Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.07.2013, Az.: 6 K 124/12

Bemessen der Rückstellung für Zahlungen auf landwirtschaftliche Altschulden nach §§ 2, 3 LwAlschG

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
11.07.2013
Aktenzeichen
6 K 124/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 44114
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2013:0711.6K124.12.0A

Fundstellen

  • EFG 2013, 1777-1780
  • StuB 2014, 231

Amtlicher Leitsatz

Eine Rückstellung für Zahlungen auf landwirtschaftliche Altschulden bemisst sich nach §§ 2, 3 LwAlschG,

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, der im Anschluss an Feststellungen einer Außenprüfung ergangen ist; streitig ist die Berücksichtigung einer Rückstellung für Zahlungen auf landwirtschaftliche Altschulden nach den Vorschriften des Gesetzes zur Änderung der Regelungen über Altschulden landwirtschaftlicher Unternehmen (Landwirtschafts-Altschuldengesetz - LwAltschG - vom 25. Juni 2004, Bundesgesetzblatt I 2004, 1383).

2

Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer eingetragenen Genossenschaft (eG) ein Unternehmen, dessen Gegenstand die Produktion und Vermarktung landwirtschaftlicher, pflanzlicher und tierischer Produkte sowie Produktion und Vermarktung aus diesen erstellter Folgeprodukte ist. Die Klägerin entstand durch Statut vom ... 1990 durch Umwandlung und Teilung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) A unter der Firma B. Sie ist darüber hinaus als übernehmender Rechtsträger nach Maßgabe des Verschmelzungsvertrages vom ... 2005 durch Aufnahme mit der Agrar-Genossenschaft C verschmolzen. Die Generalversammlung vom ... 2005 beschloss die Änderung der Firma in: D. Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1, § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) unter Berücksichtigung eines vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahres vom 1. Juli bis zum 30. Juni des Folgejahres.

3

Die Klägerin war als Rechtsnachfolgerin von zwei ehemaligen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften mit Altschulden aus der Zeit vor 1990 belastet. Zur bilanziellen Entlastung schlossen die Rechtsvorgängerin Agrar-Genossenschaft C am ... 1992/... 1993 zum ... 1992 sowie die Agrar-Genossenschaft A am ... 1993/... 1993 mit Wirkung zum ... 1993 jeweils mit der E Bank Rangrücktrittsvereinbarungen mit Besserungsverpflichtungen (über Beträge i.H.v. 559.228 DM [Zeitpunkt 1. Juli 1990] bzw. 606.040,04 DM [Zeitpunkt 1. Juli 1992] sowie 2.701.573,04 DM [Zeitpunkt 1. Juli 1990] bzw. 3.372.406,84 DM [Zeitpunkt 1. Oktober 1993]). Entsprechend § 16 Abs. 3 des Gesetzes über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung (D-Markbilanzgesetz - DMBilG - vom 23. September 1990, neu gefasst am 28. Juni 1994, Bundesgesetzblatt I 1994, 1842) wies die Klägerin die Verbindlichkeiten ab 1993 in einer Sonderrücklage aus.

4

Nach Verabschiedung des Landwirtschafts-Altschuldengesetzes stellte die Klägerin am ... 2005 bei der Gläubigerbank den Antrag entsprechend § 7 LwAltschG, durch einmalige Zahlung von 547.054 EUR die landwirtschaftlichen Altschulden ablösen zu dürfen. Nachdem die Bank mit Schreiben vom ... 2005 Rückfragen zu den von der Klägerin zugrunde gelegten Vermögenswerten gestellt hatte, lehnte sie den Antrag der Klägerin mit Schreiben vom ... 2006 ab (insbesondere wegen Berücksichtigung außerordentlicher Aufwendungen) und schlug mit Schreiben vom ... 2007 einen Ablösebetrag (Barwert zum 1. Januar 2005) i.H.v. 1.426.825 EUR vor. Die Klägerin schloss schließlich unter Mitwirkung der BVVG Bodenverwertungs- und verwaltungs GmbH (beauftragte Stelle i.S. des § 9 Abs. 1 LwAltschG) am ... 2007 ein Einvernehmen und am ... 2007/... 2008 mit der Bank eine Vereinbarung zur Ablösung landwirtschaftlicher Altschulden und Auflösung einer Rangrücktrittsvereinbarung, in der die Vertragsparteien für die Verbindlichkeiten von insgesamt 2.254.321,62 EUR (Wert zum 1. Januar 2005) einen Ablösebetrag i.H.v. 1.250.000 EUR (mithin 56 v.H. der Altschulden) vereinbarten. Nach dem Inhalt der Vereinbarung waren an Zinsen zu leisten 27.246,31 EUR (für 2005), 37.350,56 EUR (für 2006) sowie 58.957,50 EUR (für 2007).

5

Grundlage des Antrags und der Einigung waren die Wertungskriterien der BVVG Bodenverwertungs- und verwaltungs GmbH. Die BVVG erfüllt seit ihrem Gründungsjahr 1992 den gesetzlichen Auftrag, in den Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ehemals volkseigene land- und forstwirtschaftliche Flächen zu privatisieren. Rechtliche Grundlage der Tätigkeit der BVVG ist unter anderem das von der letzten Volkskammer der DDR beschlossene Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990. Seit 1996 wirkt die BVVG als Privatisierungsstelle des Bundes, die den Flächenverkauf nach dem modifizierten Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz und den zwischen Bund und Ländern abgestimmten Privatisierungsgrundsätzen 2010 durchführt.

6

Die Klägerin bildete in ihren Jahresabschlüssen Rückstellungen für den im Ablöseverfahren angebotenen Ablösebetrag wie folgt:

7
Bilanz30. Juni 200530. Juni 2006
Ablösebetrag547.054,00 EUR547.054,00 EUR
Zinsen5.916,39 EUR5.916,39 EUR
Zinsen = Zuführung im Wirtschaftsjahr 05/0613.177,17 EUR
Rückstellung552.970,39 EUR566.147,56 EUR
Jahresüberschuss496.480,32 EUR1.664.555,68 EUR
8

Die Klägerin reichte am ... 2007 die Körperschaftsteuererklärung für 2006 beim Beklagten ein. Im ebenfalls eingereichten Jahresabschluss zum 30. Juni 2006, aufgestellt am ... 2007 hatte die Klägerin eine Rückstellung für den im Ablöseverfahren zu zahlenden Ablösebetrag i.H.v. 566.147,56 EUR bilanziert.

9

Der Beklagte folgte den Angaben in der Steuererklärung und erließ am ... 2007 gegenüber der Klägerin Bescheide für 2006 über Körperschaftsteuer mit einer Festsetzung i.H.v. x EUR sowie über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2006 mit der Feststellung eines Verlustvortrags i.H.v. x EUR. Der Bescheid für 2006 über Körperschaftsteuer erging unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).

10

Aufgrund einer am ... 2008 eingereichten geänderten Körperschaftsteuererklärung für 2006 erließ der Beklagte am ... 2008 geänderte Bescheide für 2006 über Körperschaftsteuer mit einer Festsetzung i.H.v. x EUR sowie über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2006 mit der Feststellung eines Verlustvortrags i.H.v. x EUR. Die Bescheidänderung stützte der Beklagte auf § 164 Abs. 2 AO sowie auf § 10b Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG; der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.

11

In der Zeit vom ... 2009 bis ... 2010 führte das Finanzamt für Großbetriebsprüfung Stade bei der Klägerin eine Außenprüfung durch, die die Jahre 2003 bis 2006 umfasste. Im Verlauf dieser Außenprüfung überprüfte der mit der Prüfung beauftragte Betriebsprüfer unter anderem die Rückstellungen für die Ablösung der landwirtschaftlichen Altschulden. In diesem Zusammenhang stellte die Klägerin den Antrag auf Erhöhung der Rückstellungen. Mit Schreiben vom ... 2010 und unter Bezugnahme auf die Verfügung der Oberfinanzdirektion (OFD) Magdeburg vom 4. Juli 2008 (S 2151-10-St 216, Bl. 59 der Gerichtsakte) äußerte sie die Ansicht, eine Rückstellung auf der Grundlage ihres Ablöseantrags könne nicht gebildet werden, da der Ablösebetrag erst mit Unterzeichnung der Ablösevereinbarung bilanziell zu erfassen sei. Stattdessen seien Rückstellungen entsprechend § 3 LwAltschG i.H.v. 55 v.H. des als Bemessungsgrundlage nach § 2 LwAltschG zu berücksichtigenden, bereinigten Gewinns anzusetzen. Dies ergäbe Rückstellungsbeträge wie folgt:

12
Bilanz30. Juni 200530. Juni 2006
BMG nach § 2 LwAltschG1.049.880,39 EUR2.072.516,17 EUR
55 v.H. = Rückstellungszuführungen577.434,21 EUR1.139.883,89 EUR
Rückstellungen neu577.434,21 EUR1.717.318,10 EUR
Rückstellungen bisher552.970,39 EUR566.147,56 EUR
Betriebsvermögensminderung24.463,82 EUR1.151.170,54 EUR
Bilanzenzusammenhang- 24.463,82 EUR
Gewinnminderung24.463,82 EUR1.126.706,72 EUR
13

Der Außenprüfer folgte dieser Ansicht nicht. Nach dem Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) vom 1. Juli 1997 (IV B 2 - S 1901 - 46/97) seien Zahlungen zur Ablösung von Altschulden, die aufgrund der Regelungen des D-Markbilanzgesetzes nicht mehr passiviert würden, steuerlich aufwandswirksam zu behandeln. Durch die zeitliche Nähe der Buchführungszahlen und des ersten Angebots der Klägerin vom ... 2005 habe die Klägerin davon ausgehen können, dass ein vorzeitiger Ablösebetrag nach § 7 LwAltschG geringer ausfallen könnte als weitere jährliche Zahlungen nach §§ 2, 3 LwAltschG. Die Rückstellungsbildung sei nach der Prognoseberechnung der Klägerin zu schätzen. Da keine anderen Zahlen vorlägen, sei lediglich das erste Ablöseangebot als Rückstellung zulässig.

14

Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf Tz. 13 des Berichts über die Außenprüfung vom ... 2010 Bezug genommen (Bp-Ordner am Ende zu AD-Nr. 823-22/2009 Gew.).

15

Der Beklagte folgte den Feststellungen der Außenprüfung und erließ am ... 2010 unter anderem geänderte Bescheide für 2005 über Körperschaftsteuer mit einer Festsetzung i.H.v. x EUR sowie über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2005 mit einer Feststellung des Verlustvortrags i.H.v. x EUR und für 2006 über Körperschaftsteuer mit einer Festsetzung i.H.v. x EUR sowie über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2006 mit einer Feststellung des Verlustvortrags i.H.v. x EUR; die Bescheidänderungen stützte der Beklagte auf § 164 Abs. 2 AO bzw. auf § 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG.

16

Gegen diese Bescheide legte die Klägerin jeweils form- und fristgerecht Einsprüche ein. Zur Begründung wiederholte sie ihren Antrag, die Rückstellungen seien unter Ansatz der nach §§ 2, 3 LwAltschG drohenden Zahlungen anzusetzen. Unter Berücksichtigung der nach der Außenprüfung geänderten Bilanzen ergäben sich folgende - zwischen den Beteiligten unstreitige - Werte:

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Bilanz30. Juni 200530. Juni 2006
BMG nach § 2 LwAltschG1.034.506,39 EUR2.086.355,17 EUR
55 v.H. = Rückstellungszuführungen568.978,51 EUR1.147.495,34 EUR
Rückstellungen neu568.978,51 EUR1.716.473,85 EUR
Rückstellungen bisher552.970,39 EUR566.147,56 EUR
Betriebsvermögensminderung16.008,12 EUR1.150.326,29 EUR
Bilanzenzusammenhang- 16.008,12 EUR
Gewinnminderung16.008,12 EUR1.134.318,17 EUR
18

Die Bilanzen zum 30. Juni 2005 und 2006 seien insoweit unrichtig und müssten nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG berichtigt werden. Insoweit legte die Klägerin geänderte Steuerbilanzen zum 30. Juni 2005 und 2006 vor.

19

Die Einsprüche hatten keinen Erfolg; der Beklagte wies diese durch Einspruchsbescheid vom ... 2012 als unbegründet zurück. Zur Begründung vertrat er die Ansicht, die Bilanzen der Klägerin zum 30. Juni 2005 und 2006 seien nicht unzutreffend, da die Klägerin die seinerzeit von ihr gebildeten Rückstellungen in die Bilanzen habe einstellen dürfen. Die Klägerin könne sich insoweit nicht auf die Verfügung der Oberfinanzdirektion Magdeburg vom 4. Juni 2008 berufen, da diese jeweils nach Erstellung der Bilanzen ergangen sei. Im Übrigen müsste nach dem Inhalt der Verfügung eine Rückstellungsbildung insgesamt unterbleiben. Die Klägerin sei an die von ihr seinerzeit vorgenommenen Bilanzierungen gebunden. Sie habe seinerzeit mit einer Belastung i.H. des von ihr zur Ablösung angebotenen Betrages rechnen müssen.

20

Die Klägerin hat am ... 2012 Klage gegen den Bescheid für 2006 über Körperschaftsteuer erhoben. Sie begehrt die Änderung der Körperschaftsteuerfestsetzung auf einen Betrag von x EUR. In Anbetracht des tatsächlich vereinbarten Ablösebetrages i.H.v. 1.250.000 EUR begehrt die Klägerin im Wege der Bilanzberichtigung nunmehr den Ansatz einer Rückstellung zum 30. Juni 2006 in dieser Höhe. Aufgrund der von ihr zum 30. Juni 2005 bislang gebildeten und nunmehr akzeptierten Rückstellung i.H.v. 552.970,39 EUR und der Änderung der Gewerbesteuerrückstellung begehrt die Klägerin eine Gewinnminderung i.H.v. 643.924 EUR.

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Bilanz30. Juni 200530. Juni 2006
BMG nach § 2 LwAltschG2.086.355,17 EUR
55 v.H. = Rückstellungszuführungen1.147.495,34 EUR
Rückstellungen neu552.970,39 EUR1.250.000,00 EUR
Rückstellungen bisher552.970,39 EUR566.147,56 EUR
Betriebsvermögensminderung683.852,44 EUR
Bilanzenzusammenhang0 EUR
Gewinnminderung (abger.)683.852,00 EUR
Verminderung der GewSt-Rückstellung- 39.928,00 EUR
Verminderung des zvE643.924,00 EUR
22

Ergänzend legt sie eine berichtigte Steuerbilanz zum 30. Juni 2006 vor.

23

Die Klägerin äußert die Ansicht, die Bilanz zum 30. Juni 2006 sei falsch und zu berichtigen. Die bislang gebuchte Rückstellung für den Ablösebetrag sei gewinnerhöhend auszubuchen und die Rückstellung nach den §§ 2 und 3 LwAltschG sei gewinnmindernd einzustellen. Es handele sich insoweit um zwei verschiedene Rückstellungen.

24

Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid für 2006 über Körperschaftsteuer vom ... 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... 2012 mit der Maßgabe zu ändern, dass das zu versteuernde Einkommen i.H.v. x EUR berücksichtigt wird und die Körperschaftsteuer für 2006 i.H.v. x EUR festzusetzen.

26

Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

28

Er hält an seiner im Einspruchsbescheid vertretenen Rechtsauffassung fest und verweist insoweit auf die dortigen Ausführungen. Ergänzend trägt er seine Ansicht vor, ein Ansatz der Rückstellung sei zwar nach den Regelungen in §§ 2, 3 LwAltschG bis zur Höhe von 55 v.H. des bereinigten Gewinns zulässig. Die Rückstellungsbildung in dieser Höhe sei aber gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben. Die Klägerin begehre somit, den bisher zulässig gewählten Ansatz durch einen anderen zulässigen Ansatz zu ersetzen; hierbei handele es sich um eine Bilanzänderung. Der vorliegende Fall betreffe einen Sachverhaltsfehler und keinen Rechtsfehler.

Entscheidungsgründe

29

Die Klage ist begründet.

30

Der angefochtene Bescheid für 2006 über Körperschaftsteuer vom ... 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Beklagte hat die Rückstellung für Zahlungen auf landwirtschaftliche Altschulden in unzutreffender Höhe berücksichtigt. Der Berücksichtigung in der von der Klägerin begehrten Höhe von 1.250.000 EUR steht die Regelung des § 4 Abs. 2 EStG nicht entgegen.

31

1. Gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG hat die Klägerin als GmbH zur Ermittlung des Einkommens in ihren Bilanzen das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auszuweisen ist. Die "handelsrechtlichen" GoB ergeben sich vornehmlich aus den Bestimmungen des Ersten Abschnitts des Dritten Buchs "Vorschriften für alle Kaufleute" der §§ 238 ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB).

32

a) Der Beklagte hat zu Unrecht die von der Klägerin begehrte Rückstellung für die Verpflichtung nach dem LwAltschG zum 30. Juni 2006 nicht anerkannt.

33

aa) Nach § 240 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1, § 242 Abs. 1, § 246 Abs. 1 HGB hat der Kaufmann zu Beginn seines Handelsgewerbes und in der Bilanz für den Schluss eines jeden Geschäftsjahres u.a. seine Verbindlichkeiten (Schulden) vollständig auszuweisen. Eine Verbindlichkeit verkörpert eine dem Inhalt und der Höhe nach bestimmte Leistungspflicht, die erzwingbar ist und zudem eine wirtschaftliche Belastung darstellt (BFH-Urteile vom 6. April 2000 IV R 31/99, BFH/NV 2000, 1161; vom 18. Dezember 2002 I R 17/02, BStBl II 2004, 126 [BFH 18.12.2003 - I R 17/02]). Ist eine bestehende Verbindlichkeit der Höhe nach ungewiss, ist sie unter den Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten i.S. des § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB auszuweisen (BFH-Urteil vom 20. Oktober 2004 I R 11/03, BStBl II 2005, 581).

34

bb) Verbindlichkeiten hatte die Klägerin wegen der Altschulden nicht auszuweisen, weil die darauf beruhenden Verpflichtungen der Höhe nach ungewiss waren (vgl. BFH-Urteile vom 22. November 1988 VIII R 62/85, BStBl II 1989, 359; vom 17. Dezember 1998 IV R 21/97, BStBl II 2000, 116).

35

Nach § 3 Abs. 1 LwAltschG sind Zahlungen auf landwirtschaftliche Altschulden jeweils jährlich in Höhe von 55 v.H. der gemäß § 2 LwAltschG für das jeweilige Geschäftsjahr ermittelten Bemessungsgrundlage zu leisten, höchstens jedoch in Höhe des für das jeweilige Geschäftsjahr ermittelten Jahresüberschusses im Sinne des § 275 HGB zuzüglich der als Aufwand verrechneten Zahlungsverpflichtungen auf Grund von Rangrücktrittsvereinbarungen über landwirtschaftliche Altschulden. Unterschreitet die Zahlung des Kreditnehmers auf landwirtschaftliche Altschulden die Zahlungsverpflichtung gemäß § 3 Abs. 1 erster Halbsatz LwAltschG, erhöht sich die Zahlungsverpflichtung des Folgejahres um diesen Unterschiedsbetrag, höchstens jedoch bis zur Erreichung des für das jeweilige Geschäftsjahr gemäß Absatz 1 zweiter Halbsatz ermittelten Höchstbetrages (§ 3 Abs. 2 LwAltschG).

36

Diese Belastung der Klägerin war zum 30. Juni 2006 aber noch ungewiss, da sie gemäß § 7 LwAltschG einen Antrag auf Ablösung der Altschulden durch einmalige Zahlung gestellt hatte und die Verpflichtung aus §§ 2, 3 LwAltschG zunächst gemäß § 14 Abs. 1 LwAltschG nicht zum Tragen kam. Die Belastung der Klägerin hing zum 30. Juni 2006 davon ab, ob der von ihr gestellte Antrag auf Ablösung der Altschulden auch zu einer Ablösevereinbarung nach § 9 Abs. 3 LwAltschG führen würde. Vorliegend war zum 30. Juni 2006 noch ungewiss, ob und in welcher Höhe ein Ablösebetrag zu zahlen sein würde.

37

cc) Demgegenüber hatte die Klägerin aber eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten wegen der Altschulden zu bilden.

38

(1) Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach, deren Höhe zudem ungewiss sein kann (u.a. BFH-Urteil vom 8. September 2011 IV R 5/09, BStBl II 2012, 122). Der Schuldner muss ernsthaft mit der Inanspruchnahme rechnen, und die Geltendmachung der Verpflichtung muss nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag wahrscheinlich sein (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Urteile vom 17. Februar 1993 X R 60/89, BStBl II 1993, 437; vom 30. April 1998 III R 40/95, BFH/NV 1998, 1217, m.w.N.; vom 17. Dezember 1998 IV R 21/97, BStBl II 2000, 116, unter 3. d bb der Gründe, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im Einzelfall auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen (BFH-Urteil vom 30. Januar 2002 I R 68/00, BStBl II 2002, 688; BFH-Beschluss vom 31. Januar 2013 GrS 1/10, BStBl II 2013, 317).

39

Schließlich muss die ungewisse Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr wirtschaftlich verursacht sein, wobei in der Rechtsprechung des BFH nicht abschließend geklärt ist, ob das Erfordernis der wirtschaftlichen Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag auch für rechtlich entstandene und nur der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeiten gilt (BFH-Urteil vom 19. September 2012 IV R 45/09, BStBl II 2013, 123).

40

(2) Die Klägerin durfte zum 30. Juni 2006 wegen der Verpflichtung aus den Altschulden eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten bilden, weil die Entstehung der Verbindlichkeit dem Grunde nach aufgrund der Regelungen des LwAltschG hinreichend wahrscheinlich gewesen ist und nur deren Höhe ungewiss war. Die ungewisse Verbindlichkeit war auch wirtschaftlich verursacht. Denn diese stellt die Rückführung von Verbindlichkeiten vor 1990 dar und knüpft an die Ergebnisse der abgelaufenen Wirtschaftsjahre an (vgl. §§ 3, 8 Abs. 2 LwAltschG).

41

(a) Die Verpflichtung zur Zahlung nach dem LwAltschG war aufgrund des Antrags der Klägerin zum 30. Juni 2006 rechtlich noch nicht entstanden. Zum einen war zu diesem Zeitpunkt noch kein Ablösevertrag i.S. des § 9 Abs. 3 LwAltschG geschlossen worden. Zum anderen war die Verpflichtung zur Zahlung nach §§ 2, 3 LwAltschG wegen des Antrags der Klägerin zunächst nicht entstanden (§ 14 Abs. 1 Satz 1 LwAltschG).

42

(b) Die Verpflichtung zur Zahlung nach dem LwAltschG war allerdings zum 30. Juni 2006 bereits hinreichend wahrscheinlich.

43

Die erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit wird in der Rechtsprechung mit der Formel umschrieben, dass mehr Gründe für als gegen das Entstehen der in Rede stehenden Verbindlichkeit und die künftige Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen sprechen (BFH-Urteile vom 1. August 1984 I R 88/80, BStBl II 1985, 44; vom 6. Dezember 1995 I R 14/95, BStBl II 1996, 406; vom 8. November 2000 I R 10/98, BStBl II 2001, 349).

44

Im Streitfall war aufgrund der Regelungen des LwAltschG eine Inanspruchnahme der Klägerin hinreichend wahrscheinlich. Denn gemäß § 14 Abs. 1 LwAltschG musste die Klägerin entweder einen einmaligen Ablösebetrag aufgrund einer Ablösevereinbarung nach § 9 Abs. 3 LwAltschG oder jährliche Zahlungen aufgrund der §§ 2, 3 LwAltschG leisten.

45

(c) Die Verpflichtung war zum 30. Juni 2006 auch bereits wirtschaftlich verursacht.

46

Die wirtschaftliche Verursachung einer Verpflichtung vor dem maßgebenden Bilanz-stichtag setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Verbindlichkeit bereits am Bilanzstichtag erfüllt sind und das rechtliche Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 12. Dezember 1991 IV R 28/91, BStBl II 1992, 600; vom 18. Januar 1995 I R 44/94, BStBl II 1995, 742; vom 30. November 2005 I R 110/04, BStBl II 2007, 251). Maßgeblich ist dabei die wirtschaftliche Wertung des Einzelfalles vor dem Hintergrund der rechtlichen Struktur des Tatbestands, mit dessen Erfüllung die Verbindlichkeit entsteht (BFH-Urteile vom 13. November 1991 I R 102/88, BStBl II 1992, 336; vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BStBl II 1987, 848).

47

Die Verpflichtung zur Zahlung auf die Altschulden beruhte auf der Anwendung des LwAltschG seit dem Wirtschaftsjahr 2004/2005. Die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Verbindlichkeit waren zum 30. Juni 2006 bereits erfüllt, da das Gesetz in §§ 2, 3 LwAltschG für die Zahlungspflicht an die Ergebnisse der Wirtschaftsjahre 2004/2005 bzw. 2005/2006 anknüpfte und die Entstehung lediglich vom Abschluss eines Ablösungsvertrags abhing.

48

b) Die Höhe der Rückstellung hat sich an der Regelung der §§ 2, 3 LwAltschG zu orientieren. Denn solange die Klägerin keinen Ablösungsvertrag nach § 9 Abs. 3 LwAltschG abgeschlossen hatte, drohte nach § 14 Abs. 1 Satz 3 LwAltschG die Zahlungsverpflichtung nach §§ 2, 3 LwAltschG (so auch Verfügung der OFD Magdeburg vom 4. Juli 2008 S 2151-10-St 216). Entgegen der Ansicht des Beklagten war nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Klägerin mit ihrem (sehr niedrigen) Antrag durchdringen würde. Dagegen sprach bereits die offensichtliche Diskrepanz zwischen dem Schuldnennbetrag i.H.v. 2.254.321,62 EUR und dem angebotenen Ablösebetrag i.H.v. 547.054 EUR und die Rückfragen der Gläubigerbank mit Schreiben vom ... 2005.

49

Nach § 2 LwAltschG ist Bemessungsgrundlage für die von den Kreditnehmern auf landwirtschaftliche Altschulden zu leistenden Zahlungen aus dem Jahresüberschuss der ohne Berücksichtigung von Bewertungswahlrechten und Zahlungsverpflichtungen auf Grund von Rangrücktrittsvereinbarungen nach den einkommen- und körperschaftsteuerrechtlichen Vorschriften ermittelte Gewinn zuzüglich der für das Geschäftsjahr als Betriebsausgabe verrechneten Gewerbesteuer (Gewerbesteuervorauszahlung und Gewerbesteuer-rückstellung). Die Klägerin hatte unter Berücksichtigung der seinerzeitigen Umstände die Bemessungsgrundlagen für die Wirtschaftsjahre 2004/2005 mit 1.049.880,39 EUR und für 2005/2006 mit 2.072.516,17 EUR zutreffend angegeben. Unter Anwendung der Regelung des § 3 LwAltschG musste die Klägerin zum 30. Juni 2006 mit folgenden Zahlungen nach §§ 2, 3 LwAltschG rechnen:

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Bilanz30. Juni 200530. Juni 2006
BMG nach § 2 LwAltschG1.049.880,39 EUR2.072.516,17 EUR
55 v.H. nach § 3 Abs. 1 LwAltschG577.434,21 EUR1.139.883,89 EUR
höchstens1.049.450,39 EUR1.677.732,17 EUR
Niedrigerer Betrag577.434,21 EUR1.139.883,89 EUR
§ 3 Abs. 2 LwAltschG577.434,21 EUR
Zusammen (so auch Antrag im Einspruchsverfahren)577.434,21 EUR1.717.318,10 EUR
höchstens1.677.732,17 EUR
Rückstellung577.434,21 EUR1.677.732,17 EUR
Begrenzt durch den Klageantrag1.250.000,00 EUR
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Die Klägerin hat im Klageverfahren die Bildung einer Rückstellung i.H.v. 1.250.000 EUR beantragt. Der erkennende Senat ist nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO an diesen Antrag gebunden. Dies entspricht im Übrigen auch dem Ergebnis der Verhandlungen über den Ablösevertrag i.S. des § 9 Abs. 3 LwAltschG vom ... 2007. Unter Berücksichtigung der Rückstellung i.H.v. 1.250.000 EUR ergeben sich nach der zutreffenden Ermittlung der Klägerin ein zu versteuerndes Einkommen i.H.v. x EUR und eine Körperschaftsteuer für 2006 i.H.v. x EUR.

52

2. Die Klägerin ist am Ansatz der Rückstellung auch nicht gemäß § 4 Abs. 2 EStG gehindert.

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a) Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr (2006) geltenden Fassung darf der Steuerpflichtige die Vermögensübersicht (Bilanz) auch nach ihrer Einreichung beim Finanzamt ändern, soweit sie den GoB unter Befolgung der Vorschriften dieses Gesetzes nicht entspricht. Nach der aktuell geltenden anwendbaren Fassung der Vorschrift ist diese Änderung nicht zulässig, wenn die Vermögensübersicht (Bilanz) einer Steuerfestsetzung zugrunde liegt, die nicht mehr aufgehoben oder geändert werden kann (Art. 20 Abs. 6 JStG 2007). Darüber hinaus ist eine Änderung der Vermögensübersicht (Bilanz) gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG nur zulässig, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Änderung nach Satz 1 steht und soweit die Auswirkung der Änderung nach Satz 1 auf den Gewinn reicht.

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b) Die Klägerin konnte die Bilanz zum 30. Juni 2006 berichtigen, da sie den gesetzlichen Regelungen des § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG unter Berücksichtigung der GoB nicht entsprach. Eine entsprechend berichtigte Bilanz hat die Klägerin vorgelegt. Die ursprüngliche Vermögensübersicht (Bilanz) lag auch nicht einer Steuerfestsetzung zugrunde, die nicht mehr aufgehoben oder geändert werden konnte. Denn die Körperschaftsteuerfestsetzung für 2006 stand unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO und war nach § 164 Abs. 2 AO änderbar.

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Dies Ergebnis steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Großen Senats des BFH vom 31. Januar 2013 (GrS 1/10, BStBl II 2013, 317 [BFH 31.01.2013 - GrS 1/10]). Entgegen der Ansicht des Beklagten handelt es sich im Streitfall nicht um einen Fall, in dem die Klägerin bei der Bilanzierung von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen ist. Vielmehr lag der ursprünglichen Bilanzierung der Klägerin ein Fehler hinsichtlich einer bilanziellen Rechtsfrage zugrunde, da die Klägerin unzutreffend den angebotenen Ablösebetrag zur Grundlage ihrer Rückstellungsbildung gemacht hat, welches den Regelungen der §§ 9 Abs. 3, 14 Abs. 1 LwAltschG widerspricht.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO und auf § 151 Abs. 1, 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.