Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 22.09.2015, Az.: 7 B 3487/15

Einreise- und Aufenthaltsverbot; unvollständiger Tenor

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
22.09.2015
Aktenzeichen
7 B 3487/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 45076
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Ein Tenor in einem Asylbescheid, der keine ausdrücklichen Feststellungen zur Flüchtlingseigenschaft und zum subsidiären Schutz enthält, ist unvollständig. Infolgedessen liegen die Voraussetzungen der Androhung der Abschiebung nach § 34 Abs. 1 AsylVfG nicht vor (wie bereits VG Kassel, Beschluss vom 02.09.2015 - 6 L 1606/15.KS.A -; VG Lüneburg, Beschluss vom 21.08.2015 5 B 63/15 ).
2. Die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG bereits im Asylbescheid ist rechtswidrig. Dies gilt auch, wenn die Anordnung unter die aufschiebende Bedingung des Eintritts der Bestandskraft des Asylbescheides gestellt wird.

Tenor:

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. August 2015 (7 A 3486/15) wird hinsichtlich der Abschiebungsandrohung (Tenor Nr. 3 im Bescheid) und der Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG (Tenor Nr. 4 im Bescheid) angeordnet.

Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

1. Der Antrag, die nach § 75 AsylVfG bzw. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, Satz 2 AufenthG ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 10. September 2015 (Az.: 7 A 3486/15) nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen, über den nach der Übertragung auf die Kammer mit Beschluss vom 21. September 2015 gemäß § 76 Abs. 4 AsylVfG die Kammer entscheidet, ist zulässig und überwiegend - soweit er sich nicht gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG (Tenor Nr. 5) richtet - begründet.

Hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrages, der Feststellungen zum Vorliegen von Abschiebungsverboten und der Abschiebungsandrohung (Tenor Nr. 1 bis 3 des Bescheides) gilt folgendes:

Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge – BAMF – vom 28. August 2015 (§ 36 Abs. 4 AsylVfG).

Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG (zunächst) die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylVfG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung, wobei das Gericht die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass der Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht besteht, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen hat.

Es bestehen hier ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung, da deren Voraussetzungen nach § 34 Abs. 1 AsylVfG nicht vorliegen. Danach erlässt das BAMF eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn (1.) der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, (2.) dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, (2a.) dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird, (3.) die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und (4.)der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. Die Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen, damit eine rechtmäßige Abschiebungsandrohung ergehen kann.

Durch den Bescheid des BAMF vom 28. August 2015 wurde lediglich der Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen. Feststellungen zum Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft oder dem subsidiären Schutz enthält der Bescheid in seinem Tenor nicht. Über das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutz ist nach dem insoweit unvollständigen Bescheid des BAMF bislang nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Weise entschieden worden. Zwar ist in § 13 Abs. 2 AsylVfG geregelt, dass mit jedem Asylantrag neben der Anerkennung als Asylberechtigter zugleich auch die Gewährung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG (Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz) beantragt wird. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass in dem Bescheid lediglich eine Entscheidung über den Asylantrag tenoriert werden muss und hiervon die Ablehnung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes umfasst wären. In § 31 Abs. 2 AsylVfG ist geregelt, dass in Entscheidungen über beachtliche Asylanträge ausdrücklich festzustellen ist, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz zuerkannt und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. Somit werden Asyl- und Flüchtlingsanerkennung zwar kumulativ beantragt, sind aber gesondert zu bescheiden. Will das BAMF einen Asylantrag in vollem Umfang ablehnen, hat es eine negative Entscheidung über die Asylberechtigung, die Flüchtlingseigenschaft, den subsidiären Schutz sowie die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu treffen. Zwar hat das BAMF in seinem Bescheid Ausführungen zum Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes gemacht und dort auch Feststellungen getroffen. Allerdings ist nach § 31 Abs. 2 AsylVfG zu verlangen, dass über die gestellten Anträge sowohl inhaltlich als auch formal - also auch im Tenor des Bescheides - ausdrückliche Feststellungen zum Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiäre Schutz ergehen (Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 7. Edition, Stand: 1. Mai 2015, § 31 AsylVfG, Rn. 12). Die Entscheidungsformel des Bescheides ist somit trotz seiner Ausführungen in der Begründung insoweit keiner Auslegung dahingehend zugänglich, dass mit der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet zugleich die Anerkennung als Flüchtling und des subsidiären Schutzes abgelehnt würden (vgl. VG Lüneburg, Beschluss vom 21. August 2015 - 5 B 63/15 - V.n.b.; VG Kassel Beschluss vom 2. September 2015 - 6 L 1606/15.KS.A - juris).

Die ausdrückliche Benennung der Reichweite des Bescheides bereits in der Entscheidungsformel ist auch notwendig zum Schutz der Ausländer, da nach § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG lediglich diese und die Rechtsmittelbelehrung in einer Sprache beizufügen sind, deren Kenntnis vom Antragsgegner vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann. Enthält die Entscheidungsformel lediglich den Ausspruch, dass der Asylantrag abgelehnt wird und ergeben sich Feststellungen zur Flüchtlingseigenschaft und zum subsidiären Schutz erst aus der Begründung, könnte diese Schutznorm teilweise nicht ihren Zweck erfüllen. Hinzu  kommt, dass ein Antrag auf Gewährung subsidiären Schutzes nicht nach § 30 Abs. 1 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden kann. Wäre dieser Antrag auch vom Tenor des Bescheids, dass der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird, umfasst, so würde auch die Gewährung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden (VG Lüneburg, aaO, VG Kassel, aaO).

Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1, 2 AufenthG (Tenor Nr. 5 des Bescheides) begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das BAMF hat die Befristung im Rahmen der Zuständigkeit nach § 75 Nr. 12 AufenthG auf der Grundlage des § 11 Abs. 2 AufenthG ausgesprochen. Der Rechtmäßigkeit der Befristungsentscheidung des BAMF steht nicht durchgreifend entgegen, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots zum Zeitpunkt der Befristungsentscheidung noch gar nicht vorlagen und offen ist, ob diese jemals vorliegen werden. Gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Der Antragsteller war zwar zum Zeitpunkt der Entscheidung des BAMF weder ausgewiesen noch zurückgeschoben oder abgeschoben. Das BAMF hat aber seine Entscheidung nach § 11 Abs. 2 AufenthG in rechtlich zulässiger Weise unter die aufschiebende Bedingung der Abschiebung des Antragstellers gestellt. Da es sich bei der Befristungsentscheidung um eine rechtlich begünstigende Entscheidung, auf die ein Anspruch besteht (§ 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), handelt, ist die Zulässigkeit der Bedingung an den Vorgaben des § 36 Abs. 1 VwVfG zu messen. Danach darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Im Fall der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG hat der Gesetzgeber in § 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG ausdrücklich geregelt, dass die Befristungsentscheidung bereits mit der Abschiebungsandrohung ergehen soll. Es entspricht zudem dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, dass die Befristung nach § 11 Abs. 2 AufenthG unter die Bedingung der Abschiebung gestellt wird. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung vom 25. Februar 2015 (BT-Drs. 18/4097) heißt es hierzu:

„Sofern dem Einreise- und Aufenthaltsverbot keine Ausweisung zugrunde liegt, soll die Frist mit der Abschiebungsandrohung der Ausländerbehörde festgesetzt werden, da dies regelmäßig das vorerst letzte Schriftstück darstellen dürfte, das dem Ausländer von einer deutschen Behörde zugestellt wird. Da die Abschiebung zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgeführt worden ist und das Einreise- und Aufenthaltsverbot mithin noch gar nicht entstanden ist, ist die Befristung unter die aufschiebende Bedingung der Abschiebung zu stellen.“

Der Umstand, dass sich diese Ausführungen in der Gesetzesbegründung (nur) auf die Abschiebungsandrohungen der Ausländerbehörde beziehen, steht der Anwendung im vorliegenden Fall - der Abschiebungsandrohung des BAMF - nicht entgegen, weil die Zuständigkeit des BAMF für die Befristung nach § 11 Abs. 2 AufenthG erst im späteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens, nämlich mit der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Innenausschusses vom 1. Juli 2015 (BT-Drs. 18/5420), begründet wurde. Die Ermessenentscheidung, eine Frist von 30 Monaten zu bestimmen, bewegt sich im Rahmen des § 11 Abs. 3 AufenthG und begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, zumal § 11 Abs. 4 AufenthG die Möglichkeit vorsieht, die Frist nachträglich noch zu verkürzen.

Rechtswidrig ist im vorliegenden Fall jedoch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG (Tenor Nr. 4 des Bescheides). Gemäß § 11 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kann das BAMF gegen einen Ausländer, dessen Asylantrag nach § 29a Abs. 1 AsylVfG bestandskräftig als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, bei dem das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen.

Die Entscheidung des BAMF nach § 29a Abs. 1 AsylVfG war hier zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG aber noch nicht bestandskräftig.

Es war auch rechtlich nicht zulässig, die Anordnung und Befristung unter die aufschiebende Bedingung des Eintritts der Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag zu stellen. Anders als bei der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG (siehe zuvor) ist die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG ein belastender Verwaltungsakt, so dass die angeordnete Bedingung nicht an § 36 Abs. 1 VwVfG, sondern an § 36 Abs. 2 VwVfG zu messen ist. Bei belastenden Verwaltungsakten sind Nebenbestimmungen, die - wie hier - allein der Sicherstellung der gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts dienen, grundsätzlich unzulässig. Dies gilt erst recht, wenn es sich - wie hier - um eine Ermessensentscheidung der Behörde handelt, da eine solche Ermessensentscheidung (insbesondere beim Entschließungsermessen) unter Berücksichtung aller für die Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen Umstände grundsätzlich erst dann getroffen werden kann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für das behördliche Einschreiten erfüllt sind (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage, § 36, Rn. 112 f.). Die Anordnung einer Bedingung ist hier auch nicht durch das Fachrecht ausdrücklich zugelassen. Anders als die Antragsgegnerin meint, gestattet der Verweis in § 11 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf § 11 Abs. 1 bis 5 AufenthG nicht die Anordnung der aufschiebenden Bedingung des Eintritts der Bestandskraft. Zwar bestimmt § 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG, dass die Frist nach § 11 Abs. 2 AufenthG bereits mit der Abschiebungsandrohung gesetzt werden soll. Dies gilt jedoch ersichtlich nur für die begünstigende Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG (siehe oben), nicht jedoch für die belastende, im Ermessen des BAMF bestehende Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Wege des Verwaltungsakts nach § 11 Abs. 7 AufenthG. Der entsprechende Wille des Gesetzgebers lässt sich auch der Gesetzesbegründung vom 25. Februar 2015 (BT-Drs. 18/4097) entnehmen. Dort heißt es zur Begründung der Regelung des § 11 Abs. 7 AufenthG:

„Nach Absatz 7 kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach pflichtgemäßem Ermessen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot kraft gesonderten Verwaltungsakts anordnen (…). Auf diese Weise soll es der zuständigen Behörde ermöglicht werden, im Einzelfall (…) ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anzuordnen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 6 nicht erfüllt sind.“

Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass der Gesetzgeber im Falle des § 11 Abs. 7 AufenthG gerade nicht wollte, dass das BAMF bereits mit der Entscheidung über den Asylantrag und die Androhung der Abschiebung bereits über das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG entscheidet, sondern eine solche Entscheidung „durch gesonderten Bescheid“ unter Berücksichtigung eines etwaigen Verbots nach § 11 Abs. 1 oder 6 AufenthG „im Einzelfall“ erfolgt.