Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 13.11.2007, Az.: 5 W 133/07

Geltendmachung eines Anspruchs auf Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen einer fehlerhaften Behandlung im Rahmen der Implantation einer Totalendoprothese; Ordnungsgemäße Aufklärung eines Patienten vor einem operativen Eingriff; Ablehnung eines Sachverständigen durch eine Partei wegen einer Besorgnis der Befangenheit; Ablehnungsgrund wegen Beantwortung von nicht in einem Beweisbeschluss gestellter Fragen durch einen Sachverständigen

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
13.11.2007
Aktenzeichen
5 W 133/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 44638
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2007:1113.5W133.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 09.10.2007 - AZ: 8 O 2552/06

Fundstellen

  • ArztR 2008, 193 (Kurzinformation)
  • GesR 2008, 163-164
  • IBR 2008, 187 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
  • MDR 2008, 101 (Volltext mit red. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 2008, 262-263

Amtlicher Leitsatz

Äußert sich ein Sachverständiger im Arzthaftungsprozess zu etwaigen Aufklärungspflichten, obwohl der Kläger seine Klage nicht auf die Verletzung von Aufklärungspflichten stützt und auch die dem Sachverständigen unterbreiteten Beweisfragen ausschließlich Behandlungsfehler betreffen, so kann dies seine Befangenheit begründen.

In der Beschwerdesache
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
am 13. November 2007
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 30.10./31.10.2007 wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 09.10.2007 aufgehoben und das Befangenheitsgesuch gegen den Sachverständigen Prof. Dr. C... für begründet erklärt.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.

Gründe

1

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung eines Schmerzensgeldes aus Anlass einer (angeblich) fehlerhaften Behandlung während seines stationären Aufenthaltes in der Zeit vom 22.05. bis 14.07.2003 in der Klinik der Beklagten.

2

Er macht geltend, die am 24.06.2003 durchgeführte Operation (Implantation einer Totalendoprothese in die linke Hüfte) sei nicht indiziert gewesen und im Hinblick auf eine bestehende Infektion nicht fachgerecht erfolgt. Erst nach Ausheilung der Infektion sei eine Implantation einer Totalendoprothese der linken Hüfte zulässig gewesen. Am 24.06.2003 habe allenfalls eine ersatzlose Resektion des Hüftkopfes in Verbindung mit einem Debridement als risikoärmeres Verfahren durchgeführt werden dürfen. Angezeigt gewesen wäre ein zweizeitiges Vorgehen, nämlich zunächst die Resektion des infizierten Hüftkopfes sowie nach Ausheilung die Implantation der Totalendoprothese.

3

Das Landgericht hatte per Beweisbeschluss vom 04.12.2006 die Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens zu den Behauptungen des Klägers angeordnet und Prof. Dr. C... mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt.

4

Dieser hat in seinem Gutachten vom 30.05.2007 die ihm zu etwaigen Behandlungsfehlern gestellten präzisen Beweisfragen beantwortet und darüber hinaus ausgeführt, der Kläger sei vor dem operativen Eingriff am 24.06.2003 nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden.

5

Mit Schriftsatz vom 12.06.2007 hat die Beklagte den Sachverständigen Prof. Dr. C... daraufhin wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Nach dem Inhalt des Beweisbeschlusses sei der Sachverständige nicht beauftragt gewesen, zu einer etwaigen Aufklärungsproblematik Stellung zu nehmen. Der Kläger habe in der Klageschrift eine Aufklärungsrüge auch nicht erhoben. Damit habe sich der Sachverständige zu einem Fragenkomplex geäußert, dessen Beantwortung ihm durch das Gericht nicht aufgegeben worden sei. Des Weiteren erwecke auch die Wortwahl des Sachverständigen im Gutachten ( "das Verhalten sei als grob fahrlässig zu bewerten") den Eindruck der mangelnden Unvoreingenommenheit.

6

Der Sachverständige Prof. Dr. C... hat in seiner Stellungnahme vom 21.08.2007 (Bl. 140 bis 143 d.A.) zu dem Befangenheitsgesuch klargestellt, seine gutachterlichen Ausführungen zur Aufklärung würden auf der Aktenlage basieren. Zu etwaigen mündlichen Aufklärungen lägen ihm Erkenntnisse nicht vor und deshalb habe er mündliche Besprechungen im Verhältnis Arzt - Patient nicht berücksichtigen können.

7

Mit Beschluss vom 09.10.2007 hat das Landgericht das Befangenheitsgesuch der Beklagten zurückgewiesen. Insoweit wird auf den Inhalt des Beschlusses und die abgegebene Begründung verwiesen.

8

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 406 Abs. 5, 567 ZPO zulässig und auch sachlich gerechtfertigt.

9

Ein Sachverständiger kann von einer Partei wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn objektive Umstände oder Tatsachen vorliegen, die vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet sind, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit zu rechtfertigen (vgl. BGH NJW 2005, 1869, 1870) [BGH 15.03.2005 - VI ZB 74/04]. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden scheiden hingegen aus. Weiter ist nicht erforderlich, dass der Abgelehnte tatsächlich befangen ist. ebenso ist unerheblich, ob er sich für befangen hält (Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 42 Rn 8,9).

10

Nach einhelliger Auffassung kann es einen Ablehnungsgrund darstellen, wenn ein gerichtlich bestellter Sachverständiger mit seinen Feststellungen über die durch den Beweisbeschluss vorgegebenen Beweisfragen hinaus geht und vom Auftrag nicht umfasste Fragen beantwortet (vgl. Beschlüsse des Senats vom 08.01.2007 - 5 W 243/06 und 18.12.2006 - 5 W 212/06. OLG Celle NJW - RR 2003, 135 [OLG Celle 18.01.2003 - 14 W 45/01]. Zöller/Greger, a.a.O., § 406 Rn. 8. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 2. Aufl., S. 705 m.w.N.). Maßgeblich ist insoweit, ob der Sachverständige sich aus der Sicht der ablehnenden Partei quasi an die Stelle des Gerichts setzt und seine Neutralitätspflicht verletzt, indem er dem Gericht oder den Parteien den aus seiner Sicht für richtig gehaltenen Weg der Entscheidungsfindung weist.

11

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Befürchtung der Beklagten, der Sachverständige trete ihr nicht unvoreingenommen gegenüber, gerechtfertigt.

12

Dass der Sachverständige hier überhaupt zur Aufklärungspflicht Stellung genommen hat, ist allerdings nicht zu beanstanden. Zwar hat sich ein Sachverständiger grundsätzlich jeder Äußerung zu etwaigen Aufklärungspflichten zu enthalten, wenn der Kläger im Arzthaftungsprozess seine Klage nicht auf die Verletzung von Aufklärungspflichten stützt und auch die dem Sachverständigen im Beweisbeschluss unterbreiteten Fragen ausschließlich Behandlungsfehler betreffen. Dies gilt aber nicht ausnahmslos, weil die Bereiche Behandlungsfehler und Aufklärungspflichtverletzung nicht in allen Fällen scharf abgrenzbar sind. Dies zeigt der zu entscheidende Fall, in dem der Sachverständige zu beurteilen hatte, ob die Wahl einer bestimmten Behandlungsmethode fehlerhaft war. Kommt er zu dem Ergebnis, dass es sich bei der gewählten Methode nicht um diejenige der Wahl handelte, so dass deren Anwendung nur dann nicht fehlerhaft war, wenn der Patient hierin nach Aufklärung über das höhere Risiko eingewilligt hatte, so ist diese Feststellung nicht geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu begründen..

13

Gleichwohl muss der Befangenheitsantrag Erfolg haben, weil sich der Sachverständige nicht auf die Feststellung des Bestehens der Aufklärungspflicht beschränkt hat, sondern zum einen deren Verletzung allein anhand der "Einverständniserklärung" vom 23.06.2003 unter Übergehung des Vortrages der Beklagten in der Klageerwiderung apodiktisch festgestellt und zum anderen die Verletzung auch noch hervorgehoben in Fettdruck "als klarer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst" bzw. "grob fahrlässig" bezeichnet hat. Dies kann aus der Sicht der Beklagten nur als unzulässige Lenkung des Prozesses und Aufforderung an den Kläger verstanden werden, die bisher unterlassene Aufklärungsrüge zu erheben, wie dies auch umgehend geschehen ist.