Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 22.12.2010, Az.: L 1 KR 81/10

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
22.12.2010
Aktenzeichen
L 1 KR 81/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 36169
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2010:1222.L1KR81.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - AZ: S 6 KR 310/07

Fundstelle

  • PflR 2011, 314-320

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für die Versorgung eines suprapubischen Katheters (Künstliche Harnableitung durch Silikonkatheter durch die Bauchdecke) durch den Pflegedienst bei nicht entzündeter Katheteraustrittstelle. Streitig ist, ob diese Leistung der Grundpflege oder der medizinischen Behandlungspflege zuzuordnen ist.

2

Der am 21. Januar 1928 geborene Kläger leidet unter zahlreichen Erkrankungen, u.a. einer Harnröhren- und Nierenerkrankung, bei ihm liegt ein Nachweis von Escherechia Coli (Erreger von Darm- und Harnwegsinfekten) vor. Er ist mit einem suprapubischen Katheter zur Harnableitung versorgt. Die Beklagte hatte dem Kläger bis zum 30. Juni 2007 den Wechsel des Katheterverbandes durch den Pflegedienst als häusliche Krankenpflege bewilligt.

3

Der Facharzt für Allgemeinmedizin I., J., verordnete dem Kläger am 15. Juni 2007 als Folgeverordnung für die Zeit vom 1. Juli 2007 bis 30. September 2007 neben dem Herrichten und dem Verabreichen von Medikamenten das Anlegen und Wechseln von Wundverbänden bei suprapubischem Katheter dreimal wöchentlich. Der Kläger beantragte mit der Verordnung bei der Beklagten am 22. Juni 2007 die weitere Kostenübernahme für den Katheterverbandwechsel.

4

Mit Bescheid vom 2. Juli 2007 genehmigte ihm die Beklagte für die Zeit bis zum 30. September 2007 einmal täglich Medikamentengabe und lehnte die Kostenübernahme für den Verbandwechsel ab, da der Verbandwechsel bei einem suprapubischen Katheter im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nur übernommen werde, wenn eine Wunde vorhanden sei, die behandlungsbedürftig sei. Nach Rücksprache mit dem häuslichen Pflegedienst sei keine Wunde vorhanden. Der Verbandwechsel gehöre daher zur Grundpflege und könne nicht im Rahmen der häuslichen Krankenpflege abgerechnet werden.

5

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 11. Juli 2007 Widerspruch ein. Er führte zur Begründung aus, es sei unstreitig, dass der Wechsel der Schutzkompressen auf der Katheteraustrittsstelle medizinisch notwendig sei und dass er diese Leistung nicht selbst erbringen könnte. Bei der Leistung des Wechsels der Schutzkompressen handele es sich um eine Leistung der medizinischen Behandlungspflege, die gemäß § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege zu rechnen sei und nicht um Grundpflege i.S. des § 14 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI). Das Leistungsspektrum der medizinischen Behandlung liege im Rahmen des § 37 Abs. 2 SGB V und werde durch die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung häuslicher Krankenpflege nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgestaltet. Bestandteil der Richtlinien sei ein Leistungsverzeichnis, in dessen Nr. 22 die Leistungen der Versorgung eines suprabubischen Katheters den Leistungen der medizinischen Behandlungspflege zugeordnet sei. Die Leistung sei dabei eindeutig beschrieben als Verbandwechsel der Katheteraustrittstelle einschließlich Pflasterverband und einschließlich Reinigung des Katheters, Desinfektion der Wunde und ggf. Wundversorgung. In Spalte 3 des Leistungsverzeichnisses (Bemerkung) werde außerdem auf die Hilfe bei Ausscheidungen (Nr. 2) verwiesen. In Nr. 2 wiederum werde beschrieben, was die Hilfe bei Ausscheidungen als grundpflegerische Leistung beinhalte. Der Verbandwechsel der Katheteraustrittstelle einschließlich Pflasterverband und Reinigung sei dort nicht benannt.

6

Der Gemeinsame Bundesausschuss habe somit eine eindeutige Zuordnung zur Leistungen der medizinischen Behandlungspflege vorgenommen, die in keiner Weise davon abhängig sei, ob sich die Katheteraustrittsstelle entzündet hätte. Der Kläger sei ein Risikopatient, da bei ihm die Diagnose A41.9Z mit Nachweis von Escherichia coli vorliege, er also insoweit stark infektionsgefährdet sei. Bis zum 30. Juni 2003 habe mit allen Leistungserbringern ein Vertrag gemäß § 132 a Abs 2 SGB V gegolten, wonach auch die Versorgung eines suprapubischen Katheters ausschließlich über die Vergütungsposition des Verbandwechsels abzurechnen sei. Weil zwischen den Parteien der Verträge nach § 132a Abs. 2 SGB V unstreitig sei, dass ein Pflasterverband und der Wechsel von Schutzkompressen keine so umfangreiche Wundversorgung darstellten wie dies bei anderen Verbandwechseln der Fall sei, sei das Vergütungsverzeichnis neu aufgeteilt worden. Die Versorgung des suprapubischen Katheters mit Pflaster- und Schnellverbänden und der Wechsel der Schutzkompressen sei dann mit Wirkung zum 1. Juli 2003 als eigenständige Leistung i.S. des Vergütungsverzeichnisses mit einer geringeren Vergütung bewertet worden. Es hätte bisher keinen Streit darüber gegeben, dass die beschriebene Leistung eine solche der medizinischen Behandlungspflege sei.

7

Die Beklagte holte eine telefonische Stellungnahme des Pflegedienstes vom 24. Juli 2007 ein, wonach die Einstichstellen bei dem Kläger reizlos seien. Es lägen keine entzündlichen Wunden vor, es gäbe keine Wunddokumentation. Die Beklagte zog weiterhin eine sozialmedizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) vom 25. Juli 2007 bei, der die Auffassung vertrat, dass bei einem reizlosen suprapubischen Katheter der Verbandwechsel zu den Leistungen der Grundpflege gehöre.

8

Mit Bescheid vom 14. August 2007 übernahm die Beklagte die Kosten für die Versorgung des suprapubischen Katheters vom 1. Juli 2007 bis 17. August 2007 und lehnte im Übrigen die Kostenübernahme ab. Den aufrecht erhaltenen Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2007 zurück. Sie führte u.a. aus, dass die Voraussetzungen nach §§ 27 Abs. 1 SGB V, 12 Abs. 1 SGB V, 37 Abs. 2 SGB V i.V.m. den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 6 SGB V nicht vorlägen. Nach der Stellungnahme des MDK zum Verbandwechsel bei suprapubischem Katheter sei bei unauffälligem Befund ein Verband nicht weiter erforderlich. Somit könne der Verbandwechsel nicht als notwendige Behandlung angesehen werden. Das Anlegen und Wechseln von Wundverbänden/Verbandwechsel bei suprapubischen Katheter falle bei unauffälligem Befund daher in den Bereich der Grundpflege.

9

Hiergegen hat der Kläger am 8. Oktober 2007 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben, ein Urteil des SG Lüneburg vom 15. Januar 2009 - Az.: S 16 KR 61/07 - vorgelegt und sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Ergänzend hat er ausgeführt, dass in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V eine umfassende Zuordnung der suprapubischen Katheterversorgung zur medizinischen Behandlungspflege erfolgt sei, und zwar unabhängig davon, ob die Wunde an der Katheteraustrittstelle gereizt sei oder nicht. Die Krankenkassen seien an diese Richtlinien gebunden. Dort, wo der Gemeinsame Bundesausschuss als Richtliniengeber die Zuordnung einer Wundversorgung zur Behandlungspflege davon abhängig gemacht hätte, dass die Wunde akut entzündet sei, hätte er dies entsprechend auch geregelt. So liege bei Ziff. 28 des Leistungsverzeichnisses (Stomaversorgung) eine ausdrücklich auf entzündliche Veränderungen der Haut und Läsionen beschränkte Indikation auf die Übernahme der Leistung als medizinische Behandlungspflege vor. Umgekehrt würden auch die Pflegebedürftigkeits- und Begutachtungsrichtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen die Versorgung des suprapubischen Katheters nicht als Leistung der Grundpflege nennen, die dann auch bei der Einstufung nach dem SGB XI zu berücksichtigen wäre.

10

Die Beklagte hat im Klageverfahren eine Stellungnahme des MDK vom 25. Januar 2006 vorgelegt und weiterhin die Auffassung vertreten, dass der Verbandwechsel bei einem suprapubischen Katheter im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nur übernommen werde, wenn eine Wunde vorhanden sei, die behandlungsbedürftig sei. Der zuständige Pflegedienst habe mehrfach bestätigt, dass keine entzündete Wunde vorliege und die Einstichstelle reizlos sei. Bei dieser Sachlage gehöre der Verbandwechsel zur Grundpflege und könne nicht im Rahmen der häuslichen Krankenpflege übernommen werden. Systematische Erwägungen würden für die Auffassung der Beklagten sprechen, denn zwingende Voraussetzung des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege als Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V sei, dass die Behandlungspflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich sei. Nur bei einem Verbandwechsel an einer Wunde, die an der Katheteraustrittstelle gereizt sei, dürfte diese Voraussetzung erfüllt sein. Daher hätte es auch keiner Klarstellung in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses bedurft.

11

Der Kläger hat im Klageverfahren eine Rechnung des Häuslichen Pflegedienstes K. vom 2. Juni 2009 über 40,68 EUR vorgelegt.

12

Das SG Braunschweig hat mit Urteil vom 15. Februar 2010 den Bescheid der Beklagten vom 2. Juli 2007 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 14. August 2007 und des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2007 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger 40,68 EUR zu zahlen. Es hat in seinem Urteil die Berufung zugelassen.

13

Das SG hat zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V lägen vor. Mit Erstellung der Rechnung vom 2. Juni 2009 seien dem Kläger die geltend gemachten Kosten entstanden. Auch wenn der Pflegedienst die Zahlung bisher gestundet hätte, bestehe eine unbedingte Zahlungspflicht. Unabhängig von der Intensität der jeweils notwendigen Verrichtung sei die Versorgung der Katheteraustrittstelle unzweifelhaft unaufschiebbar dreimal pro Woche notwendig. Auch wenn es sich um die Versorgung einer reiz- und wundlosen Katheteraustrittstelle handele, sei dies eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung und damit der Beklagten. Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 SGB V lägen vor. Inhalt und Umfang der Versorgung bestimmten sich nach den gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und 7 SGB V erlassenen Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege vom 16. Februar 2000. In dem als Anlage zu diesen Richtlinien erlassenen Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege seien die in Betracht kommenden Leistungen aufgeführt. Unter Nr. 22 des Leistungsverzeichnisses sei die Versorgung eines suprapubischen Katheters genannt. Diese Versorgung umfasse ausweislich der Leistungsbeschreibung den Verbandswechsel der Katheteraustrittstelle einschließlich Pflasterverband und einschließlich Reinigung des Katheters, Desinfektion der Wunde, ggf. Wundversorgung und Anwendung ärztlich verordneter Medikamente. Hiervon ausgehend hätte der Kläger einen Anspruch auf den ärztlich verordneten Verbandwechsel. Er erfülle die Voraussetzungen der Nr. 22 des Leistungsverzeichnisses, da unter den Beteiligten unstreitig sei, dass der Verbandwechsel dreimal pro Woche am suprapubischen Katheter medizinisch notwendig und der Kläger nicht in der Lage sei, den Verbandwechseln selbst durchzuführen.

14

Dem stehe nicht entgegen, dass unter der Rubrik "Bemerkung" in dem Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege bei Nr. 22 auf Nr. 28 (Stomabehandlung) verwiesen werde und dort der Verbandwechsel in Verbindung mit akuten entzündlichen Veränderungen mit Läsionen der Haut für verordnungsfähig erklärt werde. Dieser Hinweis enthalte keine nähere Definition der Voraussetzungen bzw. des Umfangs der in der Rubrik "Leistungsbeschreibung" aufgeführten Maßnahmen. Zwar würden auch in der Rubrik "Bemerkung" Hinweise bzw. Erläuterungen der verordnungsfähigen Leistungen angegeben. Diese Hinweise würden jedoch ausdrücklich aufgeführt und erläutert. Hinsichtlich des Hinweises auf die Stomabehandlung in Nr. 28 fehle eine ausdrückliche Erläuterung des Leistungsumfanges. Insbesondere fehle der Hinweis darauf, dass eine Versorgung eines suprapubischen Katheters durch Verbandwechsel nur unter den Voraussetzungen der Ziff. 28 des Leistungsverzeichnisses verordnungsfähig sei. Eine derartige ausdrückliche Einschränkung sei jedoch erforderlich, um entgegen dem klaren Wortlaut der Leistungsbeschreibung eine Einschränkung der Verordnungsfähigkeit zu begründen. Der sozialmedizinischen Stellungnahme des MDK sei nicht zu folgen. Die Richtlinien seien eindeutig und ließen eine Auslegung wie der MDK sie vornehme nicht zu. Zweifel an der vom MDK vorgenommenen Auslegung bestünden bereits deshalb, weil für den Pflegenden nicht klar sei, ob er nun eine Leistung der Grund- oder der Behandlungspflege vornehme, wenn er den Betroffenen versorge. Erst nach Abnahme des Verbandes wäre ihm dies klar. Da jedoch auch eine Krankenbeobachtung erforderlich sei, um Entzündungen vorzubeugen, folge das Gericht der eindeutigen Formulierung in den Richtlinien, mit der Folge, dass die Versorgung des suprapubischen Katheders zur Behandlungspflege gehöre.

15

Gegen das am 25. Februar 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 3. März 2010 die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung ausgeführt, die Nr. 22 des Leistungsverzeichnisses setze voraus, dass der Verbandwechsel in Verbindung mit akuten entzündlichen Veränderungen mit Läsionen der Haut erforderlich sei. Dies ergebe sich daraus, dass unter der Rubrik "Bemerkung" in dem Verzeichnis von Nr. 22 auf Nr. 28 verwiesen werde. Der Hinweis "siehe Stomabehandlung" bedeute, dass die Voraussetzungen der Nr. 28 für Nr. 22 vorausgesetzt werden müssten. Bei seiner Wertung lasse das SG unberücksichtigt, dass es sich schon nach dem allgemeinen Sprachverständnis bei der Bemerkung "siehe Stomabehandlung" um einen ausdrücklichen Hinweis handeln dürfte. Es stelle sich die Frage, warum ein Verweis auf die Nr. 28 als Bemerkung in die Richtlinie zu Nr. 22 überhaupt aufgenommen worden sei, wenn nicht damit eine Konkretisierung der Leistungsvoraussetzungen einhergehen solle. Bei einem Verbandwechsel "ohne Wunde" fehle es bereits an den gesetzlichen Grundvoraussetzungen der Behandlungspflege, nämlich, dass sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich sei. Es verbiete sich daher, die Versorgung des suprapubischen Katheters ohne Entzündung der Katheteraustrittstelle pauschal und ausnahmslos als Leistung der medizinischen Behandlungspflege zu betrachten.

16

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

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das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 15. Februar 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

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die Berufung zurückzuweisen.

20

Er verweist auf die Rechtsprechung der Sozialgerichte Braunschweig, Lüneburg und Lübeck. Aus dem Hinweis auf Nr. 28 des Leistungsverzeichnisses der HKP-Richtlinie in der Spalte "Bemerkung" in Nr. 22 lasse sich nicht der Hinweis entnehmen, die Versorgung des suprapubischen Katheters sei nur bei entzündlichen Veränderungen der Haut eine Leistung der medizinischen Behandlungspflege. Anders als Pos. 28 (Stomabehandlung) sei in Spalte 1 des Leistungsverzeichnisses zu Nr. 22 ausdrücklich auch der Pflasterverband dem Verbandwechsel zugeordnet. Pflasterverbände würden bei im Übrigen nicht entzündeten Wundverhältnissen der Katheteraustrittstelle zur Abdeckung der Wunde gebraucht. Die ausdrückliche Einbeziehung auch der Pflasterverbände in das Leistungsspektrum der Nr. 22 verdeutliche also, dass die Versorgung des suprapubischen Katheters auch bei nicht entzündeten Katheteraustrittstellen zur medizinischen Behandlungspflege zu rechnen sei.

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Bereits die Version der HKP-Richtlinien vom 16. Februar 2000 des damaligen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen sei hinsichtlich Nr. 22 des Leistungsverzeichnisses wortgleich formuliert. Bis 2007 habe es aber keinerlei Streit über die jetzt hier umstrittene leistungsrechtliche Frage gegeben, ob der Wechsel des Pflasterverbandes bei nicht entzündeten Katheteraustrittstellen zu den Leistungen der medizinischen Behandlungspflege zu rechnen sei. Für diese Fälle sei 2003 ein einheitlicher Rahmenvertrag gemäß § 132a Abs. 2 SGB V geschlossen worden. Hintergrund sei gewesen, dass bis dahin der Wechsel des Pflasterverbandes bei nicht entzündeten Katheteraustrittstellen bei jedem Verbandwechsel einheitlich nach der dafür vorgesehenen Vergütungsposition abgegolten worden sei. Die Krankenkassenverbände hätten bei der Neufassung des Vertrages damit argumentiert, dass der Wechsel eines Pflasterverbandes bei nicht entzündeten Wundverhältnissen einfacher und weniger zeitaufwendig sei und daher geringer vergütet werden müsse. Das Ergebnis sei, dass seitdem derartige Leistungen über eine geringer dotierte Vergütungsposition abgerechnet würden.

22

Dieser Vorgang zeige, dass es ein gemeinsames und einheitliches Verständnis von der Auslegung der Richtlinie gegeben hätte. Zwar verweise Nr. 22 in der Spalte "Bemerkung" auf Nr. 28. Was eine Leistung der Behandlungspflege sei, ergebe sich aber aus der ersten Spalte. Zu dem verweise Nr. 28 in der Spalte "Bemerkung" auf Nrn. 27 und 29. In Nr. 27 werde aber der Wechsel der Schutzauflage auch ohne entzündliche Veränderungen der Wunde wiederum als Leistung der medizinischen Behandlungspflege qualifiziert - also vergleichbar der Nr. 22. Wenn die Beklagte dem Hinweis in Nr. 22 auf Nr. 28 entnehmen wolle, dass der Wechsel des Verbandes ohne Entzündung aber keine Leistung der Behandlungspflege sei, erschließe sich nicht, weshalb Nr. 28 auf Nr. 27 verweise, der Wechsel ohne Entzündung der Wunde dort aber unstreitig eine Leistung der Behandlungspflege darstelle. Überdies verweise Nr. 28 auch auf Nr. 29 und auch dort müsse keine Entzündung vorliegen, damit die Leistung medizinische Behandlungspflege darstelle.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden.

24

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

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Der Senat konnte über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

26

Die vom SG gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassene Berufung ist von der Beklagten gemäß §§ 143 f SGG form- und fristgerecht eingelegt worden.

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Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zutreffend hat das SG entschieden, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung seiner Kosten hat.

28

Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 13 Abs 3 Satz 1 SGV V. Dieser lautet: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

29

Die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Satz 1 2. Alt SGB V sind erfüllt. Die beklagte Krankenkasse hat eine notwendige Leistung zu Unrecht abgelehnt.

30

Streitig ist im vorliegenden Verfahren ein Betrag in Höhe von 40,68 EUR für die Versorgung des suprapubischen Katheters des Klägers in der Zeit vom 1. bis 30. September 2007, den der Häusliche Pflegedienst K. dem Kläger mit Rechnung vom 2. Juni 2009 persönlich in Rechnung gestellt hat.

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Der Kläger hat seinen Klageantrag konkret beziffert und damit den Anforderungen des Bundessozialgerichts (BSG) an einen Zahlungsanspruch für einen abgeschlossenen Vorgang in der Vergangenheit Rechnung getragen (vgl BSGE 83, 254, 263 = SozR 3-2500 § 37 Nr 1).

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Die Kosten sind dem Kläger auch entstanden. Wenn der Versicherte die Kosten noch nicht gezahlt hat, hat er einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten und auf Zahlung der Krankenkasse an den Gläubiger. Voraussetzung dazu ist, dass eine rechtswirksame Zahlungsverpflichtung des Versicherten begründet worden ist (vgl. Brandts, Kasseler-Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Band 1, Stand: Januar 2010, § 13 SGB V Rdnr. 64 mwN). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, da die streitige Leistung von dem Pflegedienst erbracht und dem Kläger persönlich in Rechnung gestellt worden ist.

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Die Beklagte hat die Leistung zu Unrecht abgelehnt, denn der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Leistung aus §§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr. 4, 37 Abs 2 SGB V.

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Nach § 37 Abs. 2 SGB V erhalten Versicherte u.a. in ihrem Haushalt als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 des Elften Buches zu berücksichtigen ist. Häusliche Krankenpflege zur Sicherung der ärztlichen Behandlungsziele kann erforderlich sein, wenn andernfalls der Arzt bestimmte Behandlungsmaßnahmen in dem nötigen Umfang nicht selbst vornehmen kann. Erforderlich ist die häusliche Krankenpflege zur Sicherung der ärztlichen Behandlungsziele, wenn sie dafür unentbehrlich oder unvermeidlich ist.

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Diese Voraussetzungen haben hier vorgelegen. Bei der Versorgung des suprapubischen Katheters handelt es sich um eine Leistung der Behandlungspflege i.S.d § 37 Abs 2 SGB V und nicht um eine Leistung der Grundpflege.

36

Zur Grundpflege zählen pflegerische Leistungen nicht medizinischer Art für den menschlichen Grundbedarf, bei denen im Gegensatz zu den Maßnahmen der Behandlungspflege nicht der Behandlungs- und Heilzweck im Vordergrund steht und deren Ausführung nicht von medizinischer Kunstfertigkeit und medizinischen Kenntnissen geprägt ist. Zur Grundpflege können vor allem die § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI genannten Verrichtungen gehören. Nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI gehören zu den gewöhnlichen und regelmäßigen wiederkehrenden Verrichtungen i.S. des Abs. 1 auch die Darm- und Blasenentleerung. Dem gegenüber gehören zu der Behandlungspflege alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern. Diese Maßnahmen werden typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern der medizinischen Hilfsberufe oder von Laien erbracht (vgl. Gürtler, Kassler Kommentar, Bd. 2, Stand: September 2007, § 14 SGB XI Rdnr. 15 ff.; Höfler, Bd. 1, Stand: August 2008, § 37 SGB V Rdnr. 21a ff.).

37

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze fällt der Verbandwechsel bei suprapubischen Katheter unter die Behandlungspflege, denn die Pflegemaßnahme wird durch eine bestimmte Erkrankung verursacht (Harn- und Nierenerkrankung), ist speziell auf den Gesundheitszustand des Versicherten ausgerichtet und soll dazu beitragen, die Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu erreichen. Die Katheterpflege dient dem Ziel der ärztlichen Behandlung.

38

Es ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig, dass die Versorgung des suprapubischen Katheters des Klägers ärztlich verordnet und medizinisch notwendig ist und der Kläger nicht in der Lage ist, diese selbst durchzuführen. Die Beklagte hat die Kosten für den Verbandwechsel des suprapubischen Katheters des Klägers demgemäß auch bis zum 30. Juni 2007 übernommen.

39

Konkretisiert werden die Maßnahmen der Behandlungspflege in den gemäß § 92 Abs 1 Satz 2 Nr. 6, Abs 7 SGB V erlassenen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung häuslicher Krankenpflege vom 16. Februar 2000 in der Fassung des Beschlusses vom 15. März 2007.

40

In dem als Anlage zu den Richtlinien erlassenen Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege ist unter Nr. 22 des Leistungsverzeichnisses die Versorgung eines suprapubischen Katheters genannt. Diese Versorgung umfasst ausweislich der Leistungsbeschreibung den Verbandwechsel der Katheteraustrittstelle einschließlich Pflasterverband und einschließlich Reinigung des Katheters, Desinfektion der Wunde, ggf. Wundversorgung und Anwendung ärztlich verordneter Medikamente.

41

Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Nr. 22 gehört also der Verbandwechsel der Katheteraustrittstelle einschließlich Pflasterverband und einschließlich Reinigung des Katheters "zu den verordnungsfähigen Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege". Eine einschränkende Auslegung, dass der Verbandwechsel nur bei akut entzündlichen Veränderungen der Katheteraustrittsstelle dazugehört, ergibt sich aus dem Wortlaut nicht.

42

Eine andere Auslegung ergibt sich auch nicht aus dem systematischen Zusammenhang.

43

Zwar verweist Nr. 22 in der Spalte "Bemerkung" auf Nr. 28. Diese lautet "Stomabehandlung - Desinfektion der Wunde, Wundversorgung, Behandlung mit ärztlich verordneten Medikamenten, Verbandwechsel und Pflege von künstlich geschaffenen Ausgängen (z.B. Urstoma, Anuspraeter) bei akuten entzündlichen Veränderungen mit Läsionen der Haut. In Nr. 22 ist anders als in Nr. 28 ausdrücklich auch der Pflasterverband dem Verbandwechsel zugeordnet. In der Nr. 28 befindet sich zudem der Zusatz "bei akuten entzündlichen Veränderungen mit Läsionen der Haut" bereits ausdrücklich in der Leistungsbeschreibung. Ein Hinweis in Nr. 22 darauf, dass eine Versorgung des suprapubischen Katheters durch Verbandwechsel nur unter den Voraussetzungen der Nr. 28 des Leistungsverzeichnisses verordnungsfähig ist, fehlt jedoch.

44

Der Hinweis auf die Nr. 28 in der Spalte "Bemerkung" der Nr. 22 führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar werden in der Spalte "Bemerkung" auch Erläuterungen zu der Ausgestaltung der verordnungsfähigen Leitungen gegeben. Durch den schlichten Hinweis "siehe Stomabehandlung Nr. 28" kann jedoch der Leistungsumfang der Nr. 22 nicht eingeschränkt werden. Vielmehr handelt es sich lediglich um einen Hinweis auf eine vergleichbare Leistung. Anderenfalls wäre bei jeder Ziffer, bei der ein entsprechender Hinweis unter der Rubrik "Bemerkung" aufgeführt ist, der Tatbestand der dort genannten Ziffer als Voraussetzung für die Verordnungsfähigkeit mitzuprüfen. Dies widerspräche jedoch dem Sinn der "Leistungsbeschreibung" (vgl so auch SG Lübeck, Urteil vom 9. Juni 2005 - S 3 KR 102/03 - zitiert nach juris).

45

Zudem verweist Nr. 28 in der Spalte "Bemerkung" ihrerseits auf Nrn. 27 und 29. In der Nr. 27 (Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG), Versorgung bei Wechsel der Schutzauflage bei PEG, Kontrolle der Fixierung und Durchgängigkeit einschließlich Reinigung der Sonde, Desinfektion der Wunde, ggf Wundversorgung, und Anwendung ärztlich verordneter Medikamente) wird der Wechsel der Schutzauflage aber auch ohne entzündliche Veränderungen der Wunde wiederum als Leistung der medizinischen Behandlungspflege qualifiziert - also vergleichbar der Nr. 22.

46

Überdies verweist Nr. 28 auch auf Nr. 29 (Trachealkanüle, Wechsel und Pflege, Herausnahme der liegenden Trachealkanüle, Reinigung und Pflege, ggf Behandlung des Stomas, Einsetzen und Fixieren der neuen Trachealkanüle, Reinigung der entnommenen Trachealkanüle) und dort muss ebenfalls keine Entzündung als Leistungsvoraussetzung der medizinischen Behandlungspflege vorliegen.

47

Da die in der Anlage zu den Richtlinien über die Verordnung häuslicher Krankenpflege aufgeführten Leistungen im Einzelnen ausführlich beschrieben sind, verbietet sich (etwa wie bei Vergütungsregeln - vgl dazu BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 - B 3 KR 4/09 Rdnr. 14) eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung. Ein Spielraum für weitere Bewertungen oder Erwägungen, wie sie der MDK in seinem Gutachten vom 25. Januar 2006 vorgenommen hat, besteht nicht.

48

Nach allem war die Berufung zurückzuweisen.

49

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

50

Die Revision wird gemäß § 160 Abs 2 Nr. 1 SGG zugelassen.