Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 31.10.2005, Az.: 5 B 1507/05

Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens; Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen einen Ersetzungsbescheid; Begrenzung der Ersetzungsmöglichkeit auf ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen; Ausschluss der Errichtung von einzelnen Windenergieanlagen außerhalb der ausgewiesenen Sonderbauflächen im Flächennutzungsplan; Unzulässigkeit des Vorhabens bei Ausweisung einer möglichen Errichtung im Flächennutzungsplan an anderer Stelle; Verlust der Bedeutung des Flächennutzungsplan als Konkretisierung öffentlicher Belange und einer geordneten städtebaulichen Entwicklung; Erforderliche Abwägung zwischen dem privaten Interesse an der Errichtung der Windenergieanlage und dem öffentlichen Belang einer Nutzungskonzentration; Notwendige Berücksichtigung des Planungsziels der das Einvernehmen versagenden Gemeinde

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
31.10.2005
Aktenzeichen
5 B 1507/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 32758
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2005:1031.5B1507.05.0A

Verfahrensgegenstand

Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens -vorläufiger Rechtsschutz -

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Nach § 36 Abs. 2 S. 3 BauGB kann die nach Landesrecht zuständige Behörde nur ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen.

  2. 2.

    Ein nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB privilegiertes Vorhaben ist nicht nur dann unzulässig, wenn dem öffentliche Belange nach § 35 Abs. 1 BauGB entgegenstehen, sondern auch dann, wenn für ein derartiges Vorhaben u.a. im Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Eine derartige Ausweisung kann darin liegen, dass eine Konzentrationsfläche für Windenergieanlagen ausgewiesen und in der textlichen Darstellung festgelegt wurde, dass Windernergieanlagen außerhalb der Sondergebietsfläche nicht zulässig sind.

  3. 3.

    Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles ist das private Interesse an der Errichtung der Windenergieanlage dem öffentlichen Belang einer Nutzungskonzentration an anderer Stelle gegenüber zu stellen. Diese Gewichtung wird aber regelmäßig zu Lasten des privilegierten Vorhabens ausfallen.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 5. Kammer -
am 31. Oktober 2005
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. März 2005 wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen jeweils ihre eigenen außergerichtlichen Kosten sowie die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu je 1/2.

Der Streitwert wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten um die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens. Die Beigeladene beantragte am 8. Dezember 2004 die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage - WEA - auf dem Flurstück E. der Flur F. der Gemarkung G.. Die Antragstellerin versagte unter dem 20. Januar 2005 das Einvernehmen. Sie führte dazu aus, durch die seit dem 30. Dezember 1998 rechtswirksame 53. Änderung ihres Flächennutzungsplanes - Sonderbauflächen Windenergieanlagen - werde die Errichtung von einzelnen WEA außerhalb der ausgewiesenen Sonderbauflächen ausgeschlossen. Städtebauliches Ziel der Planung sei es gewesen, eine Konzentrationsfläche für die Nutzung der Windenergie darzustellen und das übrige Gemeindegebiet für andere Nutzungen freizuhalten. Das Planerfordernis habe sich vorrangig aus touristischen Belangen ergeben. Die Jahre später erfolgte Planung der Stadt J. zur Darstellung einer Konzentrationsfläche für Windenergienutzung an der Gemeindegrenze habe zu dem jetzt entstandenen Konflikt geführt. Die beantragte WEA sei von der Ausschlusswirkung betroffen und widerspreche daher der Darstellung des Flächennutzungsplanes. Wegen der Beeinträchtigung öffentlicher Belange sei das Vorhaben unzulässig.

2

Der Antragsgegner ersetzte mit Bescheid vom 29. März 2005 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung das Einvernehmen der Antragstellerin. Zur Begründung führte er aus, der Standtort der geplanten WEA liege genau zwischen 6 auf dem angrenzenden Gebiet der Stadt J. bereits errichteten WEA. Das Gemeindegebiet der Antragstellerin rage dort in das Gebiet der Stadt J. hinein. Eine weitere WEA auf dieser Landzunge würde sich optisch in das Gesamtbild des vorhandenen Windparks einfügen und einem Betrachter auch nicht besonders auffallen. Diese Besonderheit erfordere eine abweichende Beurteilung der städtebaulichen Situation und rechtfertige eine Abweichung von der Darstellung des Flächennutzungsplanes der Antragstellerin. Die Versagung des Einvernehmens sei daher rechtswidrig und deshalb zu ersetzen. Über den dagegen von der Antragstellerin erhobenen Widerspruch wurde bisher nicht entschieden.

3

Der Antragsgegner erteilte der Beigeladenen am 30. März 2005 eine immissionsschutz-rechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer WEA "zur Erweiterung der aus 8 Windkraftanlagen bestehenden Windfarm". Zugleich ordnete der Antragsgegner auf Antrag der Beigeladenen vom 22. März 2005 die sofortige Vollziehung an. Die Antragstellerin legte auch gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, über den ebenfalls noch nicht entschieden wurde.

4

Am 14. April 2005 beantragte die Antragstellerin

die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Ersetzung des Einvernehmens und gegen die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung (5 B 1509/05).

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Sie führte dazu u.a. aus, sie habe die gesetzliche Möglichkeit genutzt, WEA auf einen bestimmten Standort zu konzentrieren. Der Änderung des Flächennutzungsplanes sei eine umfangreiche Potenzialflächenfindung vorausgegangen. Sie habe sich insbesondere mit dem Abstand zu Einzelgebäuden, fremdenverkehrlichen und naturschutzfachlichen Restriktionen auseinander gesetzt. Aufgrund der Ausschlusswirkung für Einzelanlagen außerhalb der Sondergebietsfläche "Windpark H." gebühre dem Freihalteinteresse grundsätzlich der Vorrang. Zwar sei eine Abweichung im Einzelfall möglich, die der Planung zu Grunde liegende Konzeption als solche dürfe dadurch aber nicht in Frage gestellt werden. Das mit der Ausweisung an anderer Stelle verfolgte Steuerungsziel dürfe mithin nicht unterlaufen werden. Der in Rede stehende Bereich sei im Flächennutzungsplan als wichtiger Bereich für das Landschaftsbild ausgewiesen, der dadurch zum Ausdruck gekommene Planungswille könne nicht durch die Planung des Windparks "I." durch die Stadt J. im Jahr 2001 unterlaufen werden. Ihre Planungskonzeption werde beeinträchtigt, weil durch die Errichtung einer neuen WEA auf ihrem Gebiet ein Bezugsfall entstehen könne. Nach Errichtung der neuen WEA in der Enklave müsse auch eine nördliche Ausdehnung des Windparks auf das eigene Gemeindegebiet befürchtet werden, wodurch das eigene Planungskonzept weiter gefährdet werde. Auch südlich und südöstlich sowie westlich der geplanten WEA könne eine atypische Situation angenommen werden, so dass auch dort weitere Bezugsfälle entstehen könnten. Auch dort würden sich weitere WEA optisch in die bereits vorhandenen Anlagen einfügen. Ihr Planungsziel des Erhalts des Landschaftsbildes dürfe nicht durch die Errichtung weiterer WEA gegenstandslos werden. Das Landschaftsbild werde durch die Weite der flachen friesischen Landschaft geprägt. Diese Eigenart des Landschaftsbildes würde durch weitere WEA nachhaltig beeinträchtigt. Privatrechtliche Nutzungsvereinbarungen zwischen der Beigeladenen und der Eigentümerin benachbarter Grundstücke wirkten lediglich intern und seien ohne Einfluss auf die bau-planungsrechtliche Beurteilung im Rahmen zukünftiger Genehmigungen.

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Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

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Er trägt dazu ergänzend vor, weitere WEA seien im streitigen Bereich des Gemeindegebietes der Antragstellerin nicht aufgrund einer Atypik zulässig. Zwar wäre theoretisch die Errichtung von zwei weiteren WEA westlich und östlich der streitigen WEA möglich. Wie sich aus einem schalltechnischen Gutachten ergebe, sei die Errichtung weiterer WEA in diesem Gebiet aufgrund der Vorbelastung jedoch nicht möglich.

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Die Beigeladene beantragt,

den Antrag abzulehnen.

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Sie trägt vor, die geplante Anlage füge sich in das Gesamtbild des vorhandenen Windparks ein. Es erscheine angesichts der Nähe zur Umgehungsstraße J. und zu den Gewerbeflächen der Stadt J. schon fraglich, ob die damalige Bewertung des Landschaftsbildes in diesem Bereich durch den Flächennutzungsplan der Antragstellerin zutreffend gewesen sei. Jedenfalls sei das Landschaftsbild am Standort der geplanten WEA aber heute durch die Windfarm geprägt. Soweit der Flächennutzungsplan dem Schutz des Landschaftsbildes dienen solle, habe er am konkreten Standort der geplanten WEA daher keine Funktion mehr, denn das Landschaftsbild habe sich hier nachhaltig verändert. Es fehle deshalb an einem Schutzgut, welches nachfolgenden Eingriffen in die Landschaft entgegenstehen könnte. Das Plankonzept der Antragstellerin werde nicht berührt, weil lediglich ein Ausnahmefall gegeben sei, der sich aufgrund der Lage des Baugrundstücks in einer Windfarm ergebe. Aufgrund dieses Gepräges sei die geplante WEA genehmigungsfähig. Auf weitere Bezugsfälle komme es nicht an, abgesehen davon seien gebietsbezogene Bezugsfälle über diesen Bereich hinaus nicht gegeben. Zudem hätte sich die Eigentümerin der angrenzenden bebaubaren Flächen ihr gegenüber vertraglich verpflichtet, im Umkreis von 500 m um die geplante WEA Bauwerke, die eine Höhe von 15 m überschreiten, nur mit ihrer Zustimmung zu errichten. Auch aus immissionsschutzrechtlichen Gründen sei die Errichtung weiterer WEA nicht möglich, weil der Bereich immissionsschutzrechtlich vollständig "ausgereizt" sei. Die Befürchtung, im Umfeld der geplanten WEA könnten weitere WEA entstehen, sei daher unbegründet.

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Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses sowie des Verfahrens 5 B 1509/05 und auf den der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

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II.

Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den das gemeindliche Einvernehmen ersetzenden Bescheid des Antragsgegners vom 29. März 2005 wiederherzustellen, ist begründet.

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Die im Rahmen dieser Vorschrift zu treffende Entscheidung hat sich grundsätzlich an dem Ergebnis einer Abwägung des Interesses des Antragsgegners und der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung des durch Bescheid vom 29. März 2005 ersetzten Einvernehmens und dem Interesse der Antragstellerin an einer vorläufigen Aussetzung der Vollziehung zu orientieren. Dabei sind in erster Linie die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs maßgeblich. Diese Interessenabwägung geht zu Gunsten der Antragstellerin aus, denn nach der in diesem Verfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich der Bescheid des Antragsgegners vom 29. März 2005 als voraussichtlich rechtswidrig.

13

Nach § 36 Abs. 2 S. 3 BauGB kann die nach Landesrecht zuständige Behörde - das ist der Antragsgegner - (nur) ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen. Diese tatbestandliche Voraussetzung (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 30. November 2004, 1 ME 190/04) ist hier voraussichtlich nicht gegeben. Vielmehr hat die Antragstellerin nach dem derzeit erkennbaren Sach- und Streitstand ihr Einvernehmen zu Recht versagt. Die Beteiligung der Gemeinde am bauaufsichtlichen Verfahren nach § 36 BauGB dient der Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit, die ihrerseits das Einvernehmen nur dann versagen darf, wenn das Vorhaben nach der maßgeblichen Vorschrift des § 35 BauGB unzulässig ist.

14

Das ist hier der Fall.

15

Das im Außenbereich gelegene Vorhaben der Beigeladenen zur Errichtung einer WEA ist zwar nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegiert. Die Antragstellerin stützt die Versagung ihres Einvernehmens aber zu Recht auf § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB. Danach ist ein nach Abs. 1 Nr. 2 - 6 privilegiertes Vorhaben nicht nur dann unzulässig, wenn dem öffentliche Belange nach § 35 Abs. 1 BauGB entgegenstehen, sondern auch dann, wenn für ein derartiges Vorhaben u.a. im Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002, 4 C 15/01, u.a. BVerwGE 117, S. 287 [BVerwG 17.12.2002 - 4 C 15/01]). Eine derartige Ausweisung hat die Antragstellerin in der am 30. Dezember 1998 in Kraft getretenen 53. Änderung des Flächennutzungsplanes - Sonderbauflächen Windenergieanlagen - für Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB vorgenommen, indem sie eine Konzentrationsfläche für WEA ausgewiesen und in der textlichen Darstellung festgelegt hat, dass WEA außerhalb der Sondergebietsfläche nicht zulässig sind. Diese Darstellung ist wirksam, denn die Planung der Antragstellerin mit dem Ziel, an anderen Stellen als dem Sondergebiet die Errichtung von WEA auszuschließen, leidet nicht an beachtlichen Abwägungsfehlern (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 20. Juli 1999, 1 L 5203/96, NVwZ 1999, 1358). Der Flächennutzungsplan der Antragstellerin ist auch nicht aus sonstigen Gründen unwirksam, insbesondere ist er nicht etwa - wie die Beigeladene meint -funktionslos geworden.

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Flächennutzungspläne sind von der tatsächlichen Entwicklung mit der Folge abhängig, dass sich das Gewicht ihrer Aussagen bis hin zum Verlust der Aussagekraft abschwächen kann. In einem solchen Fall kann der Flächennutzungsplan seine Bedeutung als Konkretisierung öffentlicher Belange und einer geordneten städtebaulichen Entwicklung verlieren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 1990, 4 N 3/88, u.a. ZfBR 1990, S. 296; BVerwG, Urteil vom 18. August 2005, 4 C 13/04, V.n.b.). Allerdings kommt den Darstellungen eines Flächennutzungsplanes nur dann keine Sperrwirkung nach § 35 Abs. 3 BauGB zu, wenn die tatsächliche Entwicklung ihnen in einem sowohl qualitativ wie auch quantitativ so erheblichen Maße zuwider läuft, dass die Verwirklichung der ihnen zu Grunde liegenden Planungsabsichten entscheidend beeinträchtigt wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Oktober 1997, 4 B 185/97, Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 333). Diese Rechtsprechung betrifft Entwicklungen im Plangebiet und es erscheint schon höchst fraglich, ob diese Grundsätze auf Entwicklungen jenseits der Gemeindegebietsgrenze im Geltungsbereich des Flächennutzungsplanes der Nachbargemeinde zu übertragen sind. Dies bedarf im vorliegenden Verfahren jedoch keiner abschließenden Entscheidung, denn das Planungsziel der Antragstellerin, in ihrem Gemeindegebiet WEA in den im Flächennutzungsplan ausgewiesenen Sonderbauflächen zu bündeln und außerhalb dieser Standorte einer Zersiedelung der Landschaft und einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes sowie der Erholungsfunktion entgegen zu wirken, ist durch die Entwicklung jenseits der Gemeindegrenze auf dem Gebiet der Stadt J. keineswegs überholt. Durch den Windpark südöstlich und westlich des betreffenden Gemeindegebietes der Antragstellerin ist das dazwischen liegende Gebiet zwar erheblich belastet, angesichts des Abstandes der aus Blickrichtung Nordost gesehen zwei einander nächstgelegenen WEA von etwa 700 m aber weder quantitativ noch qualitativ derart beeinträchtigt, dass die Verwirklichung der genannten Planungsabsicht der Antragstellerin schlechthin nicht mehr zu verwirklichen wäre. Allein die Feststellung, dass das Planungsziel der Antragstellerin noch verwirklicht werden kann, genügt aber, um die von der Beigeladenen angenommene Funktionslosigkeit in diesem Teil des Gemeindegebietes auszuschließen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. April 1997, 4 B 11/97, u.a. ZfBR 1997 S. 266).

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Der dem Vorhaben der Beigeladenen danach in Gestalt des Flächennutzungsplanes der Antragstellerin entgegen stehende öffentliche Belang im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB stellt allerdings kein absolutes Zulassungshindernis dar. Die Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB tritt "in der Regel" ein. Dies ermöglicht die wegen des typischer Weise globalen Charakters der negativen Darstellung erforderliche Feindifferenzierung. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles ist das private Interesse an der Errichtung der WEA dem öffentlichen Belang einer Nutzungskonzentration an anderer Stelle gegenüber zu stellen. Diese Gewichtung wird aber regelmäßig zu Lasten des privilegierten Vorhabens ausfallen. Denn mit der Regel-Ausnahme-Formel in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass außerhalb der Konzentrationsfläche dem Freihalteinteresse grundsätzlich der Vorrang gebührt, wenn sich die Gemeinde, wie hier die Antragstellerin, mit der Frage der Zulässigkeit von WEA außerhalb der von ihr besonders dargestellten Sonderbauflächen im Rahmen einer entsprechenden negativen Darstellung im Flächennutzungsplan auseinander gesetzt hat (vgl. zu allem: BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002, 4 C 15/01, a.a.O.; OVG Lüneburg, Urteil vom 20. Juli 1999, 1 L 5203/96, a.a.O.). Demgegenüber kann sich das private Interesse an der Errichtung des privilegierten Vorhabens nur in atypischen Einzelfällen durchsetzen. Durch eine derartige Abweichung im Einzelfall darf aber die der Planung zu Grunde liegende Konzeption und das mit der Ausweisung an anderer Stelle verfolgte Steuerungsziel der Gemeinde nicht unterlaufen werden. Hier fehlt es bereits an einer Atypik des geplanten Vorhabens, zudem würde mit einer Zulassung des Vorhabens die planerische Konzeption der Antragstellerin in Frage gestellt.

18

Der Antragsgegner hat das von der Antragstellerin versagte Einvernehmen mit der Erwägung ersetzt, die geplante WEA solle genau zwischen 6 auf dem Gebiet der Stadt J. stehenden WEA errichtet werden. Sie würde sich optisch in das Gesamtbild des vorhandenen Windparks einfügen und dem Betrachter auch nicht besonders auffallen. Diese Sondersituation rechtfertige ein Abweichen von den Darstellungen des Flächennutzungsplanes der Antragstellerin. Die erkennende Kammer teilt zwar die Auffassung, dass sich die streitige Anlage optisch in den bestehenden Windpark einfügt. Der Antragsgegner verkennt aber, dass sich nicht nur die von der Beigeladenen geplante WEA optisch in den vorhandenen Windpark einfügen würde. Auch südöstlich des vorgesehenen Standortes und westlich des Teilbereichs A des Windparks J. würden sich weitere WEA optisch in den Windpark einfügen, unter Umständen wäre sogar noch ein dritter Standort einer WEA in dem südlich wie eine "Nase" in das Gebiet der Stadt J. hineinragenden Bereich denkbar. Angesichts dessen kann von einer Atypik unter dem Gesichtspunkt des optischen Einfügens keine Rede sein. Bei einer bauplanungsrechtlichen Zulassung des Vorhabens der Beigeladenen könnte sich der Antragsgegner weiterer Vorhaben in den sich unmittelbar anschließenden oben genannten Gebieten unter Hinweis auf den Flächennutzungsplan der Antragstellerin schwerlich mit dem Argument erwehren, es fehle an einer Atypik.

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Dem kann nicht mit Erfolg entgegen gehalten werden, die genannten Flächen seien immissionsschutzrechtlich "ausgereizt". Denn hier steht ausschließlich die bauplanungs-rechtliche Zulässigkeit des geplanten Vorhabens und damit auch die bauplanungsrechtliche Atypik zur Beurteilung. Abgesehen davon trägt aber auch die immissionsschutzrechtliche Argumentation nicht, denn die Zusatzbelastung durch weitere WEA hängt im Wesentlichen von der Art und der Größe der Anlagen und nicht zuletzt auch von einer derzeit nichtabsehbaren weiteren technischen Entwicklung sowie davon ab, ob einer etwaigen Überschreitung des zulässigen Immissionsrichtwertes durch Schallschutzmaßnahmen (vgl. dazu die vom Beigeladenen vorgelegte Stellungnahme der IEL vom 18. Dezember 2000, Bl. 132 ff. GA) wirksam begegnet werden kann. Die genannten Flächen sind auch hinreichend groß, um unter Umständen abhängig von der Größe der Anlagen unter Wahrung der erforderlichen Abstände zu den vorhandenen weitere WEA aufnehmen zu können. Schließlich verweist die Beigeladene auch ohne Erfolg auf die privatrechtliche Vereinbarung mit der Eigentümerin der dem geplanten Vorhaben benachbarten Grundstücke. Denn diese wirkt nur zwischen den Beteiligten, zudem können auf den genannten Grundstücken mit Zustimmung des Beigeladenen auch Bauwerke von über 15 m Höhe errichtet werden und schließlich fehlt es an entsprechenden Vereinbarungen für die Flächen westlich und südlich der geplanten Anlage.

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Mit der bauplanungsrechtlichen Zulassung des Vorhabens der Beigeladenen würden aber auch die Steuerungsziele der Antragstellerin unterlaufen. Dabei verkennt die erkennende Kammer nicht, dass das Planungsziel der Antragstellerin, im Gemeindegebiet außerhalb der Sonderbauflächen das Landschaftsbild und die Erholungsfunktion zu schützen und einer Zersiedelung der Landschaft entgegen zu wirken, durch den Windpark jenseits der Gemeindegrenze bereits erheblich tangiert ist. Durch die Zulassung einer weiteren WEA nahezu in der Mitte zwischen bereits vorhandenen, aber immerhin noch etwa 700 m auseinander liegenden WEA auf dem Gebiet der Stadt J. werden die Grundzüge dieser Planung in Frage gestellt und das Planungsziel der Antragstellerin würde nachhaltig unterlaufen.

21

Nach allem hat die Antragstellerin ihr Einvernehmen voraussichtlich zu Recht versagt. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

Die Streitweilfestsetzung beruht auf §52 Abs. 1 GKG i.V.m. Tz. 9.7.2 und Tz. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, an der sich die erkennende Kammer bei der Festsetzung des Streitwerts in ständiger Rechtsprechung orientiert.

Schelzig
Keiser
Winkler