Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 01.10.2008, Az.: 11 A 4513/06

Abgrenzung von Futtermitteln und Tierarzneimitteln; Futtermittel; Arzneimittel; Tierarzneimittel; Nährstoffe; Nahrungsergänzungsmittel; Zusatzstoffe; Bolus; Tierschutz; Zuständigkeit; Futtermittelüberwachung; Gefahr; Gesundheit; Ermessen; Deklarationmängel

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
01.10.2008
Aktenzeichen
11 A 4513/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 45426
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2008:1001.11A4513.06.0A

Fundstelle

  • PharmaR 2009, 84-89

Amtlicher Leitsatz

Rindern in Form eines Bolus oral verabreichte Nährstoffe sind in der Regel keine Tierarzneimittel.

Das streitgegenständliche Bolus-Sortiment unterfällt keinem futtermittelrechtlichen Verbot.

Tenor:

  1. Die Verfügung des Beklagten vom 26.06.2006 wird aufgehoben.

  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

  3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

  4. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen eine futtermittelrechtliche Verfügung des Beklagten nebst Zwangsgeldandrohung.

2

Die Klägerin ist ein genossenschaftlich organisiertes Unternehmen von Tierärzten, das Tierarzneimittel und Spezial-Futtermittel herstellt und vertreibt. In der Zeitschrift "Deutsches Tierärzteblatt" 5/2006 warb die Klägerin mit dem Artikel "D. - das Bolus-Sortiment für Rinder" für fünf neue Boli für die Rinderpraxis. Alle D. -Boli hätten die Größe eines Käfigmagneten und ließen sich daher über handelsübliche Magnet- und Boluseingeber verabreichen. Da es sich um Futtermittel handele, erspare sich der Anwender die bürokratische Dokumentation.D. Mg (Magnesiumoxid) diene dem Ausgleich eines Magnesiummangels oder eines niedrigen pH-Wertes.D. P (Natriumphosphat) komme bei einem vorhandenen oder zu erwartenden Phosphatmangel - insbesondere um den Geburtstermin - zum Einsatz.D. Ca (Calciumacetat) werde bei Calciummangel oder einem zu erwartenden Calciumdefizit eingesetzt und sei besonders gut schleimhautverträglich.D. GE (Glucoplastische Energie, Natriumpropionat) liefere bei Ketose oder bei anderen Energiemangelzuständen nachhaltige Energie. Das perfekt auf die Pansenflora und -fauna abgestimmte D. PS (Pansenstimulans) vereine die bewährten Inhaltsstoffe des Marktführers Pansenstimulans WDT mit einer modernen Verabreichungsform. Alle Verpackungen enthalten diese Angaben zur Zusammensetzung und zum Anwendungsbereich der einzelnen D. -Boli und den Hinweis, dass es sich um ein "Ergänzungsfuttermittel" für Rinder handelt. Die Zusammensetzung wird bei D. PS dahin konkretisiert, dass der Bolus Dicalciumphosphat, Hefe, Kartoffelstärke, Molkepulver, Glucose DL-Methionin sowie Vitamine A, D3 und Kobalt enthalte. Darüber hinaus sind für die einzelnen D. -Boli die Zusatzstoffe pro kg und der jeweilige Gehalt an Inhaltsstoffen sowie eine "Fütterungsempfehlung" angegeben.

3

Am 24.05.2006 wurde im klägerischen Betrieb durch Mitarbeiter des Beklagten im Rahmen einer Sonderprüfung eine Einstufung der genannten Präparate aus arzneimittel- und futtermittelrechtlicher Sicht vorgenommen.

4

In dem Prüfbericht wurden die Bezeichnung "Ergänzungsfuttermittel" für die nur aus Caciumacetat, Magnesiumoxid und Natriumpropionat bestehenden Einzelfuttermittel, die Deklaration von Tablettier- und Verarbeitungshilfsstoffen in der Zusammensetzung und bei den Zusatzstoffen sowie nicht der Futtermittelverordnung entsprechende Bezeichnungen und Fütterhinweise beanstandet. Das Ergebnis der Rezeptur- und Deklarationskontrolle wurde als Anlage zum Prüfbericht vom 24.05.2006 genommen. Die D. -Boli wurden als zulassungspflichtige Arzneimittel eingestuft.

5

Mit Verfügung vom 26.06.2006 ordnete der Beklagte unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von jeweils 5 000,00 € an, dass das vom Kläger unter dem Markennamen E. vertriebe Bolus-Sortiment D. PS (Pansenstimulans), D. GE (Glucoplastische Energie, Natriumpropionat), D. Ca (Calciumacetat), D. P (Natriumphosphat) und D. Mg (Magnesiumoxid) nicht als Futtermittel in den Verkehr gebracht oder vertrieben werden darf. Das Ergebnis der Rezeptur- und Deklarationskontrolle wurde als Anlage zur Verfügung übersandt.

6

Zu Begründung führte er aus, nach § 39 Absatz 2 des Gesetzes zur Neuordnung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts (LFGB) könne er bei begründetem Verdacht, dass Futtermittel nicht den in diesem Gesetz, den dazu erlassenen Rechtsverordnungen und den durch einen unmittelbaren Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft festgesetzten Anforderungen entsprächen und bei sachgerechter Verwendung geeignet seien, die tierische Gesundheit und die Qualität der von Nutztieren gewonnenen Produkte zu beeinträchtigen, die erforderlichen Maßnahmen anordnen. Die Boli seien als Futtermittel nicht verkehrsfähig. Nach der vom europäischen Recht vorgegebenen Definition handele es sich wegen der zwangsweisen oralen Verabreichung der Präparate in isolierter Form als Bolus nicht um Futtermittel. Sie könnten nur als Arzneimittel mit den sich daraus für die Präparate ergebenden Folgen der Zulassungspflicht eingeordnet werden. Neben der objektiven Zweckbestimmung komme der Zweckbestimmung durch den Anbieter nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Im Rahmen des ihm zustehenden Ermessensspielraums sei er zu dem Ergebnis gekommen, dass das Verbot des Inverkehrbringens des verfahrensgegenständlichen Futtermittels aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes, insbesondere des Tierschutzes, geeignet und erforderlich sei. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sei den Interessen der Verbraucher unbelasteter Futtermittel der Vorrang einzuräumen. Die dabei tangierten Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG würden durch die gesetzlichen Regelungen des LFGB eingeschränkt.

7

Die Klägerin hat am 24.07.2006 Klage erhoben.

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Sie trägt vor, die futtermittelrechtliche Verfügung des Beklagten sei rechtswidrig. Nach dem Vorbringen des Beklagten habe die unzuständige Behörde auf falscher Rechtsgrundlage entschieden. Der Beklagte hätte seine Verfügung schon nicht auf die futtermittelrechtliche Ermächtigungsgrundlage stützen dürfen, wenn er die Auffassung vertrete, es handele sich bei dem streitgegenständlichen Bolus-Sortiment nicht um Futtermittel, sondern um Arzneimittel. Dann hätte die für die Arzneimittelüberwachung zuständige Behörde auf der Grundlage des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG) entscheiden müssen. Die verfahrensgegenständlichen Produkte erfüllten aber nicht die Definition eines Arzneimittels, weil sie keinen heilenden Zweck verfolgten. Bei der maßgeblichen Definition des Tierarzneimittels nach europäischem Recht werde zwar zwischen Präsentationsarzneimitteln und Funktionsarzneimitteln unterschieden. Für das von dem Beklagten herangezogene Merkmal der Freiwilligkeit fänden sich aber im europäischen und im nationalen Recht keine Anhaltspunkte. Die herangezogene Fundstelle bei Zipfel/Rathke beziehe sich nur auf die Zufuhr von Arzneimitteln über das Futter.

9

Nach dem Wortlaut und Zweck der Definition des Begriffs des "Futtermittels" und unter Berücksichtigung des Begriffs des "Verzehrens" im Lebensmittelrecht könne unter "Füttern" nur die Zufuhr von Stoffen zu Ernährungszwecken über den Verdauungsapparat verstanden werden. Auch ein Vergleich mit der Definition des "Einzelfuttermittels" lasse erkennen, dass der Gesetzgeber auf die Zweckbestimmung abgestellt habe. Bei den streitgegenständlichen Boli handele es sich um dem Rachenraum eines Rindes angepasste gepresste Futtermittel, die ausschließlich den erhöhten Nährstoffbedarf der Hochleistungskühe decken sollten und mittels eines handelsüblichen Magnet- und Boluseingebers der Kuh soweit in den Rachen geschoben würden, dass ein Schluckreflex ausgelöst werde. Auch selbständig abgeschluckte Maulspritzen würden als Futtermittel eingestuft.

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Der Beklagte könne sich auch nicht erstmals im Klageverfahren auf die vermeintlichen Deklarationsmängel ihrer Produkte berufen. Selbst wenn ein Deklarationsfehler vorliegen sollte, wäre ein Vertriebsverbot unverhältnismäßig, weil dieser kurzfristig abgestellt werden könnte. Auch im Übrigen sei die Ermessensausübung des Beklagten fehlerhaft. Es sei nicht ersichtlich, warum die Verbraucher oder Tiere durch den Vertrieb der verfahrensgegenständlichen Produkte gefährdet sein und welche Untersuchungen weiter durchgeführt werden sollten. Zudem seien die nicht beanstandeten vergleichbaren Konkurrenzprodukte nicht aus dem Verkehr gezogen worden.

11

Der Kläger beantragt,

  1. die Verfügung des Beklagten vom 26.06.2006 aufzuheben.

12

Der Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen,

13

und führt ergänzend aus, die streitgegenständlichen D. -Boli verstießen mehrfach gegen futtermittelrechtliche Vorschriften. Auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) habe festgestellt, dass Boli keine Futtermittel seien. Die Zufuhr von nach ihrer Bestimmung nicht eigenständig von den Tieren aufgenommenen Stoffen durch Auslösen des Schluckreflexes sei kein "Füttern" sondern "Verabreichen" oder "Einflößen". Auch das "Verzehren" setze eine Willensentscheidung und nach Zipfel/Rathke ein Zuführen von Stoffen durch den Mund voraus. Werde aber der Anschein von Futtermitteln erweckt, müsse es der Futtermittelüberwachung möglich sein, Firmen zu untersagen, Futtermittel in den Verkehr zu bringen, die keine Futtermittel seien. Es läge zumindest eine Gefahr im Sinne des allgemeinen Polizeirechts vor. Die für die Zulassung von Tierarzneimitteln zuständige Bundesoberbehörde habe ihm bestätigt, dass es sich um zulassungspflichtige Medikamente handele.

14

Selbst wenn die streitgegenständlichen Boli Futtermittel wären, wären sie nicht verkehrsfähig, weil sie falsch gekennzeichnet wären. Bei den fünf Boli seien Deklarationsmängel hinsichtlich Bezeichnung, Zusammensetzung, Zusatzstoffen, Gehalt an Inhaltsstoffen und Gebrauchsanweisung festzustellen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Klage ist begründet.

17

I. Die angefochtene Verfügung des Beklagten vom 26.06.2006 ist zwar nicht aus formellen Gründen rechtswidrig. Der Beklagte war jedenfalls die für den Erlass der angegriffenen futtermittelrechtlichen Verfügung nach § 38 Abs. 1 LFGB in Verbindung mit den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften für die Durchführung dieser Überwachungsmaßnahmen sachlich zuständige Behörde, weil die Klägerin zumindest den Anschein eines Futtermittels gesetzt und der Beklagte darauf reagiert hat.

18

II. Die Verfügung des Beklagten vom 26.06.2006 ist aber materiell rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

19

1. Der Beklagte hat die angegriffene Untersagungsverfügung vom 26.06.2006 auf § 39 Absatz 2 Satz 2 Ziffer 3 und Absatz 3 Ziffer 2 des Gesetzes zur Neuordnung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts (LFGB) vom 01.09.2005 (BGBl. I S. 2618) gestützt. Danach treffen die zuständigen Behörden die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zur Feststellung oder zur Ausräumung eines hinreichenden Verdachts eines Verstoßes oder zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder zur Verhütung künftiger Verstöße sowie zum Schutz vor Gefahren für die Gesundheit oder vor Täuschung erforderlich sind. Sie können insbesondere das Herstellen, Behandeln oder das Inverkehrbringen von Erzeugnissen verbieten oder beschränken. Eine solche Anordnung kann auch in Bezug auf das Verfüttern eines Futtermittels ergehen.

20

Dabei beruft sich der Beklagte auf futtermittelrechtliche Verbote nach § 17 Abs. 2 Ziff. 1 und § 21 Abs. 2 LFGB.

21

Nach § 17 Absatz 2 LFGB ist es u.a. verboten, Futtermittel für andere derart herzustellen oder zu behandeln, dass sie bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Verwendung geeignet sind, nach Ziffer 1. a) die tierische Gesundheit zu schädigen und/oder nach Ziffer 1. b) aa) die Qualität der von Nutztieren gewonnenen Lebensmittel oder sonstigen Produkte zu beeinträchtigen.

22

Nach § 21 Abs. 2 LFGB dürfen Einzelfuttermittel, die unter die im Anhang der Richtlinie1982/471/EWG des Rates vom 30. Juni 1982 über bestimmte Erzeugnisse für die Tierernährung (ABl. EG Nr. L 213 S. 8), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2004/116/EG der Kommission vom 23. Dezember 2004 (ABl. EU Nr. L 379 S. 81), aufgeführten Erzeugnisgruppen fallen, gewerbsmäßig nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch Rechtsverordnung auf Grund von Ermächtigungen nach diesem Abschnitt zugelassen sind.

23

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

24

a) Ob überhaupt der hinreichende Verdacht einer Gesundheitsgefahr oder eines Verstoßes im Sinne dieser Vorschriften anzunehmen ist, hängt davon ab, ob das streitbefangene Bolus-Sortiment der Klägerin als Futtermittel angesehen werden kann.

25

Der Begriff des Futtermittels ist im deutschen Recht nicht definiert. § 2 Abs. 4 LFGB verweist zur Bestimmung des Begriffs auf Art. 3 Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (Abl. L 31, S. 1). Danach sind "Futtermittel" Stoffe oder Erzeugnisse, auch Zusatzstoffe, verarbeitet, teilweise verarbeitet oder unverarbeitet, die zur oralen Tierfütterung bestimmt sind.

26

Ob das Produkt darüber hinaus die Voraussetzungen eines Nahrungsergänzungsmittels oder Zusatzstoffes erfüllt, ist an dieser Stelle unerheblich, weil die vom Beklagten herangezogenen Verbotsvorschriften allgemein auf Futtermittel abstellen, die Zusatzstoffe mit umfassen und die Nahrungsergänzungsmittel nach Art. 2 Buchstabe a) der Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel (ABl. L 181, S. 51) und dem weitgehend übereinstimmenden § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Nahrungsmittelergänzungsverordnung (NemV) zu den Lebensmitteln gehören, Futtermittel nach Art. 2 Abs. 3 Buchstabe a) der VO (EG) Nr. 178/2002 aber keine Lebensmittel sind. Für den neuen Markt mit den Nahrungsergänzungsmitteln entsprechenden Produkten für Tiere fehlt es bislang an weitergehenden Regelungen im nationalen und europäischen Recht und an Rechtsprechung.

27

Für die im vorliegenden Verfahren maßgebliche Abgrenzung des Futtermittels zu einem Arzneimittel bietet die Definition in Art. 3 Nr. 4 VO (EG) Nr. 178/2002 keine hinreichenden Anhaltspunkte.

28

Insofern ist - vergleichbar der Abgrenzung eines Lebensmittels zu einem Arzneimittel - von einem Vorrang der arzneimittelrechtlichen Vorschriften auszugehen (vgl. dazu: OVG NRW, Urt.v. 17.03.2006 - 13 A 2098/02 - nach juris - und Urt.v. 17.03.2006 - 13 A 2095/02 - nach juris). Es fehlt zwar in der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 an einer dem Art. 2 Abs. 3 Buchstabe d) VO (EG) Nr. 178/2002 entsprechenden Regelung, nach der Arzneimittel nicht zu den Lebensmitteln gehören, sowie an einer dem Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel vom 31. März 2004 vergleichbaren gemeinschaftsrechtlichen Regelung. Dort wird bestimmt, dass in Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von "Arzneimittel" als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, diese Richtlinie gilt.

29

Der sich aus diesen gemeinschaftsrechtslichen Regelungen ergebende Vorrang der arzneimittelrechtlichen Vorschriften entspricht dem Zweck des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, da die Bestimmungen für Arzneimittel in Anbetracht der besonderen Gefahren, die diese Erzeugnisse für die öffentliche Gesundheit mit sich bringen können, strenger sind als für andere Erzeugnisse, von denen solche Gefahren im allgemeinen nicht ausgehen (vgl. in Bezug auf Lebensmittel: EuGH , Urt. vom 28. Oktober 1992 - C 219/91 - (Ter Voort), Slg. 1992, I 5502 (5509, Rdnr. 19 f.), und Satz 1 der vierten Begründungserwägung der RL 2004/27/EG).

30

Der danach jedenfalls für das Lebensmittelrecht bestehende gemeinschaftsrechtliche Vorrang der arzneimittelrechtlichen Vorschriften ist zudem bei der Anwendung nationalen Rechts - gegebenenfalls im Wege der richtlinienkonformen Auslegung - nach Auffassung der Kammer auch im Futtermittelrecht zu berücksichtigen. § 2 Abs. 3 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG) bestimmt unter Ziffer 1 im umgekehrten Verhältnis zu Art. 2 Abs. 3 Buchstabe d) VO (EG) Nr. 178/2002, dass Arzneimittel nicht Lebensmittel im Sinne des § 2 Abs. 2 LFGB sind, und regelt unter Ziffer 6, dass Arzneimittel auch nicht Futtermittel im Sinne des § 3 Nr. 11 bis 15 LFGB sind. Unter diesen Nummern werden Einzelfuttermittel, Mischfuttermittel, Diätfuttermittel, Futtermittel-Zusatzstoffe und Vormischungen definiert. Hinsichtlich der Futtermittel-Zusatzstoffe unter Nummer 14, die auch Bestandteil von Einzelfuttermitteln sein können, wird zur Begriffsbestimmung auf Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a) Verordnung (EG) Nr. 1831/2003 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 22.09.2003 über Zusatzstoffe zur Verwendung in der Tierernährung (Abl. L 286, S. 29) verwiesen. Danach sind "Futtermittelzusatzstoffe" Stoffe, Mikroorganismen oder Zubereitungen, die keine Futtermittel-Ausgangserzeugnisse oder Vormischungen sind und bewusst Futtermitteln oder Wasser zugesetzt werden, um insbesondere eine oder mehrere der in Artikel 5 Absatz 3 genannten Funktionen zu erfüllen. Dementsprechend muss ein Futtermittelzusatzstoff u.a. die Beschaffenheit des Futtermittels positiv beeinflussen (Buchstabe a), die Beschaffenheit der tierischen Erzeugnisse positiv beeinflussen (Buchstabe b), den Ernährungsbedarf der Tiere decken (Buchstabe d), die Tierproduktion, die Leistung oder das Wohlbefinden der Tiere, insbesondere durch Einwirkung auf die Magen- und Darmflora oder die Verdaulichkeit der Futtermittel, positiv beeinflussen (Buchstabe f) oder eine kokzidiostatische oder histomonostatische Wirkung haben (Buchstabe g), wobei nach Absatz 4 andere Antibiotika als Kokzidiostatika oder Histomonostatika als Futtermittelzusatzstoffe nicht zugelassen werden. Daneben werden in Art. 2 Abs. 2 Buchstabe d) der VO (EG) Nr. 1831/2003 "Ergänzungsfuttermittel" als Erzeugnisse gemäß der Begriffsbestimmung in Artikel 2 Buchstabe e) der Richtlinie 79/373/EWG definiert. Jedenfalls bestimmt die VO (EG) Nr. 1831/2003 ausdrücklich in Art. 1 Abs. 2 Buchstabe b), dass sie nicht für Tierarzneimittel gemäß Begriffsbestimmung in der Richtlinie 2001/82/EG, mit Ausnahme von Kokzidiostatika und Histomonostatika, die als Futtermittelzusatzstoffe verwendet werden, gilt.

31

Anhaltspunkte dafür, dass der gemeinschaftsrechtlich begründete Vorrang der arzneimittelrechtlichen Vorschriften mit dem Sinngehalt der nationalen Vorschrift nicht in Einklang steht, sind demnach nicht ersichtlich. Die hinter der gemeinschaftsrechtlichen Vorrangregelung stehende Wertung, aus Gründen des Gesundheitsschutzes die arzneimittelrechtlichen Vorschriften anzuwenden, erweist sich vielmehr für das nationale Recht ebenfalls als sachgerecht und verhältnismäßig.

32

Entsprechend diesem Abgrenzungsverständnis ist zu prüfen, ob es sich bei dem D. -Bolus-Sortiment für Rinder um ein Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/82/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel handelt.

33

Artikel 1 Nr. 2 Richtlinie 2001/82/EG in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/28/EG definiert als Tierarzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung von Tierkrankheiten bestimmt sind (Buchstabe a), oder alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am tierischen Körper verwendet oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, oder eine medizinische Diagnose zu erstellen (Buchstabe a).

34

Dabei unterscheidet das Gemeinschaftsrecht zwischen sogenannten "Präsentationsarzneimitteln" (vgl. vorstehende Ziffer 2 Buchstabe a) und sogenannten "Funktionsarzneimitteln" (vgl. vorstehende Ziffer 2 Buchstabe b).

35

Der Begriff des Präsentationsarzneimittels umfasst solche Stoffe, die dem Verbraucher als Arzneimittel gegenübertreten oder die entsprechende Bestimmung aufweisen.

36

Bei dem Begriff des Funktionsarzneimittels stellt das europäische Recht auf die Zweckbestimmung ab, wobei diese nach der Neufassung des Art. 1 Nr. 2 Richtlinie 2001/82/EG durch pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkungen erreicht wird.

37

Für das nationale Recht ergeben sich bei der Anwendung des Arzneimittelbegriffs hinsichtlich der Arzneimitteleigenschaft eines Produktes im Ergebnis ebenfalls keine Abweichungen.

38

Nach § 2 Abs. 1 AMG sind - soweit hier von Belang - Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, (Nr. 1) durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen, oder (Nr. 5) die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen.

39

Auch wenn sich diese Definitionen vom Wortlaut her von den gemeinschaftsrechtlichen Definitionen unterscheiden, besteht im Hinblick auf grundsätzliche Fragen des Arzneimittelbegriffs Übereinstimmung. Zwar kennt das Arzneimittelgesetz beispielsweise ein Arzneimittel allein nach oder kraft der Bezeichnung nicht. Gleichwohl ist anerkannt, dass die Formulierung in § 2 Abs. 1 AMG "dazu bestimmt ist" die gemeinschaftsrechtliche Definition des Arzneimittels "nach der Bezeichnung" mit einschließt (vgl. in diesem Sinne: BVerwG, Urt.v. 24.11.19994 - 3 C 2.93 - BVerwGE 97,132[BVerwG 24.11.1994 - 3 C 2/93] (136 ff., 140) in Bezug auf Art. 1 Nr. 2 Abs. 1 RL 65/65/EWG; OVG NRW, Urt.v. 17.03.2006 - 13 A 2098/02 - nach juris - und Urt.v. 17.03.2006 - 13 A 2095/02 - nach juris).

40

Auch der für das gemeinschaftsrechtliche Funktionsarzneimittel aufgestellte Grundsatz, dass die Annahme eines solchen nicht an das Vorliegen einer Krankheit gebunden ist (vgl. EuGH, Urt.v. 16.04.1991 -C-112/89- (Upjohn I), LRE 28, 19, 22), widerspricht nicht dem Arzneimittelgesetz, wie der Definition in § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG zu entnehmen ist, die zudem als Pendant zur Definition des gemeinschaftsrechtlichen Funktionsarzneimittels angesehen wird (vgl. BGH, Urt v. 11 07.2002 - I ZR 34/01-). Im Übrigen schließt der gemeinschaftsrechtliche Ansatz, in Zweifelsfällen bei der Abgrenzung alle Merkmale des Erzeugnisses im Einzelfall zu berücksichtigen, die von der nationalen Rechtsprechung zu den Definitionen in § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG entwickelten Abgrenzungskriterien mit ein. Soweit diese vor allem auf den Verwendungszweck des Produkts abstellt, diesen an der stofflichen Zusammensetzung des Präparats, seiner Aufmachung und der Art seines Vertriebs festmacht und dabei allerdings maßgeblich auf die Sichtweise eines durchschnittlich informierten Verbrauchers abstellt mit der weiteren Erwägung, dass das Produkt mit seinem Erscheinungsbild bei dem Verbraucher Erwartungen und Vorstellungen über seine Zweckbestimmung begründe oder an eine schon bestehende Auffassung der Verbraucherkreise über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihrer Anwendung anknüpfe, entspricht das allerdings eher der gemeinschaftsrechtlichen Definition des Präsentationsarzneimittels (vgl. BVerwG, Urt.v. 24.11.1994 - 3 C 2.93 -).

41

Soweit darüber hinaus betont wird, dass der Anwendungsbereich der arzneimittelrechtlichen Vorschriften wegen der erstrebten Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere im Hinblick auf ihre Qualität, ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit "objektiv" an Hand tatsächlicher Gegebenheiten abzugrenzen sei (vgl. BVerwG, Urt.v. 24.11.1994 - 3 C 2.93 -) und dass die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft ein die Vorstellung der Verbraucher beeinflussender Faktor sein könne (Vgl. BGH, Urt.v. 06.05.2004 - I ZR 275/01 -), besteht kein wesentlicher Unterschied zu der im Rahmen der Gesamtabwägung vor allem auf pharmakologische Eigenschaften abstellenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und den nunmehr in Art. 1 Nr. 2 lit. b) Richtlinie 2001/82/EG normierten Merkmalen (vgl. OVG NRW, Urt.v. 17.03.2006 - 13 A 2098/02 - nach juris - und Urt.v. 17.03.2006 - 13 A 2095/02 - nach juris).

42

Bei Anwendung dieser im Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht und der dazu ergangenen Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien handelt es sich bei dem D. -Bolus-Sortiment für Rinder nicht um ein Arzneimittel.

43

Orientiert man sich schwerpunktmäßig an den gemeinschaftsrechtlichen Kriterien, so ist das streitgegenständliche D. -Bolus-Sortiment jedenfalls nicht als Präsentationsarzneimittel anzusehen.

44

Das D. -Bolus-Sortiment für Rinder stellt sich dem Verbraucher als Futtermittel dar. Es ist auf allen Verpackungen und in dem Artikel in der Zeitschrift "Deutsches Tierärzteblatt" 5/2006 ausdrücklich als "Futtermittel" bzw. als "Ergänzungsfuttermittel" für Rinder bezeichnet. Den auf allen Verpackungen angegeben "Fütterungsempfehlungen" und den Anwendungshinweisen ist zu entnehmen, dass die überwiegend aus einem Mineralstoff bestehenden Boli und die zusätzlich mit Spurenelementen, Vitaminen und Trägersubstanzen angereicherten D. PS-Boli geeignet sind, entsprechenden Mineralstoffmangel auszugleichen oder bei anderen Energiemangelzuständen nachhaltige Energie zu liefern. Danach sind die Produkte erkennbar nicht zur Heilung oder zur Verhütung von Tierkrankheiten oder Linderung von Schmerzen bestimmt.

45

Auch die Voraussetzungen für ein Funktionsarzneimittel sind nicht erfüllt.

46

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die in der Definition des Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b) Richtlinie 2001/82/EG in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/28/EG genannten pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkungen ein taugliches Abgrenzungskriterium darstellen oder ob die Zuordnung am Vorliegen eines therapeutischen Zwecks festzumachen ist (so: OVG NRW, Urt.v. 17.03.2006 - 13 A 2098/02 - nach juris - und Urt.v. 17.03.2006 - 13 A 2095/02 - nach juris). Hinsichtlich der pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkungen findet eine Abgrenzung zu physiologischen Vorgängen durch die Zufuhr von Nährstoffen statt. Bei dem über die genannten Wirkungen hinausgehenden Zweck der Beeinflussung der physiologischen Funktionen liegt ein so genannter therapeutischer Zweck auch dann vor, wenn ein Stoff oder eine Stoffzusammensetzung geeignet ist, im Wege der Veränderung der physiologischen Funktionen einen sonstigen Nutzen oder Vorteil in Form der Verhütung, Heilung oder Linderung einer Krankheit hervorzurufen. So ist z.B. nach bisheriger Rechtsprechung die Einstufung von Vitaminpräparaten als Arzneimitteln vor allem dann anerkannt, wenn sie - im Allgemeinen in starken Dosen - zu therapeutischen Zwecken bei bestimmten Krankheiten verwendet werden, deren Ursache nicht der Vitaminmangel ist (vgl. EuGH, Urt.v.  29.04.2004 - C-387/99 - (Kommission/Deutschland), - LRE 48,52, 62 Rdnr. 56).

47

Eine vergleichbare Konstellation ist vorliegend nicht anzunehmen.

48

Anhaltspunkte für auf einem Mangel an den im D. -Bolus-Sortiment enthaltenen Mineralstoffen und in D. PS zusätzlich enthaltenen Spurenelement Kobalt und Vitaminen A und D3 beruhenden Krankheiten bei Rindern sind nicht ersichtlich und nicht vorgetragen.

49

Vielmehr bestehen Zweck und Wirkungsweise der D. -Boli nach dem insoweit unstreitigen Vorbringen der Beteiligten darin, bestehende oder zu erwartende Mangelzustände auszugleichen oder zu beheben, um dadurch die Leistungsfähigkeit der Rinder zu steigern und Erschöpfungszuständen entgegenzuwirken. Ein insbesondere um die Geburt auftretender und durch die hohe Milchleistung der modernen Kühe bedingter Nährstoffmangel oder darauf zurückzuführender Erschöpfungszustand ist nicht als Krankheit anzusehen. Gerade in diesen Situationen besteht ein erhöhter Bedarf an Nährstoffen, der durch das normale Tierfutter nicht ausgeglichen werden kann. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung anhand konkreter Zahlen den Tagesbedarf einer Hochleistungsmilchkuh an Phosphat und Calcium dem über das Tierfutter ausgeglichenen Anteil gegenübergestellt und überzeugend dargelegt, das ein D. -Bolus mit den entsprechenden Mineralstoffen aufgrund der Dosierung nicht einmal den Differenzbetrag deckt. Die Boli dienen damit nicht zur Heilung von Tierkrankheiten, sondern sollen auch das Entstehen krankhafter Mangelzustände verhindern. Im Gegensatz zu Dopingmitteln handelt es sich bei den über D. -Boli zugeführten Nährstoffen um Mineralien, Spurenelemente und Vitamine, die ohnehin Bestandteil der Futtermittel sind. Wenn nunmehr ein Ausgleich an Nährstoffen geschaffen wird, der den Rindern anderenfalls vorenthalten bliebe, wird damit das Produkt noch nicht zum Tierarzneimittel. Es ist nicht ersichtlich, dass die entsprechenden Dosierungen der ohnehin im Futtermittel enthaltenen Nährstoffe geeignet wären, pharmakologische, metabolische oder therapeutische Wirkungen zu entfalten.

50

Auch die Modalitäten des Gebrauchs gebieten keine andere Zuordnung der Produkte.

51

Die Darreichungsform als Bolus ist für die Abgrenzung eines Futtermittels zu einem Arzneimittel unergiebig.

52

Unter Bolus versteht man im allgemeinen Sprachgebrauch "Bissen" oder "große Pille" (vgl. Duden, Dt. Rechtschreibung). Vorliegend handelt es sich um großformatige, dem Rachenraum eines Rindes angepasste gepresste aus Tablettier-, Verarbeitungshilfsstoffen und den entsprechenden Nährstoffen bestehende Träger. Die Einnahme in Form von Tabletten und vergleichbaren Darreichungsformen ist sowohl für den Bereich der Arzneimittel als auch für den der Nahrungsergänzungsmittel üblich. So bestimmt § 1 Abs. 1 NemV im Bereich der Lebensmittel für die ebenfalls mit Vitaminen, Mineralsstoffen und Spurenelemente angereicherten Nahrungsergänzungsmittel unter Ziffer 3, dass diese in dosierter Form, insbesondere in Form von Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen, Pulverbeuteln, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeiten und Pulvern zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen, in den Verkehr gebracht werden.

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Die D. -Boli werden auch nicht durch die Verabreichung mit einem handelsüblichen Boluseingeber zum Tierarzneimittel. Diese Darreichung hat keinen Einfluss auf die Wirkungen des Produktes und erhöht - soweit ersichtlich und vorgetragen - bei sachgerechter Anwendung zudem nicht die gesundheitlichen Risiken oder Gefahren. Es ist unstreitig, dass der Bolus dem Rind mit Hilfe des Eingebers durch das offene Maul so weit in den Rachen geschoben wird, dass ein Schluckreflex ausgelöst und das Produkt von dem Rind abgeschluckt wird. Damit sind die Stoffe der Futtermitteldefinition des § 2 Abs. 4 LFGB und Art. 3 Nr. 4 VO (EG) Nr. 178/2002 entsprechend zur oralen Tierfütterung bestimmt. Ob die orale Zufuhr "zwangsweise" erfolgt, ist für die Zuordnung als Funktionsarzneimittel unerheblich, weil dadurch erkennbar ebenfalls nicht die Wirkungen des Produktes beeinflusst werden.

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Der Beklagte kann sich auch nicht auf die zitierte Fundstelle bei Zipfel/Rathke (LFGB, § 3 Rdnr. 31) berufen. Es geht dabei um die Einbeziehung von Tierarzneimittel in den Begriff der Futtermittel. Die Literaturstelle setzt dabei voraus, dass ein Stoff bereits als Arzneimittel einzustufen ist und stellt lediglich klar, dass ein solches Arzneimittel nicht aufgrund der oralen Zufuhr zum Futtermittel wird. Der Autor verhält sich dann lediglich zu der Frage, ob die isolierte Zufuhr dieses Arzneimittels mit Futtermitteln noch unter den Begriff der Tierfütterung fällt und verneint dies. Für die Abgrenzung der Futtermittel zu den Arzneimitteln ist das Zitat unergiebig.

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Das von der Klägerin vertriebene D. -Bolus-Sortiment stellt jedenfalls auch kein Präsentationsarzneimittel dar und ist unter keinem Gesichtspunkt geeignet, die Voraussetzungen eines Tierarzneimittels zu erfüllen.

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b) Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass es sich bei dem streitgegenständigen D. -Bolus-Sortiment um Futtermittel im Sinne des LFGB und der dazu erlassenen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen handelt. Die dort gegebene Definition verlangt nur die orale Aufnahme der Stoffe und stellt nicht zusätzlich auf das Element der Freiwilligkeit ab.

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Es bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung, ob es sich um Futtermittel oder um ein Aliud handelt, das allenfalls Maßnahmen nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht begründen könnte.

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Es fehlt bereits an den weiteren Voraussetzungen für eine rechtmäßige Untersagungsverfügung.

59

Es ist nicht ersichtlich und von dem Beklagten nicht vorgetragen, warum das D. -Bolus-Sortiment eine Gefahr für die tierische Gesundheit oder die Qualität der von Nutztieren gewonnenen Lebensmittel oder sonstigen Produkte darstellt.

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Es handelt sich nicht um in Gestalt eines unbedenklichen Futtermittels gekleidete nicht zugelassene Tierarzneimittel, die aufgrund ihrer pharmazeutischen oder metabolischen Wirkung geeignet wären, entsprechende Gefahren zu begründen. Es ist auch nicht bekannt, dass über den Verdauungstrakt aufgenommene Vitamine und Mineralsstoffe einschließlich Spurenelemente in der von der Klägerin angegebenen Dosierung Gesundheitsschäden hervorrufen können. Auf die Qualität der von Nutztieren gewonnenen Lebensmittel oder sonstigen Produkte wirkt es sich vielmehr positiv aus, wenn die Tiere nicht unter einem Mangel an Nährstoffen leiden.

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c) Inwieweit darüber hinaus ein Verstoß gegen § 21 Abs. 2 LFGB vorliegen soll, hat der Beklagte schon nicht dargetan und ist insoweit nicht in ausreichendem Maße seiner Begründungspflicht nach § 39 VwVfG nicht nachgekommen.

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Unabhängig von der Frage, ob es sich bei den D. -Boli überhaupt um Einzelfuttermittel im Sinne des § 3 Nr. 11 LFGB handelt, würden solche schon nicht unter die im Anhang der Richtlinie1982/471/EWG in der durch die Richtlinie 2004/116/EG geänderten Fassung aufgeführten Erzeugnisgruppen fallen. Diese umfassen unter Ziffer 1 Proteinerzeugnisse aus Mikroorganismen und unter Ziffer 2 nichteiweißhaltige Stickstoffverbindungen und analoge Erzeugnisse.

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d) Der Beklagte kann sich auch nicht erstmals im Klageverfahren auf die vermeintlichen Deklarationsmängel der klägerischen Produkte berufen. Deklarationsmängel waren erkennbar nicht Gegenstand der Verfügung des Beklagten vom 26.06.2006. Er beschränkte sich insoweit darauf, das Ergebnis der Rezeptur- und Deklarationskontrolle als Anlage zur Verfügung zu übersenden, ohne diese zum Gegenstand seiner rechtlichen Erwägungen zu machen. Sie sind damit - soweit ersichtlich - auch nicht in die Ermessenserwägungen einbezogen worden. Die Ermessenserwägungen sind hinsichtlich jedes einzelnen für die Entscheidung erheblichen Aspektes anzustellen. Ein Nachschieben von Ermessenserwägungen im Sinne des § 114 Satz 2 VwGO im Klageverfahren ist nicht mehr möglich. Eine Ergänzung ist schon begrifflich ausgeschlossen, wenn die Behörde ersichtlich bei ihrer Entscheidung nicht erkannt hat, dass sie hinsichtlich der nicht berücksichtigten Gründe eine Ermessensentscheidung zu treffen hat.

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Unabhängig davon wäre das ausgesprochene Verkehrsverbot als ultima ratio des Maßnahmenkataloges des § 39 LFGB unverhältnismäßig und damit ermessensfehlerhaft. Ein solches wäre nur gerechtfertigt, wenn ein vorübergehendes Verbot nicht ausreicht, die Gefahr abzuwehren oder den Verstoß nachzuweisen. Die Klägerin hat sich indes bereiterklärt, mögliche Deklarationsfehler unverzüglich abzustellen.

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2. Da bereits die Grundverfügung rechtswidrig ist, kann auch die darauf beruhende Zwangsgeldandrohung keinen Erfolg haben.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.