Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 05.11.2021, Az.: 4 EK 23/20

Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer; Besondere Beschleunigungspflicht für Pilotverfahren; Ausstrahlungswirkung von Pilotverfahren

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
05.11.2021
Aktenzeichen
4 EK 23/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 44723
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Wird aus einer Vielzahl gleichgelagerter Verfahren eines zum Pilotverfahren bestimmt, das es ermöglichen soll, über die gesamte "Fallbreite" zu entscheiden und so die dort gewonnenen Erkenntnisse auch für die anderen Parallelverfahren fruchtbar zu machen, so kann dieses Pilotverfahren in seiner Bedeutung im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nicht losgelöst von seiner richtungsweisenden Ausstrahlungswirkung für die weiteren Parallelverfahren betrachtet werden. Der Charakter als Pilotverfahren stellt einen den Gesichtspunkt der Bedeutung des Verfahrens verstärkenden Aspekt dar, der in die nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG gebotene Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls einzustellen ist.

  2. 2.

    Das Ausgangsgericht ist gehalten, ein Pilotverfahren mit höchster Priorität möglichst akkurat und lückenlos zu fördern.

  3. 3.

    Im Falle der Verzögerung eines Pilotverfahrens, das aus einem Komplex mit einer Vielzahl gleichgelagerter gegen den Betroffenen gerichteter Verfahren stammt, ist gemäß der Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG durch das Erleiden der festgestellten Verfahrensverzögerung bereits ein immaterieller Nachteil auf Seiten des Klägers des Entschädigungsverfahrens entstanden, ohne dass dieser überhaupt substantiiert auf negative Folgen eingehen müsste. Denn in dieser Konstellation kann nicht davon gesprochen werden, dass es auf seine Vermögenslage ohne spürbare Auswirkungen bleiben werde, ob er in dem Pilotverfahren obsiegen oder unterliegen werde (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184-198, Rn. 43, juris).

  4. 4.

    Das Pilotverfahren, das auf die Erfordernisse der Bewältigung von Massenverfahren reagiert, hat bereits wegen seiner Ausstrahlungswirkung "an sich" auf eine Vielzahl von abhängigen Verfahren eine herausragende Bedeutung für den Kläger des Entschädigungsverfahrens, die es als atypischen Sonderfall ausweist. Dies stellt eine entschädigungsrelevante Besonderheit dar, die gemäß § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG zu einer Erhöhung der Regelentschädigung aus Billigkeitsgründen führen kann.

  5. 5.

    Neben der drohenden wirtschaftlichen Belastung durch die geltend gemachten Ansprüche ist auch die Anzahl der abhängigen Verfahren gegen den personenidentischen Kläger als Kriterium für die Erhöhung der Regelentschädigung gemäß § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG heranzuziehen. Bezugspunkt für die Mehrbelastung ist dabei nicht der konkrete Streitgegenstand des zum Zwecke der Beweisaufnahme hinzuverbundenen Verfahrens, sondern vielmehr die Bedeutung des Pilotverfahrens, die sich in der Anzahl der von ihm abhängigen Verfahren materialisiert.

  6. 6.

    Die Belastung des Betroffenen durch die "Klageflut" nimmt mit weiteren gegen ihn gerichteten gleichgelagerten Verfahren degressiv ab, wofür ein nach den Umständen des Einzelfalls angemessener Degressionswert bestimmt werden muss. Zur Darstellung der degressiv abnehmenden Belastung können "Verfahrensbündel" gebildet werden, denen anhand des Degressionswertes sodann ein Entschädigungs-Teilbetrag zugewiesen wird.

  7. 7.

    Die Berücksichtigung der Anzahl der abhängigen Verfahren bei der Bemessung der billigen Entschädigung in dem das Pilotverfahren betreffenden Entschädigungsprozess stellt sicher, dass der durch die Überlänge bedingte immaterielle Nachteil (nur) dort bewertet und ausgeglichen wird, wo er auch eintritt, nämlich im Rahmen des Entschädigungsprozesses, der die Verzögerung des Pilotverfahrens behandelt. Die durch die Überlange eines Pilotverfahrens verursachten passiven Auswirkungen auf - vom Pilotverfahren abhängige - Parallelverfahren, die während der Bearbeitung des Pilotverfahrens faktisch ruhen, sind objektiv dem Pilotverfahren zurechenbar und nicht den Parallelverfahren.

  8. 8.

    Nur dann, wenn durch die (Nicht-) Bearbeitung des abhängigen Parallelverfahrens selbst weitere Verzögerungen eintreten, kommt auch im Entschädigungsprozess des abhängigen Parallelverfahrens die Entstehung eines weitergehenden immateriellen Nachteils in Betracht.

Tenor:

  1. 1.

    Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 6.426,61 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. April 2020 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  1. 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 44 % und das beklagte Land zu 56 %.

  2. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

  3. 4.

    Die Revision wird zugelassen.

  4. 5.

    Der Streitwert wird auf eine Wertstufe bis 13.000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger nimmt das beklagte Land Niedersachsen gemäß § 198 GVG auf Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer in einem vor dem Landgericht Göttingen zum Aktenzeichen 2 O 1136/11 geführten Verfahren in Anspruch.

Bei dem Landgericht Göttingen waren seit den Jahren 2006 bis 2008 sowie 2010/2011 insgesamt mehr als 4.000 Kapitalanlage-Verfahren im Zusammenhang mit dem Unternehmensverbund "G. Gruppe" anhängig, die zunächst allein von der 2. Zivilkammer bearbeitet wurden.

Ab dem Jahre 2011 übertrug das Präsidium des Landgerichts Göttingen die Hälfte der anhängigen Verfahren aus diesem Komplex auf die 14. Zivilkammer.

Beide Kammern bestimmten aus zwei "Serien" - der sogenannten Hauptserie mit insgesamt über 4.000 Verfahren einerseits und der - hier gegenständlichen - sogenannten L.-Serie mit insgesamt ca. 280 Verfahren andererseits - jeweils ein Muster- bzw. Pilot-Verfahren, die vorrangig - unter Durchführung von Beweisaufnahmen - gefördert werden sollten. Die hiervon abhängigen weiteren Verfahren wurden ausschließlich zum Zwecke der gemeinsamen Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu den jeweiligen Kammer-Pilotverfahren der 2. und 14. Zivilkammer kammerintern miteinander verbunden. Die 2. und die 14. Zivilkammer gingen hierbei abgestimmt einheitlich in der Weise vor, dass für die jeweiligen Pilotverfahren der Hauptserie einerseits und der L.-Serie andererseits nur ein - für alle Verfahren der jeweiligen Kammer einheitliches - schriftliches Gutachten desselben Sachverständigen eingeholt wurde.

Die 14. Zivilkammer bestimmte als Pilotverfahren der Hauptserie das Verfahren zum Aktenzeichen 14 (2) O 2179/07 und als Pilotverfahren der L.-Serie das Verfahren zum Aktenzeichen 14 (2) O 1135/11. Die 2. Zivilkammer designierte das Verfahren zum Aktenzeichen 2 O 1802/07 zum Pilotverfahren der Hauptserie und zum Pilotverfahren der L.-Serie das hier gegenständliche Ausgangsverfahren zum Aktenzeichen 2 O 1136/11, von dem nicht mehr als 140 Verfahren als kammerintern hinzuverbundene Verfahren abhängig sind.

In sämtlichen Verfahren der L.-Serie wurde bzw. wird der Kläger des Entschädigungsverfahrens - teilweise (gesamtschuldnerisch) neben anderen Verantwortlichen - in seiner Eigenschaft als Verantwortlicher ("Konzeptant") von Beteiligungsmodellen der G. Gruppe als Beklagter in Anspruch genommen.

In dem hier gegenständlichen Ausgangsverfahren zum Aktenzeichen 2 O 1136/11 verlangte die Klägerin zu 1) von ihm Zahlung eines Betrages in Höhe von 2.767,51 Euro, der Kläger zu 2) Zahlung von 2.041,62 Euro, beide Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich künftig noch entstehender Schäden aus der Beteiligung an der L. AG in Form atypischer stiller Beteiligung (abgeschlossen im Jahre 1991) und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten wegen Betruges, Kapitalanlagebetruges und vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung.

Die 131 Seiten umfassende und auf mehr als 200 Anlagen Bezug nehmende Klageschrift vom 28.10.2011 ging am 28.12.2011 bei dem Landgericht Göttingen ein und wurde dem Beklagten zu 1) im Ausgangsverfahren und Kläger des Entschädigungsverfahrens am 27.02.2012 zugestellt.

Sowohl letzterer als auch der Beklagte zu 2) im Ausgangsverfahren zeigten rechtzeitig Verteidigungsbereitschaft an. Gegen den Beklagten zu 3) des Ausgangsverfahrens erließ die Kammer am 23.03.2012 antragsgemäß ein Versäumnis-Teilurteil.

Der Beklagte zu 1) im Ausgangsverfahren und Kläger des Entschädigungsverfahrens erwiderte - nach auf seinen Antrag hin gewährter Verlängerung der Klageerwiderungsfrist bis zum 30.06.2012 - mit Schriftsatz vom 26.06.2012, stellte einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und erhob die Einrede der Verjährung. Zu den die kenntnisabhängige Verjährung begründenden Tatsachen trat er bereits in der Klageerwiderung Beweis an durch Parteivernehmung, Zeugnis des Insolvenzverwalters der G. Gruppe und Einholung der Klägerkorrespondenz von der Anlegerverwaltung. Daneben vertrat er den Standpunkt, dass die Klage unschlüssig sei, weil es an Vortrag zur haftungsbegründenden Kausalität vermeintlich unzutreffender Prospektangaben fehle. Auch sei seiner Ansicht nach der Nachweis eines Schädigungsvorsatzes nicht zu führen.

Mit Verfügung vom 08.05.2013 beraumte der Vorsitzende der 2. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 05.06.2013 an. Zugleich erteilte er den Hinweis, dass die Kammer nach vorläufiger Bewertung beabsichtige, von Amts wegen ein Sachverständigengutachten zu einzelnen Behauptungen der Kläger betreffend die geschäftliche Konzeption der L. AG sowie zu drei weiteren Fragen des Gerichts einzuholen. Wegen der Einzelheiten zum Inhalt des beabsichtigten Beweisbeschlusses wird auf Seite 30 der Klageschrift vom 10.02.2020 Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 28.05.2013 "aktualisierten" die Kläger des Ausgangsverfahrens ihre Anträge und ergänzten ihren Vortrag zur Unzuständigkeit der 2. Zivilkammer sowie zur Kausalität der Prospektangaben für ihre Beitrittsentscheidung.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2013 wurden der Inhalt und die Formulierung des beabsichtigten Beweisbeschlusses erörtert. Der Beklagte zu 1) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens beantragte Schriftsatznachlass auf den Schriftsatz der Kläger des Ausgangsverfahrens vom 28.05.2013 bis zum 19.06.2013, der antragsgemäß gewährt wurde.

Nach Berücksichtigung eines Klarstellungs-Vorschlages der Kläger des Ausgangsverfahrens und teilweiser Berücksichtigung eines Änderungsvorschlages des damaligen Beklagten zu 1) des Ausgangsverfahrens und Klägers des Entschädigungsverfahrens zu der aus seiner Sicht gebotenen Einnahme einer ex-ante-Perspektive bei der Begutachtung verkündete die Kammer sodann am 03.07.2013 einen Beweisbeschluss, mit dem von Amts wegen die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu vier Behauptungen der Kläger und vier daraus abgeleiteten Fragestellungen des Gerichts angeordnet wurde. Ausweislich des Beweisbeschlusses beabsichtigte die Kammer, Dr. B und Dipl.-Kfm. C aus S. als gleichrangige Sachverständige zu bestellen. Vor der endgültigen Beauftragung sollte allerdings eine Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig zum Befangenheitsgesuch des damaligen Beklagten zu 1) und Klägers des Entschädigungsverfahrens gegen beide Sachverständige im Pilotverfahren der Hauptserie zum Aktenzeichen 2 O 1802/07 abgewartet werden, die - ohne Kenntnis der Kammer - bereits zuvor mit Beschluss vom 28.06.2013 mit dem Inhalt ergangen war, dass das Befangenheitsgesuch gegen beide Sachverständige für begründet erklärt wurde.

Der Bestellung der Sachverständigen Dr. B und Dipl.-Kfm. C im Pilotverfahren 2 O 1802/07 war bereits - durch Beschluss vom 19.07.2012 - die Beauftragung des Sachverständigen A vorausgegangen, der nach Übersendung der Akten eine Bearbeitungsdauer von mindestens zwei bis drei Jahren angekündigt und für die Bearbeitung der ersten Begutachtungsstufe im Umfang von mindestens 12 Monaten die Kosten auf mindestens 500.000 Euro geschätzt hatte. Den Sachverständigen A hatte der Kläger des Entschädigungsverfahrens im Oktober 2012 wegen widerstreitender Interessen zwischen dessen Tätigkeiten als Insolvenzverwalter einerseits und als Sachverständiger andererseits wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Kammer hatte dieses Befangenheitsgesuch zwar mit Beschluss vom 14.01.2013 für unbegründet erklärt, ihn aber in Ausübung des richterlichen Ermessens gleichwohl von seinen Pflichten als Sachverständiger entbunden. Mit Verfügung vom 06.02.2013 hatte der Vorsitzende den Parteien des Pilotverfahrens 2 O 1802/07 sodann die Sachverständigen Dr. B und C vorgeschlagen und eine Frist zur Stellungnahme (zunächst) bis zum 08.03.2013 gesetzt. Der Kläger des Entschädigungsverfahrens hatte sich daraufhin für die Auswahl des Sachverständigen Prof. Dr. D ausgesprochen, und nach Bestellung der Sachverständigen Dr. B und C durch Beschluss vom 15.03.2013 diese unter dem 25.03.2013 als befangen abgelehnt. Das Befangenheitsgesuch, dem ein weiterer Beklagter des Pilotverfahrens der Hauptserie beigetreten war, hatte die Kammer durch Beschluss vom 02.05.2013 für unbegründet erklärt, wogegen der Kläger des Entschädigungsverfahrens sofortige Beschwerde eingelegt hatte, die letztlich nach dem Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 28.06.2013 Erfolg hatte.

Nach Bekanntwerden dieses Beschlusses baten die Vorsitzenden der 2. und der 14. Zivilkammer mit Schreiben vom 18.07.2013 aus dem jeweils in ihrer Kammer führenden Verfahren heraus die Wirtschaftsprüferkammer Berlin um die Benennung eines geeigneten Sachverständigen, an dessen Beantwortung der Vorsitzende mit Verfügung vom 16.08.2013 erinnerte, und woraufhin die Wirtschaftsprüferkammer mit Schreiben vom 19.08.2013 in Betracht kommende Sachverständige vorschlug.

Zwischenzeitlich wies die Kammer das Prozesskostenhilfe-Gesuch des damaligen Beklagten zu 1) und Klägers des Entschädigungsverfahrens mit Beschluss vom 27.08.2013 zurück.

In dem Pilotverfahren 2 O 1802/07 beantragte der Kläger des Entschädigungsverfahrens mit Schriftsatz vom 09.09.2013 die Anforderung von Auskünften des Finanzamtes.

Durch Vermerke des Vorsitzenden vom 02.10.2013, 16.10.2013, 29.10.2013 und 30.10.2013 im Pilotverfahren der Hauptserie 2 O 1802/07 ist die Kontaktaufnahme mit verschiedenen, von der Wirtschaftsprüferkammer Berlin benannten Sachverständigen dokumentiert. Mit E-Mail vom 11.11.2013 trat der Vorsitzende sodann an den Sachverständigen S. heran. Dieser beantwortete mit E-Mails vom 18.11.2013 und 20.11.2013 Anfragen des Vorsitzenden und brachte in einem unter dem 21.11.2013 dokumentierten Telefonat mit dem Vorsitzenden der 2. Zivilkammer weitere Einzelheiten einer Beauftragung, unter anderem mit Blick auf die Vergütung, in Erfahrung.

Mit Verfügung vom 21.11.2013 schlug die Kammer den Parteien sodann auch in dem hier gegenständlichen Ausgangsverfahren 2 O 1136/11 den Sachverständigen Dipl.-Kfm. S., Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Partner der X GmbH & Co. KG, B., vor, und räumte den Parteien hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 20.12.2013 ein.

Der Kläger des Entschädigungsverfahrens beantragte unter dem 19.12.2013 die Verlängerung der Frist zur Stellungnahme bis zum 31.01.2014. Dieses Ersuchen wies der Kammervorsitzende am 09.01.2014 mangels erheblicher Gründe im Sinne des § 224 Abs. 2 ZPO zurück.

Mit Schriftsatz vom 20.12.2013 äußerten die Kläger des Ausgangsverfahrens Bedenken gegen die Neutralität des Sachverständigen S.

Durch Beschluss vom 14.01.2014 bestellte die 2. Zivilkammer sowohl in dem hier gegenständlichen Ausgangs- und Pilotverfahren der L.-Serie 2 O 1136/11 als auch in dem als Pilotverfahren der Hauptserie designierten Verfahren 2 O 1802/07 den Wirtschaftsprüfer S. zum Sachverständigen und erteilte diesem unter dem 27.01.2014 Gutachtenauftrag, wobei wegen der Einzelheiten zu Hinweisen auf die gutachterlichen Pflichten auf Seite 36 der Klageschrift vom 10.02.2020 Bezug genommen wird. An den Sachverständigen übersandt wurden neben den Hauptakten des Ausgangsverfahrens auch eine Vielzahl von Beiakten, darunter 223 Ordner aus den Hauptakten des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Braunschweig zum Aktenzeichen 402 Js 15388/00 betreffend Verantwortliche der "G. Gruppe". Wegen der Einzelheiten zu den mitübersandten Unterlagen wird auf Seiten 38 bis 39 der Klageschrift vom 10.02.2020 verwiesen.

Die X GmbH & Co. KG bestätigte mit Schreiben vom 25.02.2014 den Eingang des Auftrages, gezeichnet von dem Sachverständigen S. und dem allein vertretungsberechtigten Gesellschafter-Geschäftsführer der Komplementärin X Beteiligungs-GmbH, Herrn B., und stellte unter anderem eine Begutachtungsdauer von 12 Monaten in Aussicht.

Daraufhin wies das Gericht den Sachverständigen S. mit Schreiben vom 28.02.2014 darauf hin, dass der Gutachtenauftrag ihm persönlich erteilt worden sei, und dass die in dem Antwortschreiben mitübersandten allgemeinen Geschäftsbedingungen der X GmbH und Co. KG keine Geltung beanspruchen könnten.

Unter dem 15.05.2014, 03.07.2014 und dem 14.08.2014 erkundigte sich der Kammervorsitzende bei dem Sachverständigen S. jeweils nach dem Sachstand. Schwierigkeiten oder Verzögerungen bei der Begutachtung wurden nicht berichtet.

Mit Schreiben vom 17.09.2014 forderte die X GmbH & Co. KG weitere Unterlagen zwecks Verwertung bei der Begutachtung an. Dieses Schreiben übersandte das Gericht den Parteien durch Verfügung vom 25.09.2014 mit Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen. Die beiden verbliebenen Beklagten des Ausgangsverfahrens teilten mit, dass sie über die geforderten Unterlagen nicht verfügten. Die Kläger des Ausgangsverfahrens hingegen beantragten unter dem 27.10.2014 Fristverlängerung zur Stellungnahme binnen sechs Wochen. Mit Verfügung des Gerichts vom 11.11.2014 wurde die Frist antragsgemäß bis zum 08.12.2014 verlängert. Unter dem 08.12.2014 ersuchten die Kläger des Ausgangsverfahrens erneut um Fristverlängerung im Umfang von weiteren zwei Wochen. Hierzu wurde dem Kläger des Entschädigungsverfahrens und dem weiteren Beklagten durch gerichtliche Verfügung vom 09.12.2014 Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer Woche eingeräumt. Der Kläger behauptet, dass er der Fristverlängerung widersprochen habe.

Mit Schriftsatz vom 22.12.2014 legten die Kläger des Ausgangsverfahrens weitere Anlagen zur Berücksichtigung durch den Sachverständigen vor. Das Gericht leitete diese mit Verfügung vom 07.01.2015 an den Sachverständigen weiter und setzte die Parteien hiervon in Kenntnis.

Der Beklagte zu 1) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens rügte dieses Vorgehen unter dem 02.02.2015 ausdrücklich und vertrat vor dem Hintergrund, dass das Gericht dem zuletzt angebrachten Fristverlängerungsgesuch der Kläger des Ausgangsverfahrens nicht entsprochen hatte, die Auffassung, dass deren Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 22.12.2014 nebst Anlagen gemäß § 296 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO als verspätet zurückzuweisen sei und daher bei der Begutachtung nicht berücksichtigt werden dürfe.

Zur Begründung stützte er sich auch auf den Umstand, dass der Sachverständige S. den Kammervorsitzenden am 22.01.2015 telefonisch darüber informiert hatte, dass abweichend von der ursprünglichen Einschätzung aus Februar 2014 das Gutachten nun doch nicht Ende März 2015 fertiggestellt werden könne. Die Unterlagen aus dem Schriftsatz vom 22.12.2014 müssten noch ausgewertet werden, was zu einer Verzögerung bei der Gutachtenerstellung führe, sodass mit dem Eingang des Gutachtens voraussichtlich im Juni 2015 zu rechnen sei.

Am 13.04.2015 erkundigte sich der Kammervorsitzende bei dem Sachverständigen erneut nach dem Sachstand, woraufhin die Fertigstellung bis Ende Juni 2015 zugesagt wurde.

Unter dem 22.06.2015 teilte der Sachverständige dem Gericht - nach entsprechender telefonischer Ankündigung gegenüber dem Kammervorsitzenden am 15.06.2015 - mit, dass sich die Fertigstellung des Gutachtens noch über den 30. Juni 2015 hinaus, voraussichtlich bis Ende Juli 2015, erstrecken werde. Grund hierfür sei die Notwendigkeit weiterer Analysen, die er im Zuge der Formulierung des Gutachtens erkannt habe.

Mit weiterem Schreiben vom 21.07.2015 informierte der Sachverständige darüber, dass mit der Vorlage des Gutachtens nunmehr in der zweiten Augusthälfte 2015 zu rechnen sei, da der Durchlauf durch das Schreibbüro und die drucktechnischen Arbeiten bewältigt werden müssten.

Mit Schriftsatz vom 20.08.2015 hielten die Kläger des Ausgangsverfahrens weiteren Sachvortrag und reichten zusätzliche Anlagen ein. Auch diese leitete der Kammervorsitzende unter dem 02.09.2015 zwecks Berücksichtigung bei der Begutachtung an den Sachverständigen weiter.

Mit Schreiben vom 26.08.2015 teilte der Sachverständige mit, dass mit dem Abschluss der Begutachtung nicht vor Ende Oktober 2015 zu rechnen sei.

Am 06.10.2015 erhielt der Vorsitzende auf seine Nachfrage von dem Sachverständigen die Auskunft, dass das Gutachten Ende Oktober 2015 vorliegen werde.

Unter dem 03.11.2015 eröffnete der Sachverständige dem Gericht sodann, dass wegen Erkrankung und medizinischer Behandlung seiner Person das Gutachten erst Ende November 2015 übersandt werden könne. Unter dem 27.11.2015 ließ er wissen, dass er das Gutachten Ende des Jahres 2015 übergeben werde. Die abschließenden Arbeiten nähmen mehr Zeit in Anspruch als prognostiziert.

Mit Schriftsatz vom 24.11.2015 erhob der damalige Beklagte zu 1) und Kläger des Entschädigungsverfahrens - ergänzend zur Klageerwiderung aus Juni 2012 - nochmals die Einrede der Verjährung und trat zu den die kenntnisabhängige Verjährung begründenden Tatsachen Beweis an. Daneben stellte er Anträge auf Aufhebung des Beweisbeschlusses vom 03.07.2013 und Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung wegen Entscheidungsreife. Das Gericht übersandte den Klägern diesen Schriftsatz durch Verfügung vom 26.11.2015 unter Fristsetzung zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zugang. Auf Antrag der Kläger wurde die Stellungnahmefrist durch das Gericht bis zum 13.01.2016 verlängert. Die Kläger des Ausgangsverfahrens erwiderten zur Einrede der Verjährung mit am 13.01.2016 eingehendem Schriftsatz vom selben Tage.

Mit Schreiben vom 18.12.2015 kündigte der Sachverständige die Auslieferung des Gutachtens für den 15.01.2016 an.

Ausweislich eines Vermerks des Kammervorsitzenden der 14. Zivilkammer vom 14.01.2016 revidierte der Sachverständige diese Zusage mit der Begründung, dass eine schwere Erkrankung einer Person aus dem engsten Familienkreis ihn an der Fortsetzung der Begutachtung hindere.

Am 27.01.2016 war weiterhin kein Gutachteneingang bei Gericht zu verzeichnen, was der Sachverständige damit erklärte, dass sich die bereits offenbarten Umstände aus seinem höchstpersönlichen Lebensbereich dramatisch zugespitzt hätten.

In einem Telefonat mit dem Sachverständigen am 22.02.2016 - nach fruchtlosem Verstreichen des Abgabetermins - eröffnete der Sachverständige dem Vorsitzenden der 14. Zivilkammer, dass nur das Gutachten für die Hauptserie fertiggestellt sei, nicht aber das L.-Gutachten, das jedoch aus dem Hauptserie-Gutachten entwickelt werde. In diesem Telefonat wies der Vorsitzende der 14. Zivilkammer den Sachverständigen darauf hin, dass die Kammer "nicht umhinkommen" werde, ihm bezüglich des L.-Gutachtens eine förmliche Frist nach § 411 Abs. 1 ZPO zu setzen.

Am 24.02.2016 ging das Sachverständigen-Gutachten vom 23.02.2016 betreffend die Hauptserie 2 O 1802/07 bei Gericht ein.

Mit Beschluss vom 29.02.2016 setzte die Kammer dem Sachverständigen in dem hier gegenständlichen Ausgangsverfahren für die Vorlage des Gutachtens bei Gericht gemäß § 411 Abs. 1 ZPO - erstmals - eine Frist bis zum 30.05.2016.

Am 31.05.2016 legte der Sachverständige sodann das 216 Seiten umfassende und auf ca. 200 Seiten Anlagen Bezug nehmende Gutachten betreffend die hier gegenständliche L.-Serie vor. Die Kammer leitete es den Parteien am 03.06.2016 unter Fristsetzung gemäß § 411 Abs. 4 ZPO zur Kenntnis- und Stellungnahme bis zum 01.08.2016 zu.

Mit Schriftsatz vom 27.07.2016 nahm der Beklagte zu 1) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens Stellung zu dem Gutachten und lehnte zugleich den Sachverständigen gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1, §§ 42 ff. ZPO wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Letzteres begründete er damit, dass in Wahrheit nicht der Sachverständige S., sondern die dazu nicht bestellte X GmbH & Co. KG bzw. deren Mitarbeiter das Gutachten verfasst hätten. Das Gutachten verfehle das Beweisthema, lege einseitig zu seinem Nachteil die Beweismittel der Kläger des Ausgangsverfahrens zugrunde und sei auch ansonsten mangelhaft, indem es etwa zu Unrecht eine ex-post- an Stelle einer ex-ante-Analyse vornehme, unzutreffende Anknüpfungstatsachen zugrunde lege und ein Modell konstruiere, welches mit der Wirklichkeit nichts gemein habe.

Das Gericht forderte den Sachverständigen durch Verfügung vom 03.08.2016 unter Fristsetzung bis zum 24.08.2016 dazu auf, zu dem Befangenheitsgesuch Stellung zu nehmen, was unter dem 24.08.2016 erfolgte.

Am 01.08.2016 beantragte der Beklagte zu 2) des gegenständlichen Ausgangsverfahrens Fristverlängerung zur Stellungnahme bis zum 14.10.2016. Am selben Tage ersuchten die Kläger des Ausgangsverfahrens darum, die Stellungnahmefrist zu dem Gutachten um weitere drei Monate bis einschließlich 01.11.2016 zu verlängern. Der Beklagte zu 1) und Kläger des Entschädigungsverfahrens trat diesem Ansinnen entgegen, da ausreichende Gründe zur Rechtfertigung einer Fristverlängerung nicht vorgetragen seien und die gesetzte Frist genüge. Die Kammer verlängerte die Stellungnahmefrist durch Beschluss vom 17.08.2016 einheitlich bis zum 01.11.2016.

Mit Schreiben vom 13.10.2016, eingehend bei Gericht am 16.10.2016, beantragte die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Göttingen die gerichtliche Festsetzung der Sachverständigenvergütung gemäß § 4 JVEG.

Auf Antrag des Beklagten zu 2) des Ausgangsverfahrens wurde die Frist zur Stellungnahme zu dem Sachverständigengutachten für alle Parteien einheitlich nach Anhörung durch Beschluss der Kammer vom 08.11.2016 nochmals bis zum 15.11.2016 verlängert.

Mit Schriftsatz vom 04.11.2016 rügten die Kläger des Ausgangsverfahrens das Gutachten als aus ihrer Sicht fehlerhaft. Gleiches beanstandete der Beklagte zu 2) des Ausgangsverfahrens mit Schriftsatz vom 15.11.2016. Mit weiterem Schriftsatz vom 15.11.2016 begründete letzterer zudem auf 111 Seiten das von ihm dort angebrachte Befangenheitsgesuch gegen den Sachverständigen.

Mit Beschluss vom 24.03.2017 wies die Kammer die Ablehnungsgesuche gegen den Sachverständigen (in der Besetzung D, G, F) als unbegründet zurück.

Durch Beschluss vom 23.02.2017 hatte die zuständige Einzelrichterin das Verfahren zur Entscheidung über den Antrag der Bezirksrevisorin auf gerichtliche Festsetzung der Vergütung des Sachverständigen vom 13.10.2016 auf die Kammer übertragen. Die Entscheidung darüber erfolgte durch 32-seitigen Beschluss vom 07.07.2017 (in der Besetzung F als Vorsitzende, G, I).

Nach der Vergütungsfestsetzungs-Entscheidung vom 07.07.2017 forderte das Gericht mit Verfügung vom 19.07.2017 von den Parteien noch einen Auslagenvorschuss "nach Kopfzahl" für die Einholung des Sachverständigengutachtens an.

Als nach diesem Datum keine weiteren verfahrensleitenden Verfügungen mehr ergingen, erhob der Kläger des Entschädigungsverfahrens am 24.10.2017 sowohl in dem führenden Ausgangsverfahren 2 O 1136/11 als auch in weiteren dort näher von ihm bezeichneten, zum Zwecke der Beweisaufnahme verbundenen Verfahren die Verzögerungsrüge. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 24.10.2017 in dem Verfahren 2 O 1136/11 (Bl. 1125-11443 SH 2 O 1136/11 Bd. III) verwiesen.

In dem bei der 2. Zivilkammer führenden Verfahren der Hauptserie zum Aktenzeichen 2 O 1802/07 hatte sich der Verfahrensablauf nach Eingang des Sachverständigengutachtens bei Gericht am 24.02.2016 wie folgt dargestellt:

Die Kammer hatte zunächst die auch dort angebrachten Ablehnungsgesuche gegen den Sachverständigen S. (für den Kläger des Entschädigungsverfahrens durch Schriftsatz vom 11.04.2016) durch 70-seitigen Beschluss vom 29.11.2016 für unbegründet erklärt und den hiergegen gerichteten Beschwerden mit Beschluss vom 03.02.2017 nicht abgeholfen. Das Oberlandesgericht Braunschweig hatte die Beschwerden mit Beschluss vom 03.04.2017 als unbegründet zurückgewiesen, ebenso durch Beschluss vom 29.06.2017 die hiergegen gerichteten Anhörungsrügen der Beklagten des Hauptserie-Pilotverfahrens 2 O 1802/07. Parallel dazu hatte das Landgericht auf Antrag der Bezirksrevisorin durch Beschluss vom 07.07.2017 die an den Sachverständigen zu zahlende Vergütung festgesetzt.

In dem Zeitraum ab Juli 2017 bis Mitte Oktober 2018 wandte sich die Kammer der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Sachverständigengutachten in dem Pilotverfahren der Hauptserie zum Aktenzeichen 2 O 1802/07 zu. Dabei wertete sie das Sachverständigengutachten der Hauptserie im Umfang von 600 Seiten nebst Stellungnahmen der Parteien einschließlich knapp 30 Umzugskartons beigezogener Unterlagen, 20 Ordnern mit von den Parteien eingereichten Unterlagen und - dem Antrag des Klägers des Entschädigungsverfahrens folgend - mehreren in einem vor dem Oberlandesgericht Braunschweig geführten Verfahren zum Anlagemodell der "G. Gruppe" eingeholten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. D aus, dessen Betrachtung einem von dem Sachverständigen S. gewählten abweichenden Ansatz folgt. Auf dieser Grundlage erließ die 2. Zivilkammer (in der Besetzung D, B, G) am 16.10.2018 in dem führenden Verfahren der Hauptserie 2 O 1802/07 einen 25-seitigen Hinweis-, Auflagen- und Beweisbeschluss (Bl. 1202 ff. SH 2 O 1136/11 Bd. III) mit Gelegenheit zur Stellungnahme für die Parteien bis zum 30.11.2018. Die Endfassung des ergänzenden Beweisbeschlusses in der Hauptserie erging nach Auswertung der Stellungnahmen der Parteien am 10.04.2019.

Mit Schriftsatz vom 10.09.2018 reichte der Kläger des Entschädigungsverfahrens ein Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 30. April 2018 (Aktenzeichen 3 U 33/12, vorgehend Landgericht Göttingen 2 O 396/10) zur Akte des hier gegenständlichen Ausgangsverfahrens 2 O 1136/11 und vertrat die Ansicht, dass die Klage nunmehr wegen Unschlüssigkeit abzuweisen sei. Mit Urteilen vom 30.04.2018 - u.a. zum vorgenannten Aktenzeichen 3 U 33/12 - hatte der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig - nach Einholung eines Sachverständigengutachtens des Wirtschaftsprüfers Prof. Dr. D, C. - die Berufungen der Kläger gegen die (bezogen auf den Beklagten zu 1 des Ausgangsverfahrens) klageabweisenden Urteile des Landgerichts Göttingen zurückgewiesen.

Unter dem 20.09.2018 teilte die 2. Zivilkammer mit, dass sie die Beiziehung von sechs Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. D veranlasst habe.

Im November 2018 bemerkte die 2. Zivilkammer erstmals, dass das Original der Klageschrift des Ausgangsverfahrens abhandengekommen war, weswegen die Prozessbeteiligten um Aufklärung gebeten wurden. Nachdem die Nachforschungen ohne Erfolg geblieben waren, wurde im Januar 2019 insoweit die Rekonstruktion der Akte veranlasst.

Am 29.01.2019 erhob der Beklagte zu 1) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens erneut Verzögerungsrüge, wobei wegen der Einzelheiten auf den Schriftsatz vom 29.01.2019 in dem Verfahren 2 O 1136/11 (Bl. 1198-1199 SH 2 O 1136/11 Bd. III) Bezug genommen wird.

Am 04.03.2019 fasste die 2. Zivilkammer (in der Besetzung D, H, G) in dem hier gegenständlichen Ausgangsverfahren einen 15-seitigen Hinweis-, Auflagen- und Beweisbeschluss, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 1215 ff. SH 2 O 1136/11 Bd. III). In diesem kündigte sie an, dass sie beabsichtige, ein schriftliches Ergänzungsgutachten des Sachverständigen S. einzuholen. Den Parteien wurde eine Frist zur Stellungnahme bis zum 29.04.2019 gesetzt. Sowohl Kläger- als auch Beklagtenseite beantragten Fristverlängerung bis zum 29.05.2019 bzw. 07.06.2019. Den Fristverlängerungsersuchen entsprach die Kammer, indem sie die Stellungnahmefrist einheitlich bis zum letztgenannten Datum verlängerte.

Mit Verfügung vom 12.04.2019 veranlassten die Vorsitzenden der 2. und 14. Zivilkammer die Übersendung des Beweisbeschlusses an den Sachverständigen S. und baten ihn, bis zum 10.05.2019 mitzuteilen, ob, und wenn ja, in welchem zeitlichen Rahmen und mit welchem Kostenaufwand ihm eine Gutachtenerstattung möglich sei. Ende Mai 2019 erklärte der Sachverständige seine Bereitschaft zur Fortsetzung der Begutachtung.

Mit Schriftsatz vom 07.06.2019 stellte sich der Kläger des Entschädigungsverfahrens der Ergänzungsbegutachtung durch den Sachverständigen S. entgegen und beantragte im Wesentlichen, das Gutachten des Sachverständigen S. für unverwertbar zu erklären und stattdessen die anderen beigezogenen gerichtlichen schriftlichen Sachverständigengutachten zu verwerten.

Unter dem 28.06.2019 ergänzte die Kammer den Hinweis-, Auflagen- und Beweisbeschluss vom 04.03.2019 und setzte dem Sachverständigen gemäß § 411 Abs. 1 ZPO eine Frist zur Übermittlung des Gutachtens bis zum 31.08.2020. Am selben Tage wurde die Übersendung der Akte an den Sachverständigen veranlasst.

Mit Beschluss vom 15.08.2019 ordnete die 2. Zivilkammer für die Einholung des Sachverständigengutachtens gegenüber den jeweiligen Klägern die Zahlung von Auslagenvorschüssen an.

Mit Schriftsatz vom 16.10.2019, dem Beklagten zu 1) und Kläger des Entschädigungsverfahrens zugestellt am 20.10.2019, nahmen die Kläger des Ausgangsverfahrens die Klage zurück. Der Entschädigungskläger stimmte der Klagerücknahme mit Schriftsatz vom 04.11.2019, eingehend bei Gericht am 05.11.2019, zu.

Das Schlussurteil der Kammer mit Kostenentscheidung und Festsetzung des Streitwertes wurde am 20.12.2019 verkündet und dem Beklagten zu 1) und Kläger des Entschädigungsverfahrens am 03.01.2020 zugestellt.

Der Kläger des Entschädigungsverfahrens vertritt die Auffassung, dass das beendete Ausgangsverfahren von dem Landgericht Göttingen nicht in angemessener Zeit verhandelt und abgeschlossen worden sei. Das Gericht hätte sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens bemühen müssen, was vorliegend "völlig ausgeblendet" worden sei.

Die Gesamtverfahrensdauer von 7 Jahren und 11 Monaten sei bereits für sich genommen unangemessen lang.

Dabei unterscheidet der Kläger zwischen zwei Verfahrensabschnitten, nämlich

1. dem Zeitraum vom 01.01.2012 bis 30.06.2013 (im Umfang von 18 Monaten) und

2. dem Zeitraum vom 01.07.2013 bis 30.11.2019 (im Umfang von 77 Monaten).

Die durch den zweiten Verfahrensabschnitt in Anspruch genommene Verfahrensdauer sei als rechtsstaatswidrige Verzögerung zu bewerten.

Dabei habe sich das Ausgangsverfahren bereits im ersten Verfahrensabschnitt aus mehreren Gründen als entscheidungsreif im Sinne des § 300 Abs. 1 ZPO erwiesen.

Zum einen habe das Landgericht Göttingen dem bereits in seiner Klageerwiderung von dem Entschädigungskläger erhobenen Einwand der Unschlüssigkeit der Klage zu Unrecht keine Beachtung geschenkt. Nach seiner Ansicht seien nämlich sowohl die tatsächlichen Grundlagen als auch die aufgeworfenen Rechtsfragen bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung vollumfänglich - und zwar zu seinen Gunsten - geklärt gewesen.

In diesem Zusammenhang verweist er auf die unter anderem zur Tragfähigkeit des Beteiligungskonzeptes der Beteiligungsgesellschaften der G. Gruppe in dem Zeitraum der Jahre 1995 bis 2018 ergangene Rechtsprechung, die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsergebnisse, insbesondere in dem von der Staatsanwaltschaft Braunschweig zum Vorwurf des Kapitalanlagebetruges gegen Verantwortliche der "G. Gruppe" geführten Verfahren 402 Js 15388/00, und die Ergebnisse der eingeholten Sachverständigengutachten, wobei wegen der Einzelheiten auf Seiten 7 bis 26 der Klageschrift vom 10.02.2020 nebst Anlagen Bezug genommen wird.

Darauf, dass die Tragfähigkeit der Beteiligungssysteme in der Vergangenheit hinsichtlich eines Schneeballeffekts auch von Sachverständigen nicht beanstandet worden sei, habe er im Rahmen der Klageerwiderung des Ausgangsverfahrens vom 11.06.2012, dort Seite 7 und Seiten 54 bis 55, hingewiesen.

In diesem Zusammenhang behauptet der Kläger weiter, dass es weder im Rahmen des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Braunschweig in den Jahren 2001/2002 noch im Jahre 2012 Anhaltspunkte für eine Einbeziehung seiner Person als (Mit-)Beschuldigten im strafrechtlichen Sinne gegeben habe. Insbesondere habe er unter anderem mit einem Schreiben vom 31.01.2001 an den Vorstandsvorsitzenden der S. AG, Dr. P, in seiner Funktion als Aufsichtsratsmitglied der S. AG und als dessen Vorsitzender allen Organmitgliedern seine erheblichen Bedenken gegen grob fehlerhafte Entscheidungen und Maßnahmen des Vorstandes der S. AG sowie der Geschäftsführung der G. Gruppe Holding KGaA dargelegt. Seine Einwendungen seien sämtlichen Organmitgliedern im Vorstand und im Aufsichtsrat zur Kenntnis gebracht worden. Nachdem seine Bedenken, Empfehlungen und Warnungen im Zeitraum 1998 bis Anfang 2001 auf der Vorstands- und Geschäftsführungsebene der G. Gruppe keine Beachtung gefunden hätten, habe er daraus die Konsequenzen gezogen und sei am 30.06.2001 als Mitglied des Aufsichtsrates der S. AG zurückgetreten. Seit diesem Zeitpunkt habe er innerhalb der G. Gruppe weder Organ- noch sonstige (Leitungs-)Funktionen mehr wahrgenommen. Die Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beteiligungsgesellschaften der G. Gruppe seien erst im Jahre 2007 eröffnet worden.

Vor diesem Hintergrund meint er, dass die sorgfältige Auswertung der Ermittlungsergebnisse der von der Staatsanwaltschaft Braunschweig geführten Ermittlungsverfahren das Landgericht Göttingen zu dem Schluss hätte führen müssen, von dem Erlass eines Beweisbeschlusses von Amts wegen abzusehen. Denn die Ermittlungsergebnisse offenbarten, dass es für den Zeitraum bis zu seinem Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat der S. AG an Nachweisen für strafbewehrte Handlungen seiner Person fehle. Er behauptet, dass die Zivilkammer eine solche Auswertung vor Erlass des Beweisbeschlusses am 03.07.2013 - nach seiner Ansicht amtspflichtwidrig - unterlassen habe. Hierzu verweist der Kläger auf den insoweit unstreitigen Verfahrensablauf in dem Pilotverfahren der Hauptserie zum Aktenzeichen 2 O 1802/07, nach dem die Kammer die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Braunschweig betreffend die Ermittlungen gegen die Verantwortlichen der G. Gruppe wegen des Verdachts des Kapitalanlagebetruges zum Aktenzeichen 402 Js 15388/00 erstmals im März 2012 von Amts wegen beizog. Er behauptet, dass die Kammer eine eigene Prüfung und richterliche Würdigung nicht vorgenommen, sondern diese Akten vielmehr lediglich "ungesehen und unter massiven Verstößen gegen deutsches und europäisches Datenschutzrecht an beauftragte und nicht beauftragte Sachverständige durch- und weitergeleitet" habe.

Die Beantwortung der in Rede stehenden Rechtsfragen habe nach Ansicht des Entschädigungsklägers von Beginn an offen zutage gelegen.

Dies zeige sich bereits daran, dass - was unstreitig ist - die seinerzeit allein mit dem Komplex "G. Gruppe" befasste 2. Zivilkammer bereits in den Jahren 2008 und 2009 in der jeweiligen damaligen Besetzung die Parteien darauf hingewiesen hatte, dass die Klagen gegen den Kläger des Entschädigungsverfahrens aus der Hauptserie (Klagen eingehend in den Jahren 2006 bis 2008) als unschlüssig anzusehen seien.

Nach Ansicht des Klägers seien die in dem Ausgangsverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen spätestens durch die seit dem 2. Mai 2012 vorliegende "Muster"-Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig zum Aktenzeichen 3 U 120/08 (vorgehend: Landgericht Göttingen 2 O 583/07), allerspätestens aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 25. Juni 2013 - VI ZR 260/12 -, mit der die von den Klägern des Ausgangsverfahrens erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen wurde, beantwortet gewesen.

Dem bei dem Landgericht Göttingen in erster Instanz geführten Verfahren zum Aktenzeichen 2 O 583/07 liegen dabei unstreitig folgende Umstände zugrunde: Das Verfahren 2 O 583/07 gehört zu den im Dezember 2007 anhängig gemachten Verfahren der sogenannten Hauptserie. Schon seinerzeit verfolgte die 2. Zivilkammer die Strategie, mehrere Verfahren als Pilotverfahren auszuwählen und diese zuvörderst zu bearbeiten und zu verhandeln. Das später designierte Pilotverfahren der 2. Zivilkammer zur Hauptserie zum Aktenzeichen 2 O 1802/07 zählte zunächst nicht dazu, wohl aber das Verfahren 2 O 583/07. In dem zuletzt genannten Verfahren fand am 07.08.2008 ein Verhandlungstermin statt, in dem die Prozessbevollmächtigten der Kläger des Verfahrens 2 O 583/07 nicht auftraten. Daraufhin wurde das Verfahren gegen den ebenfalls mitverklagten Kläger des Entschädigungsverfahrens abgetrennt und es erging unter dem neuen Aktenzeichen 2 O 156/08 mit Blick auf den Kläger des Entschädigungsverfahrens ein klageabweisendes Versäumnisurteil. Das Verfahren 2 O 583/07 wurde fortan nur noch gegen den (weiteren) Beklagten Q geführt, gegen den in der Folge ein im Wesentlichen klageabweisendes Teil-Urteil nach Lage der Akten gesprochen wurde. Das abgetrennte Verfahren 2 O 156/08 gegen den Kläger des Entschädigungsverfahrens ist bis heute beim Landgericht Göttingen rechtshängig.

Der Entschädigungskläger verweist weiter darauf, dass es sich bei dem Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 2. Mai 2012 zum Aktenzeichen 3 U 120/08 nach dem Vortrag des beklagten Landes Niedersachsen in dem Entschädigungsverfahren des Oberlandesgerichts Braunschweig zum Aktenzeichen 6 SchH 1/13 sowie nach dem Vortrag der Bundesregierung in dem von ihm geführten Beschwerdeverfahren vom 15. August 2016 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Application No. 49528/16 - Z. vs. Germany) um das maßgebliche Muster- bzw. Pilotverfahren für alle bei der 2. und 14. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen rechtshängigen Ausgangsverfahren gegen ihn handele. Dies untermauert nach seiner Ansicht seine Einschätzung, dass es hinsichtlich des Fehlens ausreichender anspruchsbegründender Umstände im Ausgangsverfahren keine Zweifel habe geben dürfen.

Schließlich verweist der Kläger darauf, dass das Oberlandesgericht Braunschweig in sechs Berufungsverfahren am 30. April 2018 (unter anderem zum Aktenzeichen 3 U 33/12, vorgehend: Landgericht Göttingen 2 O 396/10) die klageabweisenden Urteile des Landgerichts Göttingen betreffend Klagen von atypisch stillen Beteiligten verschiedener Beteiligungsgesellschaften der G. Gruppe bestätigt habe.

Weiter rügt er, dass das Landgericht die von ihm in seiner Klageerwiderung vom 26.06.2012 erhobene Verjährungseinrede nebst zugehöriger Beweisantritte bis zur späteren Klagerücknahme im Oktober 2019 nicht in Erwägung gezogen habe. Die Kläger des Ausgangsverfahrens hätten sich nach seiner Ansicht zu Unrecht auf den Standpunkt gestellt, dass das Gericht die zur Begründung der Haftung ausreichenden Anknüpfungstatsachen noch nicht festgestellt habe, mit der Folge, dass "völlig ungeklärt" gewesen sei, welche Tatsachen - sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht - für eine mögliche Verjährung heranzuziehen seien. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass dem Ausgangsverfahren Beteiligungsabschlüsse aus dem Jahre 1991 zugrunde lägen. Daraus resultierende Forderungen seien gemäß § 195 BGB wegen Kenntniserlangung von der Einstellung der Ausschüttungen an die stillen Gesellschafter und die breite Medienberichterstattung ab Herbst 2001 nach seiner Ansicht spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2005 verjährt gewesen. Der Kläger meint, dass die Nichtbeachtung der ordnungsgemäßen Beweisantritte ihn in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletze.

Die Verfahrensverzögerung im zweiten Verfahrensabschnitt sei durch eine unerhebliche und untaugliche Beweisbeschlussfassung zur Sachverständigenbegutachtung zustande gekommen.

Den Erlass eines Beweisbeschlusses hält der Kläger vorliegend für unvertretbar.

So erachtet er es als unverständlich, dass die Kammer keine Begründung dafür abgegeben habe, warum sie ein Sachverständigengutachten von Amts wegen einzuholen beabsichtigte, obwohl die insoweit beweisbelastete klägerische Partei dies nicht beantragt und stattdessen - nach seiner Bewertung - ihren Verzicht auf eine Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten erklärt hätte. In diesem Zusammenhang behauptet er, dass die Prozessbevollmächtigen der Kläger des Ausgangsverfahrens im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2013 vor dem Landgericht Göttingen erklärt hätten, "[dass] aus Sicht des Klägers [...] kein Gutachten notwendig sei, weil es darauf nicht ankomme. Die Klage sei auch unabhängig von der Frage nach der Tragfähigkeit des Beteiligungssystems begründet, und zwar ohne Einholung eines Gutachtens".

Der Kläger meint, dass die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 ZPO a.F. nicht vorgelegen hätten. Das Gericht könne zwar nach § 144 Abs. 1 ZPO a.F. im Rahmen seines Ermessens die Begutachtung durch einen Sachverständigen anordnen, um sich eine bessere Anschaulichkeit zu verschaffen. Dies gelte für die Fälle, in denen eine darlegungs- und beweisbelastete Partei die irrige Auffassung vertrete, sie brauche einen Beweisantrag zur Einholung eines Gutachtens nach §§ 402 ff. ZPO nicht zu stellen, sodass sie die Stellung eines solchen Antrages ersichtlich nur deshalb unterlassen habe, weil sie die Sachkunde des Gerichts nach § 286 ZPO für ausreichend erachtete. Insbesondere behauptet der Entschädigungskläger in diesem Zusammenhang, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens von der Kammer nicht gemäß § 403 ZPO auf die Notwendigkeit eines Beweisantrages hingewiesen worden seien.

Ein Fall, in dem die klagende Partei des Ausgangsverfahrens irrig von einer ausreichenden Sachkunde des Gerichts ausgehe, sei vorliegend jedoch nicht inmitten. Unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 27. Februar 2019 - VIII ZR 255/17 -, meint der Kläger des Entschädigungsverfahrens, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens für ihre Tatsachenbehauptung, das Beteiligungssystem des L. AG/G. Gruppe sei von Anfang an nicht tragfähig gewesen, beweisfällig geblieben seien.

Es sei auch nicht erkennbar, ob sich die Kammer bei Anordnung der Beweiserhebung ihres Ermessens überhaupt bewusst gewesen sei. Zudem habe die Kammer nicht begründet, warum die Einholung eines Sachverständigengutachtens angesichts der damit verbundenen beträchtlichen Kosten angemessen und verhältnismäßig sei.

Der Erlass des Beweisbeschlusses stelle sich als unzulässige gerichtliche Ausforschung zu Gunsten der beweisbelasteten Klagepartei des Ausgangsverfahrens dar. Eine Beweisaufnahme müsse nicht nur erheblich, sondern auch tauglich sein. An beidem fehle es vorliegend. Eine unschlüssige Klage könne durch ein Sachverständigengutachten nicht schlüssig gemacht werden. Die Richter der 2. Zivilkammer hätten nach Vorliegen des Urteils des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 2. Mai 2012 - 3 U 120/08 - selbst über die nötige Sachkunde verfügt, um eine Entscheidung zu treffen; es hätten sich nur noch Rechtsfragen gestellt.

Selbst wenn man aber davon ausginge, dass der Eintritt in die Beweisaufnahme noch vertretbar gewesen sei und sich im Rahmen der richterlichen Unabhängigkeit bewegt habe, sei für die konkrete Durchführung der im Ausgangsverfahren in Auftrag gegebenen Sachverständigenbegutachtung festzuhalten, dass das Landgericht Göttingen in dem Zeitraum von Juli 2013 bis September 2019 im Rahmen seiner Prozessleitungsverantwortung keine hinreichenden Maßnahmen zur Förderung des Verfahrensabschlusses in angemessener Zeit ergriffen habe.

Dies betreffe die Rechtzeitigkeit des Eintritts in die Beweisaufnahme, die Auswahl und Mitwirkung des Sachverständigen innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens, die zügige und gesetzeskonforme Bestellung des Sachverständigen, die gesetzlich zwingende richterliche Überwachung der Begutachtung, die richterliche Kontrolle der Dauer der Begutachtung durch Fristsetzung und die gerichtliche Nichtduldung von Fristüberschreitungen durch den Sachverständigen (einschließlich notwendiger Sanktionen im Falle versäumter Fristen), die frühzeitige Ergänzungs- bzw. Neubegutachtung sowie das richterliche Einschreiten bei gesetzeswidriger Übertragung des Gutachtenauftrages in Verbindung mit der gerichtlichen Verpflichtung zur gesetzmäßigen Beschleunigung des Ausgangsverfahrens.

Da die Kammer dem Sachverständigen erst mit Beschluss vom 29.02.2016 erstmals eine förmliche Frist zur Erstattung des Gutachtens gesetzt habe, habe sie entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, namentlich des Urteils vom 21. Oktober 2010, Grumann ./. Deutschland, NJW 2011, 1055 ff., deutlich zu spät reagiert. Obwohl das Landgericht durch die laufenden monatlichen Vorschussrechnungen erstens über den ausufernden Zeitaufwand, zweitens über die "unkontrollierte Kostenexplosion" und drittens über die "auftragswidrige Gutachtenübertragung" auf die X GmbH & Co. KG im Bilde habe sein müssen, sei es nicht eingeschritten.

Der Kläger erachtet den Zeitraum der Durchführung der Begutachtung von 29 Monaten (Januar 2014 bis Mai 2016) im Umfang von 16 Monaten als unangemessen. Die seiner Ansicht nach angemessene Dauer eines solchen Gutachtenauftrages macht er an dem Zeitaufwand fest, den der durch den 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig im Verfahren 3 U 33/12 beauftragte Sachverständige Prof. Dr. D für die Erstellung von sechs Gutachten zur "Tragfähigkeit der Beteiligungsgesellschaft der G. Gruppe" als Einzelgutachter (ohne Hinzuziehung von 39 Hilfspersonen) benötigt habe.

Nach Auffassung des Klägers sei der dem Sachverständigen S. vorgegebene und von ihm zu begutachtende Sachverhalt und Streitgegenstand - mit lediglich vier Einzelbehauptungen der Kläger des Ausgangsverfahrens und drei Anschlussfragen des Gerichts - objektiv weder besonders schwierig noch besonders komplex gewesen.

Der Sachverständige habe zudem eine "gutachterliche Stellungnahme zur Tragfähigkeit des Beteiligungssystems der L. AG" abgegeben, die durch das Landgericht Göttingen niemals beauftragt worden sei.

Abgesehen von den groben inhaltlichen Mängeln habe das Begutachtungsverfahren den gesamten Rechtsstreit aufgebläht und erheblich verteuert.

Hierzu behauptet der Kläger, dass der Sachverständige von Beginn an nicht eigenverantwortlich die gutachterliche Projektplanung, die organisatorische Vorbereitung sowie Projektsteuerung durchgeführt habe. Er habe stattdessen im Zusammenwirken mit den beteiligten Geschäftsführern/Gesellschaftern der beiden X-Gesellschaften das Gericht und die Prozessbeteiligten zum Zwecke der "gebührenmaximierenden Gebührenerschleichung" vorsätzlich getäuscht; unmittelbar nach Aushändigung der beiden Gutachten sei eine der Gesellschaften zwecks Enthaftung liquidiert worden. Der Sachverständige mache in dem Gutachten vom 24.05.2016 nicht namhaft, in welcher Art, mit welchem Inhalt und Umfang die 39 hinzugezogenen (Hilfs-) Personen gutachterlich tätig geworden seien.

Die in den regelmäßigen Sachstandsmitteilungen seit dem 22.01.2015 für die Verschiebung des Abgabetermins angegebenen Gründe offenbarten nach Ansicht des Klägers, dass der Sachverständige das Gericht belogen habe.

Das Gericht seinerseits habe es versäumt, den Gutachtenauftrag genau zu umreißen und auftragsbezogene sowie inhaltliche Unklarheiten unverzüglich und verbindlich - auch während der Begutachtung - zu klären, um unnötigen Zeit- und Kostenaufwand zu vermeiden. Es hätte viel früher mit Ordnungsgeldandrohungen verbundene Fristen setzen müssen. Weiter wäre das Gericht gehalten gewesen, gegen die von Beginn der Begutachtung an aufgrund der eingehenden monatlichen Gebührenabrechnungen der X GmbH & Co. KG erkennbare gesetzeswidrige Übertragung des Gutachtenauftrages sofort einzuschreiten und die Gebührenzahlungen an die X GmbH & Co. KG unverzüglich einzustellen. Es hätte den Sachverständigen wegen der unzulässigen Gutachtenübertragung, der Unwahrheiten gegenüber dem Gericht und der erheblichen Verzögerungen sanktionieren und ihm den Gutachtenauftrag entschädigungslos entziehen müssen (unter Hinweis auf §§ 409, 411 ZPO).

Der Kläger meint, dass die Kammer die Stellungnahmefristen zu dem gegen den Sachverständigen gerichteten Ablehnungsantrag zu Unrecht auf insgesamt fünfeinhalb Monate bis zum 21.11.2016 verlängert habe, ohne dass hierzu hinreichende Gründe gemäß § 224 Abs. 2, § 225 Abs. 2 ZPO vorgelegen hätten. Daraus resultiere eine Verfahrensverzögerung von drei Monaten.

Schließlich rügt er, dass in den Jahren 2017 und 2018 bis zu dem Erlass des Beschlusses der Kammer vom 04.03.2019, also zwei Jahre und neun Monate (= 33 Monate) lang, das "führende" Ausgangsverfahren und damit alle verbunden Verfahren faktisch geruht hätten und somit ein erneuter und wiederholter Verfahrensstillstand eingetreten sei.

Unter der erweiterten Annahme, dass auch die gerichtlich angeordnete Ergänzungsbegutachtung vertretbar gewesen sei, ergebe sich nach Auffassung des Klägers ab dem 04.03.2019 bis zur Klagerücknahme im Oktober 2019 für den Zeitraum ab dem 01.09.2016 bis einschließlich Februar 2019 ein erneuter Verfahrensstillstand und eine zusätzliche Verfahrensverzögerung von 30 Monaten.

Eine Kompensation der namhaft gemachten überlangen Verfahrensdauer während des Ausgangsverfahrens zu einem späteren Zeitpunkt sei nicht eingetreten.

Der Kläger macht eine Entschädigung für aufgrund der Überlänge des Ausgangsverfahrens erlittene immaterielle Nachteile in Höhe von 150 Euro pro Monat, damit eine Gesamt-Entschädigungssumme in Höhe von 11.550 Euro für 77 Monate Verzögerung, geltend.

Er behauptet, dass sich die überlange Verfahrensdauer in einem Höchstmaß psychisch und physisch belastend auf ihn ausgewirkt habe, und zwar im Hinblick auf die mit dem Ausgang des Rechtsstreits verbundene Unsicherheit, auf die drohenden klägerseitigen Ansprüche und auf die erheblichen Verfahrenskosten, nachdem ihm im Ausgangsverfahren - insoweit unstreitig - keine Prozesskostenhilfe gewährt wurde. Damit stelle sich - unter Hinweis auf EGMR, Urteil vom 5. Oktober 2006, Grässer ./. Deutschland, EuGRZ 2007, 268 - seine gesamte Lebensqualität sowohl im Hinblick auf berufliche als auch private Belange als in extremer Weise beeinträchtigt und massiv bedroht dar.

Die gesetzliche Regelentschädigung sei nach seiner Ansicht vorliegend nicht ausreichend, um die von ihm erlittenen immateriellen Nachteile auszugleichen, sondern aus Gründen der Billigkeit, § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG, auf einen Betrag von 1.800 Euro pro Jahr zu erhöhen.

Dies folge daraus, dass es sich bei dem gegenständlichen Ausgangsverfahren um ein Pilotverfahren mit wegweisendem Charakter für eine große Anzahl von zur Beweisaufnahme verbundenen Verfahren handele, sodass es eine besondere und hohe Bedeutung für ihn entfalte. Bei der Gesamtverfahrensdauer sei die Grenze der Angemessenheit deutlich überschritten worden.

Darüber hinaus werde er als vermeintlicher Schadensverursacher mit strafrechtlicher Relevanz für das Scheitern der Unternehmen der G. Gruppe verantwortlich gemacht - obwohl die Staatsanwaltschaft Braunschweig bereits im Jahr 2002, nochmals bestätigt im Jahre 2010 und zuletzt im Jahre 2018, und dem folgend das Oberlandesgericht Braunschweig im Jahre 2018, dies eindeutig negiert hätten. Hinzu komme, dass er - nach seiner Behauptung - bereits im Jahre 2001 vor den Insolvenzen der Unternehmen der G. Gruppe in 2007 aus dem Aufsichtsrat der S. AG ausgeschieden sei. Die Insolvenzursachen der G. Gruppe seien jedoch erst in einem Zeitraum zwischen 2004 bis 2007 zu verorten. Es sei nach seiner Ansicht zu beachten, dass nicht nur seine wirtschaftliche Existenz betroffen sei, sondern er zudem durch - nach seiner Behauptung - sich ständig wiederholende Medienberichterstattung und uferlose Internet-Verbreitung permanent in seinem Ruf geschädigt und seine finanzielle Bonität beeinträchtigt werde. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass er - bezogen auf den Zeitpunkt der Erhebung der Entschädigungsklage - bereits 72 Jahre alt sei.

Zu einer Erhöhung des Regelentschädigungsbetrages müsse nach seiner Auffassung auch der Umstand führen, dass die hier in Rede stehende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung auf einer strukturellen Überlastung der Justiz des beklagten Landes Niedersachsen, in Sonderheit des Landgerichts Göttingen, beruhe. Entlastungsmaßnahmen in Form der Schaffung zusätzlicher Stellen im richterlichen und nicht-richterlichen Dienst sowie der Verteilung der Verfahren auf mehrere Kammern hätten bereits bei Eingang der ersten Verfahrensserie in den Jahren 2007 bis 2008 erfolgen müssen. Zusätzliche Richterstellen seien nach seiner Behauptung zu keinem Zeitpunkt geschaffen worden. Auch sei nicht ersichtlich, dass das Landgericht Göttingen selbst frühzeitig besondere und hinreichende Maßnahmen zur Beschleunigung des Ausgangsverfahrens ergriffen hätte. Nach seiner Ansicht könne sich der Staat zur Rechtfertigung der Verfahrensdauer auf solche strukturellen Mängel nur in auf einen kurzen Zeitraum begrenzten Sondersituationen berufen, wobei eine solche Ausnahme vorliegend zu verneinen sei.

Der Kläger behauptet in diesem Zusammenhang weiter, dass die jeweiligen - hier interessierenden - Kammerbesetzungen in den Folgejahren einigen Wechseln unterlegen hätten, wobei die Beisitzer teilweise nur mit Bruchteilen ihrer Arbeitskraft (AKA) in den jeweiligen Kammern eingesetzt worden seien, im Einzelnen wie folgt:

Geschäftsverteilung 2013

2. Zivilkammer

14. Zivilkammer

A (Vorsitz)

I (Vorsitz)

B

C

C

E

Geschäftsverteilung 2016

2. Zivilkammer

14. Zivilkammer

D (Vorsitz)

I (Vorsitz)

E

F

F

J

Geschäftsverteilung 2017

2. Zivilkammer

14. Zivilkammer

D (Vorsitz) (2/5)

I (Vorsitz)

F (7/20)

F (7/20)

G (1/4)

J (1/5)

B (1/5)

Geschäftsverteilung 2018

2. Zivilkammer (0,80 AKA)

14. Zivilkammer (1,27 AKA)

D (Vorsitz) (0,30 AKA)

I (Vorsitz) (0,75 AKA)

G (0,25 AKA)

B (0,25 AKA)

B (0,25 AKA)

J (0,27 AKA)

Geschäftsverteilung 2019

2. Zivilkammer (0,75 AKA)

14. Zivilkammer (1,15 AKA)

D (Vorsitz) (0,25 AKA)

I (Vorsitz) (3/5)

G (0,35 AKA)

H (0,10 AKA)

H (0,15 AKA)

G (0,30 AKA)

Geschäftsverteilung 2020

2. Zivilkammer (0,40 AKA)

14. Zivilkammer (0,78 AKA)

D (Vorsitz) (0,30 AKA)

I (Vorsitz) (0,63 AKA)

G (0,05 AKA)

H (0,05 AKA)

H (0,05 AKA)

G (0,10 AKA)

Der von dem Oberlandesgericht Braunschweig und dem Bundesgerichtshof in den Verfahren zu den Aktenzeichen 6 SchH 1/13 und III ZR 141/14 eingenommene Standpunkt, mit Blick auf die Anzahl und die Reihenfolge des Eingangs der Klagen sei dem Kläger des Entschädigungsverfahrens kein Nachteil entstanden, weil die Zustellung der damals in Rede stehenden zehn weiteren Ausgangsverfahren im Angesicht von bereits anhängigen Schadensersatzforderungen im Gesamtumfang von 10.777.752,53 Euro nicht zu einer spürbaren Mehrbelastung geführt habe, sei in Ansehung der Gesetzesbegründung (unter Hinweis BT-Drs. 17/3802, S. 19) nach Auffassung des Klägers unhaltbar.

Der Kläger behauptet in diesem Zusammenhang, dass die Steuerverbindlichkeit gegen ihn in Höhe von rund 10 Millionen Euro, auf die sowohl das Oberlandesgericht Braunschweig als auch der Bundesgerichtshof ihre abschlägigen Entscheidungen gestützt hätten, noch während des Revisionsverfahrens durch das Finanzamt B. vollumfänglich aufgehoben worden sei.

Auch der Ansatz des Oberlandesgerichts Braunschweig in der Entscheidung vom 11. April 2014 zum Aktenzeichen 6 SchH 1/13 dahingehend, dass bei mehreren gegen eine Partei anhängigen und verzögerten Verfahren nur bei dem "ersten" Ausgangsverfahren eine Regelentschädigung in Betracht komme, und sich bei weiteren gegen dieselbe Partei verzögerten Verfahren die Belastung reduziere, sei nach der von dem Kläger vertretenen Rechtsauffassung zurückzuweisen. Denn die Belastung des Betroffenen durch die überlange Verfahrensdauer folge aus der überlangen Verfahrensdauer "als solcher", nicht aus der Anhängigkeit des Rechtsstreits. Die Begründung in den Entscheidungen des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 11. April 2014 - 6 SchH 1/13 - und des Bundesgerichtshofes vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/13 - könne weder am Maßstab der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 EMRK) noch am Maßstab der Unionsgrundrechte, namentlich an Art. 47 UAbs. 1 und UAbs. 2 in Verbindung mit Art. 20 und Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, gemessen Bestand haben. Mit dieser Argumentation werde der Rechtsbehelf zum Schutz gegen überlange Gerichtsverfahren seiner Effektivität beraubt.

Der Umstand, dass in Deutschland kein effektiver innerstaatlicher Rechtsbehelf für die Rüge der unangemessenen Verfahrensdauer existiere, müsse sich ebenfalls im Wege eines Aufschlags bei der Bemessung der Entschädigung auswirken. Der Kläger meint unter Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 15. Januar 2015 - 62198/11 -, Kuppinger ./. Deutschland, und das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 7. November 2019 - III ZR 17/19 -, dass die Regelung des § 198 Abs. 3 GVG "keinen eigenen präventiven Rechtsbehelf mit zwingenden Beschleunigungsfolgen" darstelle. Daraus folgert er, dass auch sein in Art. 13 EMRK verbürgtes Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verletzt sei, was durch Erhöhung der Regelentschädigung zu kompensieren sei.

Ebenfalls widerspreche es den in der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Unionsgrundrechten verankerten Verfahrensgarantien, dass das Entschädigungsverfahren gemäß § 198 GVG nur eine einzige Tatsacheninstanz vorsehe.

Auch die Ausgestaltung der Kostenregelung in § 201 Abs. 4 GVG sei unvereinbar mit Art. 13 EMRK und Art. 6 Abs. 1 EMRK, da sie den von einer unangemessenen Verfahrensdauer Betroffenen von der Erhebung einer Entschädigungsklage abhalten könne.

Der Kläger beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 11.550,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land vertritt die Ansicht, dass es bereits an einer haftungsbegründenden Rechtsgutsverletzung fehle. Es sei nicht möglich, einzelne Verfahrensabschnitte innerhalb einer Instanz isoliert voneinander zu betrachten. Vielmehr sei Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit die Gesamtverfahrensdauer. Es sei im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu prüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase kompensiert worden seien. Im Entschädigungsprozess werde die Verfahrensführung des Richters nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere dürfe nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich sei (unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 -, Rn. 14, juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 -, Rn. 45, juris).

Das beklagte Land meint, dass dem Kläger für den Zeitraum vor der Erhebung seiner ersten Verzögerungsrüge mit Schriftsatz vom 24.10.2017 kein Entschädigungsanspruch zustehen könne, da es sich bei der Verzögerungsrüge um eine materielle Anspruchsvoraussetzung handele.

Auch vertritt das beklagte Land unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, Rn. 36, juris, die Ansicht, dass die Auffassung der Kammer im Ausgangsverfahren, von Amts wegen ein Sachverständigengutachten zur behaupteten fehlenden Tragfähigkeit des Beteiligungssystems einzuholen, allemal vertretbar gewesen sei.

Die Bearbeitungszeit durch den Sachverständigen sei angesichts des Umfangs der Begutachtung nicht zu beanstanden.

Gleiches gelte für die Zeit, die das Gericht in dem Zeitraum vom 07.07.2017 bis zum 04.03.2019 für die Auswertung des Gutachtens benötigt habe. Denn es sei zu berücksichtigen, dass das Gericht in dieser Zeit zunächst das am 24.02.2016 eingegangene Gutachten der Hauptserie ausgewertet und nach Abschluss dieser Arbeiten am 16.10.2018 in der Hauptserie zum Aktenzeichen 2 O 1802/07 einen umfangreichen Hinweis- und Beweisbeschluss erlassen habe. Der Erlass des Hinweis- und Beweisbeschlusses in der L.-Serie im hier gegenständlichen Ausgangsverfahren habe zwingend die vorherige Auswertung des Gutachtens in der Hauptserie vorausgesetzt.

Der Kläger habe auch keinen entschädigungspflichtigen immateriellen Nachteil erlitten. Die Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG sei vorliegend widerlegt. Denn das Ausgangsverfahren sei für den Kläger ohne besondere Bedeutung gewesen. Zur Begründung verweist das beklagte Land darauf, dass über die Jahre bis einschließlich 2013 bei der 2. und der 14. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen weitere 4.861 Klagen, die den Verfahrenskomplex "G. Gruppe" bzw. "S." betroffen hätten, gegen den Kläger des Entschädigungsverfahrens anhängig gewesen seien. Im Hinblick auf diese Umstände habe von vornherein festgestanden, dass das Obsiegen oder Unterliegen im hiesigen Ausgangsverfahren auf dessen Vermögenslage ohne spürbare Auswirkungen bleiben würde. Das beklagte Land behauptet in diesem Zusammenhang, dass der Kläger des Entschädigungsverfahrens in den erstinstanzlichen Verfahren auf Zahlung von insgesamt 92.057.381,17 Euro in Anspruch genommen worden sei. Nach Auffassung des beklagten Landes müsse der Betroffene die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieses Verfahrens verursacht worden sein sollten, positiv behaupten, wenn er - wie hier - Entschädigung für ein einzelnes Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend mache (unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, Rn. 43, juris). Zu letzterem gebe der Sachvortrag des Klägers aber nichts her.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze des Klägers des Entschädigungsverfahrens vom 10.02.2020, 24.08.2020, 02.10.2020, 23.11.2020, 13.05.2021, 18.05.2021, 19.05.2021, die beiden Schriftsätze vom 20.07.2021, sowie die Schriftsätze des beklagten Landes vom 30.07.2020, 28.10.2020 und 23.07.2021, jeweils nebst Anlagen, Bezug genommen.

Die Entschädigungsklage ist dem beklagten Land am 29.04.2020 zugestellt worden.

Die Akten des Ausgangsverfahrens vor dem Landgericht Göttingen zum Aktenzeichen 2 O 1136/11 waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Hierzu sowie zu den gerichtlichen Hinweisen des Senats wird auf die Sitzungsprotokolle vom 11. Juni 2021 und 24. September 2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

I.

Die Klage ist zulässig.

1.

Die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG ist gewahrt.

Die Entschädigungsklage wurde gemäß § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben.

a)

Bei der in § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG normierten Frist ist umstritten, ob es sich um eine Klagefrist im Sinne einer Zulässigkeitsvoraussetzung (so OLG Hamm, Beschluss vom 7. Mai 2014 - I-11 EK 22/13 -, Rn. 20, juris; OLG Celle, Urteil vom 16. November 2016 - 23 SchH 7/16 -, Rn. 4, juris; OLG Köln, Urteil vom 1. Juni 2017 - 7 EK 3/16 -, Rn. 11, juris; OLG Köln, Urteil vom 25. Februar 2021 - 7 EK 5/18 -, Rn. 26 ff., juris; BVerwG, Anerkenntnisurteil vom 17. August 2017 - 5 A 2/17 D -, Rn. 15, juris; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - B 10 ÜG 1/19 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4-1720 § 198 Nr. 20, Rn. 16, juris; BFH, Urteil vom 14. April 2021 - X K 3/20 -, Rn. 21, juris; Heine, MDR 2014, 1008 [1009]) oder aber um eine materielle Ausschlussfrist handelt, die erst im Rahmen der Begründetheitsprüfung zum Tragen käme (so OLG Karlsruhe, Urteil vom 1. Oktober 2013 - 23 SchH 13/12 EntV -, Rn. 16, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 3. Juni 2015 - I-18 EK 4/14 -, Rn. 17, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Mai 2021 - 16 EK 3/20 -, Rn. 172, juris; wohl auch Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26. Juni 2020 - 17 EK 3/19 -, Rn. 29, juris; ferner Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. November 2020 - L 6 SF 3/19 EK AL -, Rn. 35, juris; Lückemann, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 198 GVG Rn. 11; BeckOK GVG/Graf, 12. Ed. 15.08.2021, GVG § 198 Rn. 33; MüKoZPO/Zimmermann, 5. Aufl. 2017, GVG § 198 Rn. 73; Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, 1. Aufl. 2012, GVG § 198 Rn. 159 ff.; unklar Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 255 einerseits und Rn. 256 andererseits).

Der zuerst genannten Ansicht, die § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG als Zulässigkeitsvoraussetzung ansieht, ist der Vorzug einzuräumen.

Zwar wird im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 17. November 2010 ausdrücklich ein Vergleich zu § 12 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) angestellt und die Frist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG als "Ausschlussfrist" für die Geltendmachung des Anspruchs auf Entschädigung qualifiziert, nach deren Ablauf die "Verwirkung" des Anspruchs eintrete (RegE BT-Drs. 17/3802, S. 22).

Allerdings findet dies weder Anhalt im Wortlaut des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG noch fügt es sich in die systematische Zusammenschau mit § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG ein, wonach eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs. 1 GVG frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann.

b)

Für die Einhaltung der 6-Monatsfrist kann dahingestellt bleiben, ob das Ausgangsverfahren erst durch die Verkündung des Schlussurteils vom 20.10.2019, dem Kläger zugestellt am 03.01.2020, den Ablauf der Rechtsmittelfrist gegen diese Entscheidung, oder bereits durch die Klagerücknahme als erledigt im Sinne des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG anzusehen ist.

Denn selbst unter Zugrundelegung des früheren Zeitpunkts der Klagerücknahme ist die 6-Monats-Frist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG gewahrt.

Das Ausgangsverfahren war dabei nicht bereits durch die Erklärung der Klagerücknahme vom 16.10.2019 beendet.

Denn erst bei Wirksamkeit der Klagerücknahme ist der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Da im Ausgangsverfahren im Juni 2013 bereits mündlich verhandelt worden war, war die Zustimmung des Beklagten zu 1) des Ausgangsverfahrens und Klägers des Entschädigungsverfahrens zur Klagerücknahme für deren Wirksamkeit erforderlich, § 269 Abs. 1 ZPO. Sie galt nicht bereits durch Ablauf der Zwei-Wochen-Notfrist des § 269 Abs. 2 Satz 4 ZPO ab Zustellung des Klagerücknahme-Schriftsatzes als erteilt, da der Beklagte zu 1) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens nicht zuvor auf diese Folge hingewiesen worden war.

Die Zustimmung des Beklagten zu 1) des Ausgangsverfahrens und Klägers des Entschädigungsverfahrens ging am 05.11.2019 beim Landgericht ein. Da die Erhebung der Klage durch Zustellung der Klageschrift erfolgt, § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 253 Abs. 1 ZPO, und die Entschädigungsklage vom 10.02.2020 dem beklagten Land am 29.04.2020 zugestellt wurde, wäre selbst eine bereits am 05.11.2019 in Lauf gesetzte 6-Monatsfrist eingehalten.

2.

Die Entschädigungsklage wurde gemäß § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG auch frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben.

Die letzte Verzögerungsrüge datiert vom 29.01.2019, die Erhebung der Klage erfolgte mehr als ein Jahr später am 29.04.2020.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann eine Entschädigungsklage ohnehin ausnahmsweise vorzeitig erhoben werden, wenn das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde, da ein Abwarten der Frist insofern im Hinblick auf den Zweck des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG keinen Sinn mehr ergeben würde (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - III ZR 228/13 -, Rn. 18, juris).

II.

Die Klage ist teilweise begründet.

1.

Dem Kläger steht gemäß § 198 Abs. 1 GVG gegen das passivlegitimierte Land Niedersachsen (§ 200 Satz 1 GVG) ein Anspruch auf Entschädigung aufgrund erlittener immaterieller Nachteile wegen unangemessener Dauer des Ausgangsverfahrens vor dem Landgericht Göttingen zum Aktenzeichen 2 O 1136/11 in Höhe von 6.426,61 Euro zu, nicht aber in Höhe der von ihm beantragten 11.550,00 Euro.

a)

Der Kläger des Entschädigungsverfahrens hat die gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 GVG erforderliche Verzögerungsrüge wirksam erhoben.

Es handelt sich hierbei um eine materiell-rechtliche Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs, die die Zulässigkeit der Entschädigungsklage unberührt lässt (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - III ZR 228/13 -, Rn. 14, juris; BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 - X K 13/12 -, Rn. 24, juris).

Nach § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Dies ist zu bejahen, wenn der Prozessbeteiligte Anhaltspunkte dafür hat, dass das Verfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt (BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 - III ZR 355/13 -, Rn. 16, juris; BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 3/16 R -, Rn. 19, juris). Auf ein rein subjektives Empfinden des Verfahrensbeteiligten kommt es hierbei nicht an. Vielmehr müssen objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet sind, zu einer unangemessenen Verfahrensdauer zu führen, ohne dass ein allzu strenger Maßstab angelegt werden darf (BGH, Urteil vom 26. November 2020 - III ZR 61/20 -, Rn. 21, juris).

Die Vorschrift stellt für den frühestmöglichen Termin auf die Wahrscheinlichkeit ab, mit der eine Überlänge des Verfahrens eintreten wird, und erfordert damit eine Prognose. Eine vor diesem Zeitpunkt insoweit verfrüht erhobene Rüge ist wirkungslos und geht "ins Leere" (BT-Drs. 17/3802, S. 20; OLG Karlsruhe, Urteil vom 30. Juni 2020 - 16 EK 16/19 -, Rn. 120, juris).

aa)

Zum Zeitpunkt der von dem Entschädigungskläger im Ausgangsverfahren erstmals am 24.10.2017 erhobenen Verzögerungsrüge war bereits objektiv zu befürchten, dass es zu einer unangemessen langen Verfahrensdauer kommen würde.

In diesem Moment lag das Sachverständigengutachten zwar seit dem 31.05.2016 vor und war den Prozessbeteiligten auch zur Stellungnahme zugeleitet worden. Die letzten - für die Prozessbeteiligten ersichtlichen - verfahrensfördernden gerichtlichen Handlungen im Ausgangsverfahren bestanden im Zeitpunkt der Erhebung der Verzögerungsrüge im Erlass des Kammerbeschlusses vom 07.07.2017, mit dem auf Antrag der Bezirksrevisorin die Vergütung des Sachverständigen festgesetzt wurde, und in der Anforderung von Auslagenvorschüssen für die Kosten des Sachverständigengutachtens durch Verfügung des Vorsitzenden vom 19.07.2017, mit der den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen eingeräumt wurde. Insofern lag im Ausgangsverfahren bereits zu diesem Zeitpunkt aus Sicht des Entschädigungsklägers für die Dauer von ca. drei Monaten eine gerichtliche Untätigkeit vor. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass die den Parteien im Ausgangsverfahren eingeräumte Frist zur Stellungnahme zum Sachverständigengutachten bereits am 15.11.2016 abgelaufen war, und die Kammer das Ablehnungsgesuch unter anderem des Entschädigungsklägers gegen den Sachverständigen bereits durch Beschluss vom 24.03.2017 für unbegründet erklärt hatte.

Da es der Regelung des § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG hinsichtlich der zeitlichen Zulässigkeit einer Verzögerungsrüge im Kern darum geht, Missbrauchsfälle abzuwehren (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 2020 - III ZR 61/20 -, Rn. 21 m.w.N. aus der Literatur, juris), ist die Erhebung der Verzögerungsrüge am 24.10.2017 vor diesem Hintergrund sowie unter weiterer Berücksichtigung der Tatsache, dass das Verfahren bereits seit dem 27.02.2012 rechtshängig war und somit eine Verfahrensdauer von 5 Jahren und 8 Monaten aufwies, keineswegs als verfrüht anzusehen.

bb)

Selbiges gilt erst recht hinsichtlich der zweiten vom Entschädigungskläger im Ausgangsverfahren erhobenen Verzögerungsrüge vom 29.01.2019.

Hintergrund der zweiten Verzögerungsrüge war, dass der Entschädigungskläger im Ausgangsverfahren mit Schriftsatz vom 10.09.2018 eine Ablichtung des Urteils des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 30. April 2018 zum Aktenzeichen 3 U 33/12 zur Akte gereicht und sich in diesem Zusammenhang auf den Standpunkt gestellt hatte, dass nunmehr gleichsam "auf der Hand liege", dass auch in dem Ausgangsrechtsstreit die Klage unschlüssig sei und zudem ein Schadensersatzanspruch der Anleger gegen ihn unter sämtlichen denkbar in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten ausscheide. Daraufhin hatte der Vorsitzende der 2. Zivilkammer den Parteien unter dem 20.09.2018 mitgeteilt, dass die Beiziehung der in dem Schriftsatz des Beklagten zu 1) des Ausgangsverfahrens und Entschädigungsklägers vom 10.09.2018 angesprochenen Sachverständigengutachten durch die Kammer veranlasst worden sei. In der Folge hatte sich die Kammer - soweit für die Parteien ersichtlich - lediglich um die Rekonstruktion der Akte gekümmert, nachdem im November 2018 das Abhandenkommen des Originals der Klageschrift im Ausgangsverfahren bemerkt worden war. Eine weitere inhaltliche Reaktion auf das Vorbringen des Beklagten zu 1) und Klägers des Entschädigungsverfahrens in dem Schriftsatz vom 10.09.2018 erfolgte bis zur Erhebung der zweiten Verzögerungsrüge vom 29.01.2019 nicht.

b)

Die Dauer des Ausgangsrechtsstreits vor dem Landgericht Göttingen zum Aktenzeichen 2 O 1136/11 war unangemessen lang im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

Der Senat nimmt hierbei die Dauer von 2 Jahren und 9 Monaten zwischen dem Eingang des Sachverständigengutachtens am 31.05.2016 und dem Erlass des Hinweis- und Beweisbeschlusses zur Einholung eines Ergänzungsgutachtens am 04.03.2019 in den Blick. Der zur Überzeugung des Senats als überlang festgestellte Zeitraum konzentriert sich hierbei auf die Dauer, die das Gericht für die Auswertung des Sachverständigengutachtens benötigte, begrenzt auf den Zeitraum des äußerlich allein sichtbaren "Verfahrensstillstandes" in der Zeit vom 07.07.2017 bis zum Erlass des Hinweis- und Beweisbeschlusses vom 04.03.2019. Dieser Zeitraum umfasst 1 Jahr und 8 Monate. Dieser Zeitraum ist - unter Bezugnahme auf die Gesamtverfahrensdauer von 7 Jahren und 10 ½ Monaten - auch unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten und Dritter im Umfang von 8 Monaten unvertretbar lang, wobei eine Kompensation dieser Überlänge bis zur Beendigung des Verfahrens Mitte Januar 2020 nicht mehr eingetreten ist.

Im Einzelnen:

aa)

Das beklagte Land geht zunächst fehl in seiner Ansicht, dass der Kläger des Entschädigungsverfahrens für Zeiträume vor Erhebung seiner ersten Verzögerungsrüge am 24.10.2017 keine Entschädigung beanspruchen könne.

Wird die Rüge nach dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG normierten Zeitpunkt erhoben, ist dies für die Entstehung des Entschädigungsanspruchs grundsätzlich unschädlich, wenn sie bis zum Abschluss der jeweiligen Instanz, in der die Verzögerung eingetreten ist, eingelegt worden ist und kein rechtsmissbräuchliches "Dulden und Liquidieren" vorliegt (BGH, Urteil vom 26. November 2020 - III ZR 61/20 -, Rn. 14, 16, juris).

bb)

Die Gesamtverfahrensdauer des Ausgangsverfahrens beträgt 7 Jahre und 10 ½ Monate.

Sie erstreckt sich vorliegend auf den Zeitraum der Klagezustellung am 27.02.2012 bis zur Rechtskraft der Kostenentscheidung mit Ablauf des 17.01.2020.

Materieller Bezugsrahmen des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist gemäß § 198 Abs. 1 in Verbindung mit § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG das gesamte landgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit (BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87-103, Rn. 16, 30, juris, unter Hinweis auf BT-Drs. 17/3802, S. 22). Nach der Legaldefinition des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG ist Gerichtsverfahren im Sinne des Entschädigungsrechts "jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss [...]". Das Gesetz geht somit von einem an der Hauptsache orientierten Verfahrensbegriff aus (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 -, BGHZ 199, 190-207, Rn. 20, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 -, Rn. 23, juris).

Das Verfahren beginnt aus der Sicht des Klägers des Entschädigungsverfahrens, da er im Ausgangsrechtsstreit Beklagter war, mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit durch Zustellung der Klageschrift an ihn (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 - 6 SchH 1/13 -, Rn. 48, juris; Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 86; Gohde, Der Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer nach den §§ 198 ff. GVG, 2020, S. 150 f.), hier also am 27.02.2012.

Neben den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens tritt über den Wortlaut des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG hinaus die anderweitige Erledigung des Verfahrens, wenn aus prozessualen Gründen eine förmliche Entscheidung nicht (mehr) geboten ist (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 -, BGHZ 199, 190-207, Rn. 21, juris).

Zwar wird die Klagerücknahme als das Verfahren abschließendes Ereignis im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG genannt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10/15 D -, BVerwGE 156, 229-262, Rn. 16, juris; Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 87 m.w.N.; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 Rn. 54). Damit kann das Gerichtsverfahren - aus der Sicht eines Beklagten - allerdings nur dann zu seinem tatsächlichen Abschluss gelangen, wenn kein Kostenantrag nach § 269 Abs. 4 Satz 1 ZPO gestellt wird. Denn auch wenn die Hauptsache mit Wirksamkeit der Klagerücknahme erledigt ist, hat der Beklagte freilich ein vitales Interesse an der Kostenentscheidung, die in der Regel, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO, zu seinen Gunsten ausfallen wird.

Einen solchen Kostenantrag hat der Beklagte zu 1) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens vorliegend gestellt. Vor diesem Hintergrund fand das Ausgangsverfahren für ihn seinen Abschluss erst mit Eintritt der formellen Rechtskraft des die Kostenentscheidung treffenden Urteils vom 20.12.2019.

Auch in diesem Falle kommt es für die Beendigung auf den Zeitpunkt an, ab dem die Parteien die Beendigung des Prozesses nicht mehr angreifen können (Gohde, Der Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer nach den §§ 198 ff. GVG, 2020, S. 158 m.w.N.). Ist die abschließende Entscheidung der Rechtskraft fähig, kommt es für die Gesamtdauer auf den Zeitpunkt der formellen Rechtskraft an, sodass der Ablauf etwaiger Rechtsmittelfristen zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87-103, Rn. 44, juris; Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 87 m.w.N.).

Das Gericht hat die Kostenentscheidung in Bezug auf den Beklagten zu 1) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens auf § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO gestützt. Gegen diese Entscheidung war gemäß § 269 Abs. 5 ZPO das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde, welches einer Notfrist von zwei Wochen unterliegt (§ 569 Abs. 1 ZPO), statthaft.

Nach Zustellung des Urteils vom 20.12.2019 an den Beklagten zu 1) des Ausgangsverfahrens und Entschädigungskläger am 03.01.2020 trat die formelle Rechtskraft mit Ablauf des 17.01.2020 ein.

cc)

Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Ausgangsrechtsstreits ist die Verfahrensdauer unangemessen lang.

Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87-103, Rn. 28, juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 -, BGHZ 199, 190-207, Rn. 40, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 -, BGHZ 200, 20-38, Rn. 36, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23/12 D -, BVerwGE 147, 146-170, Rn. 37, juris).

Letzteres ist der Haftungsgrund für den gesetzlich begründeten Entschädigungsanspruch. Auf ein schuldhaft pflichtwidriges Verhalten des mit der Sache befassten Richters oder eines sonstigen Angehörigen der Justiz kommt es - anders als bei der Amtshaftung - nicht an (BGH, Urteil vom 7. November 2019 - III ZR 17/19 -, BGHZ 224, 20-40, Rn. 22, juris; vgl. auch Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 173 f., unter Hinweis auf Breuer, Staatshaftung für judikatives Unrecht, 2011, S. 329 ff.; Reiter, NJW 2015, 2554 [2555 f.]). Der unbestimmte Rechtsbegriff "unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens" ist daher insbesondere unter Rückgriff auf diejenigen Grundsätze auszulegen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und das Bundesverfassungsgericht zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) entwickelt haben. Denn der Gesetzgeber nahm diese gefestigte Rechtsprechung bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG zum Vorbild (BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87-103, Rn. 29 m.w.N., juris; vgl. auch BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R -, BSGE 117, 21-37, SozR 4-1720 § 198 Nr. 3, Rn. 23, juris).

Die Verletzung des Grund- und Menschenrechts auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit impliziert, dass eine gewisse Schwere der Belastung festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL -, BSGE 113, 75-86, SozR 4-1720 § 198 Nr. 1, Rn. 6, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23/12 D - BVerwGE 147, 146, Rn. 38 f., juris; BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87-103, Rn. 31, juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13 -, Rn. 28, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 29. Juni 2017 - 23 A 15.2332 -, Rn. 28, juris).

In diesem Lichte genügt zur Begründung eines Entschädigungsanspruches nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung. Vielmehr muss die Verfahrensdauer insgesamt eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 -, Rn. 40, juris; BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87-103, Rn. 31, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 -, BGHZ 200, 20-38, Rn. 38 f., juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13 -, Rn. 29, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23/12 D -, BVerwGE 147, 146-170, Rn. 37, juris; BVerwG, Urteil vom 29. Februar 2016 - 5 C 31/15 D -, Rn. 15, juris; BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10/15 D -, BVerwGE 156, 229-262, Rn. 135, juris; vgl. ferner BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 - X K 13/12 -, Rn. 51, 53, juris).

Zu diesen gegenläufigen Rechtsgütern zählen insbesondere die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13 -, Rn. 26, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 -, Rn. 27, juris).

"So könnte eine Überbeschleunigung von Verfahren in einen Konflikt mit dem - durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG abgesicherten - Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes geraten, zu dessen Kernbereich die Schaffung gerichtlicher Strukturen gehört, die eine möglichst weitgehende inhaltliche Richtigkeit von Entscheidungen und ihre möglichst hohe Qualität gewährleisten. Ferner könnte der Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 97 Abs. 1 GG) berührt sein, sofern die Entschädigungsgerichte mittelbar in die Freiheit der Richter eingreifen würden, ihr Verfahren frei von äußeren Einflüssen zu gestalten. Auch der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) könnte betroffen sein, wenn zunehmender Beschleunigungsdruck dazu führen würde, dass Verfahren bereits wegen kurzzeitiger, in der Person eines Richters liegender Erledigungshindernisse (z.B. einer nicht langfristigen Erkrankung oder einer lediglich als vorübergehend anzusehenden höheren Belastung durch anderweitige Verfahren) diesem Richter entzogen und einem anderen Richter zugewiesen werden" (BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 - X K 13/12 -, Rn. 52, juris).

Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist (BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, Rn. 33, juris). Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 -, Rn. 6, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 27/12 D -, Rn. 34, juris).

Abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben besteht hinsichtlich der Verfahrensgestaltung ein Ermessen des verantwortlichen Richters. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen (BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, Rn. 33, juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 -, Rn. 44, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 -, BGHZ 200, 20-38, Rn. 39, juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13 -, Rn. 30, juris; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184-198, Rn. 26, juris; OLG Köln, Urteil vom 1. Juni 2017 - 7 EK 3/16 -, Rn. 26, juris).

So benötigt das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung, um dem rechtstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1/13 D -, Rn. 28, juris; BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2015 - 5 C 5/14 D -, Rn. 43, juris).

Eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der Zivilprozessordnung vertretbare Verfahrensleitung begründen auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben. Ein Anspruch des Rechtsuchenden auf "optimale" Verfahrensförderung besteht nicht (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 -, BGHZ 199, 190 ff., Rn. 46, juris; OLG Oldenburg [Oldenburg], Urteil vom 15. Dezember 2016 - 15 EK 14/16 -, Rn. 19, juris; vgl. auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 -, Rn. 16, juris).

Für die Beurteilung der richterlichen Handlungen aus dem Blickwinkel des Entschädigungsrechts des § 198 GVG ist entscheidend, wie das Gericht die Sach- und Rechtslage aus seiner ex-ante-Sicht einschätzen durfte. Es kommt nicht darauf an, wie sich der Verfahrenslauf im Nachhinein bei einer ex-post-Betrachtung darstellt (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13 -, Rn. 47, juris; BFH, Urteil vom 7. Mai 2014 - X K 11/13 -, Rn. 53, juris; BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R -, BSGE 124, 136-153, SozR 4-1720 § 198 Nr. 16, Rn. 47, juris).

Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist schließlich weder von festen Zeitvorgaben noch von abstrakten Orientierungs- bzw. Anhaltswerten auszugehen. Schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit oder ähnliches existieren nicht (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 -, Rn. 20, juris; BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 -, Rn. 23, juris; BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87-103, Rn. 26 f., juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 -, BGHZ 199, 190-207, Rn. 38, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 -, Rn. 28-30, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 29. Juni 2017 - 23 A 15.2332 -, Rn. 22, juris; vgl. auch Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 144 ff.).

Vielmehr ist eine Einzelfallprüfung insbesondere im Hinblick auf die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien der Schwierigkeit des Verfahrens, seiner Bedeutung für den Betroffenen und des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten sowie mit Blick auf die Verfahrensführung durch das Gericht vorzunehmen (vgl. nur BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, Rn. 25, juris).

Allerdings verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die gerichtliche Pflicht, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27. Juli 2004 - 1 BvR 1196/04 -, Rn. 6, juris; BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 -, BGHZ 187, 286-304, Rn. 11, 14; BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 -, Rn. 43, juris; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184-198, Rn. 27, juris; OLG Köln, Urteil vom 1. Juni 2017 - 7 EK 3/16 -, Rn. 18, juris).

(1)

Vorliegend sind für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer die folgenden Kriterien zu berücksichtigen:

(a)

Zweifelsfrei wies das Ausgangsverfahren eine weit überdurchschnittliche Komplexität auf.

Dies ergibt sich zum einen aus dem Umfang des Sach- und Streitstoffes, zum anderen aus der Materie sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht.

Die Klageschrift umfasst 131 Seiten und nimmt auf mehr als 200 Anlagen Bezug. Inhaltlich geht es um Schadensersatzansprüche von Kapitalanlegern, vor allem gestützt auf deliktische Anspruchsgrundlagen, die insbesondere komplexe Würdigungen in Bezug auf Vorsatzfragen erfordern. In tatsächlicher Hinsicht können spezifische betriebswirtschaftliche Probleme zum Tragen kommen.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Kammer während der gesamten Bearbeitungszeit der hier gegenständlichen L.-Serie zugleich die Bearbeitung und Förderung der Hauptserie zum Aktenzeichen 2 O 1802/07 im Blick behalten musste, wobei beide Verfahren eng zusammenhängen (vgl. auch BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, Rn. 37 und Rn. 39, juris).

(b)

Darüber hinaus ist unter dem Gesichtspunkt der Belastungssituation des Spruchkörpers zu gewichten, dass in der zur Entscheidung des Ausgangsverfahrens berufenen 2. Zivilkammer zugleich ca. 140 im Wesentlichen gleich gelagerte Klagen gegen den Beklagten zu 1) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens rechtshängig waren, die das Gericht zum Zwecke der gemeinsamen Beweisaufnahme zum Ausgangsverfahren als Pilotverfahren hinzuverband. Darüber hinaus waren bei der 2. Zivilammer mehr als 2.000 Klagen der Hauptserie rechtshängig, die mit dem Ausgangsverfahren ebenfalls in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Insofern sah sich das Gericht neben den inhaltlichen Fragen - zumindest phasenweise - vor erhebliche logistische Herausforderungen gestellt, deren Bewältigung zeitliche Kapazitäten band.

Der Bundesgerichtshof hat hierzu in anderer Sache, allerdings ebenfalls in Bezug auf die bei dem Landgericht Göttingen anhängigen Masseverfahren zum Thema "G. Gruppe", festgehalten: "Unter Berücksichtigung eines angemessenen Prüfungs- und Bearbeitungszeitraums sowie des den Gerichten bei der Verfahrensführung zukommenden Gestaltungsspielraums ist eine unangemessene Verfahrensdauer nicht feststellbar. Die zunächst allein zuständige 2. Zivilkammer musste in dem sowohl tatsächlich wie auch rechtlich komplexen zivilrechtlichen Kapitalanlagerechtsstreit die ständig zunehmende Zahl an Klagen und Klägern nicht nur verfahrenstechnisch bewältigen (Aktenanlage, Zustellung der Klageschriften und Klageerwiderungen, Fristsetzungen etc.), sondern auch eine Gesamtplanung des Komplexes 'G. Gruppe' entwickeln. Das Gericht musste insbesondere die zahllosen Verfahren sichten, das jeweilige Klagevorbringen auf Schlüssigkeit prüfen und einen Weg finden, der es ermöglichte, in einigen wenigen Verfahren über die ganze 'Fallbreite' zu entscheiden (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3320 [BVerfG 27.07.2004 - 1 BvR 1196/04]). Es war daher sachgerecht, 'Musterverfahren' oder 'Pilotverfahren' auszuwählen und vorrangig zu betreiben, während die übrigen gleich oder ähnlich gelagerten Verfahren einstweilen zurückgestellt blieben (siehe auch Senatsbeschluss vom 21. November 2013 - III ZA 28/13, NJOZ 2014, 987 Rn. 9). Dadurch konnten Rechtsfragen von zentraler Bedeutung verfahrensübergreifend auf besonders prozessökonomische Weise geklärt werden. Darauf, ob sich die Zurückstellung anderer Verfahren oder die Auswahl der Pilotverfahren - ex post betrachtet - als förderlich erwiesen hat, kommt es nicht an. Maßgebend ist vielmehr, dass die Entscheidung des Landgerichts aus der Sicht ex ante vernünftig und zweckmäßig war (vgl. BVerfG, NVwZ 2013, 789, 791)" (BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184-198, Rn. 32, juris).

(c)

Hinsichtlich des wirtschaftlichen Interesses des Beklagten zu 1) im Ausgangsverfahren und Klägers im Entschädigungsverfahren an einem zügigen Verfahrensabschluss hatte das Ausgangsverfahren angesichts der eingeklagten Forderungen von insgesamt ca. 4.000 Euro - für sich allein betrachtet - sicherlich keine wirtschaftlich hervorgehobene oder gar existenzbedrohende Bedeutung.

Ein nicht unerhebliches Gewicht ist allerdings dem Umstand beizumessen, dass das hier in Rede stehende Ausgangsverfahren von der Kammer zum Pilotverfahren bestimmt wurde, dessen Beweisaufnahme auch für die ca. 140 Parallelverfahren fruchtbar gemacht werden sollte. Vor diesem Hintergrund darf das Ausgangsverfahren nicht losgelöst von seiner richtungsweisenden Bedeutung für die weiteren Parallelverfahren betrachtet werden.

Bereits hieraus folgt, dass das Ausgangsgericht gehalten war, dieses Pilotverfahren - ebenso wie das Pilotverfahren der Hauptserie - mit höchster Priorität möglichst akkurat und lückenlos zu fördern.

(d)

Soweit der Beklagte zu 1) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens durch sein eigenes Verhalten zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer beigetragen hat, etwa durch Stellung von Fristverlängerungsanträgen zur Sicherstellung einer gewissenhaften Ausarbeitung von Stellungnahmen oder durch Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit, ist auch dies unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Mitverursachung für die Beurteilung der Verfahrensdauer zu berücksichtigen (vgl. auch BT-Drucks. 17/3802, S. 18). So können von ihm verursachte Verzögerungen keine Unangemessenheit der Verfahrensdauer begründen. Dabei kommt es auf eine "Prozessverschleppungsabsicht" oder eine sonstige Vorwerfbarkeit des Verhaltens nicht an. Denn auch durch zulässiges Prozessverhalten herbeigeführte Verfahrensverzögerungen fallen in den Verantwortungsbereich des Betroffenen. In solchen Fällen wird die Zeit, die für das Gericht zur ordnungsgemäßen Reaktion auf ein Prozessverhalten erforderlich ist, nicht dem Staat zugerechnet (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13 -, Rn. 42, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 -, Rn. 43, juris; BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R -, BSGE 124, 136-153, SozR 4-1720 § 198 Nr. 16, Rn. 37, juris).

(e)

Schließlich ist bei der Beurteilung der Verfahrensdauer im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG besonderes Augenmerk auf die konkrete Verfahrensführung durch das Gericht zu lenken.

Diese kann nicht isoliert für sich betrachtet werden. Sie muss vielmehr zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug gesetzt werden. Maßgebend ist, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer in jedenfalls vertretbarer Weise gerecht geworden ist (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13 -, Rn. 46, juris).

Bei der Berücksichtigung des Verhaltens anderer Verfahrensbeteiligter und Dritter ist maßgeblich auf die Beeinflussbarkeit durch das Gericht abzustellen (Lückemann, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 198 GVG Rn. 3, unter Hinweis auf RegE BT-Drs. 17/3802, S. 18).

Insoweit ist die Verfahrensführung durch das Landgericht Göttingen vorliegend vor allem unter dem Gesichtspunkt in den Blick zu nehmen, ob es Zeiträume gegeben hat, in denen das Gericht das Verfahren ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13 -, Rn. 25, juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. August 2012 - 1 BvR 1098/11 -, Rn. 17, juris).

Die Möglichkeiten des Entschädigungsgerichts zur Überprüfung richterlicher Maßnahmen, die die Grundlagen für die Entscheidungsfindung schaffen, sind mit Blick auf die verfassungsrechtlich verbürgte richterliche Unabhängigkeit dabei eng begrenzt.

Im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen richterlicher Unabhängigkeit einerseits und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes andererseits sind die im Amtshaftungsprozess außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze zu den Grenzen der Überprüfbarkeit der richterlichen Verfahrensführung für das Entschädigungsverfahren nach den §§ 198 ff. GVG inzwischen sinngemäß ebenfalls anerkannt (Lückemann, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 198 GVG Rn. 4).

Im Amtshaftungsprozess gilt: "Durch die Formulierung in § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB (,bei dem Urteil', nicht 'durch das Urteil') werden nicht nur Mängel erfasst, die in dem Urteil selbst liegen oder die unmittelbar bei seinem Erlass begangen werden. Vielmehr sind privilegiert auch alle Maßnahmen, die objektiv darauf gerichtet sind, die Rechtssache durch Urteil zu entscheiden, also die Grundlagen für die Sachentscheidung zu gewinnen [...]" (BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 -, BGHZ 187, 286-304, Rn. 13, juris). Der Grund hierfür liegt darin, dass zum Urteil auch "die richtige Feststellung des Tatbestandes [gehört], insbesondere die Trennung des unstreitigen Sachverhalts von streitigen Behauptungen sowie die Prüfung der Erheblichkeit des jeweiligen Vortrags und eines etwaigen Beweisantritts. Das alles bestimmt nicht nur den Inhalt des Urteils, sondern auch den Ablauf und die Dauer des Verfahrens [...]" und steht "in einem so engen Zusammenhang mit dem Urteil", dass es von diesem "haftungsmäßig nicht getrennt" werden kann (BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 -, BGHZ 187, 286-304, Rn. 13, juris).

In diesem Lichte dürfen auch im Entschädigungsprozess nach den §§ 198 ff. GVG diejenigen rechtlichen Überlegungen, die der erkennende Richter bei der Entscheidungsfindung im Ausgangsprozess angestellt hat, grundsätzlich nicht auf ihre sachliche Richtigkeit überprüft werden (BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 -, Rn. 34, juris; BGH, Urteil vom 13. April 2017 - III ZR 277/16 -, Rn. 16, juris). Es geht nicht darum, ob die Richter im Ausgangsverfahren richtig entschieden haben (OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. August 2012 - 4 SchH 4/12 EntV -, Rn. 16, juris).

Maßgeblich im Entschädigungsprozess stellt sich insoweit allein die Frage, ob die Verfahrensführung vertretbar war. Die Vertretbarkeit darf nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist bzw. willkürlich erscheint (OLG Frankfurt, Urteil vom 10. Juli 2013 - 4 EntV 3/13 -, Rn. 39, juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13 -, Rn. 30, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 -, Rn. 38, juris; BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R -, SozR 4-1720 § 198 Nr. 4, Rn. 43, juris; BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R -, BSGE 117, 21-37, SozR 4-1720 § 198 Nr. 3, Rn. 36, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 27. April 2015 - 11 EK 8/14 -, Rn. 8, juris; BVerwG, Beschluss vom 12. März 2018 - 5 B 26/17 D -, Rn. 6, juris; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11. September 2020 - 17 EK 2/20 -, Rn. 33, juris).

Dies wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn sachlich nicht begründete Lücken in der Verfahrensförderung auftreten (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, Rn. 14, juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, Rn. 13, juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. August 2012 - 1 BvR 1098/11 -, Rn. 17, juris; OLG Braunschweig, Urteil vom 8. Februar 2013 - 4 SchH 1/12 -, Rn. 130, juris; BGH, Urteil vom 13. April 2017 - III ZR 277/16 -, Rn. 16, juris; OLG Köln, Urteil vom 1. Juni 2017 - 7 EK 3/16 -, Rn. 27, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 29. Juni 2017 - 23 A 15.2332 -, Rn. 24, juris; BGH, Urteil vom 26. November 2020 - III ZR 61/20 -, BGHZ 227, 377-391, Rn. 15, juris; vgl. auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Mai 2021 - 16 EK 1/21 -, Rn. 128-130, juris; Gohde, Der Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer nach den §§ 198 ff. GVG, 2020, S. 119 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rspr. in Fußnote 537).

(2)

Auf Grundlage der vorgenannten Ausführungen lässt sich nur für einen Teil des von dem Kläger als verzögert gerügten Verfahrensabschnitts ab Erlass des Beweisbeschlusses vom 03.07.2013 eine unangemessene Verfahrensdauer im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG im Umfang von 8 Monaten feststellen.

Der Kläger rügt vorliegend die Fortführung des Verfahrens ohne sachliche Endentscheidung ab Juli 2013, weil er meint, dass nach der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2013 die Klage gegen ihn ohne Beweisaufnahme abweisungsreif gewesen sei. In erster Linie hält er den Erlass des Beweisbeschlusses vom 03.07.2013, mit dem von Amts wegen ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde, für unvertretbar (a). Weiterhin beanstandet er die konkrete Verfahrensführung des Landgerichts Göttingen bei der Einholung und Auswertung des Sachverständigengutachtens als rechtsstaatswidrig verzögert (b).

(a)

Entgegen der Ansicht des Klägers bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte für eine schlechterdings unvertretbare Verfahrensweise der Kammer mit Blick auf die Entscheidung, durch Erlass des Beweisbeschlusses vom 03.07.2013 in die Beweisaufnahme einzutreten.

(aa)

Soweit sich der Kläger auf den Standpunkt stellt, dass die Klage des Ausgangsverfahrens unschlüssig gewesen sei, sodass sich der Eintritt in die Beweisaufnahme verboten habe, stellt er damit seine eigene rechtliche Einschätzung an die Stelle derjenigen des Ausgangsgerichts. Auch dem Entschädigungsgericht steht die Beurteilung dieser Frage aus den dargelegten Gründen der richterlichen Unabhängigkeit jedoch nicht an.

Die Beurteilung der Schlüssigkeit gehört dem privilegierten Kernbereich der richterlichen Tätigkeit mit Blick auf die Schaffung der Entscheidungsgrundlagen an. Von daher ist es auch unerheblich, ob die Kammer in anderer Besetzung - im Rahmen der Hauptserie - in der Vergangenheit bereits einen Hinweis dahingehend erteilt hatte, dass die Klage als unschlüssig anzusehen sei. Daran war die Kammer in späterer Besetzung aus Gründen der richterlichen Unabhängigkeit jedenfalls nicht gebunden.

Das Entschädigungsgericht prüft grundsätzlich nicht, ob die Richter im Ausgangsverfahren richtig entschieden haben (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 - 6 SchH 1/13 -, Rn. 43, juris). "Führt [...] zum Beispiel die Anordnung einer Beweisaufnahme oder die Erteilung von Hinweisen und Auflagen zu einer Verlängerung des gerichtlichen Verfahrens, ist dies - vorbehaltlich der Grenze der Rechtsbeugung (§ 839 Abs. 2 Satz 1 BGB) - ohne Belang, auch wenn nach Auffassung des zur Entscheidung des Amtshaftungsprozesses berufenen Gerichts die Beweisaufnahme oder der Hinweis bzw. die Auflage überflüssig gewesen sind und ein der Klage stattgebendes sowie einen Vollstreckungsschaden vermeidendes Urteil deshalb früher hätte ergehen können. Gleiches gilt für sonstige prozessleitende Maßnahmen, die darauf abzielen, die Grundlagen für die Entscheidung zu gewinnen" (BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 -, BGHZ 187, 286-304, Rn. 13, juris).

(bb)

Auch kann dem Kläger nicht dahingehend gefolgt werden, dass alle Tatsachen- und Rechtsfragen bereits durch Gutachten in vorangegangenen Verfahren, Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft etc. geklärt gewesen und deswegen gleichsam "ins Auge springend" auf der Hand gelegen hätten.

Das erkennende Gericht ist an die in anderen Verfahren erhobenen Entscheidungsgrundlagen nicht gebunden, sondern entscheidet in richterlicher Unabhängigkeit, welche Teile des Sachverhalts es als streitig und beweisbedürftig ansieht. Ebenso ist es Sache des erkennenden Gerichts, den Prozessstoff - erschöpfend - auszuwerten (vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. März 2004 - II ZR 136/02 -, Rn. 5 ff., juris).

Insbesondere ist der Hinweis des Klägers auf das Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 2. Mai 2012 zum Aktenzeichen 3 U 120/08 der Untermauerung der von ihm eingenommenen Position unbehelflich. Dieses Urteil war Berufungsurteil zu dem Rechtsstreit 2 O 583/07 des Landgerichts Göttingen, bei dem es sich gerade nicht (mehr) um das letztendlich designierte Muster- bzw. Pilotverfahren der hier in Rede stehenden Verfahrensserie und auch nicht der bei der 2. Zivilkammer geführten Hauptserie handelte. Überdies war der Beklagte zu 1) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens in diesem Rechtsstreit nach seinem eigenen Vortrag schon nicht selbst Beklagter, da das Verfahren gegen ihn zuvor abgetrennt worden war.

Schließlich kann auch dahinstehen, ob die Rechtsansichten des Klägers letztendlich durch das von ihm zur Akte gereichte Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 30. April 2018 - 3 U 33/12 -, in dem er tatsächlich als Beklagter geführt wurde, bestätigt worden sind. Denn die richterliche Unabhängigkeit schlösse eine Verpflichtung des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers des Landgerichts aus, seine bislang vertretenen Rechtsansichten aufzugeben. So kann für den Senat letztlich auch dahinstehen, ob dieses Urteil die in dem Ausgangsverfahren erheblichen Tat- und Rechtsfragen überhaupt tatsächlich vollständig beantwortet.

(cc)

Dass das Landgericht Göttingen die Verjährungseinrede unbeachtet gelassen bzw. offenbar als nicht durchgreifend erachtet hat, führt ebenfalls nicht zur Unvertretbarkeit des Erlasses des Beweisbeschlusses.

Denn auch die Prüfung des Eintritts der Verjährung zählt als rechtliche Würdigung zum Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit. Anders als der Kläger meint, steht damit im Übrigen auch nicht eine Frage im Raume, deren Beantwortung für jedermann ersichtlich auf der Hand liegt, sodass ein Anhaltspunkt dafür gegeben sein könnte, dass der Erlass eines Beweisbeschlusses als vollkommen unverständlich und geradezu willkürlich zu bewerten wäre. Denn vorliegend ging es um den Fristbeginn der kenntnisabhängigen Verjährungsfrist des § 199 Abs. 1 BGB, bei der sich komplexe Fragen dahingehend stellen können, welche Tatsachen dem Einredeführer zu welchem Zeitpunkt bekannt gewesen sein müssen.

Darüber hinaus wäre auch die Frage der Verjährung selbst nach dem eigenen Vortrag des Klägers des Entschädigungsverfahrens nicht ohne Durchführung einer Beweisaufnahme in Gestalt der Vernehmung von Zeugen zu beantworten gewesen.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang darüber hinaus eine Gehörsverletzung rügt, ist unter keinem Gesichtspunkt ersichtlich, inwieweit dies für die Frage der unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG von Relevanz sein soll.

(dd)

Auch die konkrete Anwendung des § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F. durch die Kammer erfolgte nicht in unvertretbarer, an Willkür grenzender Weise.

Zwar ist nicht zu übersehen, dass die Kammer durch den Erlass des Beweisbeschlusses im Wesentlichen Behauptungen der Klägerseite ohne Beweisantritt der beweisbelasteten klagenden Partei einer Überprüfung durch Sachverständigengutachten unterzogen hat, wobei die eigenen Verständnisfragen des Gerichts ihre erkennbar (nur) untergeordnete Rolle offenbaren.

Dies ist für sich genommen aber nicht schlechthin unverständlich und entfernt sich insbesondere nicht so weit von dem geltenden Prozessrecht, dass es als willkürlich zu bewerten wäre.

Zwar ist dem Kläger insbesondere dahingehend Recht zu geben, dass das Gericht üblicherweise - im Lichte des den Zivilprozess beherrschenden Grundsatzes der Parteiherrschaft - vor der Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen gemäß § 139 ZPO zur Klärung angehalten ist, ob (gegebenenfalls warum nicht) der Beweisbelastete die Initiative ergreift (Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 144 ZPO Rn. 1).

Da das beklagte Land dem klägerischen Vortrag im Entschädigungsverfahren dahingehend, dass das Landgericht Göttingen nicht auf die Stellung eines Beweisantrages hingewirkt habe, nicht entgegengetreten ist, gilt der entsprechende Vortrag des Klägers im Entschädigungsverfahren gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.

Gleichwohl bestand zu einer solchen weitergehenden Aufklärung nach dem eigenen Vortrag des Klägers im Entschädigungsverfahren deshalb kein Anlass, weil die Kläger des Ausgangsverfahrens in der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2013 nach seiner Behauptung erklärt hätten, "[dass] aus Sicht des Klägers [...] kein Gutachten notwendig sei, weil es darauf nicht ankomme. Die Klage sei auch unabhängig von der Frage nach der Tragfähigkeit des Beteiligungssystems begründet, und zwar ohne Einholung eines Gutachtens".

Eine entsprechende Äußerung der Kläger des Ausgangsverfahrens in der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2013 würde im Übrigen nichts an der rechtlichen Würdigung ändern.

Zum einen wäre das Landgericht Göttingen bei Anwendung des § 144 Abs. 1 ZPO a.F. selbst an einen etwaigen Verzicht nicht gebunden gewesen. Denn bereits bei Parteivereinbarungen gilt, dass diese mit Blick auf die Beweisbedürftigkeit zwar zulässig sind, eine zulässige Beweiserhebung von Amts wegen jedoch nicht hindern können (Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, Vorbemerkungen zu § 284 ZPO Rn. 2b).

Die Anwendung des § 144 Abs. 1 ZPO a.F. war - im privilegierten Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit liegend - nach dem im Entschädigungsverfahren anzuwendenden Prüfungsmaßstab vorliegend im Ergebnis jedenfalls nicht grob fehlerhaft.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der zum Zeitpunkt des Beschlusserlasses am 03.07.2013 gültigen Fassung konnte das Gericht die "Begutachtung durch Sachverständige" anordnen (die seit dem 01.01.2020 gültige Fassung des § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO lautet demgegenüber: "Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Hinzuziehung von Sachverständigen anordnen", Hervorhebung durch den Senat).

Die seinerzeit in Geltung stehende Fassung der Vorschrift erlaubte die Einholung eines Sachverständigengutachtens ohne Beweisantritt der beweisbelasteten Partei; sie schränkte insofern den Beibringungsgrundsatz ein (vgl. Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 144 ZPO Rn. 1).

Zum anderen gaben die Kläger des Ausgangsverfahrens mit ihrer von dem Kläger des Entschädigungsverfahrens behaupteten Äußerung in der mündlichen Verhandlung am 05.06.2013 nach verständiger Auslegung dem Gericht gegenüber vielmehr ihre Rechtsauffassung zu erkennen, dass sie die Klage auch unabhängig von einer sachverständigen Bestätigung ihrer Behauptungen für begründet hielten. Keinesfalls aber wollten sie mit einem etwaigen Verzicht auf ein Sachverständigengutachten bei verständiger Würdigung deshalb selbst eine Klageabweisung in Kauf nehmen. Von daher unterscheidet sich die vorliegende Konstellation bereits von derjenigen, über die der Bundesgerichtshof in dem Urteil vom 27. Februar 2019 - VIII ZR 255/17 -, juris, zu befinden hatte und auf die der Kläger sich stützt.

In der von dem Bundesgerichtshof entschiedenen prozessualen Konstellation hatte die letztlich unterlegene und beweisbelastete Klägerin auf Nachfrage des Berufungsgerichts ausdrücklich mitgeteilt, einen Beweisantrag gerichtet auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht stellen zu wollen. Der Bundesgerichtshof hält zwar weiterhin fest, dass bei dieser Sachlage das Berufungsgericht nicht "verpflichtet" war, nach § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einzuholen. Damit ist jedoch keine Aussage über die hier gegenständliche Konstellation verbunden, ob die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus "eigenem Antrieb" des Gerichts willkürlich ist.

Dass das Landgericht das ihm eingeräumte Ermessen überhaupt nicht erkannt hätte, ist nicht ersichtlich.

Ein Ermessensfehler ist auch nicht etwa darin zu erblicken, dass das Gericht eine Beweiserhebung von Amts wegen angeordnet hätte, obwohl ein entsprechender Beweisantrag (z.B. als Ausforschungsbeweis) zurückzuweisen wäre (vgl. hierzu Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 144 ZPO Rn. 1).

Die Kammer hat sich bei der Formulierung der Beweisfragen - wie ausgeführt - maßgeblich an den Behauptungen der Kläger des Ausgangsverfahrens orientiert.

Entgegen der Ansicht des Klägers des Entschädigungsverfahrens war das Landgericht auch nicht gehalten, den Erlass des Beweisbeschlusses gesondert zu begründen. Denn mit dieser verfahrensleitenden Handlung gab es denknotwendig zu erkennen, dass es die Klage als schlüssig bewerte und nicht von einer Verjährung der geltend gemachten Ansprüche ausgehe.

In der Zusammenschau bleibt deshalb nur zu konstatieren, dass der Senat "nicht zu untersuchen [hat], ob dem Landgericht ein Rechtsfehler unterlaufen ist, als es sich gegen den Willen der Parteien des Ausgangsverfahrens entschieden hat, ein Sachverständigengutachten einzuholen, um das Konzept der Gesellschaften der 'Göttinger Gruppe' zu untersuchen" (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 - 6 SchH 1/13 -, Rn. 45, juris; bestätigt durch BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, Rn. 36, juris).

(b)

Soweit der Kläger beanstandet, dass das Landgericht Göttingen im Zeitraum von Juli 2013 bis einschließlich November 2019 im Rahmen seiner Prozessleitungsverantwortung keine hinreichenden Maßnahmen zur Verfahrensförderung vorgenommen habe, ist diese Beanstandung nur für den Zeitraum vom 07.07.2017 bis 04.03.2019 begründet.

Im Einzelnen:

(aa)

Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Kammer nicht erst nach Verstreichenlassen eines unangemessen langen Zeitraums in die Beweisaufnahme eingetreten.

Den von ihm namhaft gemachten ersten Verfahrensabschnitt, beginnend mit dem 01.01.2012 und endend mit dem Ablauf des Monats, in dem die mündliche Verhandlung stattfand (30.06.2013), rügt der Kläger selbst nicht als verzögert.

Die Kammer hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 05.06.2013 die Frage des Erlasses eines Beweisbeschlusses und die konkrete Formulierung der Beweisbehauptungen mit den Parteien erörtert - nachdem sie einen Vorschlag bereits mit der Terminsladung vom 08.05.2013 übermittelt hatte - und sodann Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 03.07.2013 anberaumt.

Die Festsetzung dieses Verkündungstermins hält sich ohne Abstriche im Rahmen der gesetzlichen Bestimmung des § 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO, nach der der Verkündungstermin nur dann über drei Wochen hinaus angesetzt wird, wenn insbesondere der Umfang oder die Schwierigkeit der Sache dies erfordern. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass dem Beklagten zu 1) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens sowie dem Beklagten zu 2) des Ausgangsverfahrens auf ihre Anträge hin jeweils Schriftsatznachlass bis zum 19.06.2013 gewährt worden war, sodass der Verkündungstermin sich von diesem letztgenannten Datum ausgehend innerhalb der 3-Wochen-Frist hält.

(bb)

Die Zeitspanne bis zur Auswahl und Bestellung eines Sachverständigen ist ebenfalls nicht unangemessen lang im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG.

Ab dem Erlass des Beweisbeschlusses vom 03.07.2013 dauerte es bis zur Bestellung des Sachverständigen S. durch Beschluss vom 14.01.2014 zwar ca. 6 ½ Monate.

Dieser Zeitraum überschreitet die Grenze der Unvertretbarkeit vorliegend jedoch nicht.

Die Suche nach einem geeigneten Sachverständigen erwies sich aufgrund der Komplexität und der Dimension des Begutachtungsgegenstandes einerseits sowie der Materie und des Umfangs der einzubeziehenden Materialien andererseits als anspruchsvoll.

In concreto war in der Vergangenheit in der Hauptserie die Begutachtung durch den bestellten Sachverständigen A bereits einmal gescheitert, was das Gericht von vornherein dafür sensibilisieren musste, die Wahl sorgsam unter Einbeziehung der Einwendungen sämtlicher Beteiligter zu treffen.

Gerade vor diesem Hintergrund ist es nicht als unvertretbar oder unverständlich zu beurteilen, dass die Kammer ausweislich des Beweisbeschlusses vom 03.07.2013 zunächst an den bereits in dem Pilotverfahren 2 O 1802/07 eingesetzten Sachverständigen Dr. B und Dipl.-Kfm. C festhalten und sie auch für dieses Verfahren bestellen wollte, obwohl der Kläger diese im Pilotverfahren zur Hauptsache 2 O 1802/07 wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte. Nach dem - zwischenzeitlich überholten - Kenntnisstand der Kammer stand die Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig zu dieser Frage noch aus, sodass sie die Hoffnung hegen durfte, mit ihrer Rechtsansicht durchzudringen.

Nach dem Bekanntwerden der Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig hat sich die Kammer sodann zeitnah, nämlich unter dem 18.07.2013, also gut zwei Wochen nach Verkündung des Beweisbeschlusses, und - wie das Erinnerungsschreiben des Vorsitzenden vom 16.08.2013 belegt - mit ausreichendem Nachdruck um die Auswahl eines neuen geeigneten Sachverständigen bemüht. Auch unter Zuhilfenahme der Vorschläge der Wirtschaftsprüferkammer Berlin, die am 19.08.2013 eingingen, drängte sich die kurzfristige Bestellung eines bestimmten Sachverständigen nicht gerade auf. Ausweislich der Vermerke des Vorsitzenden vom 02.10.2013, 16.10.2013, 29.10.2013 und 30.10.2013 nahm dieser mit verschiedenen Sachverständigen Kontakt auf, was nicht zum Erfolg führte. Mit E-Mail vom 11.11.2013 trat der Vorsitzende schließlich an den Sachverständigen S. heran.

Dieser Ablauf zeigt, dass sich die Verfahrensstillstände in dem Zeitraum bis zur Berufung des Sachverständigen stets durch sachliche Gründe rechtfertigen lassen, sodass keine sachwidrige Verzögerung festgestellt werden kann.

Zwar trägt keiner der Beteiligten vor, in welcher Art und Weise die Kammer im Monat September 2013 verfahrensfördernd tätig wurde. Jedenfalls aber erhielt sie am 09.09.2013 in dem Pilotverfahren der - mit der L.-Serie zusammenhängenden - Hauptserie zum Aktenzeichen 2 O 1802/07 die Eingabe des Klägers des Entschädigungsverfahrens mit der Bitte um Anforderung verschiedener Unterlagen von Seiten des Finanzamtes, die jedenfalls Anlass zur Prüfung und weiteren Veranlassung gab.

Vor dem Hintergrund der stetigen Bemühungen der Kammer im Pilotverfahren 2 O 1802/07, die sich auch auf das hier in Rede stehende Ausgangsverfahren auswirken, da derselbe Sachverständige bestellt werden sollte, kann nicht konstatiert werden, dass die Kammer die Akten ohne sachlichen Grund "liegengelassen" hätte. Insofern stellt sich auch das erste Herantreten an den Sachverständigen S. am 11.11.2013 als ausreichend zügig dar. Dass die Kammer sodann den Beteiligten bis zur endgültigen Beauftragung noch Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 20.12.2013 einräumte, war der Wahrung des rechtlichen Gehörs geschuldet. Der Sachverständige wurde sodann zeitnah nach Ablauf der Stellungnahme am 14.01.2014 bestellt und die Akten wurden Ende Januar 2014 an ihn versandt.

(cc)

Der Kläger beanstandet weiter, dass die Kammer dem Sachverständigen - insoweit unstreitig - für die Fertigstellung des Gutachtens nicht von Anfang an eine Frist gesetzt hat.

Das Unterlassen einer solchen Fristsetzung kann zwar im Grundsatz dem Gericht zurechenbare Verfahrensverzögerungen begründen (Lückemann, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 198 GVG Rn. 3; vgl. auch Keders/Walter, NJW 2013, 1697 [1700 ff.]), nicht aber im vorliegenden Fall.

Hierzu ist in Erinnerung zu rufen, dass es für die Frage der Unangemessenheit der gerichtlichen Verfahrensdauer dann, wenn die Verzögerung durch einen Dritten - wie vorliegend durch den Sachverständigen - ausgelöst worden ist, darauf ankommt, ob dies dem Gericht zugerechnet werden kann (vgl. die Gesetzesbegründung zu § 198 GVG, BT-Drucks. 17/3802, S. 18).

Zwar hätte die Kammer hier so verfahren können, dem Sachverständigen für die Erstellung des Gutachtens von Anfang an eine Frist zu setzen. Jedoch sah die seinerzeit in Geltung stehende Fassung des § 411 Abs. 1 ZPO (vom 22.12.2006) "lediglich" das gebundene Ermessen dahingehend vor, dem Sachverständigen eine Frist zu setzen ("soll"; anders die aktuelle Fassung des § 411 Abs. 1 ZPO, die kein Ermessen mehr einräumt).

So kann nicht davon gesprochen werden, dass die Kammer eine eindeutige, gesetzlich begründete Handlungsanweisung sehenden Auges missachtet hätte.

Das Unterlassen der Fristsetzung bzw. das "Gewährenlassen" des Sachverständigen ohne sonstige Intervention von Seiten des Gerichts stellt sich nur dann als sachlich nicht mehr begründbare Verzögerung im Sinne des Entschädigungsrechts dar, wenn das Gericht eine unvertretbare Nachsicht gegenüber dem Sachverständigen walten lässt (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 -, BGHZ 187, 286-304, Rn. 22, juris, für Amtshaftung; OLG Frankfurt, Urteil vom 14. Januar 2015 - 4 EK 3/14 -, Rn. 41, juris; OLG Oldenburg [Oldenburg], Urteil vom 15. Dezember 2016 - 15 EK 14/16 -, Rn. 19, juris; vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 1. Juni 2017 - 7 EK 3/16 -, Rn. 30, juris; vgl. auch Gohde, Der Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer nach den §§ 198 ff. GVG, 2020, S. 83 f. m.w.N. aus der Rspr. des EGMR).

Letzteres kann vorliegend nicht festgestellt werden. Die Kammer hat im Vorfeld den Sachverständigen um Einschätzung gebeten, wie lange die Begutachtung dauern werde. Der Sachverständige gab an, dass er das Gutachten aller Voraussicht nach Ende März 2015 vorlegen werde. Der avisierte Begutachtungszeitraum von 14 Monaten erweist sich angesichts der Komplexität der Aufgabe nicht als unangemessen lang. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der zuvor berufene Sachverständige A eine Begutachtungsdauer von "mindestens" zwei bis drei Jahren in Aussicht gestellt hatte.

Nach der Übersendung der Akten hat sich der Kammervorsitzende bei dem Sachverständigen in regelmäßigen Abständen nach dem Fortgang der Begutachtung erkundigt und dies jeweils in Vermerkform dokumentiert, wobei Schwierigkeiten (zunächst) nicht zutage traten.

Erstmals am 22.01.2015 erhielt die Kammer Kenntnis davon, dass sich die Gutachtenerstellung verzögern werde. Als Grund gab der Sachverständige an, dass die von den Klägern des Ausgangsverfahrens eingereichten Unterlagen durch Schriftsatz vom 22.12.2014 ausgewertet werden müssten, was zu einer Verlängerung der Begutachtung bis Ende Juni 2015 führen werde.

Dieser Sachverhalt gab dem Gericht nachvollziehbar keinen Anlass dazu, den Sachverständigen - etwa durch Fristsetzung - zu einer zügigeren Begutachtung anzuhalten. Denn Hintergrund der Einreichung der Materialien vom 22.12.2014 war eine Anforderung des Sachverständigen von 17.09.2014 gewesen. Zwar meint der Kläger des Entschädigungsverfahrens, dass der darauf antwortende Sachvortrag der Kläger des Ausgangsverfahrens in dem Schriftsatz vom 22.12.2014 verspätet gewesen sei und deshalb nicht hätte berücksichtigt und an den Sachverständigen weitergeleitet werden dürfen, weil den Parteien durch das Gericht auf die Anforderung vom 17.09.2014 eine Frist zur Stellungnahme nur bis zum 08.12.2014 gesetzt worden und der Fristverlängerungsantrag der Kläger des Ausgangsverfahrens von der Kammer nicht beschieden worden war.

Jedoch findet die Vorschrift des § 296 Abs. ZPO, die die Zurückweisung verspäteten Vorbringens erlaubt, nur auf die dort aufgezählten richterlichen Fristen (§ 273 ZPO, §§ 274-277 ZPO) sowie solche richterlichen Fristen Anwendung, die auf § 296 Abs. 1 ZPO verweisen, etwa - hier interessierend - § 411 Abs. 4 ZPO (Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 296 ZPO Rn. 8c). Keine der genannten Fristen war vorliegend jedoch betroffen. § 296 ZPO ahndet allein die Verzögerung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln, nicht aber etwaige Verzögerungen bei der Beweisaufnahme (vgl. Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 296 ZPO Rn. 4).

Nach alledem war entgegen der Ansicht des Entschädigungsklägers für die Zurückweisung verspäteten Vorbringens kein Raum.

Darüber hinaus erschiene es unter der Geltung des § 411 Abs. 1 ZPO a.F. nicht zwingend angezeigt, die Tatsachengerichte entgegen der richterlichen Unabhängigkeit zu einer Fristsetzung gegenüber dem Sachverständigen zu drängen und vertretbare Wartezeiten anderenfalls als entschädigungsrelevante Liegezeiten zu werten (so BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R -, BSGE 124, 136-153, SozR 4-1720 § 198 Nr. 16, Rn. 41, juris). Jedenfalls bei der Entscheidung, welche Anknüpfungstatsachen für die Begutachtung heranzuziehen sind, handelt es sich um eine originäre Maßnahme der materiellen Verfahrensleitung. Die damit verbundenen tatsächlichen und rechtlichen Wertungen fallen in den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit. In demselben Maße verlangt gerade das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes durch das dazu berufene Gericht (BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R -, BSGE 124, 136-153, SozR 4-1720 § 198 Nr. 16, Rn. 41 m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG, juris). Dazu dienen auch vertretbare Zeiträume, die das Gericht - und sei es nur durch angemessene interne Wiedervorlagefristen - einem Sachverständigen einräumt, um als weisungsgebundener Gehilfe des Gerichts den Streitgegenstand in tatsächlicher Hinsicht aufzuklären (BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R -, BSGE 124, 136-153, SozR 4-1720 § 198 Nr. 16, Rn. 41, juris).

Auf der anderen Seite bleibt es dabei, dass das Gericht - erst recht bei fortgeschrittener Verfahrensdauer - gehalten ist, die zeitnahe Erledigung des Gutachtenauftrages weiter voranzutreiben (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 25. November 2003 - 1 BvR 834/03 -, Rn. 11, juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, Rn. 9 ff., juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23. Juni 2010 - 1 BvR 324/10 -, Rn. 10 f., juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 -, Rn. 10, juris; OLG Köln, Urteil vom 25. Februar 2021 - 7 EK 5/18 -, Rn. 38, juris; Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 16. Januar 2015 - 84/13 -, Rn. 8, juris; Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 166 m.w.N.; vgl. auch Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 122), und dass für Verzögerungen sachgerechte Gründe vorliegen müssen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 31. Januar 2017 - 13 WF 12/17 -, juris, insbes. Rn. 26). Insofern ist die Frage, wann das Unterlassen einer Fristsetzung eine dem Gericht zurechenbare Verfahrensverzögerung begründet - zumal unter der Geltung des § 411 Abs. 1 ZPO alter Fassung, wie hier - eine Frage des Einzelfalls.

Ausreichende Anstrengungen des Ausgangsgerichts, den Sachverständigen zu einem zeitnahen Abschluss der Begutachtung anzuhalten, waren vorliegend unter Berücksichtigung seines Ermessensspielraums gegeben.

Denn am 13.04.2015 erkundigte sich der Kammervorsitzende erneut nach dem Fortgang der Begutachtung und erhielt die Antwort, dass nach wie vor mit dem Gutachteneingang zum Termin Ende Juni 2015 zu rechnen sei.

Erst Mitte Juni 2015 wurde diese Zusage revidiert. Der Sachverständige lieferte dafür die Erklärung, dass bei der Ausformulierung des Gutachtens weitere Fragen aufgetaucht seien.

Angesichts des umfangreichen und komplexen Begutachtungsgegenstandes und des beständigen Kontakts zwischen Gericht und Sachverständigem ist es als vertretbar anzusehen, auf diese Ankündigung nicht mit einer Fristsetzung zwecks Vorbereitung der Verhängung eines Ordnungsgeldes zu reagieren.

"Im Interesse der Rechtsstaatlichkeit darf das Gericht [...] beim Einsatz von Zwangsmitteln Augenmaß walten lassen. Eine vorschnelle Drohung mit Zwangsmaßnahmen lässt zumindest befürchten, das Gutachten werde nicht in der gebotenen Gründlichkeit und damit Qualität erstattet werden [...]" (BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R -, BSGE 124, 136-153, SozR 4-1720 § 198 Nr. 16, Rn. 42, juris).

Ein "unter Druck Setzen" des Sachverständigen durch Fristsetzung und Androhung der Verhängung eines Ordnungsgeldes war auch deshalb nicht angezeigt, weil die Kläger des Ausgangsverfahrens mit Schriftsatz vom 20.08.2015 weitere Anlagen einreichten, die der Kammervorsitzende unter dem 02.09.2015 zwecks Berücksichtigung bei der Begutachtung an den Sachverständigen weiterleitete. So zu verfahren, war ermessensgerecht. Denn bei der Anleitung des Sachverständigen besteht - wie soeben ausgeführt - der genannte Gestaltungsspielraum des Gerichts, geht es doch um die Schaffung der Grundlage einer richtigen Entscheidung, was zum Kernbereich der richterlichen Tätigkeit rechnet. Dass die Kammer diesen ihr zustehenden Gestaltungsspielraum aus sachfremden Erwägungen heraus überschritten hätte, zeigt der Kläger nicht auf. Die zügige Erledigung des Verfahrens ist kein Selbstzweck (BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 -, BGHZ 187, 286-304, Rn. 14; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23/12 D -, BVerwGE 147, 146-170, Rn. 42, juris; BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87-103, Rn. 33, juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 -, BGHZ 199, 190-207, Rn. 44, juris; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, Rn. 25, juris). Zu keinem Zeitpunkt kann das Interesse an zügiger Erledigung das Interesse an einer richtigen und qualitativ hochwertigen Entscheidung in die Bedeutungslosigkeit drängen. Vor diesem Hintergrund war das Zuwarten mit einer Fristsetzung weiterhin vertretbar.

Ab Anfang November 2015 teilte der Sachverständige dem Gericht mit, dass wegen einer Erkrankung seiner Person - später wegen schwerer Erkrankung einer Person aus dem engsten Familienkreis - eine Verzögerung bei der Gutachtenvorlage eintreten werde. Zwar meint der Kläger, dass dieses Vorbringen nicht stichhaltig sei, weil nach den vorgelegten Abrechnungen der Sachverständige persönlich nur einen Bruchteil der Arbeit geleistet und - nach seiner Ansicht in unzulässiger Weise - in beträchtlichem Umfang die Arbeit an Mitarbeiter delegiert hätte. Selbst wenn dies zuträfe (vgl. zu dem in § 407a Abs. 3 Satz 1 ZPO normierten Gebot der höchstpersönlichen Gutachtenerstellung durch den Sachverständigen aus jüngerer Zeit: OLG Dresden, Urteil vom 10. November 2020 - 4 U 255/20 -, Rn. 23, juris), so bleibt es doch dabei, dass das Landgericht den Sachverständigen persönlich beauftragt hat, und dass der Sachverständige daher die alleinige Verantwortung für den Inhalt des Gutachtens zu tragen hatte. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, musste er auch selbst arbeitsfähig sein. Der Umfang der Zuarbeiten spielt in diesem Lichte keine Rolle.

Angesichts der Geltendmachung einer Erkrankung des persönlich beauftragten Sachverständigen ergab es im November 2015 keinen Sinn, ihm eine Frist zu setzen. Dies geschah letztlich nach dem Abwarten der Genesung in angemessenem Umfang von 4 Monaten durch Beschluss der Kammer vom 29.02.2016. Die dort gesetzte Frist wurde auch eingehalten.

Die - verglichen mit dem ursprünglich avisierten Abschluss der Begutachtung für Ende März 2015 - durch den verzögerten Gutachteneingang bei Gericht am 31.05.2016 bedingte Überschreitung des Zeitplans im Umfang von insgesamt 14 Monaten, mithin um gut das Doppelte der ursprünglich prognostizierten Begutachtungsdauer, bleibt nach alledem noch nicht als unvertretbar lang und völlig unverständlich zu bewerten.

Hierbei ist wiederum zu berücksichtigen, dass sich die schon angesprochene Komplexität des Begutachtungsgegenstandes letztendlich auch im Umfang des schriftlichen Gutachtens niederschlägt. Daneben war der Sachverständige zeitgleich mit der Begutachtung für die Hauptserie beauftragt. Das Gutachten der Hauptserie ging am 24.02.2016 bei Gericht ein. Daraus war für den Vorsitzenden der 2. Zivilkammer ersichtlich, dass sich der Sachverständige bereits mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der L. AG beschäftigte, sodass er die begründete Erwartung hegen durfte, dass sich das L.-Gutachten für das Ausgangsverfahren tatsächlich im Prozess der Finalisierung befand. Gleichwohl wurde schließlich ermessensgerecht eine Frist gemäß § 411 Abs. 1 ZPO gesetzt.

(dd)

Der Kläger rügt auch die richterliche Überwachung der Begutachtung als unzulänglich. Insbesondere stellt er sich auf den Standpunkt, dass der Sachverständige S. die Begutachtung in unzulässiger Weise an die X GmbH & Co. KG bzw. deren Mitarbeiter delegiert und die Unterstützung einer Vielzahl von (Hilfs-)Personen in übergebührlichem Umfang zwecks Gewinnmaximierung in Anspruch genommen habe.

Für den Zeitraum der Dauer der Begutachtung von Ende Januar 2014 bis 31.05.2016 ist nicht ersichtlich und von dem Kläger auch nicht substantiiert vorgetragen, dass das Gericht es versäumt hätte, den Sachverständigen entsprechend anzuleiten, bzw. dass es versäumt hätte, bei einer erkennbaren Fehlentwicklung einzuschreiten.

Vielmehr erfolgte die Beauftragung und Aktenübersendung Ende Januar 2014 durch Verfügung des Vorsitzenden, die den Sachverständigen explizit auf seine Pflichten aufmerksam machte. Darüber hinaus wurde der Sachverständige mehrfach, erstmals mit Schreiben vom 28.02.2014, darauf hingewiesen, dass der Gutachtenauftrag "ihm persönlich" erteilt worden sei.

Der Vorwurf des Klägers, dass das Gericht die Aufgabenstellung nicht klar genug umrissen habe, bleibt pauschal. Unabhängig davon rechnet die Formulierung der Beweisbehauptungen ohnehin zum privilegierten Kernbereich der richterlichen Tätigkeit, die das Entschädigungsgericht nicht zu überprüfen hat. Die weitere Behauptung, dass das Gericht den Sachverständigen bei auftretenden Unklarheiten nicht zeitnah angeleitet habe, ist ebenfalls unsubstantiiert.

Aus der Sicht des Entschädigungsrechts ist die Rechtmäßigkeit der Hinzuziehung von Hilfspersonen sowie die Rechtmäßigkeit der damit verbundenen Vergütungshöhe keiner Überprüfung zu unterziehen. Es ist für den Senat auch nicht ersichtlich, dass die Hinzuziehung von Hilfspersonen, die den Sachverständigen in Bezug auf die Bewältigung von Zuarbeiten entlasten sollen, zu einer Verzögerung in der Gutachtenerstattung führen könnte. Die Tatsache an sich, dass sich der Sachverständige der Unterstützung von Hilfspersonen bediente, was für das Gericht in Form der monatlich eingereichten Abschlagsrechnungen ersichtlich gewesen sei, musste das Landgericht Göttingen entgegen der Ansicht des Klägers jedenfalls nicht zu dem Schluss zwingen, dass der Sachverständige die Begutachtung durch finanzielle Eigeninteressen motiviert und damit aus sachfremden Erwägungen heraus "künstlich in die Länge zog". Denn dies lag angesichts der Komplexität der Materie und vor dem Hintergrund der Einschätzung der Bearbeitungsdauer, die wie erwähnt bereits der Sachverständige A in der Vergangenheit in einer Größenordnung von "mindestens" zwei bis drei Jahren abgegeben hatte, keineswegs nahe.

Angesichts der beschriebenen Schwierigkeiten bei der Auswahl eines neuen geeigneten Sachverständigen nach Ausscheiden der Sachverständigen Dr. B und Dipl.-Kfm. C lag es auch aus der ex-ante-Perspektive keineswegs nahe, dass der Abbruch der Begutachtung durch den Sachverständigen S. nach einer - von dem Kläger des Entschädigungsverfahrens geforderten - Entziehung des Gutachtenauftrages und die dann aus Sicht des Gerichts erforderlich werdende Neubestellung eines anderen Sachverständigen verbunden mit einem Neubeginn der Begutachtungszeit zu einer Beschleunigung des Rechtsstreits geführt hätte.

(ee)

Zutreffend rügt der Kläger des Entschädigungsverfahrens allerdings, dass das Gericht nach Vorlage des - nach seiner Ansicht hochgradig mangelhaften Gutachtens - nicht zügig genug die Ergänzungs- bzw. Neubegutachtung vorangetrieben habe.

Zwar sind ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Gutachtens am 31.05.2016 bis zum Erlass des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses vom 07.07.2017 noch keine unvertretbaren Liegezeiten festzustellen (aaa).

Ab dem 07.07.2017, dem Datum der letzten äußerlich sichtbaren substantiellen gerichtlichen Verfahrenshandlung, kam es jedoch - von der Kostenanforderungsverfügung vom 19.07.2017 abgesehen, die nicht als substantielle Verfahrensförderung qualifiziert werden kann und daher außer Betracht bleibt - zu einem "äußeren Verfahrensstillstand", der zu einer unangemessenen Verfahrensdauer im Umfang von 8 Monaten führte (bbb).

(aaa)

Bis zum 07.07.2017 entfaltete das Gericht im Ausgangsrechtsstreit - für den Senat noch nachvollziehbare - ausreichende verfahrensfördernde Aktivität in der Sache.

So übersandte es zunächst das Gutachten nach Eingang am 31.05.2016 unter Fristsetzung gemäß § 411 Abs. 4 ZPO bis zum 01.08.2016 an sämtliche Prozessbeteiligte.

Die - zunächst - gesetzte Stellungnahmefrist von knapp zwei Monaten war angesichts des Umfangs des Gutachtens und des Interesses der Beteiligten an der Förderung des Verfahrens für sich betrachtet jedenfalls nicht zu lang. Im Gegenteil muss hierbei auch berücksichtigt werden, dass im Gegensatz zu der 2. Zivilkammer des Landgerichts, deren Aufmerksamkeit zu dieser Zeit zuvörderst den beiden anhängigen Pilotverfahren gelten musste, bei den Prozessbevollmächtigten der Parteien nicht davon auszugehen ist, dass sie sich in diesem Zeitraum nicht auch mit anderen Verfahren zu beschäftigen hatten.

Mit Schriftsatz vom 27.07.2016 lehnte der Kläger des Entschädigungsverfahrens im Ausgangsverfahren den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dies bedingte lege artis die Gewährung rechtlichen Gehörs für die übrigen Beteiligten einschließlich des Sachverständigen. Darüber hinaus beantragten die übrigen Parteien mehrfach Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zu dem Gutachten, die letztendlich bis zum 15.11.2016 ausgedehnt wurde. Dies war angesichts des Umfangs des Gutachtens und dessen Bedeutung für den weiteren Verfahrensverlauf sowohl im Pilotverfahren als auch in den verbundenen Verfahren sachgerecht.

Zum einen ist die Verweigerung einer Fristverlängerung aus Gründen der Gewährung rechtlichen Gehörs für die Parteien problematisch (vgl. nur Heine, MDR 2012, 327 [329]).

Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass die Verweigerung der Fristverlängerung bis zum 15.11.2016 eine sachgerechte zügigere Verfahrensfortführung nach sich gezogen hätte, zumal sich das Arbeitsprogramm der Kammer in der Zwischenzeit auch erweitert hatte: dies einerseits durch den Antrag der Bezirksrevisorin vom 13.10.2016 auf gerichtliche Festsetzung der Sachverständigen-Vergütung, andererseits durch das von dem Beklagten zu 1) im Ausgangsverfahren und Kläger des Entschädigungsverfahrens gegen den Sachverständigen angebrachte Ablehnungsgesuch, welches durch den Beklagten zu 2) im Ausgangsverfahren durch Schriftsatz vom 15.11.2016 "Schützenhilfe" erhalten hatte.

Der Beschluss über die Ablehnungsgesuche erging am 24.03.2017, derjenige über den Antrag der Bezirksrevisorin am 07.07.2017.

Von dem Zeitpunkt des Eingangs der das Ablehnungsgesuch des Klägers stützenden, weil ein eigenes Gesuch anbringenden Stellungnahme des Beklagten zu 2) im Ausgangsverfahren vom 15.11.2016 bis zu der entsprechenden Entscheidung durch Kammer-Beschluss vom 24.03.2017 dauerte es gut 4 Monate.

Auch dieser Zeitraum ist aus der Sicht des Entschädigungsrechts nicht zu beanstanden. Er ist keineswegs unvertretbar oder schlechthin unverständlich.

Zwar war das Landgericht auf der einen Seite gehalten, das Verfahren schon allein deshalb mit besonderer Beschleunigung voranzutreiben, weil es am 15.11.2016 seit Klageerhebung am 27.02.2012 bereits seit 4 Jahren und 9 ½ Monaten rechtshängig war (zur Verdichtung der Pflicht des Gerichts, die Verfahrensförderung mit zunehmender Dauer zu beschleunigen, vgl. nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27. Juli 2004 - 1 BvR 1196/04 -, Rn. 6, juris; BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 -, BGHZ 187, 286-304, Rn. 11, 14; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184-198, Rn. 27, juris). Auf der anderen Seite schlägt wiederum zu Buche, dass es bei der Entscheidung, ob das Befangenheitsgesuch gegen den Sachverständigen begründet sei, um eine wesentliche und weichenstellende Entscheidung ging, die nicht nur für den weiteren Fortgang des gegenständlichen Verfahrens richtungsweisend sein würde, sondern sich gerade wegen der Eigenschaft des gegenständlichen Verfahrens als Pilotverfahren auf die Vielzahl der damit verbundenen bzw. davon abhängigen Verfahren auswirken würde.

Bis zur Entscheidung über den Vergütungsfestsetzungsantrag der Bezirksrevisorin vom 13.10.2016 durch Kammer-Beschluss vom 07.07.2017 dauerte es weitere rund 3 ½ Monate.

Auch diese Zeitspanne erscheint jedenfalls nicht unvertretbar und schlechthin unverständlich lang.

Denn auch diese Entscheidung ist als durchaus komplex anzusehen. Hierbei gilt wiederum, dass die Kammer beide Pilotverfahren im Blick behalten musste, da der Sachverständige für beide Verfahren bestellt worden war und das hier gegenständliche L.-Gutachten aus dem Gutachten der Hauptserie entwickelt hatte. Die Begutachtung für beide Verfahren insgesamt betrifft ein Vergütungs-Volumen von mehr als 1,1 Mio. Euro und einen zeitlichen Aufwand von ca. 8.000 Stunden. Auch in der Hauptserie zum Aktenzeichen 2 O 1802/07 erging die Entscheidung über die Vergütungsfestsetzung durch Beschluss vom 07.07.2017.

(bbb)

Ab dem 07.07.2017 bis zum Erlass des Hinweis- und Beweisbeschlusses vom 04.03.2019 (1 Jahr und 8 Monate) kam es jedoch zu einem "äußeren Verfahrensstillstand", der - auch unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten und Dritter - zu einer überlangen Verfahrensdauer im Umfang von 8 Monaten führte.

Für diesen Zeitraum ergibt sich aus den Akten des Ausgangsverfahrens zunächst kein substanzielles verfahrensförderndes Verhalten des Gerichts.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass Bearbeitungs- und Bedenkzeiten stets berücksichtigt werden müssen. Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist (BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, Rn. 33, juris).

Erst wenn die Dauer des Verfahrens unter Berücksichtigung des richterlichen Gestaltungsspielraums in Abwägung mit den weiteren Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sachlich nicht mehr zu rechtfertigen ist, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer vor. Maßgeblich ist, wie das Ausgangsgericht die Sach- und Rechtslage aus der ex-ante-Perspektive einschätzen durfte (BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87-103, Rn. 32, juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13 -, Rn. 47, juris; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184-198, Rn. 32, juris).

An diesem Maßstab gemessen ist die Auswertungszeit für das L.-Gutachten in dem hier streitgegenständlichen Ausgangsverfahren, soweit sie eine Zeitspanne von 12 Monaten überschreitet, selbst unter Berücksichtigung der dem Kernbereich richterlicher Unabhängigkeit unterfallenden Bearbeitungs- und Bedenkzeiten sachlich nicht mehr zu rechtfertigen.

Zwar streitet für eine lange Bedenkzeit der Umstand, dass der zur Entscheidung anstehende Sachverhalt eine überdurchschnittliche Komplexität aufwies. Dies gilt sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht. Es handelte sich um ein Gutachten betreffend das Kapitalanlagerecht. Auch der Umfang der auszuwertenden Unterlagen ist als überdurchschnittlich zu bewerten.

Hingegen ist dem Umstand der Belastung des Spruchkörpers in dem hier betrachteten Zeitraum kaum Gewicht beizumessen.

Zwar wird gemeinhin darauf hingewiesen, dass der Rechtsuchende keinen Anspruch darauf habe, dass sein Rechtsstreit vorrangig vor anderen Verfahren gefördert werde (vgl. auch BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 - X K 13/12 -, Rn. 54, juris). Denn: "Die Dauer eines Verfahrens ist in hohem Maße von dem Verhältnis abhängig, in dem die Zahl der von Rechtsuchenden betriebenen Verfahren zu den persönlichen und sächlichen Mitteln des jeweils zuständigen Gerichts steht. Dabei reicht es aus, dass dieses Verhältnis angemessen ist. Der Staat ist jedenfalls nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängig gemachte Verfahren sofort und ausschließlich von einem Richter bearbeitet werden kann. Vielmehr muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Sachen zu behandeln hat" (BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL -, BSGE 113, 75-86, SozR 4-1720 § 198 Nr. 1, Rn. 28, juris). Es gehört zum "normalen Tagesgeschäft" und damit auch zum Gestaltungsspielraum des Gerichts, dass es, "sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen" hat. "Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind" (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23/12 D -, BVerwGE 147, 146-170, Rn. 42, juris).

Auf der anderen Seite sind die Personalausstattung der Justiz im Allgemeinen ebenso wie die auf dem Entschluss des Präsidiums beruhende Verteilung der Geschäfte und die jeweilige Ausstattung der Kammern mit Arbeitskraftanteilen (vgl. dazu Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 94 m.w.N.) Umstände, die im Verantwortungsbereich des Staates liegen und auf die er sich nicht berufen kann, um eine überlange Verfahrensdauer zu rechtfertigen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 -, Rn. 26, juris; BT-Drs. 17/3802, S. 19; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. August 2012 - 1 BvR 1098/11 -, Rn. 19, juris; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, Rn. 34 m.w.N., juris; vgl. auch KG Berlin, Urteil vom 29. Januar 2016 - 7 EK 12/15 -, Rn. 14, juris; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26. Juni 2020 - 17 EK 3/19 -, Rn. 37 m.w.N., juris). Dem Staat sind diejenigen Verzögerungen zuzurechnen, die durch eine anderweitige Organisation hätten verhindert werden können. Dies gilt insbesondere für voraussehbare personelle Engpässe (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 -, Rn. 27, juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 27. September 2011 - 1 BvR 232/11 -, Rn. 33, juris).

In der vorliegenden Konstellation jedoch geht - in dem einzig kritischen Zeitraum vom 07.07.2017 bis zum 04.03.2019 - die Behauptung des Klägers, das beklagte Land habe es versäumt, rechtzeitig die Personalausstattung der Justiz im richterlichen und nicht-richterlichen Dienst zu erhöhen, um einen Verfahrensabschluss in angemessener Zeit sicherzustellen, ins Leere.

Denn in diesem Zeitraum stand die 2. Zivilkammer nicht mehr vor der Herausforderung, gewichten zu müssen, der Bearbeitung welchen Verfahrens Vorrang vor einem anderen einzuräumen sei. Vielmehr hatte sie sich schon vor langer Zeit - in sachgerechter Weise (vgl. BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 - X K 13/12 -, Rn. 54, juris; im Übrigen: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27. Juli 2004 - 1 BvR 1196/04 -, Rn. 8, juris; BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 -, Rn. 33, juris; EGMR, Urteil vom 4. September 2014 - 68919/10 -, Rn. 75, juris; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184-198, Rn. 32, juris) - dazu entschlossen, die ganze "Fallbreite" abdeckende einzelne Pilotverfahren auszuwählen und diese vorrangig zu betreiben, um die daraus gewonnenen Erkenntnisse so für die gesamte Fallbreite "fruchtbar" machen zu können.

Für den Zeitraum zwischen Juli 2017 und Anfang März 2019 ist überdies nichts dazu vorgetragen, dass das Landgericht sich etwa (noch) mit der organisatorischen Bewältigung der insgesamt rund 4.000 Klagen befassen musste. Abweichendes wäre zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr naheliegend. Denn diese Arbeit war bereits getan. Im kritischen Zeitraum bestand die Aufgabe der Kammer zuvörderst darin, die eingegangenen Gutachten auszuwerten und auf dieser Grundlage zu beurteilen, wie die beiden höchst prioritär zu behandelnden Pilotverfahren weiter zu fördern waren. Die Kammer konnte und musste die Arbeit in diesem Zeitraum auf die beiden Pilotverfahren konzentrieren.

Darüber hinaus konnte sich die Kammer die zwischen den beiden in diesem Zeitraum einzig zu bearbeitenden Pilotverfahren ergebenden Synergieeffekte zunutze machen. Wenn auch die zur Auswertung anstehenden Gutachten jeweils als komplex und umfangreich zu bewerten sind, ist doch zu berücksichtigen, dass das Gutachten der hier gegenständlichen L.-Serie inhaltlich eng mit dem Gutachten der Hauptserie schon deshalb verwoben war, weil es in der Erstellung aus diesem entwickelt worden war.

Das Interesse des Beklagten zu 1) im Ausgangsverfahren und Klägers des Entschädigungsverfahrens an einem zügigen Abschluss des hier gegenständlichen Pilotverfahrens ist aus mehreren Gründen als überdurchschnittlich hoch zu bewerten.

Zum einen gilt dies bereits aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Klägers (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10/15 D -, BVerwGE 156, 229-262, Rn. 137, juris; BFH, Urteil vom 20. August 2014 - X K 9/13 -, BFHE 247, 1, BStBl II 2015, 33, Rn. 31, juris), der zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Entschädigungsverfahren 2020 bereits 72 Jahre alt, im Zeitpunkt der Erhebung der ersten Verzögerungsrüge am 24.10.2017 nach seinen Angaben in diesem Schriftsatz 70 Jahre alt war.

Zweitens handelt es sich um ein Pilotverfahren mit richtungsweisender Bedeutung für die weiteren ca. 140 bei der 2. Zivilkammer davon abhängigen und ebenfalls gegen den Kläger des Entschädigungsverfahrens gerichteten Verfahren, was sein hohes Interesse an der Förderung des Ausgangsverfahrens rechtfertigt.

Drittens sind die Gegenstände des hier in Rede stehenden Ausgangs-Pilotverfahrens wie auch der weiteren vorgenannten ca. 140 davon abhängigen gegen den Kläger des Entschädigungsverfahrens gerichteten Verfahren im Einzugsbereich der Problematik der Rufschädigung anzusiedeln. Schließlich wird dem Kläger des Entschädigungsverfahrens im Ausgangsverfahren als "Konzeptanten" eines Anlagemodells Betrug und vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorgeworfen. Dies verstärkt die besondere Bedeutung des Verfahrens für ihn (vgl. auch Hofmarksrichter, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren im Lichte der Vorgaben des EGMR, 2017, S. 63), sodass er in der Zusammenschau ein verständlicherweise gewichtiges Interesse an der abschließenden Klärung hatte.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass im kritischen Zeitraum keiner der Verfahrensbeteiligten durch sein eigenes Verhalten zu einer Verzögerung des Rechtsstreits beigetragen hat.

Die Verfahrensführung durch das Gericht kann in diesem Zusammenhang wie schon erwähnt nicht isoliert für sich betrachtet werden. Sie muss vielmehr zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten und vom Senat genannten Kriterien in Bezug gesetzt werden.

Ausgehend hiervon ist die Kammer des Landgerichts den an sie gestellten Anforderungen, in Relation zu jenen Gesichtspunkten eine angemessene Verfahrensdauer - in zumindest vertretbarer Weise - zu gewährleisten (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13 -, Rn. 46, juris), nicht mehr gerecht geworden.

Die Kammer musste sich spätestens im Juli 2017 zu einer beschleunigten Bearbeitung buchstäblich gedrängt sehen:

Im Juli 2017 betrug die Verfahrensdauer seit Klagezustellung am 27.02.2012 insgesamt bereits 5 Jahre und 4 Monate. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Verfahrensförderungspflicht bereits allein angesichts der Dauer des Verfahrens erheblich verdichtet (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 -, Rn. 20, 28, juris; Oberlandesgericht Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 - 6 SchH 1/13 -, Rn. 39, juris).

Daneben sind die Toleranzen für später, also nach der Eröffnung des jeweiligen Verfahrenszuges, zu verzeichnende Nichtaktivitäten tendenziell geringer zu bemessen, weil der Spruchkörper hier in der Regel bereits in die Sache eingearbeitet ist; vorstellbar sind längere "Liegezeiten" beispielhaft nur noch dann, wenn das Gericht ein umfangreiches Sachverständigengutachten auswerten muss und hiervon die Entscheidung über das weitere Vorgehen abhängt (so Roderfeld, in: Marx/Roderfeld, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, 1. Aufl. 2012, GVG § 198 Rn. 29).

Insoweit beeinflusst die absolute Verfahrensdauer jedenfalls die Würdigung der Verfahrensförderung in einzelnen Abschnitten des Gerichtsverfahrens (ebenso vom Stein/Brand, NZA 2014, 113 [115]; Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 158 m.w.N.). Ein Gericht kann daher gehalten sein, bei fortgeschrittener Verfahrensdauer die Ergreifung besonderer Beschleunigungsmaßnahmen (zum Beispiel mündliche Gutachtenerstattung, parallele Begutachtungen, Teil- und Zwischenvergleiche) zu erwägen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 -, Rn. 30, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 -, BGHZ 200, 20-38, Rn. 42, juris, allerdings im Zusammenhang mit der Frage der Kompensation; in diese Richtung eindeutiger: Hofmarksrichter, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren im Lichte der Vorgaben des EGMR, 2017, S. 69; vgl. auch Roderfeld, in: Marx/Roderfeld, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, 1. Aufl. 2012, GVG § 198 Rn. 35-36). "Jedenfalls für Verfahren von hinreichender Bedeutung (vgl hierzu Priebe in: Festschrift für Werner von Simson, S 287, 302) verbietet sich ab einem gewissen Zeitpunkt (weitere) Untätigkeit oder eine zögerliche Verfahrensleitung (vgl Stattgebende Kammerbeschlüsse des BVerfG vom 20.7.2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214, Juris RdNr 11 und vom 22.8.2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630, Juris RdNr 32). Richterliche Verhaltensweisen, die zu Beginn eines Verfahrens grundrechtlich gesehen noch unbedenklich, wenn auch möglicherweise verfahrensökonomisch nicht optimal erscheinen mögen, können bei zunehmender Verfahrensdauer in Konflikt mit dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit geraten. Das gilt etwa für die Setzung großzügiger Fristen zur Stellungnahme, den mehrfachen Austausch von Schriftsätzen ohne richtungweisende Einflussnahme des Gerichts und ohnehin für sog Schiebeverfügungen" (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R -, SozR 4-1720 § 198 Nr. 4, Rn. 44, juris).

Zudem hatte die Bearbeitung der beiden Pilotverfahren für die Kammer aus den dargelegten Gründen allerhöchste Priorität, eben weil es Pilotverfahren waren.

Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob ein Grundsatz dahingehend formuliert werden kann, dass Musterverfahren grundsätzlich zügig geführt werden müssten (so Eleftheriadis, Der Entschädigungsanspruch gemäß § 198 GVG bei überlangen Gerichtsverfahren, 2018, S. 111). Gegen einen solchen Grundsatz streitet das Argument, dass Pilotverfahren wegen ihrer richtungsweisenden Bedeutung für die abhängigen Verfahren besonders sorgfältig und daher typischerweise vergleichsweise länger geführt werden müssten (vgl. dazu Eleftheriadis, Der Entschädigungsanspruch gemäß § 198 GVG bei überlangen Gerichtsverfahren, 2018, S. 111, unter Hinweis auf die diesbezüglich kritische Auffassung von Roller, DRiZ Beilage Juni 2012, 1 [10], in Fußnote 552).

Die Aufstellung eines solchen Leitsatzes wäre letztlich für die Anwendung des Entschädigungsrechts der §§ 198 ff. GVG fruchtlos. Denn auch bei der Beurteilung der Bearbeitungsdauer eines Pilotverfahrens ist die komplexe Abwägung sämtlicher Gesichtspunkte des Einzelfalls vorzunehmen und dabei auch die Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit für die Gewährleistung einer sachlich möglichst richtigen Entscheidung und die Absicherung der Bindung des Richters an Recht und Gesetz gegen sachfremde Einflussnahmen von außen (vgl. dazu Papier, NJW 2001, 1089 [1089]) zu berücksichtigen. Hierbei bleibt der Charakter als Pilotverfahren ein den Gesichtspunkt der Bedeutung des Verfahrens verstärkender Aspekt, der in die Abwägung einzustellen ist. Das Bundesverfassungsgericht etwa hat für den Fall einer "außergewöhnlich langen Verfahrensdauer" (in dem dort gegenständlichen Fall mehr als 22 Jahre) festgehalten, dass sich das Gericht nicht darauf beschränken durfte, das Verfahren "wie einen gewöhnlichen, wenn auch komplizierten Rechtsstreit zu behandeln" (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 -, Rn. 28, juris). Gleiches gilt für ein Pilotverfahren - wobei es bei dem Grundsatz verbleibt, dass die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer nur dort in Betracht kommt, wo die äußerste Grenze des sachlich Vertretbaren überschritten ist.

Folgende Kriterien schlagen vorliegend zu Buche, die anzeigen, an welcher Stelle die Schwelle zur Unvertretbarkeit der Auswertungsdauer überschritten war:

Aus der ex-ante-Perspektive musste sich das Gericht freilich ausreichend Zeit nehmen, um den Inhalt der Gutachten zu erfassen und auf dieser Grundlage zum nächsten verfahrensfördernden Schritt zu gelangen.

Die ganz entscheidende Weichenstellung in diesem Zusammenhang liegt darin, herauszuarbeiten, ob das Gutachten die gestellten Fragen in überzeugender und nachvollziehbarer Weise beantwortet, sich keine weiteren entscheidungserheblichen Fragen stellen und deshalb nunmehr Entscheidungsreife eingetreten ist. In einem solchen Falle sind Vorbereitungen für die Verkündung eines verfahrensabschließenden Urteils zu treffen, wobei für die Abfassung ausreichende Kapazitäten einkalkuliert werden müssen. Ist die Frage der Entscheidungsreife zu verneinen, hat das Gericht die Frage zu beantworten, welche weiteren verfahrensfördernden Schritte nunmehr einzuleiten sind. Die Zeitspanne bis zur Abfassung der nächsten verfahrensfördernden Verfügung dürfte dann deutlich kürzer anzusetzen sein. Vor allem aber verdichtet sich ab diesem Zeitpunkt die Beschleunigungspflicht des Gerichts erheblich, da in diesem fortgeschrittenen Stadium auf der Hand liegt, dass weitere Schritte in der Beweisaufnahme sich zwangsläufig in nicht unerheblichem Maße auf die Verfahrensdauer niederschlagen werden (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 -, Rn. 30, juris).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - dessen Rechtsprechung zu Art. 6 EMRK bei der Gesetzgebung zu § 198 GVG Pate stand und dessen Auslegung der Konventionsrechte für die Mitgliedstaaten beachtlich ist - etwa verlangt, dass in einem solchen Falle, in dem ein Sachverständigen-Gutachten benötigt wird, das Gericht frühzeitig beschleunigende Schritte zu erwägen hat, etwa durch frühzeitigen Erlass eines Beweisbeschlusses (noch vor der mündlichen Verhandlung), Sicherstellung der Verfügbarkeit des Sachverständigen und frühzeitige Ladung desselben zum Termin (EGMR, Urteil vom 21. Oktober 2010 - 43155/08 -, Rn. 28, juris, Grumann ./. Deutschland).

Die Frage, ob das Gutachten die gestellten Fragen beantwortet, ergibt sich dabei in allererster Linie aus der Lektüre und Erfassung des Gutachtens selbst, weniger aus den beigezogenen und verwerteten Unterlagen.

Für die Bemessung der höchstens vertretbaren Zeitspanne ist es vorliegend unerheblich, dass die Kammerbesetzung, die das Gutachten auszuwerten hatte, eine vollkommen andere war als diejenige, die noch am 03.07.2013 den Beweisbeschluss erlassen hatte.

Den diesbezüglichen Behauptungen des Klägers zur Kammerbesetzung in den Jahren 2013 bis 2020 ist das beklagte Land nicht entgegengetreten, sodass diese Tatsachen gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelten.

Ab wann Richterwechsel während des Verfahrens gegebenenfalls gleichzustellen sind mit einer strukturellen Überlastung der Justiz, auf die sich der Staat wie dargelegt zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer schon nicht berufen kann (so OLG Köln, Urteil vom 25. Februar 2021 - 7 EK 5/18 -, Rn. 40, juris), bzw. - anders gewendet - ob, und wenn ja in welchem Umfang, Richterwechsel hinzunehmen sind, sodass bei einer - nicht zu beanstandenen - Neubesetzung eines Spruchkörpers im Interesse der Richtigkeit von Entscheidungen auch den nunmehr zuständigen Richtern eine angemessene Einarbeitungs- und Vorbereitungszeit zugestanden werden muss (OLG Köln, Urteil vom 1. Juni 2017 - 7 EK 3/16 -, Rn. 34, juris; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. Juli 2016 - I-18 EK 1/15 -, Rn. 46, juris; a.A. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. September 2013 - L 4 SF 40/12 EK AS -, Rn. 46, juris), kann vorliegend dahinstehen.

Der Umstand, dass es in der Gerichtsorganisation zu Wechseln in der Besetzung des Spruchkörpers kommt, lässt sich nicht stets voraussehen und rechtzeitig vermeiden. Eine kurzfristig auftretende unvermeidbare Überlastung des Gerichts, die eine verlängerte Verfahrensdauer nach sich zieht, führt bei sofortigen und geeigneten Maßnahmen noch nicht zur Unangemessenheit (Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 93 m.w.N.; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29. November 2012 - L 10 SF 5/12 ÜG -, Rn. 219 m.w.N., juris; Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 167 f. m.w.N.). Grund für einen solchen vorübergehenden Engpass in der Arbeits- und Verhandlungskapazität des Gerichts kann etwa die unvorhergesehene Erkrankung eines Richters sein (Ott, a.a.O. m.w.N.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27. Juli 2004 - 1 BvR 1196/04 -, Rn. 8, juris; BGH, Beschluss vom 17. März 2005 - 3 StR 39/05 -, Rn. 17, juris; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. August 2013 - L 37 SF 252/12 EK AL -, Rn. 48, juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 27/12 D -, Rn. 44, juris; vgl. ferner Gohde, Der Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer nach den §§ 198 ff. GVG, 2020, S. 100 ff.).

Freilich wird der Hinweis auf einen Richterwechsel für sich genommen gerade bei bereits verdichteter Beschleunigungspflicht in älteren Verfahren nicht ausreichen, um Lücken in der Verfahrensförderung zu rechtfertigen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 11. Januar 2013 - 23 SchH 4/12 EntV -, Rn. 104, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 30. Juni 2020 - 16 EK 16/19 -, Rn. 141, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Mai 2021 - 16 EK 2/21 -, Rn. 162, juris). Bei einem vorhersehbaren Wechsel etwa in der Berichterstattung kann der Spruchkörper gehalten sein, mit Blick darauf entsprechende Beschleunigungsmaßnahmen zu ergreifen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 2. September 2009 - 1 BvR 3171/08 -, Rn. 30, juris).

Einer näheren Auseinandersetzung mit der Frage, unter welchen Bedingungen Richterwechsel und dadurch bedingte Verzögerungen von den Verfahrensbeteiligten noch hinzunehmen sind und ab wann dadurch bedingte Verzögerungen aus der Sicht des Entschädigungsrechts nicht (mehr) zu ihren Lasten gehen dürfen (für eine differenzierende Betrachtungsweise insoweit auch Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 167 in Fußnote 760), bedarf es vorliegend jedoch nicht. Denn im vorliegenden Fall stellen die Wechsel in der personellen Besetzung der 2. Zivilkammer - unter Zugrundelegung eines die richterliche Unabhängigkeit mit erheblichem Gewicht in die Betrachtung einstellenden Vertretbarkeitsmaßstabes - für die festgestellte überlange Verfahrensdauer allenfalls eine vernachlässigbare Größe dar.

Dies folgt zum einen aus dem Umstand, dass die Zuerkennung von Einarbeitungszeiten nach einem Richterwechsel insbesondere dann virulent wird, wenn der neu hinzutretende Richter ein Dezernat mit einer Vielzahl von Altverfahren nebst beständig fortlaufender Neueingänge übernimmt und sich so vor die Herausforderung gestellt sieht, sich mehr oder weniger gleichzeitig mit einer Vielzahl ihm bislang unbekannter Verfahren befassen zu müssen (vgl. Greger, AnwBl 2015, 541 [545]). Dies ist vorliegend bei der mit dem Ausgangsrechtsstreit befassten 2. Zivilkammer gerade deshalb nicht so, weil der neu zur Kammer hinzutretende Richter sich aus vorgenannten Gründen prioritär jeweils "nur" mit den beiden Pilotverfahren hätte auseinandersetzen müssen.

Dafür stand in der konkreten Situation auch ein beachtlicher Zeitraum zur Verfügung. Dies wiederum folgt daraus, dass die Kammer schon zur Bearbeitung der Befangenheitsgesuche gegen den Sachverständigen das Gutachten, das ihr bereits seit dem 31.05.2016 vorlag, vollständig und vertieft zur Kenntnis nehmen und erfassen musste. Die Entscheidung über die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs erging sodann durch Beschluss vom 24.03.2017. Vor diesem Hintergrund befand sich die Kammer am 07.07.2017 hinsichtlich des Inhalts des Gutachtens und auch mit Blick auf die handelnden Personen keineswegs auf dem Stand "Null". Denn für den Zeitpunkt ab Eingang des Gutachtens am 31.05.2016 ist zu konstatieren, dass in der 2. Zivilkammer mit Blick auf die Person des Vorsitzenden in den Jahren 2016 bis 2020 durchgehende Kontinuität herrschte. Darüber hinaus konnte sich der Vorsitzende in den Jahren 2016 und 2017 auf jedenfalls eine personenidentisch bleibende Beisitzerin stützen, in den Jahren 2017 bis 2020 auf eine andere, in diesem Zeitraum ebenfalls personenidentische Beisitzerin.

Die Kammer hielt das Gutachten aus der Perspektive Juli 2017 bereits seit 13 Monaten in den Händen. Sie benötigte ab Juli 2017 für den Erlass des Hinweisbeschlusses vom 04.03.2019 weitere 20 Monate.

Dieser Zeitraum ist in voller Breite von dem weiten Gestaltungsspielraum des Gerichts zwecks Sicherstellung einer möglichst richtigen Sachentscheidung nicht mehr gedeckt, sondern erweist sich im Umfang von 8 Monaten als überlang.

Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

In der ersten Phase des Verfahrens, zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit am 27.02.2012 und der ersten Verfügung vom 08.05.2013, die den Parteien den Inhalt des beabsichtigten Beweisbeschlusses vorstellte, dauerte es bis zu diesem weichenstellenden Schritt gut 14 Monate. Bereits bei Vorstellung des Entwurfs des Beweisbeschlusses am 08.05.2013 musste die Kammer den Sach- und Streitstand erschöpfend erfasst und die Frage beantwortet haben, welche Behauptungen der Kläger des Ausgangsverfahrens erheblich und beweisbedürftig seien. Ohne Abschluss dieser Denkschritte hätte sie den Beweisbeschluss nicht vorschlagen können. Dies gelang der Kammer in den Jahren 2012 und 2013 augenscheinlich innerhalb von 14 Monaten - obwohl sie daneben in dieser Anfangsphase noch zusätzlich mit der organisatorischen Bewältigung der Vielzahl der abhängigen Verfahren jedenfalls der L.-Serie belastet war.

In der Phase nach Eingang des Gutachtens bis zum Ergreifen des nächsten verfahrensfördernden Schrittes in Gestalt des ergänzenden Beweisbeschlusses durfte es - bedingt durch die hohe Priorität des gegenständlichen Ausgangsverfahrens ohne nennenswerte Belastung und Ablenkung durch andere Verfahren mit Ausnahme des Pilotverfahrens der Hauptserie 2 O 1802/07 - jedenfalls nicht noch einmal ganze 14 Monate dauern. Dies gilt selbst dann, wenn man im Blick behält, dass das Gericht zu diesem Zeitpunkt die Gutachten in zwei Pilotverfahren (2 O 1136/11 und 2 O 1802/07) auszuwerten hatte. Denn zum Zeitpunkt des Eingangs des Gutachtens am 31.05.2016 war der Rechtsstreit seit 4 Jahren und 3 Monaten rechtshängig. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens verdichtet sich aber - wie dargelegt - die Pflicht des Gerichts zur Verfahrensbeschleunigung. Zudem muss sich das Gericht zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig neu in den Sach- und Streitstand einarbeiten.

Ein weiterer Anhaltspunkt für die Überschreitung der Unvertretbarkeitsgrenze bei der Bearbeitungszeit folgt schließlich aus der Länge der Frist, die das Gericht selbst den Parteien nach Eingang des Gutachtens zur Stellungnahme einräumt.

Denn die hierfür gewählte Fristlänge liefert einen Hinweis darauf, welche Zeitspanne das Landgericht selbst für angemessen und ausreichend erachtete, um angesichts der Komplexität des Sach- und Streitstoffes und der Bedeutung des Verfahrens den Parteien die Möglichkeit einzuräumen, nicht nur den Inhalt des Gutachtens erschöpfend zu erfassen, sondern zudem eine Abstimmung zwischen Mandanten und Prozessbevollmächtigen durchzuführen und in sachgerechter Art und Weise Stellung zu nehmen - wobei zu berücksichtigen ist, dass die Prozessbevollmächtigten der Parteien - anders als das Landgericht - in dieser Zeit notwendigerweise nicht prioritär allein auf zwei Pilotverfahren fokussiert gewesen sein dürften.

Die Stellungnahmefrist für die Parteien bemaß die Kammer ursprünglich mit ca. 2 Monaten. Erst auf die Anträge der Parteien hin wurde sie bis zum 15.11.2016 und damit auf insgesamt 5 ½ Monate erstreckt.

Innerhalb dieser Frist musste es daher grundsätzlich auch dem Gericht selbst, das in dieser Zeit wie dargelegt - anders als die Parteien - schon ob der eigens vorgenommenen Priorisierung der beiden Pilotverfahren nicht mit anderen Verfahren neben den beiden Pilotverfahren akut belastet sein musste, möglich sein - wozu es aus der Sicht des Entschädigungsrechts auch verpflichtet war - den Inhalt des Gutachtens erschöpfend zu erfassen und sich über die nächsten Schritte der Verfahrensförderung klar zu werden.

Sicherlich ist dem Gericht auch noch eine Zeitspanne für die Auswertung der umfangreichen Stellungnahmen der Parteien zuzubilligen. "Die Regelung des § 411 Abs. 4 ZPO, wonach die Parteien dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das schriftliche Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen mitzuteilen haben, wofür ihnen das Gericht eine Frist setzen kann, hat den Zweck, das Gericht möglichst frühzeitig darüber zu informieren, ob und wann ein neuer Termin zu bestimmen ist, ob der Sachverständige zu diesem Termin zu laden und zur Vorbereitung seiner Anhörung über die Einwände der Parteien zum Gutachten zu informieren ist oder ob zur Vorbereitung eines noch zurückgestellten Termins zunächst ein schriftliches Ergänzungsgutachten anzufordern ist" (BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 -, BGHZ 187, 286-304, Rn. 25, juris).

Vor dem Hintergrund, dass die Hauptleistung bei der Auswertung des Gutachtens jedoch darin lag, sich hinsichtlich dessen Überzeugungsfähigkeit bereits innerhalb der auch den Parteien eingeräumten Stellungnahmefrist im Umfang von 5 ½ Monaten (innerlich) zu positionieren, kann die Frist für die Auswertung der Stellungnahmen und der sonstigen beigezogenen Akten und Unterlagen keinesfalls mehr als insgesamt 6 Monate zusätzlich betragen.

Nach alledem liegt die äußerste Grenze für die vertretbare Auswertungszeit des Gutachtens vorliegend - gerechnet ab der letzten inhaltlich verfahrensfördernden Handlung vom 07.07.2017 - bei (aufgerundet) 12 Monaten.

Tatsächlich benötigt wurden ab dem 07.07.2017 jedoch insgesamt 20 Monate.

Die rechtsstaatswidrige Verzögerung beläuft sich nach alledem auf 8 Monate.

Diese soeben dargelegte Deduktion abstrakter äußerster Bearbeitungsgrenzen hält auch einer im Lichte der Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit vorgenommenen Kontrollüberlegung stand:

Im Sinne des Entschädigungsrechts konzentriert sich der Blick auf den Zeitraum ab dem 07.07.2017 bis zum 04.03.2019, in dem ein äußerlich sichtbarer Verfahrensstillstand von 20 Monaten eintrat.

Bei der hier vorgenommenen Würdigung wurde nicht mit eingerechnet, dass die Kammer das Gutachten aus der Perspektive 07.07.2017 betrachtet in Wahrheit bereits deutlich länger, nämlich bereits seit 13 Monaten in Händen hielt. Auch in dieser Zeit war die Kammer verpflichtet, das Gutachten zu lesen und zu würdigen - was sie de facto auch tat, um überhaupt erst die Ablehnungsgesuche gegen den Sachverständigen bescheiden zu können. Dass gleichwohl ab dem 07.07.2017 eine weitere Auswertungszeit von 12 Monaten als äußerste Grenze der Angemessenheit angesehen wird, erweist sich vor diesem Hintergrund als im Lichte der richterlichen Unabhängigkeit ausreichender "Sicherheitszuschlag".

Die unvertretbare Verzögerung im Umfang von 8 Monaten ergibt sich auch in demselben Maße aus einem zweiten - konkreten - Blickwinkel, wonach sich die Kammer - wie es unbestritten von dem beklagten Land vorgetragen wird - ab Juli 2017 zunächst - allein - der Auswertung des umfangreichen Gutachtens in der Hauptserie zum Aktenzeichen 2 O 1802/07 zuwandte, was dort am 16.10.2018 zum Erlass eines Hinweis-, Auflagen- und Beweisbeschlusses und schließlich nach Auswertung der Stellungnahmen der Parteien am 10.04.2019 zur Endfassung des ergänzenden Beweisbeschlusses in der Hauptserie führte; und dass sie sich erst nach Abschluss dieser Arbeiten überhaupt der hier gegenständlichen L.-Serie habe widmen können.

Zutreffend an dieser Perspektive ist zunächst, dass der Blick auf die Bearbeitung des Pilotverfahrens der Hauptserie bedeutsam ist und Folgen für die Beurteilung der Bearbeitungszeiten des Pilotverfahrens der hier gegenständlichen L.-Serie zeitigen kann. Denn die (vorrangige) Bearbeitung eines Parallelverfahrens, dessen Arbeitsergebnisse - aus der Perspektive ex ante - unmittelbar für das in Rede stehende Verfahren fruchtbar gemacht werden können, ist insoweit als Bearbeitungszeit auch für das Ausgangsverfahren zu werten (vgl. auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 27. September 2011 - 1 BvR 232/11 -, Rn. 31, juris; BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R -, SozR 4-1720 § 198 Nr. 4, Rn. 47, juris).

Auch der Kläger selbst stellt nicht in Frage, dass die Haupt- und die L.-Serie unmittelbar zusammenhängen. Es ist daher kein Ermessensfehler dahingehend ersichtlich, dass die Kammer sachfremd gehandelt hätte, indem sie sich zunächst dem Gutachten der Hauptserie zuwandte.

Legt man diese Betrachtungsweise zugrunde, wird die Auswertungszeit im Verfahren 2 O 1802/07 gleichsam zum Maßstab für die Bearbeitungszeit des hier gegenständlichen Ausgangsverfahrens erhoben.

Auch aus dieser Perspektive ergibt sich jedoch eine rechtsstaatswidrige Verzögerung im Umfang von 8 Monaten.

Für die Hauptserie gilt der identische Grundsatz, dass sich die Pflicht zur Verfahrensbeschleunigung im Juli 2017 ganz erheblich verdichtet hatte, und zwar in concreto angesichts der Umstände des Einzelfalls noch deutlicher als im L.-Verfahren. Denn das Pilotverfahren der Hauptserie trägt ein Aktenzeichen aus 2007, war also im Juli 2017 bereits seit gut 10 Jahren anhängig.

Eingegangen war das Gutachten in der Hauptserie bereits am 24.02.2016. Die Kammer hielt es somit aus der Perspektive Juli 2017 bereits seit 16 Monaten in den Händen - und hatte sich auch im Jahre 2016 bereits vertieft damit befasst, erging doch der das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen abschlägig bescheidende Beschluss in der Hauptserie bereits am 29.11.2016.

Freilich war anschließend noch offen, ob das Oberlandesgericht die in dem Beschluss vom 29.11.2016 geäußerte Rechtsauffassung des Landgerichts zur (verneinten) Frage der Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen bestätigen würde, sodass die Kammer jedenfalls nicht gehalten war, vor der Entscheidung des Oberlandesgerichts über die gegen ihren Beschluss gerichteten Beschwerden in der Beweisaufnahme fortzufahren. Nach vollständigem Abschluss des Beschwerdeverfahrens beim Oberlandesgericht Anfang Juli 2017 musste sie es jedoch mit Nachdruck und beschleunigt tun. Und sie durfte bis dahin angesichts der bereits erheblich fortgeschrittenen Verfahrensdauer auch nicht untätig - das heißt unvorbereitet - sein.

Daher geht das beklagte Land schon im Ansatz fehl in seiner Rechtsansicht (vgl. Seite 14 der Klageerwiderung vom 30.07.2020 und Seiten 2 bis 3 des Schriftsatzes vom 23.07.2021 unter Bezugnahme auf den Vermerk des Vorsitzenden der 2. Zivilkammer vom 20.11.2018 im Verfahren 2 O 1136/11, Bl. 1201 SH 2 O 1136/11 Bd. III), dass ab Juli 2017 die Bearbeitungszeit für die Auswertung des Gutachtens erst beginnen konnte. Richtigerweise wäre ab Juli 2017 die bereits begonnene Bearbeitungszeit fortzusetzen gewesen.

Die Verpflichtung, sich sofort nach Eingang dem Gutachten der Hauptserie zuzuwenden und es auszuwerten, bleibt wegen der bereits zu diesem Zeitpunkt weit fortgeschrittenen Verfahrensdauer auch angesichts des Umstandes unangetastet, dass der Beklagte zu 1) und Kläger des Entschädigungsverfahrens den Sachverständigen auch in der Hauptserie unter dem 11.04.2016 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte.

Das Gericht musste sich also bereits bis zum Ende des Jahres 2016 zumindest selbst ein Bild davon machen, ob das Gutachten aus seiner Sicht ausreichend war und Entscheidungsreife eingetreten war, oder ob in der Beweisaufnahme vorangeschritten werden musste.

Die seit Eingang des Gutachtens zur Verfügung stehenden 10 Monate waren dafür - auch in Ansehung des Umfangs des Gutachtens und der Komplexität der Materie - mehr als ausreichend. Dies gilt auch bei Abgleich mit den für die L.-Serie veranschlagten 5 ½ Monaten.

Legt man ab Juli 2017 weiterhin zugrunde, dass sich die Kammer sodann ausschließlich mit dem Pilotverfahren der Hauptserie 2 O 1802/07 beschäftigte, hatte sie der bereits bis zum Abschluss des Jahres 2016 geschuldeten (innerlichen) Positionierung zur Aussagekraft des Gutachtens allenfalls noch die Auswertung der Stellungnahmen der Parteien und beigezogener Unterlagen hinzuzufügen, wofür eine äußerste Vertretbarkeitsgrenze von 7 Monaten angesetzt werden kann (1 Monat mehr als bei der L.-Serie).

Vor diesem Hintergrund hätte auch der Hinweis- und Beweisbeschluss in der Hauptserie - gerechnet ab dem 07.07.2017 - spätestens Mitte Februar 2018 ergehen müssen. Er erging effektiv erst am 16.10.2018, was ebenfalls eine Verzögerung im Umfang von 8 Monaten zur Folge hat.

Der weitere Zeitraum von ca. 4 ½ Monaten, der effektiv zwischen dem Erlass der Hinweisbeschlüsse in den beiden Pilotverfahren liegt (am 16.10.2018 im Pilotverfahren der Hauptserie zu 2 O 1802/07 und am 04.03.2019 in der hier gegenständlichen L.-Serie zu 2 O 1136/11), kann hierbei außer Betracht bleiben.

(ff)

Eine verzögerliche Bearbeitung ab Erlass des ergänzenden Hinweis-, Auflagen- und Beweisbeschlusses vom 04.03.2019 kann der Kammer nicht zur Last gelegt werden.

In nicht zu beanstandender Weise hat die Kammer den Parteien Gelegenheit zu Stellungnahme eingeräumt. Zudem hat sie rechtzeitig nach Anhörung des Sachverständigen durch Beschluss vom 28.06.2019 eine Frist zur Erstattung des Gutachtens bis zum 31.08.2020 gesetzt. Auch nach der Klagerücknahme hat sie ausreichend zügig über die Kosten entschieden und den Streitwert festgesetzt.

dd)

Die Überlänge von 8 Monaten ist vorliegend auch gemessen an der Gesamtverfahrensdauer von 7 Jahren und 10 ½ Monaten unvertretbar lang.

Da Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit die Gesamtverfahrensdauer ist, § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, führen Verzögerungen in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten nicht zwingend zur Unangemessenheit der Verfahrensdauer insgesamt. Vielmehr ist im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87-103, Rn. 30, juris). "Maßgeblich ist, ob am Ende des Verfahrens die Angemessenheitsgrenze überschritten worden ist" (BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 -, BGHZ 200, 20-38, Rn. 37, juris, unter Hinweis auf Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, Rn. 92; OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Mai 2021 - 16 EK 3/20 -, Rn. 186, juris).

Dies ist vorliegend der Fall. Das Verfahren dauerte bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kostenantrag des Beklagten zu 1) und Klägers des Entschädigungsverfahrens 7 Jahre und 10 ½ Monate. Im - bis zur Beendigung des Rechtsstreits vergleichsweise kurzen - Verfahrensabschnitt nach Erlass des Hinweis- und Beweisbeschlusses am 04.03.2019 bis zur Rechtskraft Mitte Januar 2020 kam es zwar nicht zu weiteren Verzögerungen. Dass das Verfahren in diesem Abschnitt sein Ende fand, ist jedoch auch nicht auf das Betreiben des Gerichts zurückzuführen.

Die festgestellte Verzögerung von 8 Monaten fällt auch gemessen an der Gesamtverfahrensdauer und angesichts des Erfordernisses einer gewissen Schwere der Beeinträchtigung im Sinne des Entschädigungsrechts ins Gewicht.

Zwar hat der Bundesgerichtshof festgehalten, dass "allzu 'kleinteilige' Überlegungen [...] bei der Bemessung der (noch) akzeptablen Verfahrensdauer verfehlt" seien, und ist deshalb bei einem mehrjährigen Arzthaftungsprozess, der durch eine umfangreiche und kontroverse Beweisaufnahme mit Einholung mehrerer Gutachten und Gutachtenergänzungen gekennzeichnet war, zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Verfahrensverzögerung von zwei Monaten noch den "entschädigungslos hinzunehmenden Toleranzrahmen" wahre (BGH, Urteil vom 10. April 2014 - III ZR 335/13 -, Rn. 37, juris).

Ein solcher Toleranzrahmen ist vorliegend bei einer Verfahrensverzögerung von 8 Monaten signifikant überschritten.

Der Bundesgerichtshof untermauert die "Geringfügigkeitsschwelle", welche entschädigungslos hinzunehmen sei, sodass für Verzögerungen daher eher größere Zeiträume in Betracht kämen, im Wesentlichen mit zwei Argumenten: Zum einen weise § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG die Entschädigungspauschale von 1.200 Euro für immaterielle Nachteile lediglich als "Jahresbetrag" aus. Zum anderen könne die Verzögerungsrüge gemäß § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 GVG frühestens nach einem halben Jahr wiederholt werden (BGH, Urteil vom 10. April 2014 - III ZR 335/13 -, Rn. 37, juris, unter Hinweis auf Schlick, Festschrift für Klaus Tolksdorf, S. 549 [555] und Steinbeiß-Winkelmann/Sporrer, NJW 2014, 177 [182]; vgl. auch Roderfeld, in: Marx/Roderfeld, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, 1. Aufl. 2012, GVG § 198 Rn. 24).

Gerade letztere gesetzliche Wertung belegt, dass ein Verzögerungszeitraum von 6 Monaten (und mehr) beachtlich und nicht hinzunehmen ist.

Die hier festgestellte Verzögerung von 8 Monaten ist hier beachtlich angesichts der Gesamtverfahrensdauer von beinahe 8 Jahren und des Charakters des in Rede stehenden Ausgangsverfahrens als Pilotverfahren mit richtungsweisender Bedeutung für ca. 140 abhängige Verfahren, welches den Kläger des Entschädigungsverfahrens zudem in seinem Ruf betrifft.

c)

Dem Kläger ist kausal bedingt durch die unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens 2 O 1136/11 ein immaterieller Nachteil entstanden.

Nach § 198 Abs. 2 GVG sind von den in § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG angesprochenen Nachteilen aufgrund unangemessener Verfahrensdauer auch solche erfasst, die nicht Vermögensnachteile sind (immaterielle Nachteile). Der Gesetzgeber hat damit in erster Linie die nachteiligen psychologischen Wirkungen wie Besorgnisse, Ärgernisse und Ungewissheiten gemeint, die sich aus der überlangen Verfahrensdauer über die übliche Belastung durch Prozessrisiken hinaus ergeben (BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2020 - 5 C 3/19 D -, Rn. 9, juris, unter Hinweis auf BT-Drs. 17/3802, S. 19). Es kann sich um eine in Folge überlanger Verfahrensdauer erlittene und über die bei einem anhängigen Prozess übliche Ungewissheit hinausgehende psychische Belastung oder eine Rufschädigung handeln (Lückemann, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 198 GVG Rn. 8).

Der Kläger beruft sich auf die "seelische Unbill" durch die Überlänge und die wirtschaftlich existentiellen Folgen aufgrund massiv wirkender Rufschädigungen. Bereits im Rahmen seiner Verzögerungsrüge vom 24.10.2017 hatte er auf sein fortgeschrittenes Alter von damals 70 Jahren hingewiesen und geltend gemacht, dass aus der Verzögerung physische und psychische Belastungen resultierten. Es bestehe mit Blick auf den Ausgang des Rechtsstreits eine erhebliche Unsicherheit, so namentlich wegen der drohenden klägerseitigen Ansprüche und der erheblichen Verfahrenskosten. Die Medienberichterstattung wiederhole sich wegen der überlangen Verfahrensabläufe ständig. Es sei bereits ein Rufschaden und der Verlust seiner persönlichen finanziellen Bonität eingetreten. Vor allem solle er als Schadensverursacher mit strafrechtlicher Relevanz für das Scheitern der "G. Gruppe" verantwortlich gemacht werden, obwohl die Staatsanwaltschaft Braunschweig diese Verantwortung "eindeutig negiert" habe und er bereits sechs Jahre vor den Insolvenzen der Unternehmen der G. Gruppe aus dem Aufsichtsrat der S. AG ausgeschieden sei.

Nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat.

Bei der in dieser Vorschrift normierten gesetzlichen Vermutungsregelung handelt es sich um eine widerlegliche gesetzliche Tatsachenvermutung im Sinne von § 292 Satz 1 ZPO, die dem Betroffenen die Geltendmachung eines immateriellen Nachteils erleichtern soll, weil in diesem Bereich ein Beweis oft nur schwierig oder gar nicht zu führen ist (BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184-198, Rn. 40, juris, unter Hinweis auf u.a. BT-Drs. 17/3802, S. 19, 41; BGH, Urteil vom 13. April 2017 - III ZR 277/16 -, Rn. 20, juris). Die Vermutungsregel erstreckt sich dabei sowohl auf das Vorliegen eines Nichtvermögensnachteils als auch auf die haftungsausfüllende Kausalität (BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2020 - 5 C 3/19 D -, Rn. 12, juris) und entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der eine starke, aber widerlegbare Vermutung dafür annimmt, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht (BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184-198, Rn. 40, unter Hinweis auf EGMR, Urteil vom 29. März 2006 - 36813/97, Scordino ./. Italien - NJW 2007, 1259 Rn. 204).

Diese Vermutung des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist vorliegend nicht widerlegt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist die Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG widerlegt, wenn das beklagte Land das Fehlen eines immateriellen Nachteils darlegt und beweist, wobei die Grundsätze der sekundären Darlegungslast anzuwenden sind (BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184-198, Rn. 40 f. m.w.N., juris). "Die Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteils ist dann widerlegt, wenn das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der vom Kläger gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil geführt hat [...]" (BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184-198, Rn. 41, juris).

Zwar hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein immaterieller Nachteil auf Seiten des Klägers des Entschädigungsverfahrens dann ausgeschlossen sei, wenn sich derselbe im Rahmen eines Gesamtkomplexes von bereits 386 Verfahren einer Gesamtschadensersatzforderung von 10.777.752,53 Euro ausgesetzt sehe, sich andererseits in desolaten Vermögensverhältnissen befinde, und in dieser Situation zehn Verfahren aus dem Gesamtkomplex "herausgreife", um für diese Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer geltend zu machen. Denn bei dieser Sachlage stehe von vornherein fest, dass es auf die Vermögenslage des Klägers ohne spürbare Auswirkungen bleiben werde, ob er in den von ihm konkret "gegriffenen" zehn Verfahren obsiegen oder unterliegen werde. Mache ein Betroffener insofern Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, müsse er jedoch die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieser Verfahren verursacht worden sein sollten, positiv behaupten. Nur dann werde der Anspruchsgegner überhaupt in die Lage versetzt, den ihm obliegenden Beweis der Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen zu führen (BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184-198, Rn. 43, juris).

Der hier zur Entscheidung anstehende Fall unterscheidet sich davon jedoch ersichtlich insoweit, als dass es nicht um "irgendwelche" mehr oder weniger zufällig "gegriffenen" abhängigen Verfahren geht, sondern um ein Pilotverfahren, welches den abhängigen Verfahren die Richtung weist. Es kann daher vorliegend auch keine Rede davon sein, dass sich das Unterliegen im hier gegenständlichen Pilotverfahren auf die Vermögensverhältnisse des Entschädigungsklägers im Endeffekt nicht spürbar auswirken würde. Es liegt offenkundig auf der Hand, dass dieses Verfahren für den Kläger des Entschädigungsverfahrens von entscheidender Bedeutung ist. Daher kann auch seine Behauptung, dass seine Vermögensverhältnisse inzwischen stabil seien, weil die von dem Bundesgerichtshof in der soeben zitierten Entscheidung herangezogene Steuerforderung gegen ihn in Höhe von rund 10 Mio. Euro inzwischen erlassen sei, dahinstehen.

Vor diesem Hintergrund ist - im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 19) - durch das Erleiden der festgestellten Verfahrensverzögerung bereits ein immaterieller Nachteil auf Seiten des Klägers des Entschädigungsverfahrens entstanden, ohne dass dieser überhaupt substantiiert auf negative Folgen eingehen müsste.

Die Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermochte das beklagte Land auch nicht zu widerlegen. Das beklagte Land zieht sich in Verkennung der mangelnden Vergleichbarkeit des vorliegenden Falles pauschal auf die - soeben referierte - Begründung des Bundesgerichtshofes zurück, dass ein einzelnes Verfahren aus einem Gesamtkomplex von mehr als 4.800 gegen den Beklagten zu 1) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens gerichteter Klagen ohne spürbare Auswirkungen auf dessen Vermögenslage sei. Trotz gegenteiligen Hinweises des Senats ignoriert das beklagte Land, dass es sich bei dem hier in Rede stehenden Ausgangsverfahren um ein - richtungsweisendes - Pilotverfahren handelt.

Da es nach alledem für das Entstehen eines immateriellen Nachteils auf Seiten des Klägers auch nicht auf die Behauptung des beklagten Landes ankommt, in dem Gesamtkomplex habe sich der Kläger Forderungen in einer Gesamthöhe von 92.057.381,17 Euro ausgesetzt gesehen, war auch dem Antrag auf Beiziehung der Akte zum Aktenzeichen 11 EK 6/18 (Oberlandesgericht Braunschweig) nicht nachzukommen.

d)

Dem Kläger steht vorliegend eine Entschädigung in Geld zu, die in Höhe eines Betrages von 6.426,61 Euro angemessen ist.

Dies ergibt sich aus der von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG angeordneten Rechtsfolge, wonach bei einer unangemessenen Verfahrensdauer derjenige, der dadurch einen Nachteil erleidet, "angemessen entschädigt" wird.

aa)

Eine anderweitige Wiedergutmachung als die Entschädigung in Geld ist vorliegend nicht ausreichend.

Nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG kann für einen immateriellen Nachteil Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Nach § 198 Abs. 4 GVG ist Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, wobei ein Antrag nicht erforderlich ist. Die Feststellung kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden.

Vorliegend ist eine alleinige Feststellung der Verfahrensverzögerung nicht ausreichend.

Der Senat verkennt nicht, dass die Geldentschädigung für überlange Gerichtsverfahren "kein Automatismus" ist. Ein Anspruch auf Geldentschädigung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vielmehr voraus, dass die Ausschlussregelung einer anderweitig ausreichenden Wiedergutmachung nicht eingreift. Dementsprechend stellt § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ein "negatives Tatbestandsmerkmal" für einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG dar, soweit Entschädigung für immaterielle Nachteile begehrt wird (BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 -, BGHZ 200, 20-38, Rn. 61, juris; a.A. Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 205 ff.).

Ob die bloße Feststellung der Überlänge ausreicht, richtet sich an dieser Stelle nach den Umständen des Einzelfalles (BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 -, BGHZ 200, 20-38, Rn. 62, juris).

In der Rechtsprechung ist - unter Rückgriff auf die Gesetzgebungsgeschichte und im Einklang mit den dort angestellten Erwägungen (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 20) - die bloße Feststellung als ausreichend erachtet worden, wenn das Verfahren beispielsweise für den Betroffenen keine besondere Bedeutung hatte, etwa, wenn er keinen weitergehenden immateriellen Schaden erlitten hat, oder der Betroffene durch sein eigenes Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat (BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 -, BGHZ 200, 20-38, Rn. 62, juris; OLG Braunschweig, Urteil vom 8. Februar 2013 - 4 SchH 1/12 -, Rn. 190, juris, unter Hinweis auf Steinbeiß-Winkelmann/Ott, § 198 Rn. 162; BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R -, BSGE 117, 21-37, SozR 4-1720 § 198 Nr. 3, Rn. 52, juris; vgl. dazu auch Eleftheriadis, Der Entschädigungsanspruch gemäß § 198 GVG bei überlangen Gerichtsverfahren, 2018, S. 154-156 m.w.N.; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, 1. Aufl. 2012, GVG § 198 Rn. 52).

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Entschädigung in Geld als der Regelfall dar (so ausdrücklich OLG Celle, Urteil vom 20. November 2013 - 23 SchH 3/13 -, Rn. 28, juris). Die Tatsachen, auf Grund derer eine Wiedergutmachung auf andere Weise ausreicht, sind im Entschädigungsprozess von der Beklagtenseite darzulegen und nötigenfalls zu beweisen; das Entschädigungsgericht hat hierüber unter Abwägung aller betroffenen Belange zu entscheiden (Kissel/Mayer/Mayer, 10. Aufl. 2021, GVG § 198 Rn. 29a, unter Hinweis auf BT-Drucks. 17/3802, S. 20).

Vorliegend ist eine reine Feststellung der Überlänge bereits deshalb nicht ausreichend, weil das streitgegenständliche Ausgangsverfahren in seiner Eigenschaft als Pilotverfahren von zentraler Bedeutung für den Kläger war. Auch war die festgestellte Verzögerung keineswegs geringfügig (vgl. OLG Celle, Urteil vom 20. November 2013 - 23 SchH 3/13 -, Rn. 28, juris).

bb)

Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles war vorliegend die Regelentschädigung aus Billigkeitsgesichtspunkten angemessen zu erhöhen, § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG.

Die Regelentschädigung beträgt nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG 1.200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung.

Dies schließt es aber nicht aus, für unterjährige Zeiträume eine zeitanteilige Berechnung vorzunehmen. Die Begründung zum Regierungsentwurf spricht dies ausdrücklich an (BT-Drucks. 17/3802, S. 20), sodass eine monatsbezogene Berechnung der Entschädigung möglich ist (OLG Braunschweig, Urteil vom 8. Februar 2013 - 4 SchH 1/12 -, Rn. 193, juris; ebenso Roderfeld, in: Marx/Roderfeld, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, 1. Aufl. 2012, GVG § 198 Rn. 80; Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 208 ff.).

Nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig erscheint. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu, dass Satz 4 nur für Ausnahmefälle die Möglichkeit biete, von der Pauschale nach oben oder unten abzuweichen (BT-Drucks. 17/3802, S. 20).

Sinn und Zweck der Pauschalierung in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG unter Verzicht auf einen einzelfallbezogenen Nachweis ist es, Streitigkeiten über die Höhe der Entschädigung, die eine zusätzliche und unnötige Belastung für die Gerichte bedeuten würden, möglichst zu vermeiden und zugleich eine zügige Erledigung der Entschädigungsansprüche im Interesse der Betroffenen zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87, Rn. 46, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 -, BGHZ 200, 20, Rn. 55, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 -, Rn. 50, juris).

Vor diesem Hintergrund ist das Entschädigungsgericht nur bei Vorliegen besonderer Umstände gehalten, von dem normierten Pauschalsatz aus Billigkeitserwägungen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) abzuweichen (BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87-103, Rn. 46, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 -, Rn. 51, juris; BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - III ZR 72/20 -, Rn. 17, juris; BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R -, BSGE 118, 102-110, SozR 4-1720 § 198 Nr. 9, Rn. 38-39, juris; BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 3/16 R, Rn. 33, juris).

Allein die Natur eines Verfahrens und die typischerweise damit einhergehenden Folgen - etwa eine besondere emotionale Betroffenheit, so beispielsweise bei einem Kindschaftsverfahren - rechtfertigen nicht allein für sich die Annahme einer Besonderheit, die eine Abweichung vom Pauschalsatz nach sich ziehen kann (BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 -, Rn. 51, juris; BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - III ZR 72/20 -, Rn. 18, juris).

Das zu beurteilende Verfahren muss sich durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von anderen Verfahren dieser Art abheben, sodass die konkreten Auswirkungen der überlangen Verfahrensdauer die Pauschalhöhe als unbillig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - III ZR 72/20 -, Rn. 18, juris, unter Hinweis auf BSGE 118, 102 Rn. 39 und BSGE 124, 136 Rn. 51 f. sowie OLG Karlsruhe, Urteil vom 16. Oktober 2018 - 16 EK 10/18 -, Rn. 97, juris).

(1)

Die besonderen Umstände des Einzelfalles erfordern es vorliegend, die Regelentschädigung in einem ersten Schritt - bei zunächst "isolierter" Betrachtung des gegenständlichen Ausgangsverfahrens - zu verdoppeln.

Das vorliegende Pilotverfahren hat bereits wegen seiner Ausstrahlungswirkung "an sich" auf eine Vielzahl von abhängigen Verfahren eine herausragende Bedeutung für den Kläger des Entschädigungsverfahrens, die es als atypischen Sonderfall ausweist. Darüber hinaus ist der Gegenstand des Pilotverfahrens im Bereich der Rufschädigung anzusiedeln, was das Verfahren für den Kläger des Entschädigungsverfahrens besonders sensibel macht, sodass seine Überlänge besondere Belastungen für diesen bedingt. Damit streiten zwei gewichtige entschädigungsrelevante Besonderheiten für die Erhöhung der Regelentschädigung aus Gründen der Billigkeit. Demgegenüber greifen die übrigen, von dem Kläger des Entschädigungsverfahrens geltend gemachten Aspekte zur Erhöhung der Regelentschädigung nicht ein. Das gilt sowohl für seinen Hinweis auf die Gebotenheit einer Erhöhung der Regelentschädigung wegen struktureller Überlastung der Justiz als auch für die von ihm vertretene Ansicht, die Ausgestaltung und Anwendung des Rechtsbehelfs gegen überlange Gerichtsverfahren sei konventionswidrig und stehe im Widerspruch zu Unionsgrundrechten.

Im Einzelnen:

(a)

Das hier gegenständliche Pilotverfahren hat für den Kläger des Entschädigungsverfahrens eine buchstäblich herausragende Bedeutung, werden in ihm doch die Weichen auch für die Vielzahl der abhängigen Verfahren gestellt. Er wird daher auf das Pilotverfahren, das mittelbar auch über das Schicksal der damit zusammenhängenden "Klageflut" entscheiden kann, ein besonderes Augenmerk richten. An dieser Stelle offenbart sich die Besonderheit des Pilotverfahrens als Muster für viele - ohne dass es an dieser Stelle bereits auf die Anzahl der abhängigen Verfahren ankommt. Es ist gerade nicht "ein Verfahren unter vielen", welches gleichsam im "normalen Tagesgeschäft" unvertretbare Liegezeiten erfahren hätte, sondern ein herausgehobenes Verfahren, dessen Bearbeitung dem Ausgangsgericht zuvörderst und - hier neben dem anderen Pilotverfahren 2 O 1802/07 - singulär oblag. Dies liegt in der Natur der Sache, wurde das Pilotverfahren doch gerade deshalb ausgewählt, um eine prozessökonomische und gleichzeitig der Erkenntnis in der Sache dienende und damit qualitätssichernde Bearbeitung des gesamten Komplexes sicherzustellen. Spiegelbildlich musste der Kläger des Entschädigungsverfahrens hinnehmen, dass sämtliche abhängigen Verfahren während der Bearbeitung des Pilotverfahrens faktisch ruhten.

Das Pilotverfahren reagiert auf die Erfordernisse der Bewältigung von Massenverfahren und ist daher im Vergleich zum sonstigen "Tagesgeschäft" der in der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu bearbeitenden Verfahren ein atypischer Sonderfall.

(b)

Weiterhin betrifft der hier dem Pilotverfahren zugrundeliegende Sachverhalt den Kläger des Entschädigungsverfahrens in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bzw. in seiner Ehre. Denn er wird, was er selbst nicht zu Unrecht hervorhebt, als "Konzeptant" von Beteiligungsmodellen deliktsrechtlich in Anspruch genommen und auf diese Weise unter Ausspruch einer Schuldzuweisung persönlich verantwortlich gemacht. Dies bleibt unter dem Eindruck der Medienberichterstattung auch in der Öffentlichkeit nicht ohne Widerhall. Insofern entfaltet der dem Kläger des Entschädigungsverfahrens gemachte Vorwurf wegen der Vielzahl der betroffenen Anleger eine gewisse Breitenwirkung, die nicht im Verborgenen bleibt.

Der Vorwurf, Anleger vorsätzlich geschädigt zu haben, betrifft darüber hinaus das berufliche "Lebenswerk" des Klägers des Entschädigungsverfahrens, der diese Tätigkeit jedoch nach der von dem beklagten Land unwidersprochen gebliebenen Behauptung mit Ausscheiden aus sämtlichen Leitungs-Funktionen der Unternehmen der G. Gruppe vor nunmehr 20 Jahren eingestellt hat. Dies stellt eine beträchtliche Zeitspanne dar. Gleichwohl war der Kläger des Entschädigungsverfahrens - mit Blick auf das hier gegenständliche Pilotverfahren - bis zum Anfang des Jahres 2020 - obschon zwischenzeitlich in das Ruhestands-Alter eingetreten - durch das Pilotverfahren und die hiermit verbundenen Verfahren zur "Aufarbeitung" dieser Tätigkeit gezwungen. Dass er ein hohes Interesse daran hat, die Vorwürfe einer Klärung zuzuführen und mit der Thematik abzuschließen, ist nur allzu verständlich.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kamen bislang für eine Abweichung von der Regelentschädigung nach oben insbesondere Fälle in Betracht, in denen die Verzögerung zur Fortdauer einer Freiheitsentziehung oder zu einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung geführt hatte (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87-103, Rn. 46, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 -, Rn. 51, juris).

Die vorliegend beschriebenen Umstände des Einzelfalls fügen sich nahtlos in diese Kasuistik ein und stellen eine gewichtige entschädigungsrelevante Besonderheit dar, die zu einer Erhöhung der Regelentschädigung aus Gründen der Billigkeit führen muss.

(c)

Eine Erhöhung der Regelentschädigung ist nicht unter dem Gesichtspunkt einer in diesem Falle zutage tretenden strukturellen Überlastung der Justiz vorzunehmen.

Grundsätzlich kann bei der Festsetzung des Entschädigungsbetrages nach § 198 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 GVG unter anderem auch zu berücksichtigen sein, ob die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auf einer strukturellen Überlastung der Justiz des beklagten Landes beruht und der daraus resultierende Grundrechtsverstoß deshalb besonders schwer wiegt (BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 3/16 R -, Rn. 34, juris; zur besonders schwerwiegenden Grundrechtsverletzung: BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 5. August 2013 - 1 BvR 2965/10 -, Rn. 15, juris).

Zwar vertritt der Kläger des Entschädigungsverfahrens vorliegend die Ansicht, das beklagte Land habe zur Bewältigung der "Klageflut" viel früher das Personal im richterlichen und nicht-richterlichen Dienst aufstocken müssen, und behauptet, dass dies zu keinem Zeitpunkt geschehen sei.

Ob dies zutrifft, kann vorliegend jedoch dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls in dem als verzögert festgestellten Zeitraum ab dem 07.07.2017 musste sich die Kammer zwangsläufig - wie dargelegt - zuvörderst den beiden Pilotverfahren 2 O 1136/11 und 2 O 1802/07 widmen.

(d)

Entgegen der Ansicht des Klägers im Entschädigungsverfahren ist auch eine Erhöhung der Regelentschädigung im Lichte des Art. 13 EMRK nicht geboten.

In diesem Zusammenhang vertritt er die Auffassung, dass ihm schon allein deshalb ein Aufschlag auf die Regelentschädigung gewährt werden müsse, weil sich § 198 GVG nicht als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne des Art. 13 EMRK darstelle, da er keine präventive, sondern nur eine kompensatorische Wirkung entfalte. Der deutsche Gesetzgeber habe dem von einem überlangen Verfahren Betroffenen kein wirksames Instrument an die Hand gegeben, die Verfahrensführung des in Rede stehenden Gerichts tatsächlich zu beschleunigen.

Dass die deutsche Regelung keine echte präventive Wirkung entfaltet, ist zutreffend. Vielmehr beschränkte sich der Gesetzgeber ausdrücklich darauf, einen kompensatorischen Rechtsbehelf einzuführen (BT-Drucks. 17/3802, S. 15), und ging im Übrigen davon aus, dass die Erhebung der Verzögerungsrüge als "weiches" Instrument fungieren werde, das bei dem Ausgangsgericht eine Warnfunktion erzielen könne (vgl. auch BGH, Urteil vom 7. November 2019 - III ZR 17/19 -, BGHZ 224, 20-40, Rn. 21 und Rn. 26, juris; vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte Hofmarksrichter, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren im Lichte der Vorgaben des EGMR, 2017, S. 29 ff., speziell zur Frage des kompensatorischen Charakters: S. 46 f. m.w.N.).

Die Regelung des § 198 GVG ist damit aber nicht konventionswidrig. Die ursprüngliche Linie des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bestand darin, einen Rechtsbehelf gegen überlange Verfahrensdauer dann am Maßstab des Art. 13 EMRK gemessen als effektiv anzusehen, wenn der Beschwerdeführer mit ihm entweder die Entscheidung des zuständigen Gerichts beschleunigen oder angemessene Wiedergutmachung für schon eingetretene Verzögerungen erlangen könne (EGMR [Große Kammer], Urteil vom 8. Juni 2006 - 75229/01 -, NJW 2006, 2389, Rn. 98 f., Sürmeli ./. Deutschland; vgl. auch BGH, Urteil vom 7. November 2019 - III ZR 17/19 -, BGHZ 224, 20-40, Rn. 21 und Rn. 25, juris; instruktiv zu unterschiedlichen Regelungsmodellen des Verzögerungsrechtsschutzes in den Vertragsstaaten Österreich [präventiv], Frankreich und Italien [repressiv], Spanien [Kombination]: Hofmarksrichter, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren im Lichte der Vorgaben des EGMR, 2017, S. 154 ff.).

Der Kläger des Entschädigungsverfahrens vertritt die Auffassung, dass die Konventionsmäßigkeit der deutschen Regelung im Lichte der Entscheidung Kuppinger ./. Deutschland (EGMR, Urteil vom 15. Januar 2015 - 62198/11 -, NJW 2015, 1433 ff.) hingegen nunmehr anders zu bewerten sei.

Gegenstand der Individualbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Verfahren Kuppinger war unter anderem die Rüge der Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf wirksame Beschwerde wegen der überlangen Dauer eines Umgangsverfahrens vor dem Familiengericht.

Der Gerichtshof hat bei dieser Gelegenheit an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach ein Verzögerungsrechtsbehelf die Anforderungen des Art. 13 EMRK erfülle, wenn mit ihm entweder die Entscheidung des zuständigen Gerichts beschleunigt oder angemessene Wiedergutmachung für schon eingetretene Verzögerungen erlangt werden könne (EGMR, Urteil vom 15. Januar 2015 - 62198/11 -, NJW 2015, 1433 [1437] Rn. 137, Kuppinger ./. Deutschland).

Speziell für den Bereich des Familienrechts jedoch hat der Gerichtshof in diesem Zusammenhang auf eine ebenfalls bereits bestehende Rechtsprechungslinie verwiesen, nach der bei Verfahren, deren Dauer erhebliche Auswirkungen auf das Familienleben habe und die somit zusätzlich am Maßstab des Art. 8 EMRK geprüft werden müssten, der Gerichtshof bereits in der Vergangenheit eine strengere Beurteilung für notwendig gehalten habe, der Staat nämlich verpflichtet sei, einen Rechtsbehelf zu schaffen, der zugleich präventiv sei und Wiedergutmachung ermögliche (EGMR, Urteil vom 15. Januar 2015 - 62198/11 -, NJW 2015, 1433 [1437] Rn. 137, Kuppinger ./. Deutschland).

Daher geht der Kläger des Entschädigungsverfahrens fehl in der Annahme, diese strengere Beurteilung sei auch auf den vorliegenden Fall, der nicht das Familienrecht betrifft, zu übertragen (vgl. auch BGH, Urteil vom 7. November 2019 - III ZR 17/19 -, BGHZ 224, 20-40, Rn. 25, juris; Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 126-128).

Eine Erhöhung der Regelentschädigung aus diesem Gesichtspunkt heraus ist daher ausgeschlossen.

(e)

Gleiches gilt für dessen Auffassung, es liege ein Verstoß gegen Unionsgrundrechte, namentlich Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, vor.

Vor allem zwingt Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegen der klägerischen Ansicht nicht dazu, im Entschädigungsverfahren mehr als eine Tatsacheninstanz zu schaffen, um dem Rechtsschutz gegen überlange Gerichtsverfahren ausreichende Effektivität zu verleihen. Vielmehr vermittelt Art. 47 einen Anspruch auf Überprüfung nur durch eine gerichtliche Instanz. Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Entscheidung werden nicht vorgeschrieben (Jarass, in: ders., Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 47 Rn. 36 m.w.N.).

Auch der Gewährleistungsgehalt des Art. 13 EMRK fordert keinen Instanzenzug (BeckOK StPO/Valerius, 40. Ed. 01.07.2021, EMRK Art. 13 Rn. 7).

(f)

Auch ist die Regelentschädigung - anders als der Kläger des Entschädigungsverfahrens meint - nicht deshalb zu erhöhen, weil die innerstaatliche Kostenregelung des § 201 Abs. 4 GVG einen Betroffenen wegen der Gefahr der Kostentragung in vollem Umfang trotz rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung davon abhalten könne, eine Entschädigungsklage zu erheben, was die Effektivität der Regelung im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention in Frage stelle.

Nach § 201 Abs. 4 GVG entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen, wenn ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe besteht, aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt wird.

Die diesbezügliche Rechtsansicht des Klägers offenbart ein Fehlverständnis dieser Regelung. Zunächst einmal verwirklicht sich in der Verpflichtung, Verfahrenskosten tragen zu müssen, nicht mehr als das allgemeine Kostenrisiko des Unterliegens mit einer Klage. Mit Blick auf § 201 Abs. 4 GVVG ist festzuhalten, dass eine Situation, in der der Kläger keine Entschädigung in Geld begehrt, sondern nur die Feststellung der Überlänge erreichen will, zumindest nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht denkbar ist. Denn der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass der Kläger des Entschädigungsverfahrens kein subjektives Recht auf die Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer hat, sodass er die Feststellung auch nicht einklagen kann (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 -, BGHZ 199, 190-207, Rn. 35, juris; OLG Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 - 6 SchH 1/13 -, Rn. 31, juris; a.A. W.-R. Schenke, NJW 2015, 433 ff.). Er muss also im Entschädigungsprozess eine Leistungsklage erheben. Bei dieser besteht immer das Risiko, dass er wegen überhöhter Vorstellungen jedenfalls teilweise unterliegt. Dann ist die Kostenquotelung nach § 92 ZPO die typische Folge.

In diesem Zusammenhang führt der Kläger des Entschädigungsverfahrens auch zu Unrecht die Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 11. April 2014 zum Aktenzeichen 6 SchH 1/13 an, durch die ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden. Denn dessen Kostentragungsverpflichtung beruhte dort nicht auf § 201 Abs. 4 GVG, sondern auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, nachdem die Klage mangels Vorliegens eines immateriellen Nachteils insgesamt abgewiesen wurde. Eine Feststellung, dass das Verfahren verzögert gewesen sei, hat das Oberlandesgericht Braunschweig gerade nicht ausgesprochen - wenn es auch in den Entscheidungsgründen bereits zu der - nicht tragenden - Auffassung gelangte, dass das Ausgangsverfahren tatsächlich verzögert worden sei.

Nur in der Sonderkonstellation der Feststellung der Verfahrensverzögerung im Tenor neben der Festsetzung einer Entschädigung ist überhaupt Raum für eine Billigkeitsentscheidung nach § 201 Abs. 4 GVG (BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 -, BGHZ 199, 87-103, Rn. 50, juris). In diesem Falle eröffnet die Vorschrift dann gerade eine Entscheidung zu Gunsten des Klägers, der sich aus den dargestellten Erwägungen zuvor nicht auf den Feststellungsantrag beschränken konnte (so auch Lückemann, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 201 GVG Rn. 3).

(2)

In einem zweiten Schritt ist für die Bemessung der angemessenen, aus Gründen der Billigkeit zu erhöhenden Entschädigung auf der Grundlage von § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG die Anzahl der zum Zwecke der Beweisaufnahme mit dem Pilotverfahren verbundenen Verfahren gegen den personenidentischen Kläger zu berücksichtigen.

Denn die Zahl der abhängigen Verfahren führt zu einer erhöhten Belastung für den Betroffenen und wirkt sich damit steigernd auf die Bedeutung des Pilotverfahrens aus. Es liegt in der Natur der Sache, dass das Ergebnis der Beweisaufnahme im Pilotverfahren das Ergebnis der abhängigen Verfahren maßgeblich beeinflusst. Es ist auch durchaus ein Unterschied, ob "lediglich" die Forderung aus dem Pilotverfahren in Rede steht oder aber noch eine Vielzahl weiterer Forderungen.

Bei der Bemessung der Belastung kommt es jedoch letztlich weniger auf die Gesamtforderungshöhe an sich an, sondern vielmehr auf den psychologischen Druck, den eine "Klagewelle" auslöst. All dies streitet dafür, neben der drohenden wirtschaftlichen Belastung durch die geltend gemachten Ansprüche vielmehr die Anzahl der abhängigen Verfahren als Kriterium für die Erhöhung der Regelentschädigung heranzuziehen.

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass Bezugspunkt für die Mehrbelastung nicht der konkrete Streitgegenstand des zum Zwecke der Beweisaufnahme hinzuverbundenen Verfahrens ist, sondern vielmehr die Bedeutung des Pilotverfahrens, die sich in der Anzahl der von ihm abhängigen Verfahren materialisiert.

Wegen dieses Bezugspunktes kommt es zum einen für die Berücksichtigung der Anzahl der abhängigen Verfahren für die Bedeutung des Pilotverfahrens nicht darauf an, ob der Kläger des Entschädigungsverfahrens auch in den abhängigen Verfahren als materielle Entschädigungsvoraussetzung die Verzögerungsrüge wirksam erhoben hat. Denn es geht nicht darum, den in den abhängigen Verfahren durch eine Verzögerung erlittenen Nachteil - unzulässigerweise - in dem Entschädigungsprozess des Pilotverfahrens "mitzuerledigen". Vielmehr ist alleiniges Anliegen der vorzunehmenden ganzheitlichen Betrachtungsweise, die Belastung durch das Ausgangsverfahren als Pilotverfahren für den Kläger des Entschädigungsverfahrens zutreffend zu bemessen.

Zum anderen wird durch die Berücksichtigung der Anzahl der abhängigen Verfahren bei der Bemessung der Entschädigungshöhe in dem das Pilotverfahren betreffenden Entschädigungsprozess nicht etwas zugesprochen, was nicht beantragt ist.

Die Antragsbindung besteht sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Das bedeutet insbesondere, dass das Gericht den Streitgegenstand nicht austauschen darf (Feskorn, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 308 ZPO Rn. 2).

Dies ist nicht zu besorgen.

"Da die Entschädigungsklage nach § 198 GVG eine auf Zahlung gerichtete Leistungsklage ist, ist der Klageantrag auf die Annahme einer bestimmten Dauer der Verzögerung festzulegen. Der Entschädigungskläger hat deshalb seinen Antrag an der Dauer der Verzögerung auszurichten und den Entscheidungsumfang des Gerichts sowie sein eigenes Kostenrisiko damit zu begrenzen (Senatsurteile in BFHE 259, 393, BStBl II 2018, 103 [BFH 12.07.2017 - X K 3-7/16], Rz 52, und vom 29. November 2017 X K 1/16, BFHE 259, 499, BStBl II 2018, 132 [BFH 14.09.2017 - III R 19/16], Rz 57)" (BFH, Urteil vom 6. Juni 2018 - X K 2/16 -, Rn. 54, juris).

Diesen Anforderungen wird der klägerische Vortrag gerecht.

Der Kläger des Entschädigungsverfahrens hat detailliert zu den Verfahrensabschnitten vorgetragen, die er für verzögert hält. Die hier angenommene Verfahrensverzögerung ist auch von dem durch den Kläger des Entschädigungsverfahrens vorgegebenen Rahmen abgedeckt. Zudem hat dieser deutlich gemacht, dass er eine Erhöhung der Regelentschädigung aus Billigkeitsgründen erstrebt, und die aus seiner Sicht maßgeblichen Gesichtspunkte hierzu vorgetragen. Dazu gehört insbesondere der Aspekt, dass es sich bei dem hier verzögerten Verfahren um ein "Pilotverfahren" handelt. Die Quantifizierung dessen ist hierbei Aufgabe des Entschädigungsgerichts.

Hier besteht die L.-Serie nach dem unstreitigen Vortrag aus insgesamt ca. 280 Verfahren, die gleichmäßig auf die 2. und die 14. Zivilkammer verteilt wurden. Somit hatte die 2. Zivilkammer insgesamt nicht mehr als 140 Verfahren der L.-Serie zu bearbeiten. Da in der 14. Zivilkammer ein eigenes Pilotverfahren zu diesem Komplex anhängig ist, sind das Pilotverfahren der 14. Zivilkammer und die dort davon abhängigen Verfahren gesondert von dem hier gegenständlichen Pilotverfahren zu betrachten und wirken sich auf die Belastung des Klägers des Entschädigungsverfahrens durch die Verzögerung in dem hier gegenständlichen Verfahren nicht aus.

Anhaltspunkte dafür, dass es gerade unbillig erscheint, dem Kläger eines Entschädigungsverfahrens, der von einer "Klageflut" betroffen ist, in jedem einzelnen Verfahren dieser Klageflut die Regelentschädigung zuzusprechen, finden sich in der Rechtsprechung bereits (vgl. etwa BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R -, BSGE 117, 21-37, SozR 4-1720 § 198 Nr. 3, Rn. 53, juris, zur Anpassung des Regelbetrages "wegen der Existenz zweier inhaltlich eng verknüpfter, überwiegend gleichzeitig ablaufender Gerichtsverfahren"). Auch das Oberlandesgericht Braunschweig hat in diesem Zusammenhang in einem früheren Entschädigungsverfahren bereits festgehalten: "Sieht sich ein Betroffener einer Vielzahl gleichgerichteter Schadensersatzforderungen aus demselben Komplex ausgesetzt, kann er nicht für jedes etwa verzögert betriebene Ausgangsverfahren den Regelentschädigungsbetrag des § 198 Abs. 2 S. 3 GVG verlangen. Werden die Ansprüche sukzessive geltend gemacht, kann der Regelentschädigungsbetrag nur bei dem ersten Ausgangsverfahren angesetzt werden. Bei Folgeverfahren aus demselben Komplex, die später rechtshängig werden, ist es zunächst geboten, den für das erste Verfahren angesetzten Betrag nach § 198 Abs. 2 S. 4 GVG zu reduzieren, wobei allerdings eine Reduktion auf null unzulässig ist (hierzu: Ott in Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 227). Die Ausgangsverfahren sind zwar einzeln zu betrachten und die Belastung des Entschädigungsklägers erhöht sich auch mit der Zustellung weiterer Klagen, die Belastungserhöhung wird jedoch mit jedem weiteren Ausgangsverfahren geringer, bis sie ab einem bestimmten Zeitpunkt, der hier Ende 2007 erreicht ist, nicht mehr messbar ist" (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 - 6 SchH 1/13 -, Rn. 49, juris).

In dem dort zur Entscheidung anstehenden Fall wurde bereits eine mit jedem Folgeverfahren "degressiv abnehmende Belastung" erwogen und diese Überzeugung aus einem Vergleich mit dem Schmerzensgeldrecht hergeleitet. Der Jahresbetrag der Entschädigungssumme für Verfahrensverzögerungen dürfe bei wertungsmäßiger Betrachtung nicht in erheblichem Maße diejenigen Entschädigungssummen übersteigen, die Gerichte bei schwersten Beeinträchtigungen körperlicher und seelischer Art nach § 253 BGB zusprechen. Es müsse darauf geachtet werden, dass ein angemessenes Verhältnis zu diesen Entschädigungsbeträgen gewahrt bleibe, sodass der Gesamtbetrag der Entschädigung, der nach § 198 GVG zuzusprechen ist, auch bei schwersten Verfahrensverzögerungen nach Auffassung des dort zur Entscheidung berufenen Senats jedenfalls keine sechsstellige Summe erreichen dürfe (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 - 6 SchH 1/13 -, Rn. 50, juris; vgl. dazu auch die Anmerkung von Althammer/Lorenz, NJW 2013, 2445 und Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 213 ff.).

(3)

Demnach ist vorliegend ein aus Billigkeitsgesichtspunkten erhöhter Entschädigungsbetrag von 6.426,61 Euro angemessen.

Dieser errechnet sich wie folgt:

Das Gewicht der Verzögerung von 8 Monaten mit Blick auf das gegenständliche Pilotverfahren wird in einem ersten Schritt durch eine Verdoppelung der Regelentschädigung abgebildet:

8 Monate x 100 Euro x 2 = 1.600 Euro.

Die degressiv abnehmende Belastung durch die vom gegenständlichen Pilotverfahren 140 abhängigen Verfahren wird sodann durch einen vom Senat für angemessen erachteten Degressionswert von 5 % dargestellt, bezogen auf "Verfahrensbündel" im Umfang von je 20 Verfahren. Das ergibt bei 140 abhängigen Verfahren 7 Verfahrensbündel. Das erste Verfahrensbündel wird noch mit dem vollen Regelwert (8 Monate x 100 Euro) angesetzt, die folgenden Verfahrensbündel (2 bis 7) erhalten jeweils 95 % des Wertes des vorangegangenen Paketes.

Dies führt zu folgender Berechnung:

Pilotverfahren

1.600,00 Euro

Verfahrensbündel 1:

800,00 Euro

Verfahrensbündel 2:

760,00 Euro

Verfahrensbündel 3:

722,00 Euro

Verfahrensbündel 4:

685,90 Euro

Verfahrensbündel 5:

651,61 Euro

Verfahrensbündel 6:

619,03 Euro

Verfahrensbündel 7:

588,07 Euro

Summe

6.426,61 Euro

(4)

Die degressive Abnahme der Belastung durch abhängige Verfahren ergibt auch im Vergleich mit der Rechtsprechungspraxis zum Schmerzensgeld sowie mit der Rechtsprechungspraxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Entschädigung bei rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung ein stimmiges Bild.

Zum einen sind der Entschädigungsanspruch bei Verfahrensverzögerungen einerseits und der Schmerzensgeldanspruch andererseits wegen der in beiden Fällen angebrachten Berücksichtigung von Billigkeitserwägungen verwandte Rechtsinstitute (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. April 2016 - L 10 SF 1/14 EK -, Rn. 57 m.w.N., juris; zur Rechtsnatur des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Verfahrensdauer ausführlich Reiter, NJW 2015, 2554 ff.). Auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes werden zunächst die unterschiedlichen Bemessungsgesichtspunkte umfassend gewichtet und sodann das gefundene Ergebnis in die Spruchpraxis zu vergleichbaren Fällen eingeordnet, um in Ansehung des Gleichheitssatzes ein möglichst widerspruchsfreies System einzuhalten (vgl. nur Slizyk, Handbuch Schmerzensgeld, 17. Aufl. 2021, Rn. 21 ff.).

Zum anderen verhält es sich so, dass sich bereits der Gesetzgeber des § 198 GVG bei der Bemessung der Regelentschädigung an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte orientiert hat (vgl. Roderfeld, in: Marx/Roderfeld, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, 1. Aufl. 2012, GVG § 198 Rn. 80).

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt keine "exorbitanten" Entschädigungsbeträge zum Ausgleich immaterieller Schäden zu, wie etwa dessen Urteil vom 24. Juni 2010 - 17384/06 -, juris, zeigt (darauf bezieht sich auch Roderfeld, in: Marx/Roderfeld, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, 1. Aufl. 2012, GVG § 198 Rn. 80 in Fußnote 24):

Der deutsche Beschwerdeführer hatte in einer komplexen Erbschaftsangelegenheit erst nach 17 Jahren und acht Monaten mit der Nichtannahme seiner Verfassungsbeschwerde eine endgültige Entscheidung erlangt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte räumte die Komplexität des Verfahrens und das zum Teil verfahrensverzögernde Verhalten des Beschwerdeführers ein, wies jedoch darauf hin, dass es beim Landgericht etwa fünf Jahre gedauert habe, bevor ein Sachverständigengutachten eingeholt worden sei. Sodann seien nochmals drei Jahre bis zur Erstattung des Gutachtens vergangen. In der zweiten Instanz seien nach einem gescheiterten Einigungsversuch im Juni 2000 weitere zwei Jahre verstrichen, bis ein weiterer Sachverständiger bestellt worden sei (EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 - 17384/06 -, Rn. 52, juris).

Legt man zugrunde, dass das Gutachten innerhalb eines Jahres hätte vorliegen können, so beträgt die unangemessene Verfahrensverzögerung in dem von dem Gerichtshof entschiedenen Fall etwa neun Jahre (so Roderfeld, in: Marx/Roderfeld, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, 1. Aufl. 2012, GVG § 198 Rn. 80 in Fußnote 24), für die der Gerichthof eine Entschädigung für immaterielle Nachteile in Höhe von 11.000 Euro zusprach - nachdem der Beschwerdeführer 320.000 Euro beansprucht hatte (EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 - 17384/06 -, Rn. 60, 62, juris).

Der hier errechnete Entschädigungsbetrag bleibt nicht hinter der Größenordnung zurück, nach der der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte immaterielle Nachteile quantifiziert.

Mit Blick etwa auf den soeben referierten Fall, in dem der Gerichtshof für eine Verfahrensverzögerung von ca. 9 Jahren bei einer Gesamtverfahrensdauer von 17 Jahren und acht Monaten - freilich nicht in einem "Pilotverfahren" - eine Entschädigung für immaterielle Nachteile in Höhe von 11.000 Euro zusprach, ergibt sich heruntergebrochen auf 8 Monate eine Entschädigung in Höhe von ca. 815 Euro.

Hinsichtlich der Entscheidungspraxis der deutschen Gerichte zu § 198 GVG ist - soweit ersichtlich - der Ausspruch der Regelentschädigung der Regelfall (Hofmarksrichter, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren im Lichte der Vorgaben des EGMR, 2017, S. 96 m.w.N. in Fußnoten 34-39).

(5)

Die hier vorgenommene Berücksichtigung der Anzahl der abhängigen Verfahren bei der Bemessung der billigen Entschädigung in dem das Pilotverfahren betreffenden Entschädigungsprozess schneidet dem Kläger auch nicht die Möglichkeit ab, in den anderen abhängigen Verfahren - von dem Pilotverfahren losgelöste - weitere Verzögerungen und über den durch die Verzögerung des Pilotverfahrens verursachten immateriellen Nachteil hinausgehende Nachteile geltend zu machen.

Rechtsdogmatisch lässt sich der Zusammenhang zwischen der Entschädigung für ein überlang geführtes Pilotverfahren einerseits und derjenigen für ein überlang geführtes hiervon abhängiges Verfahren andererseits in dem das jeweilige abhängige Verfahren betreffenden Entschädigungsprozess bereits bei der Entstehung eines immateriellen Nachteils im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG - auf Tatbestandsebene - verorten.

Verzögerungen, die bei der Bearbeitung des Pilotverfahrens verursacht werden, zeitigen nur "passive" Auswirkungen auf die abhängigen Verfahren, die zur Zeit der Bearbeitung des Pilotverfahrens faktisch ruhen. Wenn im abhängigen Verfahren ausschließlich "passive" Auswirkungen der Verzögerung des Pilotverfahrens zum Tragen kommen, so sind sie deshalb objektiv allein dem Entschädigungsprozess des Pilotverfahrens zurechenbar. In dem Entschädigungsprozess des abhängigen Verfahrens ist in einem solchen Falle die Persistenz eines immateriellen Nachteils nicht mehr gegeben und die Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG widerlegt. Nur dann, wenn durch die (Nicht-) Bearbeitung des abhängigen Verfahrens selbst weitere Verzögerungen eintreten, kommt auch im Entschädigungsprozess des abhängigen Verfahrens die Entstehung eines weitergehenden immateriellen Nachteils in Betracht.

Dabei ist es ausgeschlossen, dass die Existenz des abhängigen Verfahrens im Entschädigungsprozess zum Pilotverfahren untergewichtet wird. Denn die mit zunehmender Anzahl - vom Pilotverfahren - abhängiger Verfahren degressiv abnehmende Belastungswirkung gewährleistet zugleich, dass diese sich - selbst bei endlos fortschreitender Anzahl abhängiger Verfahren - denklogisch allenfalls gegen Null, nicht jedoch auf Null reduzieren kann.

Ebenso ließe sich der Zusammenhang zwischen der Entschädigung für ein überlang geführtes Pilotverfahren einerseits und derjenigen für ein überlang geführtes abhängiges Verfahren andererseits im Entschädigungsprozess des abhängigen Verfahrens auf der Rechtsfolgenseite in Anwendung der Billigkeitsnorm des § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG abbilden.

Auf dieser Grundlage wäre in dem das jeweilige abhängige Verfahren betreffenden Entschädigungsprozess gemäß § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG eine Entschädigung für immaterielle Nachteile, die in dem das Pilotverfahren behandelnden Entschädigungsverfahren kompensationsfähig sind oder gar bereits kompensiert wurden, als unbillig (hoch) zu bewerten (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10/15 D -, BVerwGE 156, 229-262, Rn. 192-193, juris, für das Verhältnis zwischen "Stammverfahren" und abgetrenntem Verfahren; für eine Lösung über § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG in "Massenverfahren" auch Althammer/Lorenz, NJW 2013, 2445 [2445]).

Der zuletzt vorgestellte Ansatz setzt sich bei näherem Hinsehen auch nicht in einen Widerspruch zu der in der Literatur vertretenen Ansicht, dass die Entschädigungshöhe nach der Ausnahmeklausel des § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG jedenfalls nicht auf Null reduziert werden dürfe (Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 227). Denn auch durch die Beschreitung dieses Weges wird das Entschädigungsrecht nicht etwa ausgehöhlt.

Die Berücksichtigung der Anzahl der abhängigen Verfahren bei der Bemessung der billigen Entschädigung in dem das Pilotverfahren betreffenden Entschädigungsprozess stellt sicher, dass der durch die Überlänge bedingte immaterielle Nachteil (nur) dort bewertet und ausgeglichen wird, wo er auch eintritt, nämlich im Rahmen des Entschädigungsprozesses, der die Verzögerung des Pilotverfahrens behandelt. Die durch die Überlange eines Pilotverfahrens verursachten passiven Auswirkungen auf - vom Pilotverfahren abhängige - Ausgangsverfahren sind objektiv dem Pilotverfahren zurechenbar und nicht den Ausgangsverfahren.

cc)

Ein neben der Geldentschädigung stehender Feststellungsausspruch, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, wie es § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG für schwerwiegende Fälle vorsieht, ist vorliegend nicht angezeigt.

Ob ein schwerwiegender Fall im Sinne der Norm gegeben ist, ist wiederum anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden und liegt im Ermessen des Entschädigungsgerichts, das diese Frage stets von Amts wegen zu prüfen hat (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 - 6 SchH 1/13 -, Rn. 61, juris).

Dies ist vorliegend zu verneinen. Die Bemessung des immateriellen Nachteils geht vorliegend vollumfänglich in der Bemessung der Entschädigungshöhe auf. Inwieweit dem Kläger durch die Feststellung der Überlänge eine noch weitergehende Genugtuung verschafft werden müsste, ist nicht ersichtlich.

2.

Der Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz steht dem Kläger gemäß § 288 Abs. 1, § 291 BGB ab dem 30.04.2020 zu, nachdem die Rechtshängigkeit der Entschädigungsklage am 29.04.2020 eingetreten ist, § 187 Abs. 1 BGB in entsprechender Anwendung.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht für den Kläger auf § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 709 ZPO, für das beklagte Land auf § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

IV.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache sowie zur Fortbildung des Rechts gemäß § 201 Abs. 2 Satz 3 GVG, § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen.

Es liegt bislang keine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage vor, ob im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG bei der Beurteilung der Bearbeitungsdauer eines designierten Muster- bzw. Pilotverfahrens, das auf die Herausforderungen bei der Bewältigung von "Massenverfahren" antwortet, besondere Grundsätze zu beachten sind. Selbiges gilt hinsichtlich der Frage, ob, und wenn ja wie, sich auf der Grundlage von § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG die Anzahl abhängiger Verfahren bei der Bemessung der Entschädigungshöhe in dem das verzögerte Pilotverfahren betreffenden Entschädigungsprozess konkret auswirkt.

V.

Die Beschlussfassung über die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO.