Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 24.02.2023, Az.: 5 A 3224/21

abgeleitetes Aufenthaltsrecht; Aufenthaltserlaubnis; Aufenthaltserlaubnis eines Ehegatten; eigenständiges Aufenthaltsrecht; Familienangehöriger einer Unionsbürgerin; Freizügigkeitsberechtigung (FreizügG/EU); Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 31 AufenthG

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
24.02.2023
Aktenzeichen
5 A 3224/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 13178
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:0224.5A3224.21.00

Amtlicher Leitsatz

Die Aufenthaltskarte als Familienangehöriger eines Ehegatten nach dem FreizügG/EU ist als Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen im Sinne von § 31 AufenthG anzusehen (VG Berlin, Urteil vom 28.6.2022 - 21 K 90/22; a. A. OVG Bautzen, Beschluss vom 11.10.2021 - 3 B 275/21 -). Ein Antrag auf "Verlängerung" muss aber zumindest im zeitlichen Zusammenhang mit dem Wegfall des Freizügigkeitsrechts gestellt werden. Zudem muss die eheliche Lebensgemeinschaft für mindestens drei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden haben. Dafür muss sich die Unionsbürgerin drei Jahre lang tatsächlich im Bundesgebiet aufgehalten haben.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts und begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG.

Der Kläger ist indischer Staatsangehöriger, geboren am 18. April 1981. Er schloss am E. 2012 in der Republik Zypern mit der bulgarischen Staatsangehörigen F. G. die Ehe. Am 25. August 2013 reisten sie gemeinsam in das Bundesgebiet ein und nahmen eine Wohnung in H. bei einem Verwandten, I. J..

Am 24. September 2013 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltskarte für freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige von Unionsbürgern. Er legte u. a. einen Mietvertrag, eine Verdienstabrechnung und die Meldebescheinigung zur Sozialversicherung für die Ehefrau vor, wonach diese am 1. September 2013 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei Herrn K. J., der ein Restaurant in H. führte, aufgenommen habe. Daraufhin wurde ihm am 14. Oktober 2013 erstmalig eine bis zum 2. September 2018 befristete Aufenthaltskarte für freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige von Unionsbürgern gem. § 5 Abs. 1 FreizügG/EU ausgestellt. Der Kläger ist - soweit ersichtlich - seit 2013 durchgehend, meist sozialversicherungspflichtig, beschäftigt. Im Verwaltungsvorgang findet sich für die Ehefrau noch eine weitere Gehaltsabrechnung vom 15. Dezember 2014, aus der sich schließen lässt, dass sie in Stuttgart zwischen dem 26. September 2014 und dem 31. Dezember 2014 gearbeitet hat. Aus dem Versicherungsverlauf der Ehefrau vom 2. Oktober 2020 ergibt sich, dass diese zwischen dem 26. September 2014 und dem 31. Mai 2015 sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Seit dem 15. Dezember 2016 ist sie nach unbekannt verzogen gemeldet.

Am 20. März 2017 reichte der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau in Bulgarien einen Scheidungsantrag ein. Die Ehe wurde am 12. April 2017 geschieden. Die Aufenthaltskarte wurde dem Kläger am 27. August 2018 bis zum 25. Februar 2023, dem Ablaufdatum des vorhandenen Reisepasses, verlängert. Die seinerzeit zuständige Ausländerbehörde hörte den Kläger währenddessen wegen der beabsichtigten Verlustfeststellung an. Der Kläger trug über seinen Rechtsanwalt vor, dass er mit der Ehefrau drei Jahre zusammengelebt habe. Sie sei 2019 verstorben.

Am L. 2019 schloss der Kläger in der Republik Indien die Ehe mit einer indischen Staatsangehörigen. Das Familiennachzugsverfahren ist noch anhängig und das gerichtliche Verfahren ausgesetzt (VG Berlin, Az. M.). Der Kläger reiste anschließend in das Bundesgebiet wieder ein und zog am 8. Juni 2020 in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Er reichte bei der Beklagten weitere Unterlagen, insbesondere zu seiner Erwerbstätigkeit, ein.

Nach erneuter Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 29. März 2021 den Verlust des Freizügigkeitsrechts gem. § 5 Abs. 4 FreizügG/EU fest und drohte dem Kläger die Abschiebung an. Der Kläger sei während des gemeinsamen Aufenthalts und der Erwerbstätigkeit der Ehefrau zwar freizügigkeitsberechtigt. Mit der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft und der Ausreise der Ehefrau sei das abgeleitete Freizügigkeitsrecht des drittstaatsangehörigen Ehegatten gem. § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU aber erloschen. Das Freizügigkeitsrecht bestehe auch nicht gem. § 3 Abs. 4 Nr. 1 FreizügG/EU fort, da die Ehefrau zunächst ausgereist sei und anschließend das gerichtliche Scheidungsverfahren im Heimatland eingeleitet habe. Auch § 3 Abs. 2 FreizügG/EU sei nicht erfüllt, da die Ehefrau erst 2019 im Heimatland gestorben sei. Auch ein Daueraufenthaltsrecht i. S. v. § 4a FreizügG/EU sei angesichts der Aufenthaltsdauer der Ehefrau nicht entstanden. Im Rahmen des Ermessens überwiege das öffentliche Interesse an der Verlustfeststellung. Spätestens seit dem 15. Dezember 2016 bestehe kein rechtmäßiger Aufenthalt. Schützenswerte persönliche Bindungen beständen nicht. Art. 8 EMRK stehe nicht entgegen. Gem. § 11 Abs. 14 Satz 2 FreizügG/EU sei das Aufenthaltsgesetz anwendbar, allerdings seien die Voraussetzungen des § 19c Abs. 1 AufenthG nicht erfüllt, da es sich um keine zustimmungsfähige Beschäftigung nach der Beschäftigungsverordnung handele. Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG komme nicht in Betracht. Auch die Aufenthaltskarte sei lediglich deklaratorischer Natur. Die Voraussetzungen für die Verlängerung hätten 2018 schon nicht mehr vorgelegen.

Der Kläger hat am 12. April 2021 Klage erhoben und führt zur Begründung aus:

Er habe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht sowie ein Daueraufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU erworben. Zudem habe er gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ein Aufenthaltsrecht, da die Ehe über drei Jahre bestanden habe. Die Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts sei nicht davon abhängig, dass die Ehefrau während der gesamten Zeit einer eigenen Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, solange der Lebensunterhalt durch sein Erwerbseinkommen sichergestellt worden sei. Er sei vorbildlich integriert. Die Aufenthaltskarte sei daher in eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 31 Abs. 1 AufenthG umzuwandeln.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Kläger einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 31 AufenthG gestellt, den die Beklagte abgelehnt hat.

Der Kläger beantragt nunmehr,

den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2021, zugestellt am 30. März 2021, aufzuheben sowie dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid und vertieft den Vortrag zu § 3 Abs. 4 FreizügG/EU. Hinsichtlich des Vortrags zu § 31 AufenthG ergänzt die Beklagte, dass die Voraussetzungen des § 31 AufenthG nicht nachgewiesen seien. Die Ehefrau habe nach der gemeinsamen Einreise an 21. Mai 2013 nur bis zum 31. Mai 2015 gearbeitet, sodass nur von einer zweijährigen rechtmäßigen Ehebestandszeit auszugehen sei. Zudem sei nicht bekannt, ob die Ehegatten durchgehend im Bundesgebiet zusammengelebt hätten. Der drei Monate nach Ausreise gestellt Scheidungsantrag spreche dagegen, dass die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet bis zum 15. Dezember 2016 geführt worden sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass von dem Erfordernis eines dreijährigen rechtmäßigen Bestands der ehelichen Lebensgemeinschaft nach § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG abgesehen werden könnte. Anhaltspunkte für eine besondere Härte seien nicht ersichtlich. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG scheide aus, da die Ehefrau erst 2019 in Bulgarien verstorben sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Sie alle waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 29. März 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die dagegen erhobene zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet (1.). Zudem hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 31 AufenthG, sodass die insoweit zulässige Verpflichtungsklage ebenfalls unbegründet ist, § 113 Abs. 5 VwGO (2.).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn. 11; BVerwG, Urteil vom 22.2.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, juris Rn. 18; Urteil vom 10.7.2012 - BVerwG 1 C 19.11 -, juris Rn. 12).

1. Rechtsgrundlage für die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet ist § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind oder nicht vorliegen. Das ist hier der Fall.

Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, weil er nicht im Sinne von § 2 Abs. 2 FreizügG/EU unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt ist. Der Kläger könnte als Familienangehöriger einer Unionsbürgerin i. S. v. § 1 Abs. 2 FreizügG/EU nur unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 6 i. V. m. §§ 3, 4 FreizügG/EU ein Freizügigkeitsrecht erworben haben. Die Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor.

Das abgeleitete Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Ehegatten eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hängt zwar nicht vom Fortbestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft ab. Für ein Begleiten im Sinne des § 3 Abs. 1 FreizügG/EU ist aber ein gleichzeitiger Aufenthalt der Eheleute im Aufnahmemitgliedstaat erforderlich (BVerwG, Urteil vom 28.3.2019 - 1 C 9/18 -, juris; EuGH, Urteil vom 16.7.2015 - C-218/14 -, juris). Mit der Ausreise der Unionsbürgerin ist das abgeleitete Aufenthaltsrecht des Klägers erloschen. Das Aufenthaltsrecht des Klägers bestand auch nicht als eigenständiges Aufenthaltsrecht fort. Das abgeleitete Aufenthaltsrecht des Klägers ist bereits mit der Ausreise entfallen und bestand daher im Zeitpunkt der Scheidung (§ 3 Abs. 4 FreizügG/EU) und im Zeitpunkt des Todes (§ 3 Abs. 2 FreizügG/EU) der Unionsbürgerin nicht mehr (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 31.5.2019 - 10 ZB 19.613 -, juris; EuGH, Urteil vom 16.7.2015 - C-218/14 -, juris). Entsprechendes gilt auch im Rahmen des § 3 Abs. 1 Satz 2, § 4 FreizügG/EU. Gemäß § 4 Satz 1 FreizügG/EU haben nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Da der Kläger die Unionsbürgerin im Zeitpunkt der Ausreise und auch derzeit nicht im Sinne des FreizügG/EU "begleitet", kann er auch aus § 4 FreizügG/EU keine Rechte herleiten.

Auch ein Daueraufenthaltsrecht des Klägers gem. §§ 2 Abs. 2 Nr. 7, § 4a FreizügG/EU scheidet mangels fünfjährigem rechtmäßigem Aufenthalt mit der Unionsbürgerin im Bundesgebiet aus. Die Aufenthaltskarte des Klägers hat rein deklaratorischen Charakter (vgl. EuGH, Urteil vom 12.3.2014 - C-456/12 -, juris)

Die Entscheidung über den Verlust der Rechte nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU steht nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU im Ermessen der Behörde und ist hinsichtlich dieses Ermessens nach dem Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Danach prüft das Gericht, ob die Grenzen des Ermessens überschritten sind und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Gemessen daran begegnet die Ermessensausübung keinen rechtlichen Bedenken. Die Beklagte hat ihr Ermessen erkannt, in dem angefochtenen Bescheid ausdrücklich dazu ausgeführt und die Umstände des Einzelfalls gewürdigt. Insofern ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass sie der gesellschaftlichen Integration des Klägers ein geringes Gewicht beigemessen hat und dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung den Vorrang gegeben hat.

Auch die Abschiebungsandrohung erweist sich als rechtmäßig. Sie entspricht den gesetzlichen Anforderungen der §§ 58, 59 AufenthG. Mit der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt ist der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig (§ 7 Abs.1 Satz 1 FreizügG/EU).

Die Frist zur freiwilligen Ausreise hat die Beklagte mit dem nach § 7 Abs.1 Satz 3 FreizügG/EU gesetzlich vorgesehenen Mindestmaß bemessen. Sie ist vor dem Hintergrund, dass der Kläger keine Hindernisse einer geordneten Ausreise geltend gemacht hat, ausreichend, zumal die Frist erst ab Bestandskraft der Verfügung zu laufen beginnt und der Kläger während der gesamten Laufzeit des Hauptsacheverfahrens Gelegenheit hatte, seine Angelegenheiten zu ordnen.

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 31 AufenthG.

Der Kläger hat einen entsprechenden Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 31 AufenthG erst in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich gestellt. Die Beklagte hat diesen Antrag abgelehnt, ihre Entscheidung begründet und der Klageerweiterung ausdrücklich zugestimmt, § 91 Abs. 1 Var. 1 VwGO. Die Klageänderung ist zudem mit Blick auf die Prozesswirtschaftlichkeit sachdienlich, § 91 Abs. 1 Var. 2 VwGO (vgl. zur Sachdienlichkeit BVerwG, Urteil vom 23.2.2017 - 7 C 31/15 -, juris Rn. 29 m. w. N.).

Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges Aufenthaltsrecht der Ehegatten ist gem. § 11 Abs. 14 FreizüG/EU i. V. m. § 31 AufenthG zwar grundsätzlich möglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.3.2019 - 1 C 9/18 -, juris Rn 22 a. E.; VG Berlin, Urteil vom 28.6.2022 - 21 K 90/22 -, juris Rn. 28 ff.; Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 2022, § 11 FreizügG/EU, § 11, Rn. 98 f.; NK-Hofmann, Ausländerrecht, 2016, § 3 FreizügG/EU, Rn. 38). Allerdings liegen dessen Voraussetzungen nicht vor.

Gem. § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat und der Ausländer bis dahin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU war, es sei denn, er konnte die Verlängerung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht rechtzeitig beantragen. Von der Voraussetzung der erforderlichen Mindestehebestandszeit ist abzusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, dem Ehegatten den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen, es sei denn, für den Ausländer ist die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen (§ 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG).

a) Die Aufenthaltskarte nach dem FreizügG/EU ist dem Grunde nach ein solcher nach § 31 AufenthG verlängerungsfähiger Aufenthaltstitel. Zwar stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 4.9.2007 - BVerwG 1 C 43/06 -, juris Rn. 17 ff.) eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz nur dann eine "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dar, wenn sie diesem nach den Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilt worden ist. Allerdings haben Drittstaatsangehörige Ehegatten wie der Kläger nur deswegen ein Freizügigkeitsrecht, weil sie Ehegatte einer Unionsbürgerin sind und deren Freizügigkeitsrecht durch die Ermöglichung des Ehegattennachzuges und der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Aufnahmemitgliedstaat erleichtert oder jedenfalls nicht erschwert werden soll (so VG Berlin, Urteil vom 28.6.2022 - 21 K 90/22 -, juris Rn. 35; a. A. OVG Bautzen, Beschluss vom 11.10.2021 - 3 B 275/21 -, juris Rn. 20 ff.) Entsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 4.9.2007 - BVerwG 1 C 43.06 -, juris) maßgeblich darauf abgestellt, dass der zu verlängernde Aufenthaltstitel dem Ehepartner zum Zweck des Familiennachzugs erteilt worden sein muss und das eheunabhängige Aufenthaltsrecht dem Ehegatten den Aufbau einer eigenständigen Lebensführung in Deutschland ermöglichen soll, nachdem seine geschützten Erwartungen in den Bestand der Ehe enttäuscht wurden. Das trifft auf die Ausstellung einer Aufenthaltskarte als Familienangehöriger-EU für einen Ehegatten ebenso zu, wie auch die Regelung in § 3 Abs. 4 FreizügG/EU belegt. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht an anderer Stelle darauf verwiesen, dass etwaige Härten für drittstaatsangehörige Ehegatten einer Unionsbürgerin, die nach einer Trennung nicht sofort zur Sicherung ihres Aufenthaltsrechts ein Scheidungsverfahren einleiten, durch die Möglichkeit eines eigenständigen (nationalen) Aufenthaltsrechts nach § 31 AufenthG abgemildert werden könnten (BVerwG, Urteil vom 28.3.2019 - BVerwG 1 C 9.18 -, juris Rn. 22 a.E.). Dieser Hinweis ist nur plausibel, wenn eine Verlängerungsmöglichkeit nach § 31 AufenthG nicht schon generell an dem Fehlen einer verlängerungsfähigen "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" scheitert. Außerdem ist die mit Gesetz zur weiteren Anpassung des Freizügigkeitsgesetzes/EU vom 12. November 2020 (BGBl. I 2416) neu eingefügte Regelung in § 11 Abs. 15 FreizügG/EU zu berücksichtigen. Danach entsprechen Zeiten des rechtmäßigen Aufenthalts nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU unter fünf Jahren den Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis (Satz 1). Zeiten des rechtmäßigen Aufenthalts nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU über fünf Jahren entsprechen dem Besitz einer Niederlassungserlaubnis (Satz 2). Diese Regelung ist eine vom Gesetzgeber bewusst geschaffene "Brücke" von der Aufenthaltskarte nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU zur Aufenthaltserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz, so dass eine wie hier erteilte Aufenthaltskarte als Familienangehöriger-EU als Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, hier zum Ehegattennachzug, anzusehen ist.

b) Allerdings ist das eigenständige Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG im vorliegenden Fall ausgeschlossen, da der Verlängerungsantrag erst weit nach Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gestellt worden ist. Nach dem Wortlaut der Norm erfasst § 31 AufenthG nur den Fall, dass der Ausländer sich noch im Besitz einer nicht abgelaufenen Aufenthaltserlaubnis befindet, weil nur eine solche verlängert werden kann. Der Gesetzgeber geht von einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen ehebezogener Aufenthaltserlaubnis und deren Verlängerung zum eigenständigen Aufenthaltsrecht aus. Im vorliegenden Fall kann der Kläger für den von ihm begehrten künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet allenfalls ein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie Ausübung des Verlängerungsermessens gem. § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG geltend machen. Denn der Anspruch nach Absatz 1 der Vorschrift bezieht sich auf den Aufenthalt nur in dem Jahr unmittelbar nach Ablauf der Gültigkeit des ehegattenbezogenen Aufenthaltsrechts. Dieser Anspruch ist aber Voraussetzung für eine darauf aufbauende Verlängerung im Ermessenswege nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Folglich gilt auch bei § 31 AufenthG, dass der Ehegatte bei Stellung des Verlängerungsantrags noch im Besitz eines Aufenthaltsrechts sein muss; ein Verlängerungsanspruch ist nach Erlöschen des Aufenthaltsrechts ist grundsätzlich ausgeschlossen; die Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis sieht § 31 Abs. 1 AufenthG nicht vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.6.2011 - BVerwG 1 C 5/10 -, juris Rn. 13, 17; Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 2022, § 31 AufenthG, Rn. 40). Die in der Sache nach begehrte Verlängerung des Aufenthaltsrechts gem. § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG käme demzufolge nur in Betracht, wenn dem Kläger im Jahr nach Wegfall des Freizügigkeitsrechts ein Verlängerungsanspruch nach § 31 Abs. 1 AufenthG zugestanden hätte. Selbst wenn man dem Kläger unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Freizügigkeitsrechts mit dem unmittelbaren Erlöschen des Freizügigkeitsrechts durch die Ausreise der Unionsbürgerin eine weitere Frist zugestehen würde, in der eine Verlängerung beantragt werden kann, so ist der Antrag im Rahmen der mündlichen Verhandlung zumindest nicht mehr "rechtzeitig" im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 a. E. AufenthG gestellt worden. Es sind keine Gründe vorgetragen oder sonst ersichtlich, warum der Kläger die Verlängerung des Aufenthaltsrechts erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung und nicht bereits in zeitlicher Nähe zur Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft hätte beantragen können. Das ehegattenbezogene Aufenthaltsrecht kann daher nicht auf den erst Anfang 2023 in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag hin als eigenständiges Aufenthaltsrecht verlängert werden, da das Aufenthaltsrecht spätestens Ende 2016 erloschen ist.

c) Darüber hinaus fehlt es an der weiteren tatbestandlichen Voraussetzung nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, dass die eheliche Lebensgemeinschaft für mindestens drei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden haben muss.

Die eheliche Lebensgemeinschaft wird rechtmäßig i. S. d. § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geführt, wenn die Ehe rechtswirksam besteht und der Aufenthalt beider Ehepartner, das heißt sowohl des Ausländers, der die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG begehrt ("Ehegatten"), als auch des Ausländers, zu dem der Ehegattennachzug erfolgt ist ("Ausländer"), während der dreijährigen Bestandszeit der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist. Das eigenständige Aufenthaltsrecht wird ausgelöst durch Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft, nicht schon durch Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft und nicht erst mit der Ehescheidung (Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 2022, § 31 AufenthG, Rn. 20, 32).

Ein rechtmäßiger Aufenthalt für den Kläger und die Unionsbürgerin ergibt sich nicht aus dem FreizügG/EU. Da das unionsrechtliche Freizügigkeitsrecht nicht schrankenlos gewährleistet ist, obliegt dem Kläger im Streitfall der Nachweis, dass die Voraussetzungen durchgängig erfüllt waren. Die Unerweislichkeit der Voraussetzungen geht nach allgemeinen Grundsätzen zu Lasten des Klägers, weil er aus dem Vorliegen der Voraussetzungen eine ihnen günstige Rechtsfolge herleiten wollen (vgl. EuGH, Urteil vom 23.3.2006 - C-408/03 -, juris Rn. 64; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.3.2007 - OVG 3 B 9.06 -, juris Rn. 25). Der Kläger hat bereits den tatsächlichen Aufenthalt der Unionsbürgerin für den Zeitraum von drei Jahren nicht nachgewiesen.

Er hat Unterlagen vorgelegt, die einen zeitlich begrenzten Aufenthalt der Unionsbürgerin während ihrer Erwerbstätigkeit nahelegen. Der Rentenversicherungsverlauf der Unionsbürgerin belegt eine Erwerbstätigkeit zwischen dem 26. September 2014 und dem 31. Mai 2015. Der Kläger hat dazu eine Abrechnung vom 15. Dezember 2014 vorgelegt, aus der eine Erwerbstätigkeit im Zeitraum zwischen dem 26. September 2014 und dem 31. Dezember 2014 abzulesen ist. Die ebenfalls im Verwaltungsverfahren vorgelegte Verdienstbescheinigung von Herrn K. J. und die Meldebescheinigung zur Sozialversicherung vom 25. September 2013 der Unionsbürgerin findet hingegen keine Entsprechung im Rentenversicherungsverlauf. Es bestehen damit erhebliche Bedenken, dass die Unionsbürgerin bereits zu diesem Zeitpunkt eine Arbeitstätigkeit aufgenommen und ein Freizügigkeitsrecht i. S. v. § 2 Abs. 1 FreizügG/EU begründet hat. Zumindest gibt es jedoch für den Zeitraum nach dem 31. Mai 2015 keinen Anhaltspunkt für eine tatsächliche Arbeitstätigkeit der Unionsbürgerin. Der Vortrag des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu einer geringfügigen Beschäftigung und körperlichen Einschränkungen der Unionsbürgerin sind nicht weiter durch entsprechende Unterlagen bekräftigt worden.

Die stattdessen vorgelegten Unterlagen können einen tatsächlichen Aufenthalt der Unionsbürgerin zumindest für den Zeitraum nach dem 31. Mai 2015 nicht belegen. Die Mietverträge beinhalten zwar für die Jahre 2013 und bis zum 1. November 2014 auch den Namen der Unionsbürgerin. Der entsprechende Mietvertrag vom 1. November 2014 für die N., 70376 Stuttgart, wurde mit Herrn O. J. geschlossen, beinhaltete ausdrücklich nur 1 Zimmer und ist als "Untermietvertrag" bezeichnet. Er enthält nur die Unterschriften des Klägers und des Vermieters. Auch aus der entsprechenden Anmeldebestätigung lässt sich ein tatsächlicher Aufenthalt der Unionsbürgerin nicht ableiten. Auch die Aussagen des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung blieben insoweit vage. Sie stimmen auch teilweise mit den Daten und Details der Unterlagen nicht überein und sind daher kein ausreichender Nachweis für den tatsächlichen Aufenthalt der Unionsbürgerin im Bundesgebiet.

Die Überzeugungskraft der vorgelegten Unterlagen und Angaben des Klägers wird auch dadurch erschüttert, dass er partiell sehr umfangreiche Nachweise im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren vorgelegt hat. Es verwundert daher sehr, dass der Kläger für den Zeitraum zwischen Dezember 2014 bzw. Mai 2015 und Dezember 2016 keine weiteren Unterlagen vorlegen kann, die eine Arbeitstätigkeit oder nur die konkrete Anwesenheit der Unionsbürgerin im Bundesgebiet glaubhaft machen könnten. Dass die Unionsbürgerin erst am 15. Dezember 2016 als unbekannt gemeldet wurde, ist damit der einzige Anhaltspunkt für einen tatsächlichen Aufenthalt der Unionsbürgerin im Bundesgebiet. Vor dem Hintergrund der sonstigen Unstimmigkeiten des Vortrags des Klägers und der vorgelegten Unterlagen kann dies alleine die Vermutung eines durchgehenden Aufenthalts jedoch nicht begründen.

Eine besondere Härte i. S. v. § 31 Abs. 2 AufenthG ist nicht ersichtlich. Alleine die durchgehende Erwerbstätigkeit und Anwesenheit des Klägers im Bundesgebiet vermag unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls keine besondere Härte begründen. Die Ausreisepflicht trifft den Kläger nicht ungleich härter als andere Ausländer in derselben Situation.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

4. Die Berufung ist nicht gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen, da keine der dafür im Gesetz genannten Voraussetzungen vorliegt (§ 124 a VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO). Die Frage, ob die Aufenthaltskarte als Familienangehöriger-EU eines Ehegatten als Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen im Sinne von § 31 AufenthG anzusehen ist, hat zwar grundsätzliche Bedeutung, ist jedoch nicht entscheidungserheblich.