 9.00 Uhr über die gegenüber dem Jugendzentrum und der AOK befindliche Außentreppe das Parkhaus. Als sie auf die vom letzten Zwischenpodest vor dem Erdboden aus gesehen 2. Stufe (Höhe vom Erdboden ca. 2 m) trat, löste sich diese. Die Ursache hierfür war, dass die Schrauben dieser Stufe aus im einzelnen zwischen den Parteien streitigen Gründen gelöst waren. Zu gelösten Schrauben (Haltebügeln) war es - wie in der mündlichen Verhandlung vom 31.1.03 unstreitig geworden ist - auch in der Vergangenheit, wenn auch nach Angaben der Klägerin nicht an dieser Treppe, schon einige Male gekommen. Die Kläger stürzte infolge der gelösten Stufe durch den Zwischenraum auf den Boden. Sie erlitt eine Brustprellung rechts, einen knöchernen Muskelabriss aus dem Sitzbeinhöcker links sowie eine Knieprellung rechts. Sie war vom 25.2. bis 18.3.02 arbeitsunfähig.
Die Klägerin fordert mit der am 15.10.2002 zugestellten Klage ein angemessenes Schmerzensgeld bei einer Betragsvorstellung von ca. 2.500,-- EUR. Sie meint, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Dazu behauptet sie, die Schrauben hätten sich durch Abnutzung gelöst. Das sei auch vor dem 25.2.02 schon mehrere Male so geschehen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld, das in Höhe des Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz, seit Rechtshängigkeit an sie zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin behauptet, die Schrauben an den Stufen hätten sich nicht von allein gelöst - das sei auch gar nicht möglich - sondern durch Manipulationen Dritter. Am fraglichen Morgen, ca. um 5.30 Uhr habe der Pächter des Kioskes, der Zeuge D., seinen morgendlichen Kontrollgang gemacht. Dabei sei er auch diese Treppe heruntergegangen sei. Allerdings habe er die Treppe nicht von unten inspiziert. Das sei aber auch nicht nötig: Wäre die Treppenstufe bereits zu diesem Zeitpunkt gelöst gewesen, so wäre ihm das beim Treten auf die Stufe durch ein "klackerndes" Geräusch aufgefallen. Im übrigen meint die Beklagte, die Schmerzensgeldvorstellung der Klägerin sei überhöht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 31.1.03 verwiesen.
Das Gericht hat gemäß dem Beweisbeschluss vom 31.1.03 Beweis durch Vernehmung des Zeugen erhoben. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll über diese mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist dem Grunde nach auch auf der Grundlage des Vortragen der Beklagten, die Schrauben seien von Dritten mutwillig losgeschraubt worden, nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht begründet.
Jeder, der Gefahrenquellen schafft oder unterhält, hat die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen. Da eine jeglichen Schadensfall ausschließende Verkehrssicherung nicht erreichbar ist und auch die berechtigten Verkehrserwartungen nicht auf einen Schutz vor allen nur denkbaren Gefahren ausgerichtet sind, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht allerdings auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schaden zu bewahren. Haftungsbegründend wird demgemäß die Nichtabwendung einer Gefahr erst dann, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können. Unter diesen Voraussetzungen umfasst die Pflicht eines Eigentümers und Vermieters, die von seinem Grundstück oder einem darauf befindlichen Gebäude ausgehenden Gefahren abzuwenden, prinzipiell auch solche Gefährdungen, die sich erst aus dem vorsätzlichen Eingreifen eines Dritten ergeben (BGH NJW 1990, 1236 f [BGH 19.12.1989 - VI ZR 182/89]). Bei der Beurteilung des Umfangs von Verkehrssicherungspflichten spielt der Umstand, dass die Treppen baurechtlich nach § 34 NdsBau0 nicht zu beanstanden sind, keine Rolle: Das zivilrechtliche Verbot der Gefährdung des Verkehrs ist nach seiner Zielsetzung häufig umfassender als die der staatlichen Bauaufsicht gestellte Aufgabe (BGH a.a.O.).
Vorliegend war bei dem Umfang der Verkehrssicherungspflicht zu beachten, dass es sich hier unm ein viel frequentiertes Parkhaus handelte. Bei diesem musste die Beklagte angesichts der gewählten Konstruktion der Außentreppen auch mit dem mutwilligen (vorsätzlichen) Lösen von Schrauben rechnen. Sie hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass das auch schon vorher passiert war. Nach der Konstruktion der Stahltreppen war das auch ohne großen Aufwand, nämlich bereits durch Einsatz eines Schraubenschlüssels möglich. Bei dieser Sachlage hätte die Klägerin zumindest die ohne weiteres von unten zu erreichenden Schrauben davor sichern müssen, dass sie nicht jeder Dritte mit einem Schraubenschlüssel lösen konnte. Vorliegend handelt es sich bei der Treppenstufe, die gelöst war, um eine solche, die sich in einer Höhe von ca. 2 m befand und damit ohne weiteres, von unten erreichbar war. Der Kontrollgang des Zeugen ... um 5.30 Uhr (und ein erneuter eines Mitarbeiters Abends) reichte insofern nicht aus, um diesen Gefahren vorzubeugen. Das gilt um so mehr, als nicht in jedem Fall eine gelöste Treppenstufe auch optisch wahrnehmbar war, nämlich z.B. dann nicht, wenn man zufällig genau auf der Mitte der Stufe auftritt und nicht auf die Kante, so dass sich die Stufe nicht lösen konnte. Die nicht hinreichende Sicherung der Schrauben war unstreitig auch ursächlich für den Sturz der Klägerin.
Ein Schmerzengeld von 1.200,-- EUR entspricht, unter Berücksichtigung der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, wobei letztere hier allerdings keine Bedeutung hat, billigem Ermessen. Dieser Betrag erscheint erforderlich aber auch ausreichend zum Ausgleich der erlittenen Schmerzen und sonstigen immateriellen Beeinträchtigungen. Die Klägerin war glücklicherweise nur für ca. 1 Tag auf Schmerzmittel angewiesen und konnte im übrigen ambulant - auch ohne krankengymnastische Hilfe - behandelt werden. Der Frage, ob die Treppe möglicherweise der "Notausgang" war, misst das Gericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes keine ausschlaggebende bzw. ins Gewicht fallende Rolle zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 96 und 92 Abs. 2 ZPO. Es war angemessen, der Beklagten die Kostender Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen ... aufzuerlegen, da die Beweisaufnahme sich lediglich auf die - im Ergebnis zu bejahende - Frage der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht der Beklagten erstreckte und nicht nur auf die Höhe des Schmerzensgeldes selbst; letztere Frage konnte ohne Beweisaufnahme entschieden werden.
Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.