Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 15.09.2015, Az.: 11 B 3485/15
Begründung subjektiver Rechte eines Asylbewerbers durch die Verfahrensregelung des Bundesamtes betreffend die Aussetzung des Dublin Verfahrens für syrische Staatsangehörige; Vorliegen von systematischen Mängel im spanischen Asylsystem
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 15.09.2015
- Aktenzeichen
- 11 B 3485/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 26238
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2015:0915.11B3485.15.0A
Rechtsgrundlagen
- § 34a AsylVfG
- § 26a AsylVfG
- § 27a AsylVfG
Fundstelle
- AUAS 2015, 237-240
Amtlicher Leitsatz
Die Verfahrensregelung des Bundesamtes betreffend die Aussetzung des Dublin Verfahrens für syrische Staatsangehörige vom 21. August 2015 begründet keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers.
Das Asylverfahren in Spanien weist keine systemischen Mängel auf.
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt. Die Antragsteller tragen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet, weil das einstweilige Rechtsschutzbegehren aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 166 VwGO, 114 ZPO).
Der nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. §§ 75, 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG zu beurteilende Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der von den Antragstellern erhobenen Klage (11 A 3483/15) gegen die Anordnung der Abschiebung nach Spanien durch den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31. August 2015 ist unbegründet.
Das öffentliche Interesse an der wirksamen und effektiven Durchsetzung der Regelungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems überwiegt das Interesse der Antragsteller an einem Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Abschluss des Klageverfahrens, weil der genannte Bescheid des Bundesamtes aller Wahrscheinlichkeit nach keine Rechte der Antragsteller verletzt.
Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt u.a. dann, wenn ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist Neufassung (ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 31) - Dublin III-VO -.
Für die Prüfung des Asylantrages der Antragsteller ist gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO Spanien zuständig. Die Antragsteller haben dort bereits vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland Asylanträge gestellt. Die zuständige spanische Behörde hat der Wiederaufnahme der Antragsteller zugestimmt.
Soweit die Antragsteller geltend machen, dass sie als syrische Staatsangehörige nach der Verfahrensregelung des Bundesamtes vom 21. August 2015 einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Dublin III-VO hätten, vermag das Gericht ihnen nicht folgen. Ihnen stehen insoweit keine subjektiven Rechte (§§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zur Verfügung. Denn die Verfahrens- und Fristenregelungen der Dublin III-VO sollen eine zügige Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ermöglichen. Sie dienen allein dem Zweck, zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten zeitnah Klarheit zu schaffen, welcher von ihnen für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig ist. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (- C-394/12-, NVwZ 2014, S. 208, Rn. 51 ff.), in dem zu klären war, in welchem Umfang diese Bestimmungen tatsächlich Rechte der Asylbewerber begründen, die die nationalen Gerichte schützen müssen, ausgeführt, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem darauf aufbaue, dass in allen beteiligten Staaten weitgehend die gleichen Rechtsvorschriften gelten und die Mitgliedsstaaten daher darauf vertrauen könnten, dass diese und die Grundrechte nach der GFK und der EMRK eingehalten werden. Das Dublin-Verfahren sei erlassen worden, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stocke, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrages zuständigen Status zu erhöhen und damit dem "forum shopping" zuvorzukommen. Die Bestimmungen der Dublin-Verordnung legten für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedsstaats organisatorische Vorschriften fest, die die Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten regelten. Es solle eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden. Habe der Mitgliedsstaat der Aufnahme des Asylbewerbers zugestimmt, könne dieser nur einwenden, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat geltend mache, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass er tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der GR-Charta ausgesetzt zu werden. Dies muss erst Recht gelten, wenn die Anwendung der Dublin III-VO, wie derzeit grundsätzlich für syrische Staatsangehörige in der Bundesrepublik Deutschland, lediglich auf Grund einer verwaltungsinternen Regelung ausgesetzt wird.
Mithin bedarf es keiner gerichtlichen Beurteilung, ob die Verfahrensregelung vom 21. August 2015 nicht nur für die sog. Aufgriffsfälle, in denen kein Asylantrag gestellt worden ist, sondern auch dann, wenn - wie hier -lediglich ein Asylbegehren (§ 13 AsylVfG) geäußert, die förmliche Antragstellung (§ 14 AsylVfG) beim Bundesamt aber noch nicht möglich war, keine Geltung beansprucht. Das Gericht weist insoweit ergänzend darauf hin, dass die Verfahrensweise des Bundesamtes hier allerdings auch nicht willkürlich erscheint, weil die Antragsteller offenbar gar nicht in Deutschland bleiben wollten, sondern auf der Durchreise nach Skandinavien, wo sich Familienangehörige aufhalten, von der Polizei in Gewahrsam genommen worden sind.
Es liegen nach der ständigen Praxis der Kammer auch keine Umstände vor, die die Zuständigkeit Spaniens in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-Verordnungen entfallen ließen. Dem gemeinsamen europäischen Asylsystem, zu dem insbesondere die Dublin-Verordnungen gehören, liegt die Vermutung zugrunde, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat gemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 83/389 vom 30. März 2010), des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953, S. 559) sowie der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. II 1952, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Oktober 2010, BGBl. II S. 1198) behandelt wird. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedsstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - und der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - zukommt. Die diesem "Prinzip des gegenseitigen Vertrauens" (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u. C-493/10 -, NVwZ 2012, 417 [EuGH 21.12.2011 - Rs. C-411/10; C-493/10]; Urteil vom 14. November 2013 -C-4/11 -, NVwZ 2014, 129) bzw. dem "Konzept der normativen Vergewisserung" (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u. 2315/93 -, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, S. 1665 [BVerfG 14.05.1996 - 2 BvR 2315/93]) zugrunde liegende Vermutung ist jedoch dann als widerlegt zu betrachten, wenn den Mitgliedstaaten "nicht unbekannt sein kann", also ernsthaft zu befürchten ist, dass dem Asylverfahren einschließlich seiner Aufnahmebedingungen in einem zuständigen Mitgliedstaat derart grundlegende, systemische Mängel anhaften, dass für dorthin überstellte Asylbewerber die Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (EuGH, a.a.O.).
Nach dem Jahresbericht zur Menschenrechtslage in Spanien des Departements of State der Vereinigten Staaten von Amerika vom 25. Juni 2015 (Section 2d) zur Behandlung von Asylbewerbern ist dort das Asylrecht gesetzlich garantiert und wird auch durch angemessene administrative Strukturen abgesichert. So kann insbesondere bei jeder Polizeistation ein Asylgesuch angebracht werden, ohne dass die Gefahr einer Abschiebung besteht. Jedes Asylgesuch wird individuell geprüft; gegen ablehnende Entscheidungen ist gerichtlicher Rechtsschutz gewährleistet. Zwar wurden nach Berichten von amnesty international und Humans Rights Watch in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla Asylbewerber ohne Möglichkeit der Asylantragstellung wieder nach Marokko zurückgeschoben und auch unverhältnismäßige Gewalt gegen diese Personen ausgeübt. Hierbei handelt es sich jedoch um eine lokale Problemlage, die keinen Rückschluss auf allgemeine Mängel des Asylverfahrens zulässt. Hiergegen spricht darüber hinaus, dass diese Fälle gerichtlich untersucht werden und die spanische Regierung auch angekündigt hat, auch in den Exklaven Grenzposten zu errichten, wo sich Asylsuchende registrieren lassen können (vgl. amnesty international, Jahresbericht 2015 vom 25. Februar 2015 zu Spanien zum Stichwort "Rechte von Flüchtlingen und Migranten"; Human Rights Watch, World Report 2015 vom 29. Januar 2015 zu Spanien).
Nach dem königlichen Dekret Nr. 16/2012 erhalten Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus zwar nur einen beschränkten Zugang zum Gesundheitssystem. Ausnahmen gelten jedoch in Notfällen, sowie für Minderjährige, Schwangere, Patienten mit Infektionskrankheiten sowie psychischen Einschränkungen (vgl. www.ibicasa.com., Ausgabe 59, Juni bis August 2013). Grundsätzlich ist zudem nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2003/09/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (sog. Aufnahmerichtlinie) davon auszugehen, dass in den Mitgliedstaaten - und damit auch in Spanien - die Asylbewerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Die geringere Möglichkeit der Behandelbarkeit einer Erkrankung in einem anderen Staat, in den der Betroffene abgeschoben werden soll, führt zudem auch nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta/Art. 3 EMRK durch den abschiebenden Staat, nämlich dann, wenn humanitäre Gründe zwingend entgegenstehen (vgl. EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - 26565/05 - NVwZ 2008, 1334, 1336 [EGMR 27.05.2008 - EGMR (Große Kammer) Nr. 26565/05], Rn. 42 ff.; BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2012 - 10 B 16.12 - InfAuslR 2013, 45).
Die Behandlung von Personen, die sich ohne Asylantrag oder nach unanfechtbar abgelehnten Asylbegehren illegal in Spanien aufhalten, ist für die Beurteilung systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens ohne Bedeutung.
Der Vortrag der Antragsteller zu ihren dortigen Erfahrungen (getrennte Unterbringung von Männern und Frauen in Sammelunterkünften ohne zeitliche Begrenzung, Kriminalität im Umfeld der Unterkunft, langes Anstehen zum Essen, schlechte Nahrung, Taschengeld von nur 92,-- € im Monat) vermag eine abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen.
Die Einschätzung des Gerichts zur Systemgerechtigkeit des spanischen Asylsystems entspricht der nahezu einhelligen Rechtsprechung (vgl. VG Potsdam, Urteil vom 25. Juni 2015 - VG 6 K 754/15.A - ; VG Augsburg, Urteil vom 15. Mai 2015 - Au 5 K 15.50002 - , Rn. 37 ff.; VG Minden, Urteil vom 16. März 2015 - 10 K 494/15.A - , Rn. 34 ff.; VG Aachen, Beschluss vom 27. Februar 2015 - 4 L 68/15.A - , Rn. 27; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - 13 L 2759/14.A - , Rn. 32 ff.).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.