Amtsgericht Oldenburg (Oldenburg)
Urt. v. 15.07.2009, Az.: 6 C 6043/09

Bibliographie

Gericht
AG Oldenburg (Oldenburg)
Datum
15.07.2009
Aktenzeichen
6 C 6043/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 44871
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGOLDBG:2009:0715.6C6043.09.0A

In dem Rechtsstreit

EWE Aktiengesellschaft vertr.d.d. Vorstand, Tirpitzstraße 39, 26121 Oldenburg,

Kläger

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt B Geschäftszeichen: I/09/0007

gegen

1. Herrn U

2. Frau F

Beklagte

hat das Amtsgericht Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 01.07.2009 durch die Richterin am Amtsgericht Biernoth

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Die Klage wird abgewiesen

  2. 2.)

    Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.)

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von den Beklagten rückständige Vergütung für die Lieferung von Strom.

2

Zwischen den Parteien bestand vom 9.10.2007 bis zum 1.6.2009 ein Vertrag über die Lieferung von Strom. In der Vertragsbestätigung der Klägerin wird auf die bundeseinheitliche Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden mit Elektrizität (StromGVV) sowie die Ergänzenden Bedingungen der EWE AG für die Belieferung mit Strom als Vertragsbestandteil Bezug genommen. Insoweit wird auf den Wortlaut der StromGVV, insbesondere §§ 4, und 5 Strom GVV Bezug genommen.

3

Der Strompreis belief sich auf 14,9 cent pro kW/h netto.

4

Die Klägerin erhöhte den Strompreis zum 1.11.2007 auf 17,2 Cent pro kW/h netto. Sie veröffentlichte die Erhöhung in der Aussage der NWZ vom 15.9.2007 und auf ihrer Internetseite. Zudem verschickte sie an ihre Kunden einen Infobrief, in dem sie auf die Erhöhung des Strompreises hinwies.

5

Die Beklagten kürzten, nachdem sie die Rechnung vom 3.6.2007 für den Verbrauchszeitraum 1.10.2007 bis 2.5.2008 erhalten hatten, die bereits die Stromerhöhung berücksichtigte um den erhöhten Betrag und reduzierten ebenfalls ihre Abschlagszahlungen von 90, EUR auf 75,- EUR.

6

Die Klägerin errechnete einen rückständigen Betrag in Höhe von 441,95 EUR aufgrund der Kürzungen und hat hinsichtlich einer Teilforderung in Höhe von 80,- EUR einen Mahnbescheid beantragt, dem die Beklagten nach Zustellung des Vollstreckungsbescheides widersprachen.

7

Die Beklagten haben mit Schriftsatz vom 26.3.2009 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, nachdem die Klägerin aufgrund der vorgenommenen Kürzungen, bzw. der rückständigen Beträge die Einstellung der Leistung angekündigt hatte.

8

Die Klägerin ist der Auffassung, sie habe in zulässiger und ausreichenderweise auf die Strompreiserhöhung hingewiesen.

9

Im übrigen habe der Kunde keine Möglichkeit, die Billigkeit des Preises gemäß § 315 III BGB zu bestreiten, da die Kunden von einen anderen Anbieter ihrer Wahl Strom beziehen könnten.

10

Sie beantragt,

  1. den Widerspruch der Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid 08-077144-2-9 des Amtsgerichts Uelzen unter Aufrechterhaltung des Vollstreckungsbescheides zurückzuweisen.

11

Die Beklagten beantragen,

  1. den Vollstreckungsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.

12

Die Beklagten behaupten, den Infobrief der Klägerin nicht erhalten zu haben.

13

Sie sind der Auffassung, die Strompreiserhöhung sei ihnen gegenüber nicht hinreichend kundgetan worden. Die seien nicht verpflichtet, einen Internetanschluss vorzuhalten oder eine Tageszeitung zu kaufen.

14

Im übrigen sind sie der Auffassung, die Preiserhöhung sei unzulässig, da sie nicht der "Billigkeit" im Sinne des § 315 III BGB entspreche.

15

Ergänzend wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

16

Die Klage ist unbegründet, der Vollstreckungsbescheid war aufzuheben.

17

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung der rückständigen Vergütung für die Belieferung von Strom.

18

Die Strompreiserhöhung der Klägerin war unzulässig.

19

§§ 4, 5 Strom GVV geben keine Rechtsgrundlage für die einseitige Leistungsbestimmung der Klägerin mithin auch nicht zur Erhöhung des Strompreises.

20

Ein Leistungsbestimmungsrecht ist hier nicht durch Vertrag getroffen worden. Der Vertrag zwischen den Parteien besteht in der pauschale Bezugnahme auf die Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden mit Elektrizität (StromGVV) sowie die Ergänzenden Bedingungen der EWE AG für die Belieferung mit Strom.

21

Ein Leistungsbestimmungsrecht i.S.d. § 315 I BGB kann einer Vertragspartei indes auch durch Gesetz eingeräumt werden, vgl. BGHZ 126, 109 (120).

22

Zu § 4 I, II AVBGasV (und nachfolgend nunmehr § 5 II 1 GasGVV) ist zwar höchstrichterlich entscheiden, dass diese Vorschrift Regelungen enthält, die dem Versorger ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gemäß § 315 I BGB gewährt, welches auch gemäß § 315 III BGB überprüfbar ist, vgl. BGHZ 172, 315 (320). Ob dies auch für den im Wortlaut unterschiedlichen § 5 StromGVV gilt ist bisher nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidung gewesen und in Zweifel zu ziehen.

23

Ob der Klägerin ein Preisbestimmungsrecht zustehe ist auch nicht, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vortragen ließ, entbehrlich. Ein Preisbestimmungsrecht per se ist weder aus dem Gesetz erkennbar noch aufgrund des Energiewirtschaftgesetzes, wie die Klägerin offensichtlich meint, entbehrlich. Andernfalls wäre die Energiewirtschaft in diesem Punkt gleichsam freigestellt. Dies hat auch der BGH so erkannt und mithin § 315 III im Rahmen der Gaspreiserhöhungen gemäß § 5 GasGVV zugelassen, vgl. BGH JW 2007, 2540, 2541.

24

Überschrift und unmittelbarer Wortlaut des § 5 I bis III StromGVV offenbaren nicht, dass der Versorgungsgeber in § 5 StromGVV ein Preisanspassungsrecht schaffen wollte. Die Vorschrift trägt die Überschrift "Art der Versorgung". Die Art der Versorgung und die Anpassung von Tarifen sind gänzlich verschiedene Regelungsbereiche. Die Überschrift legt es daher für einen unbefangenen Betrachter nicht nahe, dass es in dieser Vorschrift inhaltlich um tarifrechtliche Regelungen gehen soll. Dasselbe gilt für den Wortlaut. Nach § 5 II StromGVV werden "Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam(...)".

25

Daraus ein Leistungsbestimmungsrecht zu erkennen, bedarf es mehr als ausreichende Phantasie. Die Regelung des § 5 setzt offensichtlich eine Preisbestimmung voraus, die jedoch, wie aufgezeigt weder im Strom GVV noch in EnWG zu finden ist.

26

Es ist in keiner Weise erkennbar, dass der Verordnungsgeber mit der Regelung der §§ 4 und 5 StromGVV ein Recht zur Tarifbestimmung schaffen wollte, vgl. auch die Entscheidung des OLG Oldenburg NJOZ 2009, 26 (31) zur § 4 GasGVV.

27

Die Vorschrift machte Sinn, würde sie an ein bereits bestehendes Tarifanpassungsrecht anknüpfen und dieses Recht mit der formellen Pflicht zur Veröffentlichung verknüpfen. Schließlich wäre es "gesetzestechnisch" mehr als ungewöhnlich, eine derart bedeutsame Regelung, die einen gewichtigen Eingriff in die beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten darstellt, so zu formulieren, das sich ihre Bedeutung für das hier in Rede stehende Tarifanpassungsrecht nur über einen Rückschluss erschließt, der zudem noch nicht einmal zu einem eindeutigen Ergebnis führt.

28

Die StromGVV ist aufgrund des Energiewirtschaftsgsetzes entstanden und sollte den Abnehmer vor einem Missbrauch des Versorgers aufgrund der (damals noch herrschenden) Monopolstellung schützen. Zunächst war man allgemein dann auch der Auffassung, ein Preisanpassungsrecht bestünde gleichsam per se, es ergebe sich aus der Natur der Sache, vgl. Darge/Melchinger/Rumpf Energiewirtschaftsgesetz 1936 zu 3 6 Nr. 5e.

29

Eine Tarifgestaltung durch Gesetz fand insoweit nicht statt. § 7 des EnergieWG sah lediglich eine Ermächtigung für die Regelung der allgemeinen Bedingungen für die Belieferung, aber nicht die Tarifgestaltung vor. Aufgrund dieser Ermächtigungsgrundlage sind die §§ 4, 5 StromGVV entwickelt worden.

30

Vor diesem Hintergrund und dem Wortlaut von § 5 StromGVV spricht nichts dafür, dass der Verordnungsgeber mit der "Art der Versorgung" ein Tarifanpassungsrecht begründen wollte. Er hat es vielmehr stillschweigend als bereits vorhanden vorausgesetzt, bzw. es den Versorgern über lassen, diese Recht in den jeweiligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu regeln. Vorliegend ist eine solche Tarifregelung in den AGB der Klägerin nicht zu erkennen.

31

Auch aus § 39 I 2 EnergieWG stellt eine solche Tarifregelung nicht zu entnehmen.

32

Vielmehr stellt § 39 I 2 EnergieWG lediglich eine Ermächtigung dar, die zu einer Verordnungserlass berechtigt. § 39 I 2 ErnegieWG ist aber in Betreff einer Verordnung zur Gestaltung von Preisen bisher nicht nachgekommen, zudem hätte eine solche Verordnung auch nicht Eingang in den hier streitgegenständlichen Vertrag genommen.

33

Mangels einer Vereinbarung über ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht ist daher die Klage abzuweisen.

34

Selbst wenn man von dem Standpunkt der Klägerin ausgeht, die offensichtlich eine einseitige Leistungsbestimmung per se annimmt, so würde die Bestimmung des §§ 4, 5 StromGVV einer Billigkeitskontrolle nicht genügen.

35

Der Inhaltskontrolle steht nicht entgegen, dass gemäß § 310 II 1 BGB die §§ 308, 309 BGB auf Verträge mit Versorgungsunternehmen nicht anzuwenden sind, da die Klauseln einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB zugänglich sind, vgl. BGH NJW 2008, 2172 [BGH 29.04.2008 - KZR 2/07].

36

Die von der Klägerin verwendeten Bestimmungen sind unwirksam, weil sie gegen das Transparenzgebot verstoßen, § 307 I 2 BGB. Weder aus § 4 noch aus § 5 StromGVV kann man, sei man juristisch vorgebildet oder nicht, auch nur Ansatz sei ein Preisanpassungsrecht entnehmen, weder ist bestimmt, dass es ein solches geben soll, noch in welchem Rahmen dieses gestaltet werden soll, mithin von welchen Faktoren eine Änderung der Preis abhängt. Zudem ist nicht bestimmt, ob der Klägerin auch obliegt, die Preis zugunsten des Verbrauchers bei entsprechenden Voraussetzungen zu gestalten. Der Verbraucher muss aber die Möglichkeit und den Umfang der auf ihn zukommenden Preissteigerungen beim Vertragsschluss aus der Formulierung der Klausel erkennen und die Berechtigung einer vom Verwender vorgenommenen Erhöhung an der Ermächtigungsklausel selbst messen können. Das Transparenzgebot soll verhindern, dass der Verwender durch einen ungenauen Tatbestand oder eine ungenaue Rechtsfolge ungerechtfertigte Beurteilungsspielräume in Anspruch nehmen und das vertragliche Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zu seinen Gunsten verschieben kann, vgl. OLG Stuttgart NJR-RR, 2002, 858.

37

Preisanpassungsklauseln sind nur zulässig, wenn die Befugnis des Verwenders zu Preisanhebungen von Kostenerhöhungen abhängig gemacht wird und die einzelnen Kostenelemente sowie deren Gewichtung bei der Kalkulation des Gesamtpreises offengelegt werden, so dass der andere Vertragsteil bei Vertragsschluss die auf ihn zukommenden Preissteigerungen einschätzen kann, vgl. BGH NJW 2007, 1054 [BGH 13.12.2006 - VIII ZR 25/06]. Dieses Anforderungen genügen §§ 4, 5 StromGVV offensichtlich nicht.

38

Weder lässt sich ein Preissteigerungsrecht begründen noch sind die Grundlagen der Preisgestaltung dargelegt.

39

Die Regelungen sind gänzlich intransparent.

40

Daher ist auch aus diesem Grunde die Klage abzuweisen.

41

Die Berufung war gemäß § 511 Nr. 2, IV ZPO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

42

Die Problematik betrifft zigtausende von Verträgen, zudem ist das Urteil des OLG Oldenburg, auf welches Bezug genommen worden ist, und die gleiche Problematik im Bereich der Gasversorgung behandelt, zur Zeit beim BGH anhängig.

43

Die Kostenentscheidung beruht aus §§ 91 I ZPO.

44

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Bruse
Herrn Ramseger
Frau von Minden
Biernoth