Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 08.10.2008, Az.: 11 A 4439/07
Durchsetzung einer Gewerbeuntersagung durch Betriebsschließung und Wegnahme der Betriebsmittel; Androhung; Betriebsmittel; Betriebsschließung; Gewerbeuntersagung; Verhältnismäßigkeit; Wegnahme; Zwang; Zwang, unmmitelbarer; Zwangsgeld
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 08.10.2008
- Aktenzeichen
- 11 A 4439/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 45452
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2008:1008.11A4439.07.0A
Rechtsgrundlagen
Fundstelle
- NVwZ-RR 2009, 161 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Androhung der Betriebsschließung und Wegnahme der Betriebsmittel zur Durchsetzung der Anordnung, das Gewerbe abzumelden, verstößt gegen § 69 Abs. 7 SOG, nach dem der unmittelbare Zwang zur Abgabe einer Erklärung ausgeschlossen ist.
- 2.
Die Androhung des unmittelbaren Zwangs ohne vorher erfolgter Zwangsgeldandrohung und -festsetzung ist im Einzelfall unverhältnismäßig, wenn der Behörde bekannt ist, dass der Gewerbetreibende über ein Einkommen verfügt und die Zwangsgeldfestsetzung damit nicht von vornherein ins Leere liefe.
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 06.08.2007 wird aufgehoben, soweit darin dem Kläger die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht wird.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Androhung der zwangsweisen Schließung seiner Betriebs- und Geschäftsräume sowie die Wegnahme der Arbeitsgeräte, der Betriebsfahrzeuge und des Lagergutes.
Die Beklagte untersagte dem Kläger mit Bescheid vom 28.03.2006 wegen finanzieller Unzuverlässigkeit die selbstständige Ausübung der Gewerbe "Getränkegroßhandel" und "Getränkeabholmarkt" sowie aller Gewerbe, die dem Anwendungsbereich des § 35 Gewerbeordnung unterliegen. Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Hannover. Das unter dem Aktenzeichen 11 A 2949/06 anhängige Verfahren wurde am 14.03.2007 durch gerichtlichen Vergleich beendet. In dem Vergleich verpflichtete sich der Kläger u.a., künftig allen Steuer- und Beitragspflichten pünktlich nachzukommen und alle bestehenden Rückstände bei öffentlich-rechtlichen Gläubigern auszugleichen. Im Gegenzug verpflichtete sich die Beklagte, den Gewerbeuntersagungsbescheid vom 28.03.2006 nicht zu vollziehen, solange der Kläger seinen Verpflichtungen nachkam. Der Vergleich enthielt auch die Regelung, dass der Bescheid endgültig vollziehbar würde, wenn der Kläger einer seiner Verpflichtungen nicht nachkäme.
Mit Schreiben vom 02.05.2007 erinnerte die Beklagte den Kläger an die Einhaltung des Vergleiches und forderte ihn zur Zahlung der Rückstände bei der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft auf, die nach dem Vergleich bis zum 15.04.2007 zu bezahlen waren. Die Ermittlungen zu den Rückständen des Klägers durch die Beklagte in der Folge führte zu dem Ergebnis, dass der Kläger entgegen seiner Verpflichtung aus dem Vergleich in den Monaten Juni und Juli 2007 die festgesetzte Rate an das Finanzamt nicht entrichtet hatte, die Umsatzsteuer zwar angemeldet, die fälligen Steuern aber nicht bezahlt und die Einkommen- und Umsatzsteuererklärung 2005 nicht fristgerecht eingereicht hatte. Die Beiträge bei der AOK D. hatte er ebenso wenig wie den Jahresbeitrag 2006 bei der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft fristgerecht bezahlt. Er war auch den laufenden Zahlungsverpflichtungen bei der Knappschaft Bahn See nicht nachgekommen.
Daraufhin forderte die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 06.08.2007 auf, die untersagten Gewerbe unverzüglich aufzugeben und bis zum 31.08.2007 abzumelden; dem Kläger wurde für den Fall des Zuwiderhandelns die zwangsweise Schließung der Betriebs- und Geschäftsräume sowie die Wegnahme der Arbeitsgeräte, der Betriebsfahrzeuge und des Lagergutes im Wege des unmittelbaren Zwangs angedroht. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger komme seinen Verpflichtungen aus dem gerichtlichen Vergleich nicht nach, sodass der bereits bestandskräftige Gewerbeuntersagungsbescheid vom 28.03.2006 endgültig vollziehbar geworden sei. Das angedrohte Zwangsmittel sei erforderlich, da ein Zwangsgeld aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nicht zum gewünschten Erfolg, nämlich der Betriebsschließung, führte. Es sei auch angemessen, da das Interesse der Allgemeinheit an der Wiederherstellung der Rechtsordnung höher wiege als die persönlichen Interessen des Klägers, den Gewerbebetrieb trotz Unzuverlässigkeit fortzuführen.
Der Kläger hat am 10.09.2007 hiergegen Klage erhoben. Er macht geltend, die Beklagte sei mangels gesetzlicher Grundlage nicht befugt, die angedrohten Zwangsmittel anzuwenden. Aus der Untersagungsverfügung vom 28.03.2006 ergebe sich lediglich, dass er selbst zur Ausübung seines Gewerbes nicht befugt sei. Ein Dritter, etwa die Tochter oder die Ehefrau, könne den Betrieb aber ohne weiteres führen.
Der Kläger beantragt,
die Verfügung der Beklagten vom 06.08.2007 aufzuheben, soweit sie gemäß § 35 Abs. 7 Gewerbeordnung i.V.m. § 70 des Niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes und den §§ 70, 74 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung die zwangsweise Schließung der Betriebs- und Geschäftsräume sowie die Wegnahme der Arbeitsgeräte, der Betriebsfahrzeuge und des Lagergutes durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs nach den §§ 64, 65, 69 und 70 Nds. SOG androht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vertiefend vor, die Voraussetzungen für die Anwendung eines Zwangsmittels nach § 64 Abs. 1 Nds. SOG lägen vor. Sie habe ihr in dieser Vorschrift eingeräumtes Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Hinweise darauf, dass ein Dritter den Betrieb fortführen könnte, gebe es nicht, der Gewerbebetrieb des Klägers sei nach wie vor angemeldet, sodass sie davon ausgehe, dass der Kläger den Betrieb auf weiterhin betreibe.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 06.08.2007 ist rechtswidrig, soweit die Beklagte dem Kläger darin die Anwendung des unmittelbaren Zwangs androht, und verletzt insoweit den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Kläger kann zwar nicht damit durchdringen, dass die Beklagte mangels gesetzlicher Grundlage nicht befugt sei, die Betriebsschließung und Wegnahme der Betriebsmittel anzudrohen und zu vollziehen. Die Streichung des § 35 Abs. 5 GewO, nach dem die Ausübung des untersagten Gewerbes durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch Schließung der Geschäfts- und Betriebsräume verhindert werden konnte, erfolgte vor dem Hintergrund des Meinungsstreits in Rechtsprechung und Literatur zur rechtlichen Einordnung dieser Verfügung als einer Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung oder einer Konkretisierung der Untersagungsverfügung. Mit der Streichung wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass die Durchsetzung einer Untersagungsverfügung ausschließlich nach Maßgabe der Landesvollstreckungsgesetze erfolgt (BR-Drs. 634/97, S. 30). Ein ersatzloser Wegfall der Ermächtigungsgrundlage war damit nicht verbunden.
Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Androhung der Betriebsschließung und der Wegnahme von Betriebsmitteln, bei denen es sich um Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs handelt, sind § 70 Abs. 1 des Niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (NVwVG) i.V.m. §§ 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 69, 70, 74 Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (SOG).
Die formellen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor. Gemäß § 64 Abs. 1 kann ein Verwaltungsakt, der auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat. Durchzusetzender Verwaltungsakt war der Bescheid der Beklagten über die Gewerbeuntersagung vom 28.03.2006, der mit dem zwischen den Beteiligten unstreitigen Verstoß des Klägers gegen seine Verpflichtungen aus dem gerichtlichen Vergleich der Kammer vom 14.03.2007 in dem Verfahren 11 A 2949/06 auch sofort vollziehbar geworden ist.
Auch die materiellen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen insoweit vor, als der Kläger auch nach Scheitern des gerichtlichen Vergleichs sein Gewerbe weiter ausübte. Dies zu dulden war und ist die Beklagte nicht verpflichtet.
Die streitgegenständliche Androhung erweist sich allerdings aus anderen Gründen als rechtswidrig.
Soweit dem Kläger der unmittelbare Zwang zur Durchsetzung der ihm in dem Bescheid aufgegebenen Abmeldung seines Gewerbes angedroht wird, verstößt die Androhung gegen § 69 Abs. 7 SOG. Danach ist der unmittelbare Zwang zur Abgabe einer Erklärung ausgeschlossen. Um eine solche Erklärung handelt es sich nach Auffassung des Gerichts bei der Gewerbeabmeldung. Ist das Zwangsmittel selbst rechtswidrig, schlägt dies auch auf die Androhung durch. Dass sich die Zwangsmittelandrohung auch auf die Gewerbeabmeldung bezieht, ergibt sich aus dem Wortlaut des Tenors und der Begründung des Bescheids.
Im Übrigen ist die Zwangsmittelandrohung im vorliegenden Einzelfall rechtswidrig, weil die Auswahl des angedrohten Zwangsmittel ermessensfehlerhaft ist. Nach § 69 Abs. 6 SOG können die Verwaltungsbehörden unmittelbaren Zwang nur dann anwenden, wenn andere Zwangsmittel nicht in Betracht kommen oder keinen Erfolg versprechen. Die Beklagte hat zwar ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, dass ein Zwangsgeld kein erfolgversprechendes Zwangsmittel sei, und damit zu erkennen gegeben, dass sie den unmittelbaren Zwang als ultima ratio androht. Bei der Ermessensausübung blieb indes der Umstand unberücksichtigt, dass der Kläger ausweislich der Verwaltungsvorgänge stets über Geldmittel verfügte, diese nur nicht im Sinne der Beklagten einsetzte. So scheiterte der Vergleich vom 14.03.2007 nicht daran, dass der Kläger seinen Zahlungsverpflichtungen überhaupt nicht nachkam, sondern daran, dass er ihnen verspätet oder unvollständig nachkam. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers legen damit nahe, dass die Androhung eines Zwangsgeldes zur Durchsetzung der Gewerbeuntersagung durchaus Erfolg verspricht, weil der Kläger etwas zu verlieren hat und das Beugemittel des Zwangsgelds nicht ins Leere ginge. Vor diesem Hintergrund ist die Wahl des unmittelbaren Zwangs unverhältnismäßig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.