Amtsgericht Oldenburg (Oldenburg)
Urt. v. 18.11.2009, Az.: 6 C 6114/09 VI
Schadensersatz eines Fahrgastes wegen Sturz im Bus durch die Anfahrbewegung
Bibliographie
- Gericht
- AG Oldenburg (Oldenburg)
- Datum
- 18.11.2009
- Aktenzeichen
- 6 C 6114/09 VI
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 49058
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGOLDBG:2009:1118.6C6114.09VI.0A
Rechtsgrundlagen
- § 276 BGB
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 230 StGB
In dem Rechtsstreit
der
Klägerin
Prozessbevollmächtigte:
gegen
1.
2.
Beklagte
Prozessbevollmächtigte
hat das Amtsgericht Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 28.10.2009 durch die Richterin am Amtsgericht
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.)
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.)
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.)
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und Schadensersatz nach einem Sturz.
Die 68 Jahre alte Klägerin ist zu 100% behindert und bewegt sich mit einem Rollator fort.
Sie behauptete, am 22.1.2009 einen B der Linie 303 der Beklagten zu 1) an der haltestelle "Pferdemarkt" in Oldenburg Richtung "ZOB" bestiegen zu haben. Als sie ihren Rollator abgestellt habe und einen sicheren Platz einnehmen wollte, sei der Busfahrer plötzlich ruckartig beschleunigt und sei eine Linkskurve auf dem Pferdemarktkreisel in Richtung Donnerschweer Straße gefahren. Da sie ohne festen Halt gewesen sei, habe sie das Gleichgewicht verloren und sei in Schleudern geraten, gestürzt und mit dem Arm und Oberkörper heftig gegen den Fahrkartenstempler an der Tür geprallt.
Sie habe aufgrund des Sturzes eine bilaterale Längsfraktur des unteren Teils der Wirbelsäule sowie eine zum Körper hin verlaufende Fraktur am Schambein erlitten.
Mit Schriftsatz vom 31.7.2009 hat die Klägerin die Klage gegen den Beklagten zu 2) erweitert.
Sie beantragt nunmehr,
die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst jährlichen Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 21.02.2009 zu zahlen,
die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 274,10 EUR nebst jährlichen Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 21.2.2009 zu zahlen,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr infolge des Verkehrsunfalls vom 22.1.2009 in dem Bus der Linie 303 als Fahr-gast entstanden ist, soweit Schadensersatzansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreiten mit Nichtwissen, dass die Klägerin den Bus zu dem besagten Zeitpunkt bestiegen hat und die behaupteten Verletzungen erlitten hat.
Ergänzend wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz.
Zwar steht nach der Anhörung der Parteien fest, dass die Kläger in dem streitgegenständlichen Bus zu der besagten Uhrzeit sich aufgehalten hat. Die Klägerin hat die Fahrkarte der streitgegenständlichen Busfahrt vorgelegt.
Allerdings hat sie nicht den Beweis erbringen können, dass die Beklagten bei dem Anfahrvorgang nach dem Einstieg die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gemäß § 276 BGB nicht beachtet hat. Mangels eines Verschuldensvorwurfs bezüglich ihres Sturzes scheiden Schmerzensgeld - und Schadensersatzansprüche gemäß §§ 823 I, 823 II, 253 BGB, 230 StGB aus.
Soweit dem Beklagten zu 2) insbesondere vorgeworfen wird, er habe sich nach dem Einsteigen der Klägerin, bzw. dem Schließen der Türen nicht nochmals vergewissert, dass sie sich gesetzt und Halt gefunden hat, begründet dies allein keinen Vorwurf. Es ist in Rechtsprechung und Lehre anerkannt, dass der Fahrer eines Linienbusses, der seinen Fahrplan einzuhalten hat, darauf vertrauen darf, dass die Fahrgäste ihrer Verpflichtung, sich einen festen Halt zu verschaffen, nachkommen. Auch vor dem Anfahren ist es Sache des Fahrgastes, für einen sicheren Halt zu sorgen und so eine Sturzgefahr zu vermeiden. Kommt ein Fahrgast bei normaler Anfahrt zu Fall, so wird ein Beweis des ersten Anscheins angenommen, dass der Sturz auf mangelnde Vorsicht des Fahrgastes zurückzuführen ist, vgl. LG Düsseldorf VersR 1983, 1044, OLG Oldenburg BeckRS 1999 Urteil vom 6.7.1999, AZ 5 U 62/99.
Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass der Beklagte zu 2) ruckartig oder besonders schnell angefahren ist. Weder ist dies aus der vorgelegten Tachoscheibe zu erkennen, noch hat die Klägerin dies nach ihrem eigenen Bekunden so deutlich erklärt. Unstreitig befährt der Bus in nach dem Anfahren eine starke Kurve, die der Klägerin, die die Strecke mehrfach in der Woche fährt, auch bekannt ist. Allein diese örtliche Begebenheit ist indes dem Beklagten nicht anzulasten. Auch ist dem erfahrenen Fahrgast bekannt, dass Busse nie gänzlich sanft anfahren. Eine übermäßige Beschleunigung durch den Beklagten zu 2) konnte die Klägerin nicht beweisen. Sie konnte des weiteren den genannten Anscheinsbeweis nicht widerlegen. Für den Beklagten zu 2) bestanden keine klaren Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht in der Lage ist, sich einen sicheren Halt zu verschaffen. Zwar hat die Klägerin den Bus mit ihrem Rollator bestiegen - das einfache Bestreiten der Beklagten dazu ist insoweit unsubstantiiert, nachdem die Klägerin ihre Schwerbehinderteneigenschaft bereits mit der Klage ausreichend dargelegt hat - allerdings ist dies allein noch kein Hinweis auf eine besondere Hilfsbedürftigkeit der Klägerin.
Soweit besondere, leicht erkennbare Anhaltspunkte bestehen, die ohne weiteres eine schwere Behinderung erkennen lassen, kann verlangt werden, dass der Busfahrer sich vor dem Anfahren darüber vergewissert, dass der Fahrgast nicht der Gefahr ausgesetzt ist zu stürzen, vgl. BGH VersR 1993, 240 [BGH 01.12.1992 - VI ZR 27/92]. An solchen Anhaltspunkten fehlt es indes. Bei der Klägerin drängt sich nicht unmittelbar der Eindruck auf, diese sei besonders hilfsbedürftig. Das Gericht hat sich in der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck verschaffen können. Zwar hat der Rollator der Klägerin, soweit dieser zum Zeitpunkt des Vorfalls benutzt worden ist, was streitig ist, ein besonderes Ausmaß, er ist wesentlich größer als andere, allerdings lässt auch dies nicht auf einer besondere Hilfsbedürftigkeit schließen, da die Andersartigkeit des Gerätes auch andere Gründe haben kann, beispielsweise, dass es sich um eine hochwertigeres Gerät handelt. Schließlich wäre es der Klägerin zumutbar gewesen, sich vor der Fahrt bei dem Beklagten zu 2) zu melden und darauf hinzuweisen, er möge zunächst abwarten, bis sie festen Halt hat.
Alle anderen von der Klägerin geforderten Maßnahmen überspannen den Pflichtenkreis eines Busfahrers.
Im Ergebnis war daher die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 I ZPO abzuweisen.
Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.