Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 14.11.2007, Az.: 5 U 61/07

Pflicht eines Zahnarztes zur Aufklärung über die jeweiligen Erfolgschancen und Risiken verschiedener Behandlungsalternativen

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
14.11.2007
Aktenzeichen
5 U 61/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 49968
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2007:1114.5U61.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 01.06.2007 - AZ: 8 O 2009/06

Fundstellen

  • ArztR 2008, 306
  • GesR 2008, 539-540
  • VersR 2008, 1652 (amtl. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

Bietet eine zahnprothetische Behandlungsalternative (hier Teleskopprothese gegenüber Modellgussprothese) höhere Erfolgschancen, so muss der Zahnarzt auch einen Kassenpatienten auf die Möglichkeit hinweisen, gegen Zahlung eines höheren Eigenanteils eine zahnprothetische Versorgung zu wählen, die über den für gesetzlich Versicherte als Regelversorgung vorgesehenen Standard hinausgeht. Es ist allein Sache des Patienten zu entscheiden, welche Versorgung er sich leisten kann oder will.

In dem Rechtsstreit
...
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2007
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 01.06.2007 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1

I.

Die gesetzlich versicherte Klägerin begab sich erstmals im Jahre 1997 in die zahnärztliche Behandlung des Beklagten, weil ihre Modellgussprothesen im Ober und Unterkiefer nicht richtig saßen und mehrere Klammern defekt waren. In der Folgezeit wurden, insbesondere im Bereich des Oberkiefers, immer wieder Reparaturen der Prothetik erforderlich, sei es dass eine Unterfütterung notwendig wurde, sei es dass Klammern gebrochen waren. Am 20.03.2003 wurde im Oberkiefer eine neue Modellgussprothese eingegliedert, die an den verbliebenen Zähnen 17, 23, 24 und 26 mit Klammern befestigt war. Das nächste und letzte Mal erschien die Klägerin am 15.12.2003 beim Beklagten zu einem routinemäßigen RecallTermin. In der Zeit danach kam es zum Bruch und zur Lockerung von Klammern, ohne dass die Klägerin den Beklagten deswegen aufgesucht hätte. Am 18.11.2004 begab sie sich dann erstmals zu ihrer neuen Zahnärztin. Diese hat der Klägerin vorgeschlagen, die Modellgussprothese durch eine Teleskopprothese zu ersetzen, was allerdings bisher nicht geschehen ist.

2

Die Klägerin hat behauptet, die Prothese sei nicht funktionstüchtig. Infolge des schlechten Sitzes der Prothese leide sie seit deren Eingliederung unter starken Kopfschmerzen, Sehbeschwerden und andauerndem Unwohlsein. Weil die Prothese nicht richtig hafte und manchmal rausrutsche, kämen starke Essbeschwerden hinzu. Schließlich sei auch ein im Dezember 2005 festgestellter Herzklappendefekt auf die mangelhafte Versorgung zurückzuführen. Die Klägerin verlangt u.a. die Rückzahlung des an den Beklagten geleisteten Eigenanteils von 353,92 EUR und ein Schmerzensgeld von mindestens 7.000 EUR.

3

Der Beklagte hat entgegnet, bei der vorhandenen sehr ungünstigen Zahnstatik (nur ein Pfeiler hinten rechts und drei Pfeiler links) habe ein komfortabler Sitz der Modellgussprothese auf Dauer nicht erreicht werden können. Bessere Ergebnisse hätten mit einer teleskopgestützten Prothese erzielt werden können. Hierbei hätte es sich zwar auch nur um eine Zwischenlösung auf dem Weg zu einer Vollprothese gehandelt, die Restzähne hätten aber wahrscheinlich länger erhalten werden können und der Tragekomfort wäre deutlich höher gewesen. All dies habe er mit der Klägerin vor der Eingliederung - wie schon im Juli 2001 - ausführlich besprochen. Die Klägerin habe eine solche Versorgung aber wegen des von ihr zu zahlenden höheren Eigenanteils stets abgelehnt.

4

Die Klägerin hat hierauf erwidernd bestritten, jemals über die verschiedenen Möglichkeiten einer prothetischen Versorgung aufgeklärt worden zu sein. Wenn sie ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre, hätte sie sich für eine Teleskopprothese entschieden.

5

Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines Gutachtens abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.

6

Mit ihrer frist und formgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

7

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

8

II.

Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

9

1.

Hinsichtlich etwaiger Behandlungsfehler wird auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Soweit die Klägerin auch in der Berufungsinstanz bemängelt, dass der Beklagte vor Anfertigung der neuen Prothese keine Röntgenaufnahme gefertigt habe und hierzu auf Ziffer V.2. der "BemaVO" (Anlage K3) verweist, ist anzumerken, dass sich diese Passage nicht auf Zahnersatz, sondern auf eine Parodontitistherapie bezieht. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, welche zusätzlichen Erkenntnisse im konkreten Fall durch eine Röntgenaufnahme hätten gewonnen werden können.

10

2.

Eine Haftung des Beklagten kommt auch nicht wegen etwa unterlassener Eingriffsaufklärung in Betracht.

11

a.

Der Sachverständige Dr. X... hat ausgeführt, die vom Beklagten gefertigte Modellgussprothese stelle bei der Zahnsituation der Klägerin die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenkasse dar. Es handele sich um eine besonders einfache und kostengünstige Maßnahme, um die fehlenden Zähne zu ersetzen. Sie weise allerdings gravierende Nachteile auf. Abgesehen davon, dass eine Modellgussprothese in Anbetracht der bei der Klägerin vorliegenden Verteilung der Restzähne im Oberkiefer schon konstruktiv keine optimale Festigkeit gewährleisten könne, verursachten die Klammern einer Modellgussprothese an den Pfeilerzähnen starke Hebelkräfte, die einer weiteren Zahnlockerung und damit dem späteren Zahnverlust Vorschub leisteten. Vorzuziehen sei deshalb eine, allerdings teurere, Teleskopprothese. Zwar zeige die Erfahrung, dass ein Restzahnbestand von wenigen Zähnen auch unter einer Teleskopprothese nicht ein Leben lang erhalten werden könne. Die Zähne würden aber bei optimaler, möglichst axialer Krafteinwirkung durch eine Teleskopprothese erheblich mehr geschont. Sie blieben dadurch länger erhalten und könnten der Prothese einen besseren Halt verleihen. Die Modellgussprothese stelle deshalb keine optimale Versorgungsform dar und werde im Allgemeinen nur eingesetzt, wenn sich die Restzähne für eine aufwändigere Versorgung nicht mehr eignen - was hier nicht der Fall sei - oder wenn der Patient an einer aufwändigeren Lösung nicht interessiert sei bzw. die Kosten hierfür nicht aufwenden wolle oder könne. Der Zahnarzt habe den Patienten über die Vor und Nachteile verschiedener Behandlungsmethoden und die damit verbundenen Kosten aufzuklären. Danach müsse es letztlich dem Patienten überlassen bleiben, für welche Lösung er sich entscheide.

12

b.

Das entspricht der Auffassung des Senats. Nach ständiger Rechtsprechung ist zwar die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfordert aber seine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die zu unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten, der Patient also eine echte Wahlmöglichkeit hat (zuletzt grds. BGH VersR 2006, 1073 m.w.N.. OLG Naumburg VersR 2004, 284 Zahnersatz. OLG Stuttgart AHRS II 5000/149 Zahnersatz). Ob Kassenpatienten in allen Fällen auch über Behandlungsalternativen aufzuklären sind, die ihnen nur als Selbstzahler zur Verfügung stehen, weil sie nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sind (kritisch Steffen/Pauge, 10. Aufl., Rz. 385), bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls gilt dies nach Auffassung des Senats bei zahnprothetischen Leistungen. Bietet eine Behandlungsalternative, wie hier die Teleskopprothese, höhere Erfolgschancen, so muss der Zahnarzt auch einen Kassenpatienten auf die Möglichkeit hinweisen, gegen Zahlung eines höheren Eigenanteils eine zahnprothetische Versorgung zu wählen, die über den für gesetzlich Versicherte als Regelversorgung vorgesehenen Standard hinausgeht (Schelling, MedR 2004, 422, 428. Rinke/Balser VersR 2001, 423, 425 [OLG Hamburg 01.10.1999 - 14 U 136/99]. Schinnenburg, MedR 2000, 185, 187). Es ist allein Sache des mündigen Patienten, zu entscheiden, welche Versorgung er sich leisten kann oder will.

13

3.

Die danach erforderliche Aufklärung der Klägerin ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats erfolgt.

14

Die Zeugin W... hat glaubhaft bekundet, sie habe seinerzeit ihre Ausbildung zur Zahnarzthelferin beim Beklagten absolviert, sei mittlerweile aber bei einem anderen Zahnarzt tätig. Begonnen habe sie im Juli 2001 als so genannte "Stuhlassistentin". Sie könne sich noch an die Klägerin und ein Gespräch mit dem Beklagten über verschiedene Prothesenvarianten im Juli 2001 erinnern, weil es das erste Mal gewesen sei, dass sie von einer Resilienzteleskopprothese oder auch "cover denture" gehört habe. Sie habe das damals für etwas ganz tolles gehalten. Der Beklagte habe der Klägerin diese Versorgungsmöglichkeit erklärt und dann ihr den Auftrag erteilt, zur Anmeldung zu gehen und von der dafür zuständigen Helferin ausrechnen zu lassen, welcher Eigenanteil dabei von der Klägerin zu zahlen wäre. Das habe sie gemacht. Normalerweise sei den Patienten dann von der zuständigen Helferin der Betrag genannt worden und die Patienten hätten sofort oder später mitgeteilt, wofür sie sich entschieden hätten. Der Beklagte habe mit den Patienten stets nur die zahnmedizinischen Aspekte erörtert. Wofür sich die Klägerin entschieden habe, könne sie heute nicht mehr sagen, weil sie bei deren weiterer Behandlung nur selten assistiert habe und mit den finanziellen Dingen damals nicht befasst gewesen sei.

15

Hiermit übereinstimmend hat der Beklagte bei seiner Anhörung glaubhaft erklärt, er habe der Klägerin, nachdem trotz vielfacher Reparaturen klar geworden sei, dass eine Erneuerung der Oberkieferprothese unumgänglich war, im Sommer 2001 und nochmals Anfang 2003 die Vor und Nachteile einer Modellgussprothese einerseits und einer Teleskopprothese andererseits ausführlich erläutert. Die Position der einzelnen Teleskope habe er der Klägerin dabei anhand der Skizze erklärt, die sich in den Krankenunterlagen auf der Rückseite des Anamnesebogens befindet. Die Klägerin habe sich jeweils aus Kostengründen gegen eine Teleskopprothese entschieden.

16

Die Aussage des Ehemannes der Klägerin steht dem nicht entgegen. Dieser hat lediglich bekundet, er habe seine Frau zweimal zum Beklagten begleitet und sei auch im Behandlungszimmer dabei gewesen, ohne dass von Prothesen die Rede gewesen sei. Er war weder in der Lage, auch nur annähernd zu sagen, an welchen der über 20 Termine im Laufe von mehreren Jahren dies gewesen ist noch was bei diesen Terminen gemacht worden ist. Die Aussage ist daher unergiebig.

17

Soweit die Klägerin bei ihrer Anhörung erklärt hat, mit ihr seien nie verschiedene Prothesenvarianten erörtert worden, vermag das den Senat nicht zu überzeugen. Unstreitig sind an der alten Modellgussprothese seit 1997 fortlaufend Reparaturen durchgeführt worden, bis ihr Zustand völlig desolat war. Es steht weiter fest, dass die erneute Versorgung mit einer Modellgussprothese derjenigen mit einer Teleskopprothese im Hinblick auf den Sitz der Prothese und die Schonung der verbliebenen Pfeilerzähne weit unterlegen war. Es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung, dass ein Zahnarzt einen Patienten nicht zumindest auf die sich anbietende bessere Versorgungsmöglichkeit hinweist, sondern den Patienten kommentarlos sehenden Auges mit einer suboptimalen Prothese versorgt, bei der Beschwerden des Patienten und erneuter Nacharbeitungsbedarf vorauszusehen sind. Ebenso wenig überzeugt den Senat die Behauptung der Klägerin, sie hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung seinerzeit für eine Teleskopprothese entschieden.

18

Dagegen spricht vielmehr eindeutig, dass ihre heutige Zahnärztin spätestens im Juli 2005 eine Versorgung mit einer Teleskopprothese vorgeschlagen hat, ohne dass dieses Vorhaben - trotz der behaupteten Beschwerden der Klägerin - bis zum heutigen Tage umgesetzt worden wäre.

19

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.