Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.07.2013, Az.: 14 K 274/12

Kindergeldanspruch eines aufgrund eines Abschiebungsverbotes geduldeten Ausländers

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
10.07.2013
Aktenzeichen
14 K 274/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 56924
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2013:0710.14K274.12.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - AZ: XI R 7/14

Fundstellen

  • EFG 2014, 1124-1126
  • EStB 2014, 457

Tatbestand

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Die Klägerin wurde am 1. Januar 1946 geboren. Sie ist syrische Staatsangehörige. Mit Bescheid vom 13. September 2001 (Az.: ...) war ein Asylerstverfahren rechtskräftig abgelehnt und eine Abschiebungsandrohung erteilt worden. Mit Bescheid vom 19. April 2012 (GeschZ.: ...) lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Folgeantrag nach § 71 Abs. 1 AsylVfG einer Anerkennung als Asylberechtigte ab. Gleichzeitig wurde unter Abänderung des Bescheides vom 13. September 2001 (Az.: ...) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) hinsichtlich Syrien bestandskräftig festgestellt und die mit Bescheid vom 13. September 2001 erlassene Abschiebungsandrohung aufgehoben. Seit 2001 hielt sich die Klägerin geduldet oder gestattet in der Bundesrepublik auf und zwar in der Zeit vom 25. Juni 2001 - 29. November 2004 aufgrund einer Aufenthaltsgestattung gem. § 55 AsylVfG, vom 29. November 2004 - 01. Januar 2005 aufgrund einer Duldung gem. § 55 Abs. 2 AuslG, vom 01. Januar 2005 - 01. August 2008 aufgrund einer Duldung gem. § 60a AufenthG und vom 01. August 2008 bis 03. Mai 2012 aufgrund einer Duldung gem. § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG. Seit dem 03. Mai 2012 war sie im Besitz eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz. Ihr war die Beschäftigung im Inland gestattet; sie war jedoch nicht erwerbstätig. Sie erhielt zunächst Grundleistungen nach §§ 3 ff AsylbLG (zuletzt gem. Bescheid vom 21. März 2012 Az.: ...) und mit Bescheid vom 15. Juni 2012 (Az.: ...)) Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 19 Abs. 2 i.V.m. §§ 41 ff SGB XII.

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Die Klägerin stellte bei der Beklagten einen Antrag auf Kindergeld ab Juli 2010 für ihren am 01. Juni 1988 geborenen Sohn B, der seit dem 31. Juli 2010 eine Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik absolvierte. Die Beklagte lehnte die Bewilligung von Kindergeld mit Bescheid vom 27. Juni 2012 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass ein Anspruch auf Kindergeld bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG nur bestehe, wenn die Klägerin sich mindestens drei Jahre rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalte und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sei, Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch beziehe oder Elternzeit, die eine Erwerbstätigkeit unterbreche, in Anspruch nehme, diese Voraussetzungen jedoch nicht vorlägen. Der dagegen eingelegte Einspruch war erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.

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Die Klägerin ist der Auffassung, die Voraussetzungen für die Bewilligung von Kindergeld lägen vor, da sie seit dem 03. Mai 2012 in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz ist, ihr die Beschäftigung gestattet sei und sie Leistungen nach dem SGB XII beziehe. Angesichts ihres Alters würde sie Renten beziehen, wenn sie entsprechende Ansprüche hätte. Spätestens damit seien die Voraussetzungen für die Gewährung des Kindergeldes gegeben, zumal der Ausschluss nicht erwerbstätiger Ausländer mit Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz für die Gewährung von Kindergeld rechtswidrig sei. Das Bundesverfassungsgericht habe mit Beschluss vom 10. Juli 2012 (1 BvL 2/10, 1 BvL 3/10, 1 BvL 4/10, 1 BvL 3/11, BGBl. I 2012, 1898) den Ausschluss nicht erwerbstätiger Ausländer mit humanitärer Aufenthaltserlaubnis vom Elterngeld für verfassungswidrig erklärt. Da die Anspruchsvoraussetzungen in § 1 BEEG wortgleich mit den Bestimmungen über die Kindergeldbewilligung nach § 62 EStG bzw. § 1 Bundeskindergeld seien, könne ihr Kindergeld aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nicht verwehrt werden.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

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den Bescheid vom 27. Juni 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. August 2012 aufzuheben und ihr Kindergeld für das Kind B ab Juli 2010 zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte ist der Auffassung, die Voraussetzungen für die Kindergeldbewilligung nach § 62 Abs. 2 Ziffer 3 EStG lägen nicht vor. Die Regelung sei verfassungsgemäß. Dies habe der Bundesfinanzhof auch nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bestätigt.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.

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1. Gem. § 62 Abs. 2 EStG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld nur, wenn er

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1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt,

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2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat,

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es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde

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a) nach § 16 oder § 17 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,

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b) nach § 18 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,

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c) nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt

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oder

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3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und

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a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und

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b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.

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2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kindergeld für die Zeit von Juli 2010 bis April 2012, da sie bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz am 03. Mai 2012 keine der Voraussetzungen nach § 62 Abs. 2 EStG erfüllte. Sie besaß weder eine Niederlassung- noch eine Aufenthaltserlaubnis. Ihr Asylverfahren war mit Bescheid vom 13. September 2001 (Az.: ...) rechtskräftig abgelehnt und eine Abschiebungsandrohung erteilt worden. Die Klägerin kann sich für den Zeitraum auch nicht auf die mit Bescheid vom 3. Mai 2012 erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz berufen. In der Rechtsprechung des Bundefinanzhofs - BFH - ist geklärt, dass für die Kindergeldberechtigung der "Besitz" einer ausreichenden ausländerrechtlichen Aufenthaltsgenehmigung nach dem Ausländergesetz oder eines aufenthaltsrechtlichen Titels nach dem Aufenthaltsgesetz entscheidend ist und es nicht darauf ankommt, ob ein Anspruch auf eine entsprechende Genehmigung bzw. einen entsprechenden Titel besteht. Daher ist es für die Frage der Kindergeldberechtigung der Klägerin unerheblich, ob sie in einem nach dem Streitzeitraum liegenden Zeitraum im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war. Die gesetzliche Voraussetzung "im Besitz" einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis zu sein steht einer Rückwirkung der mit Bescheid vom 3. Mai 2012 erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz entgegen (vgl. BFH, Beschlüsse vom 09. November 2012 III B 138/11, BFH/NV 2013, 372 und vom 06. Mai 2011 III B 130/10, BFH/NV 2011, 1353).

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3. Die Klage ist auch für die Zeit ab Mai 2012 unbegründet.

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a) Die Klägerin verfügte ab Mai 2012 aufgrund des Bescheides vom 3. Mai 2012 zwar über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz. Ferner hielt sie sich ausweislich der Auskunft der für Asylfragen zuständigen Abteilung der Region Hannover vom 8. Februar 2013 seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet auf. Die Klägerin erfüllte jedoch nicht die weiteren einen Anspruch auf Kindergeld begründenden Voraussetzungen nach § 62 Abs. 2 Ziffer 3 Buchstabe b EStG, da sie im Bundesgebiet nicht berechtigt erwerbstätig war, keine laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezog oder Elternzeit in Anspruch nahm.

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b) Gegen die Regelung des § 62 Abs. 2 Ziffer 3 Buchstabe b EStG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

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aa. Aus dem Umstand der Vollanrechnung des Kindergeldes auf Ansprüche auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem AsylbLG oder dem SGB II folgt, dass die Regelung des § 62 Abs. 2 EStG dem betroffenen Ausländer keinen finanziellen Vorteil bringt und der betroffene Ausländer im Ergebnis auch nicht schlechter und damit anders (ungleich) behandelt wird als ein uneingeschränkt zum Kindergeldbezug berechtigter deutscher Staatsangehöriger oder Ausländer mit einer anderen Art von Aufenthaltstitel. Bei Leistungsbezug nach dem SGB II erhielte der deutsche Staatsangehöriger zwar Kindergeld, aber dementsprechend weniger Leistungen nach dem SGB II.

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Der Bundesfinanzhof hält die Regelung daher in ständiger Rechtsprechung für verfassungskonform (vgl. BFH, Beschlüsse vom 09. November 2012 III B 138/11, BFH/NV 2013, 372 und 6. Mai 2011 III B 130/10, BFH/NV 2011, 1353 sowie Urteile vom 7. April 2011 III R 72/09, BFH/NV 2011, 1134, 28. April 2010, III R 1/08, BStBl. II 2010, 980 und 22. November 2007 III R 54/02, BStBl. II 2009, 913).

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bb. Dem schließt sich das erkennende Gericht auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 10. Juli 2012 an.

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Zwar hat das BVerfG in dieser Entscheidung die mit § 62 Abs. 2 Nr. 3b EStG wortgleichen Regelungen des § 1 Abs. 7 Nr. 3b BEEG und des (vorherigen) § 1 Abs. 6 Nr. 3b BErzGG für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Der Bundesfinanzhof hat aber aufgrund der vorgenannten Erwägung, dass das - anders als das frühere Erziehungsgeld und (bis einschließlich 2010) das Elterngeld - auf Sozialleistungen vollangerechnete Kindergeld dem betroffenen Ausländer keinen finanziellen Vorteil bringe, seine Rechtsprechung ausdrücklich aufrecht erhalten (vgl. Beschluss vom 09. November 2012 sowie Urteile vom 7. April 2011 und vom 28. April 2010, jeweils a.a.O.).

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Durch § 10 Abs. 5 BEEG in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung wird nunmehr zwar grundsätzlich auch das Elterngeld auf Sozialleistungen nach dem AsylbLG oder dem SGB II voll angerechnet. Das BVerfG hat sich aber in seiner Entscheidung aufgrund der 2009/2010 ergangenen Vorlagebeschlüsse des BSG ersichtlich nur mit der vor dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung des BEEG zu befassen gehabt, bei der die Gewährung von Elterngeld auch bei Bezug von Leistungen zum Lebensunterhalt einen durchaus erheblichen finanziellen Vorteil brachte. Mithin ist trotz des Umstandes, dass das BVerfG mit Gesetzeskraft § 1 Abs. 7 Nr. 3b BEEG uneingeschränkt für nichtig erklärt hat die vom BFH angeführte und vom erkennenden Gericht geteilte Erwägung, dass das Kindergeld aufgrund der Vollanrechnung auf Leistungen zum Lebensunterhalt keinen finanziellen Vorteil bringt, weiterhin nicht überholt. Entgegenstehende gewichtige neue rechtliche Gesichtspunkte wurden bisher nicht geltend gemacht (vgl. BFH, Beschluss vom 09. November 2012 a.a.O.)

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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.