Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 27.03.2015, Az.: 31 Ss 9/15

Fehlende Strafbarkeit der Bezeichnung eines Richters als "Lügner" oder "Krimineller" je nach Kontext der getätigten Äußerungen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
27.03.2015
Aktenzeichen
31 Ss 9/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 14680
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:0327.31SS9.15.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Bückeburg

Fundstellen

  • FamRZ 2015, 2006
  • StV 2015, 566-570
  • StraFo 2015, 293-297
  • ZAP EN-Nr. 460/2015
  • ZAP 2015, 524

Amtlicher Leitsatz

Die Bezeichnung eines Richters als "Lügner" und "Krimineller" im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde stellt keine strafbare Beleidigung dar, wenn die Äußerung sich als Schlussfolgerung sachlich vorgetragener Umstände darstellt, aus Sicht des Handelnden im "Kampf ums Recht" seinem Anliegen in der Sache dient und der Ehrenschutz des betroffenen Richters bei einer vorzunehmenden Gesamtabwägung hinter der Meinungsfreiheit des Äußerers zurücktreten muss.

Tenor:

Die Revision wird als unbegründet verworfen.

Die Landeskasse trägt die Kosten der Revision, einschließlich der insoweit dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Bückeburg - Strafrichter - hat den Angeklagten vom Vorwurf der Beleidigung aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Die dem Angeklagten vorgeworfene Handlung erfülle nicht den Tatbestand des § 185 StGB. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft.

1. Nach den getroffenen Feststellungen im angefochtenen Urteil führte der Angeklagte beim Sozialgericht H. einen Rechtsstreit gegen die Deutsche Rentenversicherung B.-H. Streitig war zwischen den Beteiligten, ob er seit dem 6. Februar 2002 bis zum 16. März 2005 als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig war. Das Sozialgericht H. wies die vom Angeklagten geführte Klage mit Urteil vom 21. Dezember 2010 ab. Auf die mündliche Verhandlung am 13. April 2011 vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-B. unter Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Landessozialgericht Dr. P. wurde die Berufung des Angeklagten zurückgewiesen. Eine Revision wurde nicht zugelassen.

Den Inhalt des Berufungsurteils hält der Angeklagte für falsch. Nach seiner Sicht betrage die der Entscheidung zugrunde gelegte Entfernung zwischen der Wohnung seiner Tochter Y. in B. E. zu seinem Haus nicht ca. 3 km, sondern vielmehr ca. 10 km. Zudem habe seine andere Tochter J. nie in B. E. gewohnt. Auch seien von ihm benannte Zeugen nicht vernommen worden.

Seitdem versucht der Angeklagte durch immer wieder neue Anträge, Eingaben und Strafanzeigen eine Änderung des für ihn nachteiligen Urteils zu erwirken. Diesbezüglich wandte er sich auch mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde an den Präsidenten des Landessozialgerichts. Die darauf ergangene Bescheidung, durch die der Angeklagte zugleich bescheidlos gestellt worden ist, erfolgte am 8. November 2013, wurde allerdings nicht durch den Präsidenten persönlich, sondern durch den Präsidialrichter Dr. R. verfasst.

Am 25. November 2013 versandte der Angeklagte an den Präsidenten des Landessozialgerichts Niedersachsen-B. ein Fax u.a. folgenden Inhalts:

"In der Sache u.a.= L 3133 249/2013

1) z Hd. Herrn Präsidenten H.!

2) Betrifft ihren Schriftsatz mit dem Ausstellungsdatum vom 8.11.2013

3) Aufgrund der Schwer der in meiner Sache ohne große Schwierigkeiten erkennbaren Rechtsverstöße hatte ich Herrn Präsidenten H. angeschrieben und nicht einen Herrn Dr. R.!

4) Ich erkenne somit das Schreiben durch Herrn Dr. R. nicht an und gebe das hiermit bekannt.

5) In der Sache mit Herrn Vorsitzenden Richter Dr. P. hat es schwere Verfahrensfehler durch diesen gegeben. Er hat die in der Akte befindlichen 7 Zeugenaussagen nicht zur Urteilsfindung mit herangezogen, er hat diese schlicht ignoriert und somit in der Verhandlung nicht vorgelesen.

6) In seinem Urteil besitzt er die Frechheit mich zu rügen diese Beweise nicht erbracht zu haben. Sein dienstliches Verhalten in an Boshaftigkeit kaum noch zu überbieten.

7) Er hat sich dadurch der Rechtsbeugung schuldig gemacht.

8) Hiergegen habe ich Klage erhoben. Er hat über die Zulässigkeit der Klage selber entschieden, was in der deutschen Rechtsgeschichte sehr ungewöhnlich ist.

9) Wenn jetzt ein Richter L. oder Dr. R. diese Sache auf seine Rechtmäßigkeit prüft und zu dem Ergebnis kommt, dass diese Sachen den deutschen Rechten entsprechen, ist dieses zum Schutze rechtsbeugenden Richter zu beanstanden, was ich mehrfach getan habe.

10) Ich sehe in diesen doch sehr fragwürdigen Vorgehensweisen ein sehr fragwürdiges Verhalten um u.a. Richter Dr. P. seinem gesetzlich bestimmten Richter zu entziehen.

11) Da sie sich erlauben mitzuteilen, dass weitere Eingaben zur Wahrung meiner Rechte von einem Dr. R. nicht mehr beschieden werden, um Kriminelle und Lügner wie der Dr. P. widerrechtlich zu schützen, muß ich hiermit meinen persönlichen Besuch zur Klärung bekannt geben.

12) Ich hoffe mich somit mündlich verständlicher mitteilen zu können.

13) Diesen Besuch können sie abwenden, indem sie mir das Gesetz mitteilen, dass von Herrn. Dr. P. sich in der Akte befindlichen 7 Zeugenaussagen nicht berücksichtig(t) werden müssen, dieser mich aber rügt diese Zeugenaussagen nicht erbracht zu haben.

14) Ferner, das dieser Ortsentfernungen beliebig verfälschen kann, ohne sich strafbar zu machen!

15) Ich verweise auf meine vorausgegangen, klaren Schriftsätzen in der Sache und wiederhole mich hier nicht, weil es nichts bringt.

(...)

28) Ich bitte somit von weiteren, fragwürdigen Entscheidungen abzusehen und bitte sich an den gültigen Gesetzen zu orientieren.

Mit freundlichen Grüßen!

H.-J. Z."

Diese Eingabe hat der Angeklagte den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zufolge mit Bedacht formuliert. Die von ihm als Unrecht empfundene Entscheidung bewegt ihn beständig und er sitzt oft die ganze Nacht an der Abfassung seiner Eingaben. In diesem Fall wollte er den Feststellungen zufolge mit der Bezeichnung als "Krimineller" und "Lügner" nur sachlich umschreiben, wie er die Mitwirkung Dr. P. am Urteil vom 13. April 2011 empfinde. Er hatte, so das Amtsgericht, nicht die Absicht, Dr. P. zu beleidigen.

Strafantrag wurde seitens des Präsidenten des Landessozialgerichts Niedersachsen-B. aufgrund der Bezeichnung des Vorsitzenden Richters am Landessozialgericht als "Krimineller" und "Lügner" am 10. Dezember 2013 gestellt.

2. Zur Beweiswürdigung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass der festgestellte Sachverhalt auf der Einlassung des Angeklagten und seinem Schreiben, dessen Inhalt verlesen wurde, soweit er in den Feststellungen dargelegt wurde, beruht.

3. Das Amtsgericht Bückeburg hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Zwar habe der Angeklagte Herrn Dr. P. als "Lügner" und "Kriminellen" bezeichnet, doch handele es sich bei dieser ausfälligen und überzogenen Kritik noch nicht um eine Schmähung. Hinzutreten müsse vielmehr, dass die Äußerung vordergründig der Diffamierung der Person und nicht einer Auseinandersetzung in der Sache diene. Als Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahren geführt, in dessen Rahmen der Angeklagte inhaltliche Fehler der sozialgerichtlichen Entscheidungen rügt, stehe die Äußerung im Kontext einer sachlichen Auseinandersetzung. Im sog. "Kampf um das Recht" seien auch drastische Äußerungen zur Verdeutlichung der eigenen Position erlaubt. Im Lichte der Meinungsfreiheit des Angeklagten sei zudem zu berücksichtigen, dass die Wortwahl noch relativ harmlos gewesen sei und der Kreis derjenigen, die das Schreiben lesen, überschaubar sei.

4. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend, dass die im Fax gewählte Betitelung als "Lügner" und "Kriminellen" den Richter am Landessozialgericht Dr. P. in seiner Ehre verletze. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sei die Grenze zur strafbaren Beleidigung überschritten, wenn die persönliche Diffamierung wie hier die sachliche Argumentation vollständig verdränge. So läge es hier.

II.

Die Revision ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Die zulässig erhobene Sachrüge deckt keinen durchgreifenden Rechtsfehler im angefochtenen Urteil auf. Das Amtsgericht ist frei von Rechtsfehlern zu dem Ergebnis gelangt, dass das festgestellte Verhalten des Angeklagten nicht den Tatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB erfüllt.

1. Das tatbestandsmäßige Verhalten des § 185 StGB wird als "Beleidigung" beschrieben, ohne diesen Begriff näher zu erläutern. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH liegt eine solche bei einem Angriff auf die Ehre einer Person durch Kundgabe von Missachtung vor (BGHSt 1, 289; 11, 67; 16, 63; 36, 148). Diese kann den ethischen Wert einer Person betreffen, den diese nach außen infolge ihrer Verhalten hat, oder den sozialen Wert, den sie wegen ihrer Leistungen und Eigenschaften für die Erfüllung sozialer Sonderaufgaben hat, z.B. im Hinblick auf einen Beruf (vgl. Fischer, 62. Aufl., § 185 StGB, Rn.8). Hiernach beinhaltet die dem Angeklagten vorgeworfenen Äußerung eine durchaus ehrverletzende Komponente. Bereits auf der einfachen Sinn- und Deutungsebene tragen die Bezeichnungen als "Lügner" und "Krimineller" herabsetzenden Charakter. Schon im Allgemeinen trägt die Lüge in einer christlich-tradierten Gesellschaft einen unethischen Charakter (Falschzeugnisverbot im Dekalog des Alten Testaments). Darüber hinaus erfährt ein solcher Vorhalt der Unwahrheit für die Justiz, welche sich im Dienste der Gerechtigkeit der Wahrheit im Prinzipiellen verstärkt verpflichtet sieht, in qualifizierter Weise Bedeutung. "Kriminell" meint im allgemeinen Sprachgebrauch mehr als bloß "ungesetzlich" oder "rechtswidrig", sondern impliziert eine qualifizierte Unwertschaffung, für welche das Gesetz Strafe vorsieht. Auch dies ist geeignet, die bezeichnete Person in seiner Würde herabzusetzen.

2. Indessen verstößt nicht jede ehrherabsetzende Äußerung gegen § 185 StGB. Der Ehrenschutz des Opfers einer Beleidigung steht nämlich regelmäßig im Widerstreit mit der Äußerungsfreiheit des Täters, die ihrerseits einem besonderen Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG unterliegen kann. Zwar findet dieses Recht schon nach Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranke im Recht der persönlichen Ehre. Dies führt jedoch aufgrund der besonderen Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG für eine pluralistische Demokratie nicht dazu, dass per se jede ehrangreifende Äußerung der Strafandrohung der §§ 185 ff. StGB unterliegt. Vielmehr müssen beide Rechtspositionen bei der Anwendung des einfachen Rechts in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Dies erfolgt über eine Gesamtabwägung aller Umstände.

Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob die Äußerung eine Tatsachenbehauptung oder die Kundgabe eines Werturteils, einer Meinung, darstellt. Während bei Tatsachenbehauptungen die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund steht, sind Meinungen durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (BVerfG, NJW 1994, 1779 [BVerfG 13.04.1994 - 1 BvR 23/94]). Der Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 1 GG bezieht sich grundsätzlich auf letzteres. Tatsachenbehauptungen fallen unter Umständen gleichwohl darunter, wenn sie im Zusammenspiel die Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind, weil sich diese in der Regel auf tatsächliche Annahmen stützen oder zu tatsächlichen Verhältnissen Stellung beziehen (BVerfG aaO.; BGH NJW 1997, 2513 [BGH 25.03.1997 - VI ZR 102/96] [2514]). Für Tatsachenbehauptungen gilt, dass ihr Schutz dort endet, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können, so dass jedenfalls die bewusst oder erwiesen unwahren Tatsachenbehauptungen nicht vom Schutz der Meinungsfreiheit umfasst sind (BVerfG, NJW 1991, 2339 [BVerfG 12.04.1991 - 1 BvR 1088/88][BVerfG 12.04.1991 - 1 BvR 1088/88]; 1994, 1779). Bei bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen scheidet daher auch eine Berufung auf den Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB grundsätzlich aus.

Diese zunächst dem Tatrichter obliegende Einstufung unterliegt in rechtlicher Hinsicht uneingeschränkt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht, weil der sich Äußernde durch eine unzutreffende Beurteilung möglicherweise den Schutz des ihm zustehenden Grundrechts verlieren würde (vgl. BVerfG NJW 1991, 1529 [BVerfG 19.12.1990 - 1 BvR 389/90]; 1999, 2262 [2263]). Zugleich muss es dem Revisionsgericht auch aus Opferschutzgesichtspunkten ermöglicht sein, eine vom Tatgericht als Meinung verstandene Äußerung des Täters stattdessen als Tatsachenbehauptung zu bewerten. Ob eine Äußerung eine Tatsache oder ein Werturteil beinhaltet, bestimmt sich grundsätzlich nach der Nachprüfbarkeit ihrer zugrundeliegenden Wahrheitsbehauptung.

Vorliegend lässt sich zwar die Bezeichnung als "Lügner" auch als Behauptung über die Tatsache begreifen, das Opfer habe unwahres Geschehen wiedergegeben. Diese Aussage ließe sich nämlich einer Überprüfung auf die Wahrheit unterziehen. Eine solche Würdigung wäre jedoch undifferenziert. Da Meinungen und Werturteile in der Regel ohnehin auf einem Tatsachenkern aufbauen, lässt sich die Einordnung einer Aussage mittels einer definitorischen Abgrenzung kaum leisten. Insoweit kommt es maßgeblich auf den Kontext an, in dem die Äußerung zu sehen ist. Maßgebend ist danach, wie ein verständiger Dritter in der gegebenen Situation die Äußerung auffasst. Zwar nimmt auch hier die Aussage - mittelbar - ein konkretes Geschehen in Bezug. Geht es im Kern aber gar nicht um das Herausstellen bestimmter Tatsachen, sondern um die Schlussfolgerung aus ihnen, so überwiegt der Meinungscharakter. Die Ausrichtung am konkreten Kontext führt dann dazu, dass die immanenten Tatsachenbehauptungen nicht herausgefiltert und selbstständig beurteilt werden dürfen (vgl. BayObLG, NStZ-RR 2002, 40 [BGH 27.09.2001 - 1 StR 349/01]). Diese Herauslösung eines einzelnen Elements aus einer komplexen Äußerung und ihre vereinzelte Betrachtung wäre unzulässig, weil dies den Charakter der Äußerung verfälscht. Eine solche Schlussfolgerung steht hier im Vordergrund. Die vorgeworfenen Äußerungen sind nicht losgelöst, sondern im Zusammenhang mit Elementen einer Argumentationskette erfolgt, die in einem Unwerturteil über die Entscheidung des Landessozialgerichts vom 13. April 2011 münden. Diese Schlussfolgerung fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit.

3. Liegt damit eine dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallene Meinungsäußerung des Angeklagten vor, hat diese gegenüber dem Persönlichkeitsschutz des Opfers jedenfalls dann zurückzutreten, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde oder als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt (BVerfG NJW 1999, 2262 [BVerfG 16.10.1998 - 1 BvR 590/96] [2263]). Gleiches kann gelten, wenn Meinungsäußerungen mit Tatsachenbehauptungen verbunden und letztere erwiesen unwahr sind (BVerfG NJW 1994, 1779 [BVerfG 13.04.1994 - 1 BvR 23/94] [1780]). Beides ist vorliegend nicht der Fall.

Von einem Angriff auf die Menschenwürde des Richters in dem Sinn, dass ihm die personale Würde abgesprochen, er als unterwertiges Wesen beschrieben werden sollte (vgl. BVerfG, NJW 1987, 2261 [2262]), kann im Hinblick auf die Umstände der Äußerung, ihren Inhalt und ihr Argumentationsziel nicht die Rede sein. Ebenso verhält es sich im Ergebnis bei der Frage nach dem Vorliegen einer Formalbeleidigung, deren Kennzeichen es ist, dass sich die Kränkung bereits aus der Form der Äußerung ohne Rücksicht auf ihren Inhalt ergibt. Auch davon kann keine Rede sein; der Angriff auf den Richter ergibt sich aus dem Inhalt der dem Angeklagten vorgeworfenen Äußerung und nicht aus ihrer Form. Die Meinungsfreiheit müsste daher von vornherein nur gegenüber dem Ehrenschutz des Opfers zurücktreten, wenn es sich bei der dem Angeklagten vorgeworfenen Äußerung um Schmähkritik handeln würde. Dies ist jedoch im Ergebnis nicht der Fall. Sie wäre gegeben, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person und ihre Herabsetzung im Vordergrund stehen (BVerfGE 93, 266 (294); BVerfG NJW 1994, 2413 [BVerfG 24.09.1993 - 1 BvR 1491/89]. Hier war dabei im Wesentlichen zu berücksichtigen, dass die Äußerung in einem Zusammenhang mit der Verfolgung rechtlicher Positionen des Angeklagten erfolgt ist. Zwar war sein sozialgerichtliches Verfahren inzwischen abgeschlossen. Er hat aber im Rahmen eines Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahrens das Zustandekommen des Urteils und dessen inhaltliche Fehler geltend gemacht. Dies tat er mit dem erkennbaren Zweck einer Überprüfung und Rüge des Verhaltens des Opfers - in seiner Funktion als Richter - durch eine übergeordnete Stelle. Seine polemische und überspitzte Kritik hatte damit eine sachliche Auseinandersetzung zur Grundlage. Soweit das Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahren bereits abgeschlossen war, steht auch dies dieser Wertung nicht entgegen. Dem Kontext der Äußerungen in dem Schreiben vom 25. November 2013 ist zu entnehmen, dass sich der Angeklagte gegen das Ergebnis des Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahrens sowie seine Bescheidlosstellung zur Wehr setzen wollte und dabei auch vermeintliche Sachgründe z.B. zum Urheber des Bescheides vorgetragen hat, die aus seiner Sicht die Fortsetzung des Verfahrens rechtfertigten. Dass es dem Angeklagten allein oder vorrangig darum ging, das Opfer - in seiner Person - zu diffamieren, ist nicht ersichtlich.

4. Handelt es sich hiernach um eine Meinungsäußerung, die die vorgenannten Grenzen nicht verletzt, ist eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz geboten, deren Ergebnis verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist, bei der jedoch alle wesentlichen Umstände des Falls zu berücksichtigen sind und bei der es auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter ankommt (BVerfG NJW 1996, 1529 [BVerfG 13.02.1996 - 1 BvR 262/91]; 1999, 2262 [2263]). Dabei gilt zuvorderst die Feststellung, dass keinem Rechtsgut der abstrakte Vorrang gebührt. Die Verfassung schützt sowohl die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs.1 GG) als auch die Integrität der persönlichen Ehre (als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 GG). Das Prinzip praktischer Konkordanz sieht in solchen Kollisionsfällen vor, dass ein möglichst schonender Ausgleich zu größtmöglicher Erhaltung der konkurrierenden Interessen führen soll. In diesem Zusammenhang postuliert das BVerfG eine Vermutung zugunsten der Meinungsfreiheit in seiner konstitutiven Bedeutung für einen freiheitlich-demokratischen Prozess, soweit Meinungsäußerungen Beiträge zum geistigen Meinungskampf in einer der Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage darstellen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational, scharf oder verletzend formuliert ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingestuft wird (BVerfG NJW 1994, 1779 [BVerfG 13.04.1994 - 1 BvR 23/94]). Ob es eine "Privilegierung des Politischen" von Verfassung wegen gibt, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Der Verfahrensgegenstand betrifft jedenfalls keine solche Konstellation mit politischer Auseinandersetzung. Unabhängig davon gilt stets auch die Pflicht des Bürgers zur Rücksicht auf die Persönlichkeit anderer. Für die eigentliche Abwägung sind sodann das Ausmaß der Betroffenheit, die Motive und Zwecke sowie die Plumpheit und Aggressivität der Äußerung zu berücksichtigen (vgl. LK-Hilgendorf, 12. Aufl., § 193 StGB Rn. 6).

Die vom Senat nach diesen Kriterien vorgenommene Abwägung führt vorliegend zur Annahme eines berechtigten Interesses im Sinne des § 193 StGB und zum Vorrang der Meinungsfreiheit.

Auch insoweit war auf der einen Seite maßgeblich, dass der Angeklagte die Äußerung im Zusammenhang mit einem gerichtlichen Verfahren abgegeben hat. Im "Kampf um das Recht" darf ein Verfahrensbeteiligter nämlich auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seine Kritik anders hätte formulieren können (BVerfG StV 1991, 458). Dabei war vorliegend unerheblich, dass die inhaltliche Auseinandersetzung in der Rechtssache in formalisierter Form von Statten gegangen ist und es an einer situativen Komponente fehlt, da nach den Feststellungen des Amtsgerichts die Eingabe, wenn auch mit obsessiven Zügen, "mit Bedacht formuliert" worden ist. Der Kampf um das Recht setzt jedoch nicht voraus, dass nur solche Äußerungen einen Vorrang der Meinungsfreiheit zur Folge haben, die einem regelrechten Schlagabtausch folgen.

Stellt man auf das vom Angeklagten vor dem Landessozialgericht verfolgte Rechtsbegehren ab, wäre allerdings zu berücksichtigen, dass sein Anliegen dort keiner personalisierenden Kritik bedurfte. Zwar steht eine Entscheidung immer im Zusammenhang mit den handelnden Personen. Auf der anderen Seite ist - insbesondere - ein Kollegialgericht von den handelnden Personen unabhängig zu verstehen. Es entscheidet das Gericht durch die Richter, nicht treffen die Richter eine persönliche Entscheidung, deren Bestand vom Fortbestand oder Ausscheiden der Person abhängig wäre. Strukturell ist also die Auseinandersetzung nicht notwendig persönlich zu führen.

Personalisierung als Mittel zur Erregung von Aufmerksamkeit ist im situativen Kontext jedoch zu gestatten, wenn andernfalls kein Gehör zu finden wäre. Insoweit darf vorliegend nicht übersehen werden, dass das sozialgerichtliche Verfahren des Angeklagten bereits rechtskräftig abgeschlossen war. Sein eigentliches Ziel der Freistellung von der Versicherungspflicht konnte er auf herkömmlichem Wege - also im Instanzenzug - nicht mehr erreichen. Aus seiner Sicht folgerichtig musste er daher über die Schiene der Dienstaufsicht versuchen, die übergeordnete Behörde zu einem Vorgehen zu bewegen, um auf diese Weise das seiner Ansicht nach durch das Opfer unrechtmäßig ergangene Urteil jedenfalls mittelbar wieder rückgängig zu machen. Dass der Angeklagte das sozialgerichtliche Verfahren noch nicht für endgültig abgeschlossen erachtet hat, ergibt sich nicht zuletzt aus Ziff. 8 des Schreibens vom 25. November 2013, wo der Angeklagte erklärt hat, Klage gegen das Urteil des Landessozialgerichts erhoben zu haben, deren Zurückweisung durch denselben Richter er gleichsam als unrechtmäßig empfunden hat. Aus Sicht des Angeklagten war somit der Kampf um sein Recht noch nicht abgeschlossen. Insoweit spielt es für die vorzunehmende Abwägung auch keine Rolle, dass sich aus Art. 17 GG lediglich ein Recht darauf ergibt, dass das Ersuchen von den zuständigen Behörden zur Kenntnis genommen und das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt wird. Zwar darf nicht jedes beliebige Interesse mit den schärfsten Waffen vor der Rechtsordnung durchgesetzt werden. Vielmehr verschiebt sich notwendigerweise mit dem Verfahrensgegenstand auch die Beurteilung der Zweck-Mittel-Relation. Gleichwohl ist angesichts des vom Angeklagten erhobenen Vorwurfs nicht zu beanstanden, dass er den Weg der Dienstaufsichtsbeschwerde - und nicht einer nur die Sache betreffenden Aufsichtsbeschwerde - gewählt hat. Eine solche Dienstaufsichtsbeschwerde richtet sich jedoch von vornherein gegen das persönliche Verhalten einer Person und knüpft somit an personalisierende Umstände an. Gerade auf dieser Ebene steht das persönliche Verhalten der angegriffenen Person im Vordergrund. Damit stellt die Vorgehensweise des Angeklagten, die Entscheidung einer übergeordneten Instanz herbeizuführen, ein legitimes Mittel dar, welches ebenfalls - wenn auch nur im weiteren Sinne - aus Sicht des Angeklagten dem Kampf ums Recht diente und insoweit ein geeignetes Forum darstellte, um Sachargumenten mit eindringlichen und kritischen Formulierungen, die sich auch gegen die handelnde Person richten können, Nachdruck zu verleihen (vgl. KG, StV 1997, 485).

Zu berücksichtigen war weiter, dass der Angeklagte in diesem Verfahren persönlich betroffen war. Die gegen den Richter erhobenen Vorwürfe scheinen aus seiner Sicht auch nicht völlig aus der Luft gegriffen worden zu sein, wenn er behauptet, ihm sei vorgeworfen worden, Beweise nicht erbracht zu haben, obwohl sich diese aus dem Inhalt der sozialgerichtlichen Akte ergeben hätten. Die hierzu führenden ggf. bestehenden verfahrensrechtlichen Besonderheiten dürften dem Angeklagten jedenfalls nicht bewusst gewesen sein, so dass aufgrund seiner Empörung aus seiner subjektiven Sicht und aus seiner Betroffenheit eine scharfe Reaktion nicht ganz unverständlich erscheint.

Auf der anderen Seite muss zugunsten des Ehrenschutzes berücksichtigt werden, dass der ausdrückliche Vorwurf, als Richter in einer Entscheidungsfindung gelogen und sich durch Rechtsbeugung kriminell verhalten zu haben, einen schwere, nicht akzeptable Kränkung bedeutet (BayObLG, NStZ-RR 2002, 40 [BGH 27.09.2001 - 1 StR 349/01]). Insoweit trifft die Auffassung des Amtsgerichts im angefochtenen Urteil, es handele sich um eine "relativ harmlose" Äußerung, so nicht zu. Hierauf kommt es aber auch nicht an, da eine Relation der Rechtsgüter nicht über Alternativäußerungen angestellt werden kann. Für ein sachliches Anliegen dürfte nämlich stets auch eine nicht ehrverletzende Äußerung möglich sein. Auch der nur kleine Adressatenkreis berührt die Strafbarkeit als solche nicht.

Gleichwohl muss jedenfalls in Fällen wie hier, in denen der Vorwurf nicht selbständig im Raum steht, vielmehr lediglich Teil einer (komplexen) Meinungsäußerung ist, die der Durchsetzung legitimer prozessualer Rechte dient und jedenfalls aus der Sicht des Äußernden auch nicht völlig aus der Luft gegriffen ist und daher nicht die Qualität eines Wertungsexzesses erreicht oder sonst missbräuchlich erscheint, der Meinungsfreiheit der Vorzug gegeben werden. Bei der Abwägung muss nicht zuletzt ins Gewicht fallen, dass an einer objektiven, ausschließlich Gesetz und Recht folgenden Rechtsprechung ein überragendes öffentliches Interesse besteht; ein Beteiligter muss und darf daher - sofern nur die aufgezeigten Grenzen eingehalten werden - Kritik üben und angebliches oder tatsächliches Fehlverhalten aufzeigen dürfen, ohne sogleich befürchten zu müssen, Strafverfolgung ausgesetzt zu sein (vgl. BayObLG aaO.; KG StV 1997, 485 [486]). Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass die Entscheidungen eines Richters für die Betroffenen häufig überaus schmerzhaft und einschneidend sind und daher zu Reaktionen führen können, die sich - trotz gegenteiliger oder auch nur missverständlicher oder ungeschickter Formulierung - letzten Endes gar nicht gegen seine Person und seine Ehre, sondern vielmehr gegen die getroffene Entscheidung selbst und die Rechtslage als solche richten. Kaum einem Richter wird es im Lauf seines Berufslebens erspart bleiben, sich unberechtigten und haltlosen, ja maßlosen Vorwürfen ausgesetzt zu sehen. Dies gilt es als systemimmanent auszuhalten, solange das Ansehen eines Richters oder sein Persönlichkeitsrecht keinen Schaden nimmt. Andernfalls bestünde die Gefahr einer Einschüchterungswirkung. Der Vorrang der freien Meinungsentfaltung soll einen Regelmechanismus unterbinden, nämlich dass jene, die etwas bewirken könnten, sich dazu veranlasst sehen könnten, aus Angst vor Strafe im Zweifel nichts zu sagen. Eine solche Einschüchterungswirkung im Vorfeld kann für eine demokratische Gemeinschaft zu schädlichen, diskurslähmenden Folgen führen. Dies gilt insbesondere auf dem Feld der Justiz, bei der zusätzlich die Gefahr einer Voreingenommenheit entstehen könnte, der entgegen gewirkt werden muss. Dies rechtfertigt es schließlich, eine Standhaftigkeit von Richtern in der Form einzufordern, die beinhaltet, dass auch heftigen Unmutsäußerungen gegenüber von den Betroffenen erlebten Fehlentscheidungen zu tolerieren sind.

Der Senat erlaubt sich abschließend und vorsorglich aber den klarstellenden Hinweis, dass die auf diesen Erwägungen beruhende Bestätigung des Freispruchs allein auf der konkreten Situation im vorliegenden Verfahren und den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen im Einzelfall beruht und dies nicht bedeutet, dass ein bzw. der hier betroffene Richter sonst straflos als Lügner oder Krimineller bezeichnet werden darf.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.