Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 18.09.2015, Az.: 6 A 32/15

Flüchtlingsanerkennung; Mazedonien; Roma

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
18.09.2015
Aktenzeichen
6 A 32/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 45103
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Einzelfall von politischer Verfolgung im Mazedonien.

Tenor:

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. September 2013 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen und der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen und ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Klägerin ist mazedonische Staatsangehörige und eigenen jetzigen Angaben zufolge Angehörige der Volksgruppe der Roma. Sie hielt sich bereits etwa von 1989 bis 1996 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Der damalige Asylantrag wurde unanfechtbar abgelehnt.

Nachdem die Klägerin wieder in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, stellte sie am 21. Dezember 2012 einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Zur Begründung machte sie im Rahmen ihrer Anhörung am 2. Januar 2013 geltend, mit ihrem ehemaligen Ehemann habe sie in ihrer Heimat einen Verein gegründet, der sich für die Rechte der Roma eingesetzt habe. Es habe Berichte über die Malträtierungen der Roma durch die Polizei gegeben. Die Polizei habe verlangt, die Malträtierungen seitens der Polizei nicht zu erwähnen. Die Probleme mit der Polizei hätten zum Scheitern ihrer ersten Ehe geführt sowie zu einem Eintrag beim Arbeitsamt, weshalb sie kein reguläres Arbeitsverhältnis habe begründen können. Ihrem zweiten Ehemann sei der Handel mit Kleinwaren erschwert worden. Man habe ihn zur Polizeistation mitgenommen. Als sie ihn dort habe abholen wollen, seien beide geschlagen und ihr die frühere Tätigkeit in der Organisation vorgehalten worden. Sie sei damals schwanger gewesen und habe wegen der Schläge der Polizeibeamten das Kind verloren. Nach den Misshandlungen durch die Polizei habe ihr Mann sie in ein Krankenhaus gebracht. Im Krankenhaus sei ihr ein Schwangerschaftsabbruch durch äußerliche Einwirkung bescheinigt worden. Die Polizei habe sie später in unregelmäßigen Abständen in ihrer Wohnung aufgesucht, sich nach ihren Kontakten erkundigt und sie aufgefordert, für bestimmte Kandidaten der kommenden Wahlen Stimmen der Roma-Minderheit sicherzustellen. Sie sei erkrankt und auf die Einnahme verschiedener Medikamente, die sie sich nicht habe leisten können, angewiesen.

Mit Bescheid vom 3. September 2013 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 7 Satz 2, Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen und drohte der Klägerin die Abschiebung nach Mazedonien an. Zur Begründung führte es aus, der Wiederaufgreifensantrag sei nicht zulässig, da die Frist von drei Monaten nicht eingehalten worden sei. Im Übrigen habe die Klägerin aufgrund ihrer nunmehr vorgebrachten Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma oder aus sonstigen individuellen Gründen Verfolgungsmaßnahmen bei einer Rückkehr nach Mazedonien nicht zu befürchten.

Die Klägerin hat am 25. September 2013 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. September 2013 zu verpflichten, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen und ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise sie als Asylberechtigte anzuerkennen, weiter hilfsweise die Beklage zu verpflichten, ihr den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolgt. Sie ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. September 2013 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG zuzuerkennen.

Nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags ist gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 VwVfG ein weiteres Asylverfahren nur durchführen, wenn sich entweder die Sach- oder Rechtslage zugunsten des Asylfolgeantragstellers geändert haben oder neue Beweismittel vorliegen, die geeignet sind, eine für ihn günstigere Entscheidung herbeizuführen oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. Dabei fordert § 51 Abs. 1 VwVfG einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes zu verhelfen (BVerfG, Beschluss vom 3. März 2000 - 2 BvR 39/98 -, zitiert nach juris). Darüber hinaus ist der Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande gewesen ist, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Asylverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen und er den Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt hat. Diese rechtlichen Vorgaben sind erfüllt.

Der Asylfolgeantrag scheitert nicht daran, dass die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG nicht eingehalten worden ist. Nach dieser Regelung muss der Folgeantrag binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Kommt es bei einem Ausländer nach der Rückkehr in sein Heimatland zu erneuten Problemen, kann von einem Betroffenen nicht in jedem Fall eine sofortige Ausreise erwartet werden. Will er zunächst die weiteren Entwicklung abwarten, ist hinsichtlich der Kenntnis im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem sich die Entwicklung so verdichtet hat, dass sich für den Betroffenen eine erneute Ausreise und Asylantragstellung aufdrängt (VG Regensburg, Urteil vom 19. Dezember 2012 - RN 1 K 12.30342 -, zitiert nach juris).

Unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin, der von der Beklagten im angefochtenen Bescheid und auch im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nicht in Frage gestellt worden ist und der schlüssig und glaubhaft erscheint, spricht alles für die Annahme, dass eine solche Fallgestaltung hier vorliegt. Die Klägerin hat ihren Folgeantrag im Wesentlichen damit begründet, dass sie von der Polizei misshandelt und bedroht worden sei. Die Bedrohungen seien auch nach dem durch die Misshandlungen bewirkten und durch ärztliches Attest vom 28. November 2011 nachgewiesenen Schwangerschaftsabgang fortgesetzt worden. Es ist nachvollziehbar, dass die Klägerin nicht unmittelbar nach der Misshandlung im November 2011 ausgereist ist. Zu dem Zeitpunkt war für sie noch nicht sicher abzusehen, ob es sich lediglich um einen singulären Fall von polizeilichem Fehlverhalten bis hin zur Gewaltanwendung handelt, der nicht zur Zuerkennung von Flüchtlingsschutz führen würde, weil die Forderung nach einem lückenlosen Schutz in Bezug auf Übergriffe allgemeiner, z.B. krimineller, Art an einer wirklichkeitsnahen Einschätzung der Effizienz staatlicher Schutzmöglichkeiten vorbeigeht. Denn nach ihrem Vortrag ist sie im Anschluss an die Misshandlung nach der Verweigerung der von ihr geforderten Unterschrift von der Polizei rausgeschmissen und zum Teufel geschickt worden. Damit war für sie zum damaligen Zeitpunkt noch nicht hinreichend sicher abzusehen, ob die Polizei sie auch künftig bedrohen werde. Dies hat sich erst in der Folgezeit bestätigt.

Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob die Beklagte im Hinblick auf ein aus ihrer Sicht bestehendes Fristversäumnis verpflichtet gewesen wäre, der Klägerin von Amts wegen gemäß § 32 Abs. 1 VwVfG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Insoweit dürfte die Klägerin jedenfalls ohne Verschulden am Fristversäumnis gewesen sein. Aufgrund von - näher von ihr ausgeführten - Beschränkungen hatte sie Probleme, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Ihr Ehemann habe auf dem Markt kleine Küchenschwämme und Kunststofftüten verkauft, so dass sie, weil sie auch kleine Kinder zu versorgen hatten, gerade über die Runden gekommen seien. Erst nach dem Besuch einer Tante, die sich Geld geliehen und ihr geschickt habe, seien im Dezember 2012 Mittel für die Ausreise vorhanden gewesen, die sie dann auch angetreten habe. Mangels der entsprechenden finanziellen Mittel dürfte ihr eine Flucht zu einem früheren Zeitpunkt damit nicht möglich gewesen sein.

Dem Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft steht die mazedonische Staatsangehörigkeit der Klägerin nicht entgegen, auch wenn sie damit aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt (Art. 16a Abs. 3 GG, § 29a Abs. 1 und Abs. 2 AsylVfG i.V.m. Anlage II). Denn sie trägt Umstände vor, die die Annahme begründen, dass ihr abweichend von der allgemeinen Lage dort politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylVfG droht.

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft richtet sich nach § 3 Abs. 1 AsylVfG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Nach § 3c AsylVfG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft - wie auch bei der des subsidiären Schutzes - der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr.

Zur Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten wird in Art. 4 Abs. 4 QualRL eine tatsächliche Vermutung normiert, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen. Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 QualRL kommt zur Anwendung, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der erlittenen Verfolgung bzw. dem erlittenen Schaden und der befürchteten Verfolgung bzw. dem befürchteten Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt. Es ist deshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 QualRL erstreckt. Aus den in Art. 4 QualRL geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Asylantragstellers folgt, dass es auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Es ist daran festzuhalten, dass er dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern hat, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigen werden.

Unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin, dass von der Beklagten in tatsächlicher Hinsicht bis heute nicht in Frage gestellt worden ist und dass auch dem nunmehr zuständigen Einzelrichter schlüssig erscheint, ist davon auszugehen, dass eine solche Fallgestaltung hier vorliegt. Der Einzelrichter geht davon aus, dass sich gegenüber dem am 9. Dezember 1996 bestandskräftig gewordenen Bescheid die Sach- und Rechtslage zugunsten der Klägerin geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) und die Beklagte verpflichtet ist, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Klägerin hat ausführliche Angaben zu ihrer früheren Tätigkeit gemacht, bei der sie sich für den Schutz der Rechte der Roma engagiert und unter anderem über Missstände in Mazedonien, insbesondere über Malträtierungen von Roma durch die Polizei, berichtet hat. Sie hat auch überzeugend die für sie nachteiligen Folgen dieser Tätigkeit geschildert, nämlich ihre Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, weil sie von der Polizei zu Unrecht als Straffällige registriert worden sei, Misshandlungen gegen ihren Ehemann und gegen sie selbst mit der Folge eines Schwangerschaftsabgangs sowie andauernde Nötigungen und Bedrohungen durch die Polizei. Die umfangreichen Ausführungen sind nicht nur in sich schlüssig, sondern auch von einer solchen Detailfülle, dass nach tatrichterlicher Würdigung alles dafür spricht, dass sie der Wahrheit entsprechen und tatsächlich eine Bedrohungslage besteht, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigt. Demgegenüber setzt sich der angefochtene Bescheid mit dieser Fragestellung nicht hinreichend auseinander, obwohl hierzu ausreichend Anlass bestanden hätte. Unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin, sie werde durch die Polizei und insbesondere den Leiter der örtlichen Polizeibehörde bedroht, kann insbesondere nicht angenommen werden, der Klägerin stehe hinreichender staatlicher Schutz zur Verfügung. Im Hinblick auf die von der Klägerin geschilderte fortdauernde Bedrohungssituation überzeugt es auch nicht, wenn die dargestellte Misshandlung durch die Polizei auf einen nicht gänzlich zu verhindernden Einzelfall reduziert wird.

Letzte Zweifel am Wahrheitsgehalt des Vorbringens räumte die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung aus. Auf Befragen des Einzelrichters erklärte sie, sie gehöre zur Volksgruppe der Roma. Die Roma-Organisation, von der sie im Rahmen der Anhörung gesprochen habe, sei im Jahr 2000 angemeldet worden. Es habe dann allerdings noch ein wenig gedauert, bis die Organisation zugelassen worden sei. Die Organisation sei durch sie und eine weitere Person gegründet worden. Später seien noch ein Rechtsanwalt und eine Dolmetscherin hinzugekommen. Sie sei Sekretärin gewesen, habe sich aber auch um die Sorgen der Leute gekümmert. Sie habe z.B. Dokumente besorgt oder sich um die Sozialhilfeanträge gekümmert. Die Arbeit sei wichtig gewesen. Es sei wichtig gewesen, über die Dinge, die in Mazedonien passiert seien, zu berichten. Die Organisation habe alle sechs Monate einen Bericht gemacht. Dann sei es zu Gewalttätigkeiten gekommen. Erst habe man nicht gewusst, von wem diese ausgegangen seien. Dann habe man festgestellt, dass es Gewalt durch die Polizei gewesen sei. Die Organisation solle keine weiteren Nachrichten nach außen geben und nicht weiter berichten. Das Büro sei aufgebrochen worden und Dokumente seien entwendet worden. Entsprechende Durchsuchungsbeschlüsse oder ähnliche Befugnisse habe es nicht gegeben. Man habe diese Vorkommnisse bei der Polizei angezeigt. Es habe viele Schwierigkeiten gegeben. Die Organisation habe sich Freundeskreis für die Rechte von Roma bezeichnet. Auf Englisch habe die Bezeichnung gelautet Human Rights Protection for Rome. Es sei korrekt, dass sie anschließend versucht habe Arbeit zu finden, dies aber nicht möglich gewesen sei, weil sie als Straffällige registriert gewesen sei. Sie habe dann in Textilfirmen gearbeitet. Es sei Probearbeit als Praktikum gewesen. Die Chefin habe erklärt, sie könne sie nicht anmelden im Computer. Sie müsse selbst sehen, woran das liege. Sie sei dann zum Arbeitsamt gegangen. Sie sei im Computersystem vermerkt gewesen. Warum wisse sie nicht. Der Mitarbeiter des Arbeitsamtes habe ihr das erklärt. Sie sei deshalb zur Polizei gegangen. Das Zimmer sei im 3. Stock gewesen. Die Nummer des Büros wisse sie nicht mehr. Man habe ihr gesagt, sie habe es nicht verdient, eine Arbeitsstelle zu finden. Sie denke, es habe sich um einen Polizeikommissar gehandelt, der sie dann aus dem Büro geschmissen habe. Er habe vorher noch gesagt, sie könne genauso Arbeit finden, wie sie damals die Berichte aus Mazedonien herausgeschickt habe. Möglicherweise gebe es diese Organisation auch heute noch. Sie habe jedoch keinen Kontakt mehr. Soweit sie wisse, arbeite die Organisation mit den Behörden zusammen. Der Polizist habe viel gesagt. Er habe gesagt, sie solle zum Teufel gehen und habe ihr gedroht. Dann sei ihr klar gewesen, woran es gelegen habe. Nach dem Ende ihrer Tätigkeit für die Roma-Organisation sei sie nicht mehr politisch tätig gewesen. Für MOST habe sie gearbeitet, wenn Wahlen gewesen seien, z.B. im Jahr 2001. Zwischen 2004 und 2011 habe es auch Übergriffe durch die Polizei gegeben. Sie habe keine feste Arbeit gefunden. Sie habe eine Oma gepflegt und zwar zwei Jahre lang. Diese sei dann gestorben. Ein paar Mal habe sie Polizeibesuch bekommen. Allerdings habe es sich nicht um Polizei in Uniform gehandelt, sondern es waren Angehörige von Alpha. Die Personen hätten sehr viele Fragen gestellt, wie z.B. was sie jetzt mache. Sie sei aufgeregt gewesen und habe mit den Polizisten geschimpft. Sie habe sie schließlich auch rausgeschmissen. Sie hätten gleichwohl nicht aufgehört. Sie hätten auch die Wohnung untersucht und immer wieder gefragt, was sie denn nun mache. Zuletzt habe sie nicht mehr mit diesen Personen geredet. Körperliche Übergriffe habe es nicht gegeben. Erst 2011, wo sie das Baby verloren habe, habe es einen körperlichen Übergriff gegeben. Die Polizei bzw. die Angehörigen von Alpha seien zwischen 2004 und 2011 immer wieder zu ihnen nach Hause gekommen. Nach der Hochzeit im Jahr 2006 hätten dann auch die Übergriffe auf ihren Ehemann begonnen. Zwischen 2004 und 2011 habe sie nicht mehr für MOST gearbeitet. Sie habe Angst gehabt. Die Polizisten seien zu ihr nach Hause gekommen und hätten sie aufgefordert, Stimmen von Roma für die Wahl zu sammeln. Jeder habe unterschreiben sollen und sie habe die Ausweise einsammeln sollen. Sie habe erklärt, sie wolle damit nichts zu tun haben. Sie habe erklärt, sie werde das nicht tun. Sie habe von Haus zu Haus gehen sollen und den Leuten erklären sollen, welcher Partei sie ihre Stimme geben sollten. Bei der Partei habe es sich um die VMRO gehandelt. Sie sei dann aggressiv geworden. Ihr Ehemann sei ebenfalls aggressiv geworden. Die Polizei habe ihn dann verprügelt und bedroht. Es habe sich um die Vorbereitung einer Wahlfälschung gehandelt. Ihre Organisation habe über den Vorfall, bei dem zwei Polizisten ein Kind getötet hätten, berichtet. Der Bericht sei in der Bild-Zeitung von der Roma-Organisation veröffentlicht worden. Da habe es auch Bilder gegeben, auf denen das Kind zu sehen gewesen sei. Man habe auch gesehen, dass es erschossen worden sei. Die staatliche Zeitung hingegen habe lediglich berichtet, dass das Kind von einem Zug überfahren worden sei. Mit Bild-Zeitung meine sie die Zeitung Bilten. Dabei habe es sich um den halbjährigen Bericht der Roma-Organisation gehandelt. Dieser Bericht sei gedruckt worden und sodann außerhalb Mazedoniens verteilt worden. Sie hätten damals mit anderen Roma-Organisationen zusammengearbeitet. In Mazedonien sei der Bericht nicht verbreitet worden. Der Vorfall sei auch nicht in ganz Mazedonien bekannt gewesen. Das Kind sei in einem Krankenhaus in Skopje gewesen. Die Mutter komme aus Stip und habe nach dem Kind gefragt. Die Mutter habe das Kind gesucht, habe das Kind gesehen und habe festgestellt, dass es nicht von einem Zug überfahren worden sei. Sie habe eine Obduktion verlangt. Sie wisse nicht, ob die Polizisten in Stip von dem Vorfall und dem Bericht gewusst haben. Sie nehme das an, da in der Folgezeit viel darüber gesprochen worden sei. Über den Vorfall mit dem getöteten Kind sei bei dem Übergriff im November 2011 nicht direkt gesprochen worden. Man habe sie aber darauf angesprochen, dass sie viel für die Roma getan habe.

Die Klägerin ist nach diesen überzeugenden Ausführungen vorverfolgt ausgereist und ihr droht im Falle der Rückkehr erneut politische Verfolgung wegen ihrer früheren Tätigkeit für eine Roma-Organisation. Die Verfolgungshandlungen gehen von der Polizei aus, so dass sie nicht auf die generelle Schutzbereitschaft der Polizei verwiesen werden kann.

Eine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylVfG besteht nicht. Nach dieser Regelung wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3b AsylVfG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Eine inländische Fluchtalternative besteht, wenn der landesinterne Schutzort vom Abschiebungszielort aus tatsächlich erreichbar ist, die am Abschiebungszielort drohende Verfolgungsgefahr am internen Fluchtort nicht besteht und der Ausländer am Fluchtort nicht sonstigen existenziellen Gefährdungen ausgesetzt ist; insbesondere muss er sein wirtschaftliches Existenzminimum dort sichern können. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Die Klägerin erklärte, woanders hätten sie nicht hingehen können. Sie hätten keine Unterstützung gehabt. Ihre Mutter sei gestorben. Ihr Vater sei bereits gestorben, als sie zwei Jahre alt gewesen sei. Sie sei wegen ihrer Tätigkeit für die Roma-Organisation im ganzen Land bekannt gewesen. Die Roma-Organisation arbeite mittlerweile mit der Polizei bzw. mit dem Land zusammen. Die Leute würden sich fragen, warum sie dort nicht mehr mitarbeite, wo doch nun alles in Ordnung sei. Die Leute würden ihre Tätigkeit hinterfragen und denken, dass sie heimlich etwas unternehme. Die Leute würden denken, sie würde etwas anderes machen. Diesen Ausführungen, insbesondere der Behauptung der Klägerin, sie sei im ganzen Land bekannt, tritt die Beklagte nicht entgegen.

Die Beklagte war folglich unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. September 2013 zu verpflichten, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen und der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylVfG zuzuerkennen.

Bei dieser Sachlage bedurfte es keiner Entscheidung über die von der Klägerin gestellten Hilfsanträge.