Amtsgericht Hameln
Urt. v. 15.11.2002, Az.: 32 C 190/02 (6)
fiktive Reparaturkostenabrechnung; Stundenverrechnungssatz
Bibliographie
- Gericht
- AG Hameln
- Datum
- 15.11.2002
- Aktenzeichen
- 32 C 190/02 (6)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 41880
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 Nr 1 PflVG
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 311,25 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 30.05.2002 zu zahlen.
Der Kläger trägt 6/10, die Beklagte 4/10 der Kosten des Rechtsstreites.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger macht – bei unstreitiger Haftung der Beklagten dem Grunde nach – ergänzend Schadensersatz aus dem Verkehrsunfall vom 26. Februar 2002 in B. geltend. Er rechnet nach dem eingeholten Gutachten des Sachverständigenbüros B. vom 28.02.2002 (Bl. 4 ff. d.A.) ab, welches den Schaden am Fahrzeug des Klägers, einem Van vom Typ Grand Voyager, auf 6.068,05 € beziffert und entsprechend den Sätzen der Vertragswerkstätte Daimler-Chrysler in B. Stundenlöhne von 84,00 € für Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten und von 93,00 € für Lackierarbeiten berücksichtigt. Der Kläger veräußerte das Fahrzeug unrepariert. Die Beklagte glich einen Teilbetrag von 764,64 € nicht aus.
Der Kläger meint, er habe Anspruch auf Schadensersatz in Höhe der Arbeitslöhne, die in einer Vertragswerkstätte zu zahlen wären.
Er beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 764,64 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der LZB seit dem 30.05.2002 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Auffassung könne nicht das Lohnniveau einer Vertragswerkstätte zugrunde gelegt werden, sondern nur der durchschnittliche Lohn einer Fachwerkstätte, wie er bei allen Fachwerkstätten einer Region ermittelt werden könne.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nur teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung eines ergänzenden Schadensersatzes in Höhe von 311,25 €, und zwar gestützt auf § 3 Nr. 1 PflichtVG. Weitergehende Schadensersatzansprüche bestehen allerdings nicht.
1. Der Kläger hat vorliegend nur Anspruch auf Erstattung der Reparaturkosten, die durchschnittlich bei den Fachwerkstätten der hiesigen Region in Rechnung gestellt werden.
Hinsichtlich der grundlegenden Rechtsfrage, ob bei fiktiver Reparaturkostenabrechnung die Stundenverrechnungssätze einer Vertragswerkstatt oder die Durchschnittsbeträge aller Fachwerkstätten einer Region herangezogen werden müssen, werden unterschiedliche Standpunkte vertreten. Während u.a. das Landgericht Frankfurt (zfs 2001, S. 359 f.) dem Geschädigten Anspruch auf Erstattung der Kosten nach den Sätzen einer Vertragswerkstatt zubilligt und hierbei im Wesentlichen auf den Grundsatz der Dispositionsfreiheit abstellt, steht nach anderer Rechtsauffassung bei fiktiver Abrechnung nur ein Ersatzbetrag in Höhe des Durchschnittswertes der Fachwerkstätten einer Region zu (so insbesondere für den Fall, dass der Geschädigte nicht Stammkunde einer Vertragswerkstätte ist, das OLG, DAR 1996, S. 400 ff.).
Das Gericht schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Maßgebend ist, dass die Dispositionsbefugnis des Geschädigten nicht beeinträchtigt wird. Dieser hat nach wie vor die Freiheit, sich einerseits für eine Reparatur des Fahrzeuges in einer Vertragswerkstätte oder in einer sonstigen Fachwerkstätte zu entscheiden und die von ihm dort zu entrichtenden Beträge voll erstattet zu erhalten oder andererseits auf fiktiver Basis abzurechnen. Wählt er letztere Alternative, verzichtet er also auf eine tatsächliche Reparatur, so verdient auch die fiktive Entscheidung für eine Vertragswerkstätte keinen Schutz. Denn nicht mehr der Vorrang des Vertrauens des Geschädigten darauf, dass in einer Vertragswerkstätte sein Fahrzeug in der von ihm gewünschten vorbildlichen Weise und damit besser repariert werde (dieses Vertrauen ist aus Sicht des Gerichtes zwar objektiv nicht in dieser Form gerechtfertigt, mag subjektiv aber gegeben sein), ist dann die Handlungsgrundlage, sondern der Gesichtspunkt einer möglichst hohen Barentschädigung: Der Geschädigte sucht den Weg, auf dem sein Vermögen bei Verzicht auf die Durchführung einer Reparatur den größtmöglichen Zuwachs erhält.
Der Umstand, dass bei fiktiver Schadensabrechnung der Geschädigte Abstriche hinnehmen muss, findet sich auch an anderen Stellen des Kfz-Schadensersatzrechtes. So hat der Geschädigte bei tatsächlich durchgeführter Reparatur Anspruch auf Erstattung der Reparaturkosten, selbst wenn diese den wirtschaftlichen Wert des Fahrzeuges übersteigen. Verzichtet er auf die Reparatur, begrenzt der Wert des Fahrzeuges seinen Anspruch, nach neuem Recht auch – was für richtig gehalten wird – unter Abzug der Mehrwertsteuer. Auch hier stellt sich das Problem nicht als ein solches der Dispositionsfreiheit dar, sondern als eines der rechtlichen Bewertung des Schadens im Vermögen des Geschädigten.
Der Geschädigte kann im Übrigen jederzeit auch nach erfolgter fiktiver Abrechnung, wenn er sich später für eine tatsächliche Reparatur entscheidet, einen Differenzbetrag zu den tatsächlichen Reparaturkosten einfordern. Dieses erkennt auch das Landgericht Kassel an. Dass dann möglicherweise zwei Prozesse zu führen sind, ist gerade Ausfluss dieser Entscheidung des Geschädigten, ist aber im Übrigen auch nicht zwangsläufige Folge, weil das erste Urteil bereits in den Grundfragen Klarheit geschaffen haben dürfte.
Soweit das OLG Hamm noch einschränkend ausführte, dieses gelte jedenfalls dann, wenn der Geschädigte nicht Stammkunde einer Vertragswerkstatt sei, ist vorliegend seitens des Geschädigten eine Stammkundeneigenschaft nicht dargelegt worden: Im Übrigen ist dieses aber auch zur Überzeugung des Gerichtes kein ausschlaggebender Gesichtspunkt. Gerade die Tatsache, dass der Geschädigte von seiner Gewohnheit, ausschließlich Vertragswerkstätten aufzusuchen, insoweit absieht, als er das Fahrzeug unrepariert bleiben läßt, entbindet davon, sein Vertrauen auf die Erstattung der vollen Vertragswerkstättensätze zu schützen.
Im Übrigen ist zukünftig auch unsicher, ob noch eine klare Differenzierung zwischen Vertragswerkstätten und sonstigen Fachwerkstätten möglich ist, nachdem erkennbar im EU-Bereich das Recht der Vertragsbindung von Werkstätten an bestimmte Kfz-Marken deutlichen Veränderungen unterworfen sein wird.
2. Aber auch auf der Grundlage, dass der Kläger nur Anspruch auf Erstattung der Kosten durchschnittlicher Vertragswerkstätten hat, steht ihm noch ein Schadensersatzbetrag zu. Nach der Liste der DEKRA zu den mittleren ortsüblichen Stundenverrechnungssätzen von Kfz-Fachwerkstätten nach dem Stand Mai 2002 liegen die Sätze im Bereich der Niederlassung Hannover, also innerhalb der Region Hannover, im städtischen Bereich bei Mechanikarbeiten bei 64,75 €, bei Karosseriearbeiten bei 75,50 € und bei Lackierarbeiten ohne Material bei 76,75 €. B. ist als Stadt einzuordnen. Hier waren Karosseriearbeiten und Lackierarbeiten durchzuführen. Bei 261 Arbeitswerten, wie vom Sachverständigen festgestellt, für je 7,55 € ergibt sich ein Betrag von 1.970,55 €, eine Differenz zu dem Gutachtenbetrag von 221,85 €. Bei 104 Arbeitswerten für Lackierarbeiten zu je 76,75 € ergibt sich ein Betrag von 798,20 €, damit eine Differenz zum Gutachtenbetrag von 169,00 €. Beide Differenzbeträge zusammen ergeben 390,85 € und incl. Mehrwertsteuer 453,39 €. Dieser Betrag ist von der Klageforderung abgezogen worden. Es ergibt sich ein Betrag von 311,25 € als Restforderung.
3. Die Zinsforderung ergibt sich aus den §§ 280, 284, 286, 288 BGB.
4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 713 ZPO.