Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 12.02.2020, Az.: L 3 KA 20/17

Rechtmäßigkeit eines Regresses aufgrund einer Richtgrößenprüfung; Anerkennung von Praxisbesonderheiten; Vom Durchschnittswert der Vergleichsgruppe erheblich abweichender Behandlungsbedarf der jeweiligen Patientenklientel und daraus resultierende Mehrkosten

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
12.02.2020
Aktenzeichen
L 3 KA 20/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 14546
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 25.01.2017 - AZ: S 20 KA 60/11

Redaktioneller Leitsatz

Praxisbesonderheiten liegen dann vor, wenn ein spezifischer, vom Durchschnittswert der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf der jeweiligen Patientenklientel und die hierdurch hervorgerufenen Mehrkosten dargelegt werden können.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Januar 2017 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten aus beiden Rechtszügen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Der Klägerin sind 5 % der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Vorverfahren notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 281.362 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Regresses aufgrund einer Richtgrößenprüfung.

Die Klägerin ist eine ehemalige hausärztliche Berufsausübungsgemeinschaft (BAG; früher: Gemeinschaftspraxis) mit Praxissitz in N ... Sie bestand aus der Internistin Dr. O. und dem Internisten Dr. P., die miteinander verheiratet sind und im Jahr 2003 an der vertragsärztlichen Versorgung teilgenommen haben. Bei insgesamt 6.973 Behandlungsfällen verordnete die Klägerin in diesem Jahr nach den Angaben der Geschäftsstelle des Prüfungsausschusses Niedersachsen Arzneimittel im Gesamtwert von (brutto) 1.213.411,95 Euro.

Wegen einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um 133,55 % leitete der Prüfungsausschuss Niedersachsen gegen sie eine Richtgrößenprüfung ein, bei der er zunächst - im Wege der Vorabprüfung - die Bruttoausgaben um 26.329,82 Euro bereinigte und Praxisbesonderheiten im Wert von 138.737,09 Euro anerkannte. Mit Schreiben vom 4. Juni 2007 teilte er der Klägerin mit, dass sich der vorläufig errechnete Nettoregress auf 329.937,87 Euro belaufe; die Klägerin könne aber weitere Praxisbesonderheiten geltend machen.

Die Klägerin rügte daraufhin, die bisher vorgenommene Quantifizierung von Praxisbesonderheiten sei willkürlich und nicht nachvollziehbar. Es müssten weitere Praxisbesonderheiten anerkannt werden, ua nach der Anl 3.1 zur Richtgrößenvereinbarung (RGV) wegen der Verordnungen für PEG-Sondennahrung, für neurologische Erkrankungen, besonders kostenaufwendige Patienten sowie für "weitere Besonderheiten"; außerdem müsse ein Volumen von mehr als 300.000 Euro in Abzug gebracht werden, das auf die Weiterverordnung von Präparaten entfalle, die von fachärztlichen Kollegen erstverordnet worden seien. Darüber hinaus wies sie auf Datenfehler (Doppelverordnungen, Verordnungen für unbekannte Versichertennummern, nicht nachvollziehbares Verordnungsdatum, unrichtige Pharmazentralnummer (PZN), Hilfsmittel) hin und machte allgemeine Einwendungen gegen die Durchführung der Richtgrößenprüfung (RGV zu spät bekanntgegeben, Eintreten der Verjährung, der Höhe nach rechtswidrige Festsetzung der Richtgrößen, unrichtige Definition der Praxisbesonderheiten, Anspruch auf eine regressablösende Individualvereinbarung) geltend.

Im Anschluss setzte der Prüfungsausschuss Niedersachsen einen Regress iHv 309.703,24 Euro fest. Dabei erkannte er Praxisbesonderheiten iHv 112.986,29 Euro und als zusätzliche Besonderheit einen Verordnungsumfang von 50.096,28 Euro für vier Versicherte mit besonderem Versorgungsbedarf sowie "sonstige Abzüge" iHv 98,16 Euro an.

Hiergegen legte die Klägerin am 29. November 2007 Widerspruch ein und kündigte eine Begründung mit gesondertem Schriftsatz an. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2009 beantragte sie ihre mündliche Anhörung vor dem Beschwerdeausschuss. Nachdem ihr die Terminsmitteilung vom 11. November 2010 zur Sitzung des Beklagten am 6. Dezember 2010 zugegangen war - mit der die Möglichkeit zur persönlichen Anhörung angeboten wurde -, beantragte sie die Verlegung des Termins, weil die Ärztin Dr. O. aus gesundheitlichen Gründen an der Sitzung nicht teilnehmen könne. Hierzu legte sie eine fachärztliche Bescheinigung der Psychiaterin Dr. Q. vor. Der Beklagte lehnte den Verlegungsantrag ab, weil evtl medizinische Rückfragen des Ausschusses durch Herrn Dr. R. beantwortet werden könnten (Schreiben vom 18. November 2010).

Daraufhin legte die Klägerin mit Schreiben vom 6. Dezember 2010 eine schriftliche Widerspruchsbegründung vor, die per Fax am selben Tag bei der Prüfungsstelle Niedersachsen einging. Sie machte geltend, das zugrunde zu legende Bruttoverordnungsvolumen liege ausweislich der ihr vom Beklagten zugesandten CD-ROM bei lediglich 1.023.901 Euro. Außerdem wiederholte und ergänzte sie ihren Vortrag zu Fehlern im Datenmaterial und trug vor, das Richtgrößenvolumen hätte bei korrekter Einordnung freiwillig versicherter Rentner um 12.889,36 Euro niedriger ausfallen müssen. Zu Praxisbesonderheiten führte sie ua aus, das Praxisprofil werde durch unterschiedliche Ausbildungsschwerpunkte der Ärzte geprägt, wobei Dr. P. allgemein-internistisch sowie gastroenterologisch, hepatologisch, kardiologisch und nephrologisch und Dr. S. R. allgemein-internistisch und onkologisch mit einem besonderen Interesse an der Rheumatologie tätig sei. Praxisschwerpunkte lägen in den Bereichen der Sonographie der Schilddrüse und des gesamten Abdomens, in der Echokardiographie, der oberen Intestinoskopie, Koloskopie, Ergometrie, in Langzeitblutdruckmessungen und Langzeit-EKGs sowie in der Röntgen- und Labordiagnostik. Schließlich versorge ihre Praxis eine kostenintensive ältere Klientel und kooperiere mit einem Herzzentrum bzw einer Einrichtung für betreutes Wohnen psychiatrisch Erkrankter. Weiterhin bezifferte sie die auf "Fremd- und Mitverordnungen" entfallenden Praxisbesonderheiten (va PPI-Verordnungen, Asthma, Depression und Osteoporose) auf mehr als 321.000 Euro.

Eine als Anlage 5 zur Widerspruchsbegründung erstellte CD-ROM ging dem Beklagten erst mit dem Originalschriftsatz zur Begründung am 7. Dezember 2010 zu (vgl Schreiben des Beklagten vom 13. Dezember 2010, Bl 96 VA und Bl A 129 VA). Im Termin vom 6. Dezember 2010 war für die Klägerin lediglich deren damalige Prozessbevollmächtigte anwesend.

Der Beklagte beschloss an diesem Tag, dem Widerspruch iHv 14.424,91 Euro stattzugeben und setzte den Regress neu auf 295.278,33 Euro fest (Bescheid vom 27. Januar 2011). Er brachte nunmehr den von der Klägerin geltend gemachten Betrag von 12.889,36 Euro für freiwillig versicherte Rentner in Abzug und erkannte zusätzlich die für die Behandlung der terminalen Niereninsuffizienz eingesetzten Diuretika als Praxisbesonderheit an. Die Summe der auf anerkannte Praxisbesonderheiten entfallenden Verordnungen erhöhte sich auf 114.463,21 Euro.

Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 31. Januar 2011 Klage erhoben, die am 2. Februar 2011 beim Sozialgericht (SG) Hannover eingegangen ist. Zur Begründung hat sie gerügt, ihr Recht auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil der Antrag auf Verlegung des Termins vor dem Beschwerdeausschuss wegen der Verhinderung der Ärztin Dr. O. abgelehnt worden sei. Dies sei schon im Hinblick auf die existenzgefährdende Höhe des Regresses rechtswidrig gewesen. Für die Klägerin habe damit keine hinreichende Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Substantiierung etwaiger Praxisbesonderheiten bestanden. Dies führe auch dazu, dass der Beklagte seinen Beurteilungsspielraum fehlerhaft ausgeübt habe. Die Überschreitung des Richtgrößenvolumens habe maßgeblich auf Verordnungen von Frau Dr. R. beruht, wobei beide Ärzte ihre eigene Klientel und ihre Tätigkeit unterschiedlich ausgerichtet hätten. Frau Dr. R. sei im September 2010 an einer Enzephalitis mit nachfolgender reaktiver Depression erkrankt gewesen und habe zuletzt in der Zeit vom 27. November 2010 bis zum 13. Januar 2011 stationär behandelt werden müssen. Dr. P. sei im Herbst und Winter 2010/2011 wegen der Erkrankung und Abwesenheit seiner Frau in der Praxis und auch familiär deutlich stärker in Anspruch genommen gewesen. Das Recht zur mündlichen Anhörung in der Sitzung ergebe sich sinngemäß aus § 7 Abs 2 der ab 2010 geltenden Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung (PrüfV). Anzuhörende Beteiligte des Prüfverfahrens seien dabei beide Ärzte persönlich gewesen, wie sich aus den Formulierungen des angefochtenen Bescheides ergebe. Darauf, dass die beiden Ärzte eine BAG bildeten, könne es nicht ankommen, weil Verfahrensrechte der Ärzte nicht in Hinblick auf die materielle Rechtslage eingeschränkt oder aufgehoben werden dürften. Im Übrigen hat die Klägerin auf ihre Ausführungen im Vorverfahren verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 25. Januar 2017 hat der Beklagte weitere Praxisbesonderheiten iHv insgesamt 13.915,98 Euro (Verordnungen von Clexane und von Sondennahrung) anerkannt; die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen.

Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom selben Tag unter Aufhebung seines Bescheids vom 27. Januar 2011 verpflichtet, über den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses Niedersachsen vom 22. November 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Aufgrund einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör sei der Bescheid sowohl formell als auch materiell rechtswidrig. Die Klägerin habe einen Anspruch auf mündliche Anhörung bei dem Beklagten gehabt, der sich zum einen aus § 7 Abs 2 der PrüfV ergebe. Darüber hinaus folge dieses Recht aus der Verwaltungspraxis des Beklagten iVm dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Im Übrigen habe jeder Arzt eine persönliche Terminsmitteilung erhalten, in der ihm die Möglichkeit zur persönlichen Anhörung eingeräumt worden sei. In Hinblick auf Verlegungsanträge gelten die gleichen Grundsätze wie im gerichtlichen Verfahren, sodass dem Antrag bei Vorliegen eines erheblichen Grundes - etwa der Erkrankung eines nicht vertretenen Beteiligten - stattzugeben sei. Im Übrigen spreche auch viel dafür, dass sich ein Anspruch auf mündliche Anhörung auch aus § 24 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ergebe. Die mündliche Anhörung gewährleiste am ehesten das Gebot des effektiven Rechtschutzes, weil hierdurch der Arzt in der Verhandlung vor dem Fachgremium Beschwerdeausschuss die Möglichkeit habe, ggf seinen Vortrag zu ergänzen und vom Fachgremium vorgetragene Bedenken zu beseitigen. Dies gelte umso mehr, als der Arzt im anschließenden Gerichtsverfahren mit einem Vortrag zu Praxisbesonderheiten präkludiert sei, was erst recht problematisch sei, wenn - wie hier - existenzbedrohend hohe Regresssummen im Raum stünden. Es stehe auch fest, dass Frau Dr. R. entschuldigt verhindert und ihre persönliche Anwesenheit im Termin unerlässlich gewesen sei. Auf gesellschaftsrechtliche Vertretungsregelungen im Hinblick auf eine BAG komme es insoweit nicht an. Das Recht auf rechtliches Gehör sei unzulässigerweise auch dadurch beschränkt worden, dass die Klägerin auf die Möglichkeit der Teilnahme von Herrn Dr. R. verwiesen worden sei, weil es ua nahezu unmöglich sei, Behandlungs- und Verordnungszusammenhänge für länger zurückliegende Zeiträume eines anderen Arztes darzustellen. Die Klägerin habe auch faktisch nur drei Wochen Zeit gehabt, um schriftlich zum Verfahren Stellung zu nehmen, weil von ihrer Seite erst mit dem Schreiben des Beklagten vom 11. November 2010 ein konkreter Anlass bestanden habe, sich mit dem Regressverfahren zu beschäftigen. Da im Fall von Beurteilungs- und Ermessensspielräumen regelmäßig eine andere sachliche Entscheidung möglich sei, wenn das Verfahren rechtskonform wiederholt werde, führe der Anhörungsfehler gemäß § 42 S 1 SGB X zur Aufhebung des vorliegenden Bescheids.

Gegen diese ihm am 14. Februar 2017 zugestellte Entscheidung hat der Beklagte am 10. März 2017 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Entgegen der Auffassung des SG folge ein Anspruch auf mündliche Anhörung nicht aus der PrüfV, weil diese in § 7 Abs 2 keine entsprechende explizite Regelung enthalte. Der dortige Begriff "verhandeln" beziehe sich nur darauf, dass die Vertreter der im Beschwerdeausschuss vertretenen Institutionen in ihren regelmäßigen Sitzungen einen Austausch ihrer zum Teil inhaltlich konträren Positionen pflegten. Es entbehre ferner jeder Grundlage, wenn das SG meine, dass die Klägerin faktisch nur drei Wochen Zeit gehabt habe, sich zum Verfahren zu äußern. Die Ärzte hätten sich vielmehr mehrfach (in insgesamt fünf schriftlichen Stellungnahmen) geäußert. Das Recht auf mündliche Anhörung ergebe sich auch nicht aus einer Verwaltungspraxis in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz, weil eine entsprechende einheitliche Praxis auf regelmäßige persönliche Anhörung nicht bestehe. Wenn das SG außerdem ausführe, dass der Beklagte den Verlegungsantrag nicht mit Hinweis auf eine mögliche Teilnahme des Arztes Dr. R. habe ablehnen dürfen, verkenne es, dass es sich vorliegend um eine BAG handele, bei der jeder Praxispartner befugt sei, die Praxis zu vertreten.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Januar 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrer erstinstanzlich vertretenen Auffassung - insbesondere zu § 7 Abs 2 PrüfV - fest und vertieft diese. Entgegen der Darlegung des Beklagten entspreche es auch dem Regelfall, dass dieser über Widersprüche im Rahmen einer Verhandlung entscheide. Eine Entscheidung nach Aktenlage dürfe nur ergehen, wenn ein Rechtsbehelfsführer auf die Wahrnehmung seiner verfahrensmäßigen Rechte verzichtet habe. Schließlich erschließe sich nicht, wie der Beklagte zu der Rechtsauffassung komme, dass in einer BAG jeder Praxispartner befugt und ggf verpflichtet sei, diese nach außen zu vertreten; dies gelte typischerweise nur bei Abschluss des Behandlungsvertrags sowie im Rahmen der laufenden Geschäftsführung.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Das SG hat ihn zu Unrecht verpflichtet, über den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

I. Die Klage - die ausweislich des eindeutig formulierten Aktivrubrums der Klageschrift vom 31. Januar 2011 von der BAG erhoben ist - ist als Anfechtungs- und Bescheidungsklage gemäß § 54 Abs 1 iVm § 131 Abs 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Dabei ist Gegenstand des Verfahrens die Frage, ob der Beklagte mit Bescheid vom 27. Januar 2011 zu Recht gegenüber der Klägerin einen Richtgrößenregress festgesetzt hat, der sich - nach Annahme des erstinstanzlichen Teilanerkenntnisses des Beklagten - noch auf 281.362,35 Euro beläuft. Diese Entscheidung ist allerdings in der Berufungsinstanz nur insoweit streitbefangen, als die im Urteil des SG vom 25. Januar 2017 enthaltene Verpflichtung zur Neubescheidung Vorgaben enthält, die für den Beklagten nachteilig sind. Denn das Urteil des SG ist nur vom Beklagten mit dem Rechtsmittel der Berufung angefochten worden. Hingegen sind im Urteil des SG enthaltene Vorgaben, die für die Klägerin nachteilig sind, mangels eines von ihr eingelegten Rechtsmittels nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Insoweit ist die Entscheidung rechtskräftig und damit nach § 141 Abs 1 Nr 1 SGG sowohl für die Verfahrensbeteiligten als auch für den erkennenden Senat bindend (eingehend zur Differenzierung zwischen der Rechtskraft und der gerichtlichen Überprüfbarkeit von Neubescheidungsurteilen: Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 27. Juni 2007 - B 6 KA 27/06 R, SozR 4-1500 § 141 Nr 1; Beschluss vom 10. Mai 2017 - B 6 KA 58/16 B, juris, jeweils mwN). Das gilt auch, soweit das SG zu den erstinstanzlich von der Klägerin erhobenen Einwendungen (zB in Hinblick auf schriftsätzlich von ihr geltend gemachte Praxisbesonderheiten) in seinen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich Stellung genommen hat; denn auch in diesem Fall ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht sein Vorbringen zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung gewürdigt, ihm aber keine Maßgeblichkeit für die Neubescheidung beigemessen hat (BSG aaO). Dies ist auch der Fall, wenn das SG die Begründetheit dieser Einwendungen offen lassen wollte, um zB mit seiner Entscheidung zunächst nur die mündliche Ergänzung des klägerischen Vorbringens im Rahmen der Neubescheidung zu ermöglichen (BSG SozR 4-2500 § 120 Nr 4).

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 27. Januar 2011 ist nicht zu beanstanden.

1. Rechtsgrundlage der dort vorgenommenen Richtgrößenprüfung ist die Regelung in § 106 Abs 2 S 1 Nr 1, Abs 5a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V; hier anzuwenden in der Fassung des Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes vom 19. Dezember 2001 (ABAG), BGBl I 3773 (aF)). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung ua durch eine arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößenvolumen nach § 84 SGB V aF geprüft. Eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 15 vH löst gemäß § 106 Abs 5a S 1 SGB V aF regelmäßig eine derartige Wirtschaftlichkeitsprüfung aus. Diese hat vorliegend auf der Grundlage der - von der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) und den (Landes)verbänden der Krankenkassen abgeschlossenen - RGV vom 13. November 2003 zu erfolgen, die rückwirkend zum 1. Januar 2003 in Kraft getreten ist (§ 14 Abs 1 RGV 2003). Ergibt die Prüfung eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 vH, hat der Vertragsarzt den sich aus der Überschreitung des Prüfungsvolumens ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist (§ 106 Abs 5a S 4 SGB V aF).

2. Der auf dieser Grundlage ergangene Bescheid vom 27. Januar 2011 ist entgegen der Auffassung des SG nicht wegen des Fehlens einer mündlichen Anhörung von Dr. O. in der Verhandlung vor dem Beklagten (am 6. Dezember 2010) rechtswidrig.

a) Zutreffend ist das erstinstanzliche Gericht allerdings angesichts der Bestimmung in § 42 S 2 SGB X davon ausgegangen, dass ein Anhörungsfehler im vorliegenden Fall zur Aufhebbarkeit des angefochtenen Bescheids führen könnte. Auch die Heilung eines Anhörungsfehlers nach § 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X kommt nicht in Betracht. Diese ist zwar grundsätzlich bis zur letzten Tatsacheninstanz des sozialgerichtlichen Verfahrens möglich. Ihr stehen vorliegend aber Besonderheiten des Rechts der Wirtschaftlichkeitsprüfung entgegen (zu Einschränkungen der Heilung bei Berücksichtigung des besonderen Zwecks der versäumten Handlung vgl allgemein Steinwedel in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand: September 2019, § 41 SGB X Rn 8 mwN). Denn insbesondere im Hinblick auf die für die Beurteilung ärztlicher Behandlungen und Verordnungen zentrale Frage, ob Besonderheiten in der Praxis des geprüften Arztes vorliegen, besteht ein gerichtlich nur eingeschränkter Beurteilungsspielraum der Prüfgremien. Die gerichtliche Kontrolle ihrer Entscheidungen beschränkt sich insoweit auf die Prüfung, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, die Verwaltung die durch die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ermittelten Grenzen eingehalten und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (vgl zu alledem BSG SozR 2200 § 368n Nr 38; SozR 3-2500 § 106 Nr 25). Hieraus ergibt sich, dass der Beurteilungsspielraum der Prüfbehörde überschritten ist, wenn das Verwaltungsverfahren mangels ausreichender Anhörung nicht ordnungsgemäß durchgeführt und der Sachverhalt deshalb in Hinblick auf evtl Praxisbesonderheiten nicht vollständig ermittelt worden ist. Der das Prüfverfahren abschließende Prüfbescheid ist in einem solchen Fall aufzuheben (vgl zum Ausschluss einer Heilung der fehlenden Anhörung bei Ermessens- und Beurteilungsspielräumen auch LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. März 2001 - L 1 Ar 247/98 - juris). Hinzu kommt, dass die Darlegungen zum Vorliegen von Praxisbesonderheiten nach st BSG-Rspr (SozR 4-2500 § 106 Nr 35 und Nr 42) grundsätzlich gegenüber den Prüfgremien und nicht erst im nachfolgenden Gerichtsverfahren zu erfolgen haben. Auch dies steht der Nachholung einer auf Praxisbesonderheiten bezogenen Anhörung im Gerichtsverfahren entgegen.

b) Eine fehlerhafte Anhörung liegt jedoch nicht vor.

aa) Gesetzliche Grundlage der Anhörungspflicht im Verwaltungsverfahren ist § 24 Abs 1 SGB X. Danach ist einem Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in seine Rechte eingreift.

Beteiligter iSv § 12 Nr 1 SGB X sind vorliegend nicht die beiden Ärzte der Klägerin, sondern ist diese selbst als BAG. Das folgt schon daraus, dass das Verwaltungsverfahren mit dem Schreiben des Prüfungsausschusses vom 4. Juni 2007 eröffnet worden ist, das an die "Praxis" der Dres. R. gerichtet worden ist. Auch die Klägerin hat sich in der Folgezeit einheitlich als "Gemeinschaftspraxis" (zB im Schreiben vom 23. Juni 2007) gegen eine Regressforderung gewandt. Schließlich haben auch die Prüfgremien jeweils nur einen Bescheid gegenüber der BAG erlassen, die zwar im Adressfeld der Bescheide mit den Namen der beiden Praxismitglieder, gleichwohl aber mit der Betriebsstättennummer der Praxis als solche einheitlich bezeichnet worden ist. Dies entspricht auch der materiellen Rechtslage, nach der Schuldnerin von Regressforderungen grundsätzlich die (zumeist) in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) bestehende BAG ist, die auch beteiligtenfähig iS des § 70 Nr 1 SGG (BSG SozR 4-5540 § 25 Nr 1) und § 12 SGB X ist. Dass die Festsetzung eines Regresses wegen unwirtschaftlicher Verordnungen von Arzneimitteln in die Rechte der BAG eingreift, bedarf schließlich keiner näheren Darlegung.

bb) Die Klägerin hatte ausreichend Gelegenheit, sich zu einem ihr drohenden Richtgrößenregress zu äußern und insbesondere dem evtl entgegenstehende Praxisbesonderheiten vorzutragen. Die Grunddaten der ihre Praxis betreffenden Richtgrößenprüfung für 2003 und der Hinweis auf die Möglichkeit, Praxisbesonderheiten geltend zu machen, wurden ihr bereits mit Schreiben vom 4. Juni 2007 mitgeteilt, sodass sie bis zum abschließenden Beschluss des Beklagten vom 6. Dezember 2010 fast 3 1/2 Jahre Zeit zur Abgabe von Stellungnahmen hatte. Auch wenn man für erforderlich hielte, dass der Klägerin zur sachgerechten Darlegung von Praxisbesonderheiten die letzte aktualisierte Daten-CD mit der erweiterten Verordnungsstatistik zur Verfügung stand, blieben ihr bis zur Entscheidung des Beklagten noch 1 1/2 Jahre für die Darlegung von Besonderheiten, nachdem die CD-ROM im Juni 2009 an ihre Praxis gesandt worden war. Wenn das SG demgegenüber die Auffassung vertreten hat, von Seiten der Klägerin habe erst mit der Terminsmitteilung vom 11. November 2010 ein konkreter Anlass bestanden, sich mit dem Regressverfahren zu beschäftigen, kann dies deshalb nicht nachvollzogen werden.

Dies gilt umso mehr, als die Klägerin und deren frühere Bevollmächtigte wiederholt schriftlich Einwände gegen den angedrohten Regress erhoben und sich hierbei auf Praxisbesonderheiten berufen haben, nämlich mit Schreiben vom 28. und 29. Juni 2007 sowie vom 23. August und 10. September 2007. Schließlich hat ihre frühere Bevollmächtigte den bereits Ende November 2007 eingelegten Widerspruch gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 22. November 2007 auch schriftlich begründet, allerdings (per Fax) erst am 6. Dezember 2010, also dem Sitzungstag des Beklagten. Wie die Begründung des angefochtenen Bescheids zeigt, hat der Beklagte die Ausführungen in dieser Widerspruchsbegründung auch noch zur Kenntnis genommen (vgl S 4 des Bescheids). Wenn dies nicht für die als Anlage 5 übersandte CD gilt, weil diese - mit dem Original der Widerspruchsbegründung - erst am 7. Dezember 2010 beim Beschwerdeausschuss eingegangen ist, geht dies zulasten der Klägerin. Denn eine Verletzung des § 24 SGB X liegt nicht vor, wenn es der betroffene Beteiligte versäumt, sich Gehör zu verschaffen, obwohl ihm hierzu ausreichend Zeit eingeräumt worden ist (BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 9; Mutschler in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand: September 2019, § 24 Rn 16).

cc) Der Auffassung der Klägerin und des erstinstanzlichen Gerichts, die Anhörung habe nicht nur schriftlich erfolgen dürfen, sondern habe eine persönliche Anhörung beider Mitglieder der Klägerin vorausgesetzt, kann der Senat nicht folgen.

(1) In welcher Form die Anhörung durchzuführen ist, ist in § 24 SGB X nicht geregelt. Insbesondere ist dort nicht bestimmt, dass und ggf unter welchen Voraussetzungen eine mündliche Anhörung zu erfolgen hat (LSG Nordrhein-Westfalen Breith 1989, 268 (269); vgl auch Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) E 20, 160 (166)). Ausreichend ist deshalb regelmäßig die schriftliche Anhörung (Siefert in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl, § 24 Rn 14; Diering/Timme/Stähler, SGB X, 5. Aufl, § 24 Rn 12), ggf auch die Möglichkeit, telefonisch oder per E-Mail (Kallerhoff/Mayen in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl, § 28 Rn 44 mwN) Stellung zu nehmen, und zwar auch dann, wenn der Verwaltungsakt schriftlich zu ergehen hat.

(2) Eine mündliche Anhörung muss lediglich dann zwingend erfolgen, wenn dies durch eine spezielle Rechtsvorschrift außerhalb des § 24 SGB X vorgeschrieben ist (Vogelgesang in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: August 2019, § 24 Rn 18; Kallerhoff/Mayen aaO zu § 28 Verwaltungsverfahrensgesetz &706;VwVfG&707;). Eine solche Regelung ist aber nicht ersichtlich. Insbesondere besteht sie nicht in § 7 Abs 2 PrüfV.

In § 7 Abs 2 PrüfV ist bestimmt, dass der Beschwerdeausschuss in nicht öffentlichen Sitzungen verhandelt und nach geheimer Beratung unter Ausschluss der Beteiligten entscheidet. Daraus, dass der Ausschuss in Sitzungen "verhandelt", schließt die Klägerin zwar zutreffend, dass auch der jeweils geprüfte Arzt als Beteiligter an der Verhandlung teilnehmen und sich dort mündlich äußern kann. Anders wäre nicht erklärbar, warum in § 7 Abs 2 S 2 PrüfV ausdrücklich geregelt ist, dass die anschließende Beratung geheim und "unter Ausschluss der Beteiligten" zu erfolgen hat. In diesem Zusammenhang ist auch auf § 7 Abs 7 PrüfV hinzuweisen, wonach über die Sitzungen des Beschwerdeausschusses Protokolle anzufertigen sind, die ua "die wesentlichen Erklärungen" und Feststellungen enthalten. Es ist aber nicht erkennbar, weshalb hieraus folgen sollte, dass die auf die Verhandlung ergehende Prüfentscheidung nur dann rechtmäßig sein soll, wenn der jeweils betroffene Arzt sich dort auch mündlich - und nicht nur schriftlich im vorbereitenden Verwaltungsverfahren - äußern konnte.

Dies folgt insbesondere nicht daraus, dass das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss dem gerichtlichen Verfahren ähneln könnte. So gilt das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör gemäß Art 103 Abs 1 GG - entgegen der Auffassung des SG - nur für Gerichtsverfahren, nicht jedoch für ein Verwaltungsverfahren (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) E 101, 397 (404)), auch wenn dieses einem Gerichtsverfahren mit mündlicher Verhandlung nachgebildet ist. Dementsprechend hat das BSG (Beschluss vom 6. Februar 2008 - B 6 KA 9/07 B - juris) bereits entschieden, dass in Zulassungsstreitigkeiten die Vorgabe (in § 40 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV)) einer (nicht öffentlichen) Sitzung vor dem Berufungsausschuss nicht dazu führt, dass die Anhörung des Vertragsarztes in jedem Fall mündlich erfolgen muss. Für eine ordnungsgemäße Anhörung iSv § 24 SGB X genügt es vielmehr auch in diesen Fällen, wenn dem Arzt - wie hier der Klägerin - Gelegenheit eingeräumt worden ist, sich zu den erheblichen Tatsachen schriftlich zu äußern.

Unabhängig hiervon gilt dies im Recht der Wirtschaftlichkeitsprüfung umso mehr, als die Partner der PrüfV nach st BSG-Rspr gar nicht über die Kompetenz verfügen, das Verwaltungsverfahren abweichend von den Regelungen des SGB X - hier: § 24 SGB X - zu regeln. Das ergibt sich daraus, dass die Regelungsermächtigung der Prüfvereinbarungen seit 1989 nicht mehr allgemein das Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung, sondern (in § 106 Abs 3 S 1 SGB V; eingeführt durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477)) nur noch das Verfahren "zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Abs 2" umfasst und somit nur die nähere Ausgestaltung der Beweismethoden zur Feststellung von Unwirtschaftlichkeit (BSG SozR 3-1300 § 63 Nr 10; SozR 3-2500 § 106 Nr 53). Dementsprechend ist es den Parteien der Prüfvereinbarungen nach st Rspr zB verwehrt, entgegen § 63 SGB X die Erstattung von Kosten der Beteiligten der Wirtschaftlichkeitsprüfung auszuschließen (BSG SozR 3-1300 § 63 Nr 10) oder - abweichend von § 18 SGB X - formelle Voraussetzungen an die Stellung eines Prüfantrags einzuführen (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53). Für eine von der Klägerin unterstellte Formalisierung der Anhörung vor dem Beschwerdeausschuss in der Weise, dass diese zwingend mündlich erfolgen muss, kann nichts Anderes gelten. Dies ist unabhängig davon, ob die Abweichung vom SGB X zulasten oder - wie vorliegend - zugunsten des Vertragsarztes bestehen würde. Denn das Prüfverfahren zur Feststellung der Wirtschaftlichkeit ärztlicher Behandlungen bzw Verordnungen betrifft ein mehrpoliges Verwaltungsverhältnis, an dem ua auch die Krankenkassen beteiligt sind, sodass auch deren Interesse an einer effektiven Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung zu berücksichtigen ist (zu derartigen Verwaltungsverfahren mit Doppelwirkung vgl BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 mwN), das durch die Einführung einer zwingenden mündlichen Anhörung der Vertragsärzte nachteilig betroffen sein könnte.

(3) Die Notwendigkeit einer mündlichen Anhörung kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass dies die effektivere Form der Gewährung rechtlichen Gehörs wäre. Zwar ist anerkannt, dass eine persönliche Anhörung erforderlich ist, wenn nach den Gegebenheiten der Sachmaterie eine schriftliche Äußerung des Beteiligten die Zwecke der Anhörung nicht erfüllen kann (Kallerhoff/Mayen aaO, mwN; vgl auch Vogelgesang aaO, mwN). Eine solche Konstellation liegt in Hinblick auf die hier entscheidende Frage, ob die Klägerin Praxisbesonderheiten geltend machen kann, aber nicht vor.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rspr sind Praxisbesonderheiten anzuerkennen, wenn ein spezifischer, vom Durchschnittswert der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf der jeweiligen Patientenklientel und die hierdurch hervorgerufenen Mehrkosten nachgewiesen werden (BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2; SozR 4-2500 § 106 Nr 41). Die Darlegungs- und Feststellungslast für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände der Praxisbesonderheiten trägt der Arzt (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 54; SozR 4-2500 § 106 Nr 19). Der Arzt ist gehalten, im Prüfungsverfahren solche Umstände geltend zu machen, die sich aus einer Atypik seiner Praxis ergeben, aus seiner Sicht auf der Hand liegen und den Prüfgremien nicht ohne weiteres anhand der Verordnungsdaten bekannt sind oder sein müssen (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 41). Der diesbezügliche Vortrag muss substantiiert sein, dh so genau wie möglich (BSG aaO) und plausibel (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 19).

Das kann in der Regel nur gelingen, wenn der Arzt spezielle Strukturen seiner Praxis aufzeigt. Dies kann im Rahmen der Richtgrößenprüfung zB in der Weise erfolgen, dass er die bei ihm schwerpunktmäßig behandelten Erkrankungen aufzählt und mitteilt, welcher Prozentsatz seiner Patienten ihnen jeweils zuzuordnen ist und welcher Aufwand von Arzneimitteln durchschnittlich für die Therapie einer solchen Erkrankung erforderlich ist (Clemens in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl &706;Stand: 31. Oktober 2016&707; § 106 Rn 195). Als Grundlage für diese systematische Aufarbeitung kann er auf seine eigene Patientendokumentation zurückgreifen, zu deren Vorhaltung er gemäß § 57 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) rechtlich verpflichtet ist (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11, Nr 41 und Nr 55). Auch die ihm von der KÄV als Anlagen zu den Honorarbescheiden übermittelten Abrechnungsstatistiken können auf Besonderheiten in der Behandlungsstruktur und einen sich hieraus ergebenden Mehrbedarf an Arzneimitteln hindeuten (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11). Eine solche Auswertung der in der Praxissoftware gespeicherten Daten bzw von Häufigkeitsstatistiken, deren Analyse und die Darlegung daraus zu ziehender Schlussfolgerungen auf die Struktur der Praxis werden regelmäßig mit einigem Aufwand verbunden sein (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 41 und Nr 55). Auch angesichts der erforderlichen Detailliertheit der Darlegungen liegt es deshalb nahe, dass diese zweckmäßigerweise schriftlich erfolgen, weil nur bei einer schriftlichen Fixierung ihre lückenlose und effektive Auswertung durch die Prüfgremien gewährleistet ist. Lediglich mündlich vorgebrachte Ausführungen im Rahmen einer (zeitlich begrenzten) Ausschussverhandlung sind angesichts damit verbundener Nachteile (Flüchtigkeit der Informationen, mögliche Hörfehler, begrenzte Aufnahmekapazität der Zuhörenden für Detailfragen) dagegen wenig geeignet, um Praxisbesonderheiten substantiiert geltend zu machen. Es mag zwar sein - wie vom SG im angefochtenen Urteil angeführt -, dass es förderlich sein kann, wenn der Arzt auf Bedenken, die vom Beschwerdeausschuss in seiner Verhandlung geltend gemacht werden, antworten und seine Ausführungen ergänzen kann. Zur Durchführung eines entsprechenden Rechtsgesprächs ist der Beschwerdeausschuss im Rahmen der Anhörung nach § 24 SGB X aber nicht verpflichtet (Senatsurteil vom 30. November 2016 - L 3 KA 53/13; Siefert aaO, Rn 14a).

(4) Auch im Hinblick auf eine erstinstanzlich angesprochene mögliche Existenzgefährdung war der Beklagte nicht verpflichtet, beide BAG-Mitglieder bzw (insbesondere) Dr. S. R. persönlich anzuhören. Das folgt schon daraus, dass die Klägerin im Verwaltungsverfahren zu keiner Zeit näher dargelegt hat, dass es bei der Festlegung des angedrohten Regresses von ca 300.000 Euro zu einer Gefährdung der Praxis oder zur Privatinsolvenz ihrer Mitglieder kommen könnte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Vertragsärzte nach st Rspr des Senats (vgl zB Beschlüsse vom 7. Dezember 2009 - L 3 KA 19/09 B ER - und vom 22. August 2011 - L 3 KA 4/11 B ER) zur Überbrückung eines evtl Liquiditätsengpasses ua auch darauf verweisen lassen müssen, vorhandenes Vermögen in zumutbarer Weise zu verwerten und von den im Wirtschaftsleben üblichen Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Krediten Gebrauch zu machen. Eine Existenzgefährdung kann deshalb erst dann angenommen werden, wenn entsprechende Möglichkeiten nicht mehr bestehen, wozu hier jeder Vortrag fehlt.

Im Übrigen bedeutet selbst die bestandskräftige Festsetzung eines Regresses im vorliegenden Umfang nicht, dass die Mitglieder der Klägerin ohne Weiteres eine dadurch drohende Privatinsolvenz hinnehmen müssten. Dies folgt aus § 106 Abs 5c S 4 und 5 SGB V (idF des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) vom 22. Dezember 2010 (BGBl I 2262)). Danach hat die KÄV in Höhe des festgesetzten Richtgrößenregresses Rückforderungsansprüche gegen den Vertragsarzt, die sie ihm gegenüber auch vollstrecken kann. Soweit der Vertragsarzt aber nachweist, dass ihn die Rückforderung wirtschaftlich gefährden würde, kann die KÄV sie nach § 106 Abs 5c S 5 SGB V entsprechend § 76 Abs 2 Nr 1 und 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) stunden oder erlassen.

(5) Entgegen der Auffassung des SG kann schließlich eine Pflicht, Dr. O. vor Erlass des hier angefochtenen Regressbescheids mündlich anzuhören, auch nicht aus einer ständigen Verwaltungspraxis des Beklagten in Verbindung mit Art 3 Abs 1 GG abgeleitet werden. Dabei mag es der ständigen Übung des Beschwerdeausschusses entsprechen, die beteiligten Ärzte zur dortigen Verhandlung zu laden und ihnen die Möglichkeit einzuräumen, sich mündlich zu äußern. Hieraus kann aber kein Recht darauf abgeleitet werden, die Verhandlung zu verlegen, wenn ein Mitglied der betroffenen BAG - hier Frau Dr. R. - krankheitsbedingt verhindert ist, das andere BAG-Mitglied (Dr. T. R.) aber an der Sitzung teilnehmen konnte. Auch eine entsprechende Übung des Beschwerdeausschusses wird weder von der Klägerin behauptet noch ist sie angesichts der zahlreichen inzwischen vom Senat entschiedenen Verfahren der Richtgrößenprüfung von Amts wegen erkennbar.

Wie bereits dargelegt worden ist, steht das Anhörungsrecht nach § 24 SGB X nur der nach § 12 Abs 1 SGB X beteiligten BAG insgesamt zu, nicht aber gesondert beiden Mitgliedern der Gemeinschaftspraxis. Es liegt auch neben der Sache, wenn die Klägerin auf eine bestimmte Aufgabenteilung innerhalb der BAG (sowohl in Hinblick auf die Wahrnehmung "administrativer Angelegenheiten" als auch auf unterschiedliche Verordnungsschwerpunkte) verweist. Denn entscheidend ist, dass die BAG rechtlich als Einheit zu behandeln ist, über eine gemeinsame Patientenkartei verfügt (BSG, Urteil vom 19. August 1992 - 6 RKa 35/90 - juris) und deshalb auch allen Mitgliedern der Zugriff zu den Patientenunterlagen möglich ist, die - wie ausgeführt - als wesentliche Grundlage für die Geltendmachung von Praxisbesonderheiten anzusehen ist. Soweit überhaupt glaubhaft ist, dass dem Arzt Dr. R. die Behandlungs- und Verordnungsweise der von ihm mitbetriebenen Gemeinschaftspraxis nicht vollständig bekannt war, wäre es jedenfalls seine Obliegenheit gewesen, sich nach Einleitung des Prüfverfahrens im Juni 2007 hiermit vertraut zu machen, um im Rahmen einer ihm zur Verfügung gestellten persönlichen Anhörung auch zur Verordnungsweise seiner Praxispartnerin vortragen zu können.

Dass auch Dr. P. gehindert gewesen wäre, an der Verhandlung vor dem Beschwerdeausschuss teilzunehmen, ist iÜ nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin ganz allgemein geltend macht, er sei in der Zeit der Erkrankung seiner Ehefrau "in der Praxis und im Übrigen auch familiär deutlich stärker in Anspruch genommen" gewesen, wird hieraus nicht deutlich, welche konkreten Umstände ihn daran hinderten, am 6. Dezember 2010 zur Verhandlung in U. zu reisen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass jedem Vertragsarzt zuzumuten ist, seine reguläre ärztliche Tätigkeit wegen der Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung zu unterbrechen. Anderenfalls könnte zB ein in Einzelpraxis tätiger Vertragsarzt generell nicht an derartigen Verhandlungen teilnehmen und damit Gerichts- und ggf Verwaltungsverfahren blockieren (BSG, Beschluss vom 28. September 2016 - B 6 KA 11/16 B).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm §§ 154 Abs 1 und 3, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt, dass der Beklagte im Bescheid vom 27. Januar 2011 die Erstattung von 5 % der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen verfügt hat (vgl hierzu BSG SozR 4-1300 § 63 Nr 25).

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), sind nicht ersichtlich.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus der Anwendung von § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG).-