Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 02.03.2015, Az.: 2 Ws 16/15

Rechtsgrundlage für die Erledigterklärung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach Therapieende; Kein Eintritt der Führungsaufsicht nach Erledigterklärung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
02.03.2015
Aktenzeichen
2 Ws 16/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 23241
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:0302.2WS16.15.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 23.01.2015

Fundstelle

  • StV 2017, 47-48

Amtlicher Leitsatz

Rechtsgrundlage für die Erledigungserklärung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB nach erfolgreichem Therapieabschluss ist die Vorschrift des § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB in analoger Anwendung.

Nach einer solchen Erledigterklärung tritt keine Führungsaufsicht ein.

Trotz Erledigterklärung kann gem. § 67 Abs. 5 Satz 2 StGB der Vollzug der Strafe angeordnet werden, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Die Verlegung in den Strafvollzug ist vor allem dann sachdienlich und angezeigt, wenn neben der Unterbringung nach § 64 StGB eine mehrjährige Freiheitsstrafe verhängt worden und nach Erreichung des Zwecks der Maßregel noch ein Großteil zu vollstrecken ist.

Tenor:

1.) Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 23.01.2015 insoweit aufgehoben, als dass die Reststrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist (Ziffer 2.).

Insoweit wird die Sache zur gemeinsamen Entscheidung über die Restfreiheitsstrafe aus dem vorliegenden Verfahren und die Restfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Wennigsen vom 22.08.2007 (Az.: 3533 Js 46134/07 StA Hannover), des Amtsgerichts Hannover vom 26.03.2009 (Az.: 2333 Js 86424/08 StA Hannover), des Amtsgerichts Wennigsen vom 17.06.2009 (Az.: 3121 Js 80000/07 StA Hannover) und des Amtsgerichts Gifhorn vom 04.10.2011 (Az.: 9 Js 34779/09 StA Hildesheim) und die Kosten der sofortigen Beschwerde an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde verworfen.

2.) Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 23.01.2015, soweit er die Anordnung der Führungsaufsicht und diesbezügliche Folgeentscheidungen betrifft (Ziffern 3.) bis 7.)), aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten werden der Landeskasse auferlegt, § 473 Abs. 3 StPO analog.

3.) Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 14.06.2011 wegen Diebstahls, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Daneben wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB angeordnet.

Seit dem 27.02.2012 befand er sich auf dieser Grundlage in der Psychiatrischen Klinik L. Am 30.01.2015 wurde der Verurteilte in die Justizvollzugsanstalt U., Abteilung Lü., verlegt. Seit dem 05.02.2015 befindet er sich in der Justizvollzugsanstalt W.

Mit Beschluss vom 23.01.2015 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg nach Anhörung des Verurteilten folgendes angeordnet:

"1. Die mit Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 11.05.2011 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wird für erledigt erklärt und ist nicht weiter zu vollziehen.

2. Die Reststrafe wird nicht zur Bewährung ausgesetzt. Der Verurteilte ist zur Vollstreckung der im genannten Urteil festgesetzten Freiheitsstrafe in den Strafvollzug zu überführen.

3. Mit der Entlassung des Verurteilten aus dem Maßregelvollzug tritt Führungsaufsicht ein.

4. Die Dauer der Führungsaufsicht wird auf 3 Jahre festgesetzt.

5. Für die Dauer der Führungsaufsicht wird der Verurteilte der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnort zuständigen Bewährungshelfers unterstellt.

6. Der Verurteilte wird angewiesen, während der Führungsaufsicht jeden Wechsel des Wohnorts der Führungsaufsichtsstelle und der Strafvollstreckungskammer unter Angabe des Aktenzeichens sofort unaufgefordert mitzuteilen.

7. Die Belehrung über die Bedeutung der Führungsaufsicht wird dem Leiter der Psychiatrischen Klinik L. übertragen."

Hiergegen richtet sich das als sofortige Beschwerde und einfache Beschwerde auszulegende Rechtsmittel des Verurteilten vom 02.02.2015.

Aus der gutachterlichen Stellungnahme der Psychiatrischen Klinik L. vom 14.11.2014 sowie aus dem Vollstreckungsblatt der Justizvollzugsanstalt W. vom 07.02.2012 (Bl. 83 ff. Bd. I VH) ergibt sich, dass noch Restfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Wennigsen vom 22.08.2007 (Az.: 3533 Js 46134/07 StA Hannover, Reststrafe: 244 Tage), des Amtsgerichts Hannover vom 26.03.2009 (Az.: 2333 Js 86424/08 StA Hannover, Reststrafe: 394 Tage), des Amtsgerichts Wennigsen vom 17.06.2009 (Az.: 3121 Js 80000/07 StA Hannover, Reststrafe: 1 Jahr und 10 Monate) und des Amtsgerichts Gifhorn vom 04.10.2011 (Az.: 9 Js 34779/09 StA Hildesheim, 762 Tage nach nachträglicher Gesamtstrafenbildung) gegen den Verurteilten zu vollstrecken sind.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist gehört worden.

II.

Im Hinblick auf die Ziffern 1.) und 2.) der angefochtenen Entscheidung ist die sofortige Beschwerde das statthafte und zulässige Rechtsmittel, §§ 463 Abs. 6 Satz 1, 462 Abs. 3 Satz 1, 454 Absatz 3 Satz 1, 311 Abs. 2 StPO.

Hinsichtlich der weiteren angefochtenen Entscheidungen ist die (einfache) Beschwerde statthaft und zulässig, §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 1, 300 StPO.

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten hatte hinsichtlich der abgelehnten Reststrafenaussetzung - zumindest vorläufig - Erfolg, so dass der angefochtene Beschluss teilweise aufzuheben und die Sache im tenorierten Umfang zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen war.

Auf die (einfache) Beschwerde des Verurteilten waren die Anordnung der Führungsaufsicht sowie die darauf gegründeten weiteren Entscheidungen, Ziffern 3.) bis 7.) des angefochtenen Beschlusses, aufzuheben.

1.) Aus den zutreffenden Gründen des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 23.01.2015 ist die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt entsprechend § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB für erledigt erklärt worden.

Die Strafvollstreckungskammer hat ausführlich, widerspruchsfrei und nachvollziehbar dargelegt, dass im Maßregelvollzug die therapeutischen Ziele erreicht und die Suchtmittelbehandlung des Probanden erfolgreich abgeschlossen worden sei. Der Verurteilte erscheine ausreichend stabilisiert, dauerhaft abstinent und weitere therapeutische Ansätze seien nicht zu erkennen.

Ist nach alledem das Therapieziel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB erreicht, ist die Maßregel für erledigt zu erklären, weil alleiniger Zweck der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die Suchtbehandlung ist, nicht die Bearbeitung der bei dem Verurteilten weiter vorliegenden Persönlichkeitsauffälligkeiten von psychiatrischen Krankheitswert.

Rechtsgrundlage für die Erledigungserklärung ist bei erfolgreichem Therapieabschluss die Vorschrift des § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB in analoger Anwendung (vgl. nur OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.01.2005, Az.: 2 Ws 6/05 m.w.N.), so dass - auch unter Berücksichtigung der Begründung des Rechtsmittels - gegen die insoweit zutreffende und rechtsfehlerfreie Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nichts zu erinnern ist.

Zwar ist § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB seinem Wortlaut nach nicht anwendbar, weil die gegen den Verurteilten verhängte Strafe nicht vorab vollstreckt worden ist. Jedoch lässt sich der Grundgedanke des § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB, dass sich der Maßregelvollzug erübrigt, wenn der Maßregelzweck bereits im Strafvollzug erreicht worden ist, auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen, in welcher der Maßregelzweck bereits während einer lang dauernden Unterbringung im Maßregelvollzug erreicht worden ist.

2.) Nach einer solchen Erledigterklärung analog § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB tritt jedoch keine Führungsaufsicht ein (vgl. OLG München, Beschluss vom 11.01.2013, Az.: 1 Ws 1109/12; Pollähne, R & P 2006, 44), so dass der angefochtene Beschluss insoweit (Ziffern 3.) bis 7.)) aufzuheben war.

Für die Anordnung des Eintritts von Führungsaufsicht besteht auch keine Notwendigkeit, nachdem der Verurteilte seit 3 Jahren drogenfrei lebt und ausweislich der Stellungnahme des Psychiatrischen Klinikums L. vom 14.11.2014 ein Rückfall in die Drogensucht auch nicht zu erwarten ist.

3.) Noch nicht entscheidungsreif war die Sache hinsichtlich der mit der Erledigungserklärung der Unterbringung verbundenen Folgeentscheidung einer etwaigen Reststrafenaussetzung zur Bewährung.

Insoweit musste die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen werden.

Zwar hat die Strafvollstreckungskammer in dem angefochtenen Beschluss vom 23.01.2015 die Aussetzung des nach Anrechnung des Aufenthaltes in der Unterbringung verbleibenden Strafrestes aus dem Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 14.06.2011 nach §§ 67 Abs. 5 i.V.m. 57 Abs. 1 StGB abgelehnt, da dem Untergebrachten eine günstige Prognose nicht gestellt werden könne. Doch hätte sie gleichzeitig über die noch zu vollstreckenden Strafreste aus den Urteilen des Amtsgerichts Wennigsen vom 22.08.2007 (Az.: 3533 Js 46134/07 StA Hannover, Reststrafe: 244 Tage), des Amtsgerichts Hannover vom 26.03.2009 (Az.: 2333 Js 86424/08 StA Hannover, Reststrafe: 394 Tage), des Amtsgerichts Wennigsen vom 17.06.2009 (Az.: 3121 Js 80000/07 StA Hannover, Reststrafe: 1 Jahr und 10 Monate) und des Amtsgerichts Gifhorn vom 04.10.2011 (Az.: 9 Js 34779/09 StA Hildesheim, 762 Tage nach nachträglicher Gesamtstrafenbildung) entscheiden müssen.

Denn die Vorschrift des § 454 b StPO gilt auch, wenn Verurteilungen zu Freiheitsstrafen mit solchen zusammentreffen, bei denen neben der Strafe eine freiheitsentziehende Maßregel der Sicherung und Besserung verhängt worden war (OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 124 f. [OLG Hamm 04.04.1996 - 1 Ws 84/96][OLG Hamm 04.04.1996 - 1 Ws 84/96]). Diese Vorschrift sieht in Abs. 3 aber zwingend die gemeinsame Entscheidung über alle noch zur Vollstreckung anstehenden Strafreste vor, denn die Prognose im Sinne des § 57 Abs. 1 StGB kann nur einheitlich getroffen werden (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.01.2005, Az.: 2 Ws 6/05 m.w.N.).

Der Senat hat den angefochtenen Beschluss deshalb hinsichtlich dieser Entscheidung aufgehoben, die Sache insoweit aber zur weiteren Veranlassung an die sachnähere Strafvollstreckungskammer zurückgegeben, der - möglicherweise nach ergänzender sachverständiger Beratung - nach Anhörung der Beteiligten (§ 454 Abs. 2 Satz 3 StPO) die Entscheidung über die - einheitliche - Reststrafenaussetzung obliegt.

Insoweit muss die Entscheidung zurückgestellt werden, bis über die Aussetzung der Vollstreckung der Reste aller noch offenen Reststrafen gleichzeitig entschieden werden kann.

4.) Die bereits zum 30.01.2015 erfolgte Überstellung des Verurteilten in den Strafvollzug ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Gemäß § 67 Abs. 5 Satz 2 StGB kann das Gericht den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Die Verlegung in den Strafvollzug ist vor allem dann sachdienlich und angezeigt, wenn neben der Unterbringung nach § 64 StGB eine mehrjährige Freiheitsstrafe verhängt worden und nach Erreichung des Zwecks der Maßregel noch ein Großteil zu vollstrecken ist (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 25.09.2000, Az.: 5 Ws 538/00).

Angesichts der aufgezeigten noch erheblichen zu vollstreckenden Reststrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Wennigsen vom 22.08.2007 (Az.: 3533 Js 46134/07 StA Hannover, Reststrafe: 244 Tage), des Amtsgerichts Hannover vom 26.03.2009 (Az.: 2333 Js 86424/08 StA Hannover, Reststrafe: 394 Tage), des Amtsgerichts Wennigsen vom 17.06.2009 (Az.: 3121 Js 80000/07 StA Hannover, Reststrafe: 1 Jahr und 10 Monate) und des Amtsgerichts Gifhorn vom 04.10.2011 (Az.: 9 Js 34779/09 StA Hildesheim, 762 Tage nach nachträglicher Gesamtstrafenbildung) erscheint die vollzogene Verlegung des Verurteilten in den Strafvollzug vorliegend als sachdienlich und angezeigt.