Sozialgericht Hannover
Urt. v. 27.01.2017, Az.: S 43 AS 1056/16

Auswirkung auf Erstattungsbescheid; Erstattungsverwaltungsakt; Insolvenzeröffnung; Privatinsolvenz; Restschuldbefreiung; Schaffung eines Vollstreckungstitels; Vollstreckungsverbot

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
27.01.2017
Aktenzeichen
S 43 AS 1056/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53733
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Abweichend von LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12.04.2013 - L 5 AS 673/13 enthält § 89 InsO (bzw. § 294 Abs. 1 InsO (nach Antrag auf Restschuldbefreiung)) nur ein Vollstreckungsverbot, hindert den Insolvenzgläubiger indes nicht daran, sich außerhalb des Insolvenzverfahrens einen Titel wegen einer Insolvenzforderung (vgl. § 38 InsO) zu verschaffen, denn die Schaffung eines Vollstreckungstitels dient lediglich der Vorbereitung der Zwangsvollstreckung; solche vorbereitenden Maßnahmen sind von § 89 InsO bzw. § 294 Abs. 1 InsO nicht umfasst. Der Einwand eines Vollstreckungsverbot gegen einen Erstattungsbescheid ist lediglich im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Vollstreckung aufgrund des Erstattungsbescheides zu prüfen.

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wehren sich gegen die Höhe eines Erstattungsverwaltungsaktes.

Die Klägerin, geboren am L., steht seit einiger Zeit mit dem am M. geborenen Kläger zu 2. im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).

Am 21. April 2015 stellte die Klägerin zu 1. einen Weiterbewilligungsantrag, in dem es unter 3. Einkommensverhältnisse der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft heißt „sonstige laufende Einnahmen (z.B. Elterngeld (…))“. Daraufhin bewilligte der Beklagte den Klägern solche Leistungen für den Zeitraum vom 1. Mai 2015 bis 30. September 2015.

Mit Schreiben vom 22. April 2015 forderte der Beklagte die Klägerin zu 1. zur Mitwirkung unter anderem durch Übersendung des Elterngeldbescheides bis zum 9. Mai 2015 auf und erinnerte die Klägerin mit Schreiben vom 13. Mai 2015 daran. Nachdem ein Teil der anderen angeforderten Unterlagen eingereicht worden war, forderte der Beklagte mit Schreiben vom 18. Mai 2015 den Elterngeldbescheid und den Nachweis über den Zufluss des Elterngeldes an.

Bereits am N. wurde das zweite Kind der Klägerin zu 1., O. P. Q., geboren. Am 13. März 2015 stellte die Klägerin zu 1. für ihn einen Antrag auf Kindergeld. Mit Bescheid vom 11. Mai 2015 wurden der Klägerin Kindergeld für diesen in Höhe von 184 Euro bewilligt, wobei ihr im Mai 2015 auch das Kindergeld für März und April 2015 nachgezahlt wurde. Am 29. April 2015 stellte die Klägerin zu 1. bezüglich dieses Kindes auch einen Antrag auf Elterngeld, wobei sie „den Bezug von sonstigen Leistungen“ unter 12. des Antragsformulars verneinte. Dieses wurde ihr mit Bescheid vom 4. Mai 2015 in Höhe von 300 Euro monatlich bewilligt, wobei für die ersten drei Lebensmonate des Kindes vom N. bis R. eine Nachzahlung in Höhe von 900 Euro am 15. Mai 2015 erfolgte.

Mit Schreiben vom 15. Juni 2015 hörte der Beklagte die Klägerin zu 1., auch für die Klägerin zu 2. als gesetzliche Vertreterin, zur Überzahlung aufgrund des Elterngeldes an. Es komme eine vollständige Aufhebung der Leistungen, für die Klägerin in Höhe von 727,88 Euro und für die Klägerin zu 2. in Höhe von 73 Euro in Betracht. Die Entscheidungen seien wegen Verletzung der Mitteilungspflicht aufzuheben. Außerdem erfolge die Aufhebung wegen der Erzielung von Einkommen. Der Pflichtverstoß könne auch dem Kind zugerechnet werde, da die Klägerin als gesetzlicher Vertreter gehandelt habe. Die Gesamtsumme sei zu erstatten.

Dazu nahm die Klägerin zu 1. keine Stellung. Mit Aufhebungs-, Erstattungs- und Aufrechnungsbescheid vom 14. Juli 2015 hob der Beklagte den Bescheid vom 28. April 2015 für den Monat Mai 2015 in Gänze auf, mithin hinsichtlich der Klägerin zu 1. in Höhe von 727,88 Euro und hinsichtlich des Klägers zu 2. in Höhe von 73 Euro. Zur Begründung wurden im Wesentlichen die Gründe aus der Anhörung wiederholt.

Mit Schreiben vom 24. Juli 2015 legten die Kläger dagegen Widerspruch ein. Zur Begründung führten sie an, dass dem Bescheid keine Berechnungsbögen angefügt worden seien, sodass nicht nachvollziehbar sei, welche Einkommen in welche Höhe angerechnet worden seien und welche Freibeträge angesetzt worden seien. In jedem Fall sei bedenklich, dass die Miete gänzlich aufgehoben werde, obgleich nach § 40 Abs. 4 SGB II der Erstattungsanspruch bei vollständiger Aufhebung begrenzt sei. Mit der Geburt des Kindes sei dem Beklagten bekannt gewesen, dass der Beklagte bezüglich des Elterngeldes einen Anspruch nach §§ 102 ff des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) hätte geltend machen können.

Mit Schreiben vom 28. Juli 2015 nahm der Beklagte zu dem Widerspruch Stellung und übersandte die fehlende Berechnungsübersicht. Bei der Klägerin zu 1. sei im Ursprungsbescheid vom 28. April 2015 kein Einkommen aufgenommen worden. Ihr sei laut Elterngeldbescheid im Mai 2015 Elterngeld in Höhe von 900 Euro ausgezahlt worden. Dieses sei unter Berücksichtigung des Freibetrages für Versicherungen auf die Leistungen nach dem SGB II angerechnet worden. Gleichzeitig sei das neugeborene Kind bei der Neuberechnung unter Anrechnung der Kindergeldnachzahlung aufgenommen worden, welches für drei Monate im Mai 2015 ausgezahlt wurde. Das übersteigende Kindergeld sei bei der Kindesmutter bedarfsmindernd berücksichtigt worden. Durch die Höhe der Einkünfte bestünde kein Leistungsanspruch mehr. Der Klägerin sei bereits bewusst, wie hoch das Elterngeld gewesen sei. Es könne unterstellt werden, dass die Änderung hier erst verspätet, nämlich mit Vorlage des Elterngeldbescheides vom 2. Juni 2015 angezeigt worden sei.

Daraufhin begründete der Prozessbevollmächtigte der Kläger den Widerspruch weiter, dass es unverständlich sei, dass die Klägerin bei Erstellung des Bescheids vom 28. April 2015 die Höhe des Elterngeldes, die erst am 4. Mai 2015 bewilligte wurde, hätte wissen müssen. Es sei auch bei einem Gesamtbedarf von 1.897 Euro und einem einkommensrelevanten Bedarf von 1605,63 Euro nicht ersichtlich, wie der Beklagte zur vollständigen Aufhebung der Leistungen komme.

Die Klägerin zu 1. stellte am 24. November 2015 einen Antrag auf Eröffnung eines Privatinsolvenzverfahrens, welches durch Eröffnungsbeschluss des Amtsgericht S. - Insolvenzgericht - vom 3. Dezember 2015 (Geschäftszeichen T.) am 3. Dezember 2015 um 14:51 Uhr eröffnet wurde. Herr Rechtsanwalt U., S., wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Ebenfalls am 24. November 2015 stellte die Klägerin zu 1. zudem einen Antrag auf Restschuldbefreiung, die am 3. Dezember 2015 zugelassen wurde, wobei die Wohlverhaltensphase (sog Abtretungsfrist) sechs Jahre später, mithin am 3. Dezember 2021, enden wird. Am 23. Juni 2016 wurde die Aufhebung des Privatinsolvenzverfahrens mangels einer zu verteilenden Masse beschlossen.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2016 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er an, dass sich ein Gesamtbedarf von 1.605,63 Euro errechne, welchem Einkommen in Höhe von 1.897 Euro gegenüberstehe, welches sich aus der Summe von Kindergeld für den Kläger zu 2. in Höhe von 184 Euro, Unterhalt für diesen in Höhe von 291 Euro, Kindergeldnachzahlung in Höhe von 552 Euro für O. und dem um 30 Euro Versicherungspauschale bereinigten Elterngeld in Höhe von 870 Euro (900 Euro minus 30 Euro) ergebe. Die Voraussetzungen für die Aufhebung nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4 SGB X lägen bei den Klägern vor. Die Klägerin zu 1. sei ihrer Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen und habe erstmals am 2. Juni 2015 mitgeteilt, dass sie Elterngeld erhalte. Sie habe im Mai zudem Einkommen erzielt, welches zum Wegfall des Leistungsanspruchs führe, was sie hätte wissen müssen.

Dagegen erhoben die Kläger, durch ihren Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 18. März 2016, eingegangen am selben Tag, Klage. Zur Begründung führen sie an, dass es der Beklagte im Vorfeld versäumt habe, den Bedarf des Kindes im neuen Bescheid zu berücksichtigen. Es sei deshalb bereits für den Leistungsberechtigten nur noch unter erschwerten Bedingungen zu erkennen, welcher Bedarf tatsächlich bei der vergrößerten Bedarfsgemeinschaft unter Aufnahme des Kindes entstanden wäre. Die Klägerin zu 1. habe deshalb nicht erkennen können, dass sich das nachgezahlte Kindergeld und das nachgezahlte Elterngeld so auswirke, dass für einen einzelnen Monat der Bedarf vollständig entfalle. Der Beklagte hätte zudem auch über § 102 SGB X sowohl gegenüber der Elterngeldstelle als auch gegenüber der Kindergeldstelle einen Erstattungsanspruch stellen können und damit die jetzt entstanden Situation des zufließenden Elterngeldes für drei Monate und zufließendes Kindergeld für drei Monate vermeiden könne. Die Klägerin sei auch ihrer Mitteilungspflicht nachgekommen, da sie sowohl den Elterngeldbescheid als auch den Kindergeldbescheid dem Beklagten zur Verfügung gestellt habe. Selbst wenn die Beklagte die Bescheide direkt zum Zeitpunkt der Erstellung bekommen hätte, wäre an der vom Beklagten bereits vorgenommen Zahlungsverfügung Ende April 2015 keine Änderung mehr möglich gewesen. Es läge daher nur ein Fall von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X vor, sodass § 40 Abs. 4 S.1 SGB II greife, nach dem 56 Prozent der für die Berechnung der Unterkunftskosten angesetzten Beträge nicht erstattet werden. Zudem sei eine weitere Geltendmachung gegenüber der Klägerin im laufenden Insolvenzverfahren nicht mehr möglich, da am 3. Dezember 2015 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin zu 1. eröffnet worden sei.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verpflichten, den Erstattungsfallverwaltungsakt im Bescheid vom 14. Juli 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2016 unter Berücksichtigung des von der Erstattung ausgenommenen Betrages von 56 Prozent der berücksichtigten Bedarfe für die Unterkunft entsprechend § 40 Absatz 4 Satz 1 SGB II aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die angefochtenen Bescheide.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

A.

Die Klage (I.) ist zulässig (II.), aber unbegründet (III.).

I.

Streitgegenstand der Klage sind die Erstattungsverwaltungsakte des Aufhebungs-, Erstattungs- und Aufrechnungsbescheides vom 14. Juli 2015, den die Kläger mit der hiesigen Klage teilweise angegriffen haben. Aus dem Klageantrag in der Klageschrift vom 18. März 2016 ergibt sich eine solche Beschränkung des Streitgegenstandes auf 44 Prozent der Bedarfe der Unterkunft. Im Übrigen sind die darin enthaltenen Verwaltungsakte bestandskräftig geworden.

II.

Die Klage ist zulässig, insbesondere hat die Klägerin zu 1. auch eine Prozessführungsbefugnis, d.h. eine prozessuale Berechtigung, den Anspruch in eigenem Name geltend zu machen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, Vorbemerkungen zu § 51, Rn. 15). Zwar geht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über das Vermögen des Insolvenzschuldners gemäß § 80 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) auf den Insolvenzverwalter über, sodass grundsätzlich auch die Prozessführungsbefugnis fehlt (Mock in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 14. Auflage 2015, § 80, Rn 18). Indes fällt diese Befugnis des Insolvenzverwalters mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 200 InsO weg, sodass der Schuldner wieder die Verfügungsbefugnis erhält (vgl. Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur Insolvenzordnung, 14. Auflage 2015, § 200 InsO, Rn. 17).

Da am 23. Juni 2016 das Insolvenzverfahren mit Beschluss vom selben Tag aufgehoben worden ist, hat die Klägerin zu 1. ihre Verfügungsbefugnis und mithin ihre Prozessführungsbefugnis wiedererlangt. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist die Klage wieder zulässig.

Das Verfahren bezüglich der Klägerin zu 1. war auch nicht nach § 202 S.1 SGG i.V.m. § 240 S.1 der Zivilprozessordnung unterbrochen. Danach ist im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften ausgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Vorliegend sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, da Voraussetzung ist, dass die Insolvenzeröffnung während der Rechtshängigkeit und mithin gemäß § 94 S.1 SGG nach Klageerhebung eintritt (vgl. Jaspersen, Beck´scher Online-Kommentar ZPO, Vorwerk/Wolf, 23. Edition, Stand 1. Dezember 2016, § 240, Rn. 2 mit Verweis auf OLG München BeckRS 2007, 13013 = ZIP 2007, 2052). Das Insolvenzverfahren ist bereits am 3. Dezember 2015 eröffnet worden, während die Klage erst am 18. März 2016 erhoben worden ist.

III.

Die Klage ist indes unbegründet.

Die Erstattungsverwaltungsakte im Erstattungsbescheid vom 14. Juli 2016 sind, soweit sie zu überprüfen sind (vgl. I.) rechtmäßig und beschweren die Kläger mithin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 S.1 SGG.

1. Die Voraussetzungen für die Erstattung nach § 50 Abs. 1 S.1 SGB X sind erfüllt.

Rechtsgrundlage für die Erstattungsverwaltungsakte ist § 50 Abs. 1 S.1 SGB X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist.

Ausweislich des Aufhebungsbescheides vom 14. Juli 2016 sind alle Verwaltungsakte in Form der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch aufgehoben worden, insbesondere sind alle ergangenen Bewilligungs- und Änderungsbescheide aufgehoben worden. Da die Leistungen auch bereits erbracht worden sind, liegen die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 S.1 SGB X vor.

2. Die Teilrechtswidrigkeit bzgl. der die Kläger eine Aufhebung des Erstattungsverwaltungsaktes mit ihrem Antrag begehren, ergibt sich indes auch nicht aus anderen Normen:

a) Nach § 40 Abs. 4 S.1 SGB II in der Fassung bis 31. Juli 2016 sind als Sondervorschrift zu § 50 SGB X (lex specialis) 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeld II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe der Unterkunft nicht zu erstatten. Dies gilt jedoch gemäß § 40 Abs. 4 S.2 SGB II dann nicht, wenn ein Fall des § 45 Abs. 2 S.3 SGB X oder ein Fall des § 48 Abs. 1 S.2 Nr. 2 oder Nr. 4 SGB X vorliegt oder in Fällen, in denen die Bewilligung lediglich teilweise erfolgt ist.

Vorliegend greift die Ausnahme des § 48 Abs. 1 S. Nr. 4 SGB X. Unter Nr. 4 sind die Fälle der Bösgläubigkeit gefasst. Danach ist Voraussetzungen für das Vorliegen der Nr. 4, dass der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Bösgläubigkeit i.S.d. Nr. 4 liegt vor, wenn der zum Wegfall führende Umstand eingetreten ist und er hiervon sowie von den Auswirkungen auf die Leistungsberechtigung Kenntnis erlangt hat oder seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht (BSG, SozR 1300 § 48 Nr. 22 = BeckRS 1986, 30716115), d. h. die Klägerin zu 1. unter die gebotene Sorgfalt in besonderem Maße außer Acht gelassen hat.

Mit Schreiben der Beklagten vom 22. April 2015 hat die Klägerin zu 1. erfahren, dass der Elterngeldbescheid zu übersenden ist. Auch im Weiterbewilligungsantrag vom 21. April 2015 ist unter „sonstige laufende Einnahmen das Elterngeld“ genannt. Aufgrund dessen hätte ihr beim Lesen der Anträge und Schreiben der Beklagten deutlich werden müssen, dass das Elterngeld für den Leistungsbezug Relevanz besitzt. Als die Klägerin zu 1. dann die 900 Euro Nachzahlung an Elterngeld am 15. Mai 2016 auf das Konto überwiesen hatte, hätte sie erkennen können, dass mit dem erhaltenen Geld ihr Anspruch nach dem SGB II zumindest teilweise weggefallen ist. In welcher Höhe der Anspruch nach dem SGB II nicht besteht ist im Rahmen des § 40 Abs. 4 S.2 SGB II – anders als bei § 48 Abs. 1 S.2 SGB X („soweit“) – ausweislich des Wortlautes nicht zu prüfen, sodass dahinstehen kann, ob die Klägerin zu 1. die genaue Berechnung nachvollziehen konnte, da sie jedenfalls grob fahrlässig nicht wusste, dass der Anspruch zumindest teilweise weggefallen ist.

Dem Kläger zu 2. ist das Verschulden der Klägerin zu 1. als deren Vertreterin nach § 38 SGB II über §§ 166, 278 Abs. 1 BGB zurechenbar (vgl. Heße in Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 43. Edition, Stand: 01.12.2016)

Mithin liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X vor, dass die Ausnahme nach § 40 Abs. 4 S.2 SGB II greift. Deshalb kann dahinstehen, ob aufgrund der Bestandskraft des Aufhebungsbescheides überhaupt eine Prüfung des Vorliegens eines Falles von § 48 Abs. 1 S.2 Nr. 2 und 4 SGB X noch möglich ist.

b) Der Erstattungsverwaltungsakt ist auch nicht deswegen rechtswidrig, weil er nach § 107 Abs. 1 SGB X bei Vorliegen eines Erstattungsanspruches gegenüber der Elterngeldstelle als erfüllt gilt (vgl. hierzu z.B. BSG, Beschluss vom 06. März 2000, Az.: B 11 AL 243/99 B). Denn vorliegend ist kein Erstattungsanspruch des Beklagten gegenüber der Elterngeldstelle nach den §§ 102 ff. SGB X einschlägig, insbesondere sind die Voraussetzungen des § 104 SGB X nicht erfüllt. Zwar kommt grundsätzlich § 104 SGB X bei Leistungen, die in einem Rangverhältnis zueinander stehen - wie vorliegend bei Elterngeld in Betracht, das zur Anrechnung als Einkommen bei Leistungen nach dem SGB II führt (vgl. Kater in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 104, Rn. 62c). Indes scheitert ein Erstattungsanspruch daran, dass der Ausschlussgrund des § 104 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB X greift. Danach ist der Erstattungsanspruch ausgeschlossen, soweit der erstattungspflichtige Leistungsträger bereits an den Berechtigten geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Vorliegend hatte die Familienkasse ausweislich deren Verwaltungsakte keine Kenntnisse des Leistungsbezugs der Klägerin. Sie hat das Elterngeld mit befreiender Wirkung an die Klägerin gezahlt, was einen Erstattungsanspruch des Beklagten nach § 104 Abs. 1 Satz 1 letzter HS SGB X ausschließt. Da andere Erstattungsgrundlagen nicht einschlägig sind, greift die Erfüllungswirkung nach § 107 Abs. 1 SGB X nicht.

c) Die Rechtswidrigkeit des Erstattungsverwaltungsaktes ergibt sich auch nicht wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt (Urteil vom 09. Oktober 2014, Az.: L 5 AS 673/13) ist der Leistungsträger nicht berechtigt, einen Erstattungsbescheid zu erlassen, wenn es sich um eine Insolvenzforderung handelt, denn dann fehle ihm die Befugnis, eine solche durch Verwaltungsakt festzustellen. Zur Begründung führt das Landessozialgericht an:

Insolvenzgläubiger können ihre Forderungen nach § 87 InsO nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Insolvenzforderungen sind nach Maßgabe der §§ 174 ff InsO zur Insolvenztabelle anzumelden. Diese Vorschriften enthalten nicht nur ein Vollstreckungsverbot. Sondern sie hindert die Insolvenzgläubiger schon daran, sich außerhalb des Insolvenzverfahrens einen Titel wegen einer Insolvenzforderung zu verschaffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2003 - 3 C 21/02, juris Rn. 17). (…) Insolvenzforderungen sind vielmehr ohne vorherige Bescheiderteilung zur Insolvenztabelle anzumelden (BSG, a. a. O., Rn. 14). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es sich um Masseforderungen i.S.d. § 55 InsO handelt (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 15; BSG, a. a. O., Rn. 15).

Vorliegend handelt es sich auch um eine Insolvenzforderung: Eine Insolvenzforderung liegt nach § 38 InsO vor, wenn zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein begründeter Vermögensanspruch gegen den Schuldner bestand. Dies ist der Fall, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand bereits vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen worden war (LSG, a.a.O. unter Verweis auf BGH, Beschluss vom 7. April 2005, Az.: IX ZB 129/03). Die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen bestimmt sich danach, ob der den Anspruch begründende Tatbestand nach den Vorschriften des materiellen Rechts bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht worden ist. Bei öffentlich-rechtlichen Forderungen, die auf einer Rückabwicklung einer Leistungsbewilligung beruhen, ist die Forderung regelmäßig begründet, sobald die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aufhebung des Verwaltungsakts vorliegen (LSG, a.a.O.). Unerheblich ist, zu welchem Zeitpunkt der Bescheid bekannt gegeben worden ist (LSG, a.a.O.) Vorliegend handelt es sich um eine Insolvenzforderung, da die Voraussetzungen für die Aufhebung des Verwaltungsaktes mit Zufluss der Elterngeldnachzahlung im Mai 2015 und mithin vor Insolvenzeröffnung am 3. Dezember 2015 erfolgt sind.

Die Kammer schließt sich der Rechtsprechung des LSG Sachsen-Anhalt jedoch nicht an. Die angeführten Argumente überzeugen die Kammer nicht. Die Insolvenzordnung schreibt in § 89 Abs. 1 InsO bzw. in § 294 Abs. 1 InsO lediglich ein Vollstreckungsverbot vor. Dies bedeutet zunächst, dass der Beklagte die Erstattungssumme nicht mit Zwang durchsetzen kann. Die Vollstreckung der Forderung ist indes nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens. Im hiesigen Verfahren geht es lediglich um die Schaffung eines bestandskräftigen und damit vollstreckbaren Vollstreckungstitels, der Voraussetzung für die Vollstreckung ist (vgl. § 40 Abs. 8 SGB II in der Fassung bis 31. Juli 2016 i.V.m. § 66 Abs. 3 S. 1 SGB X i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes). Dies dient lediglich der Vorbereitung der Zwangsvollstreckung und kann mithin noch nicht zu einer Rechtswidrigkeit führen, denn Maßnahmen, die der Vorbereitung der Vollstreckung dienen sind von § 89 InsO nicht erfasst (vgl. Mock in Uhlenbruch, Insolvenzordnung, 14. Auflage 2015, § 89, Rn. 35 mit Verweis auf BGH 6.2.2014 – IX ZB 57/12 NZI 2014, 310, 311 = ZInsO 2014, 496; BGH 12.12.2007 – VII ZB 108/06 NZI 2008, 198 = ZInsO 2008, 158). Deshalb kann beispielweise ein Urteil für vorläufig vollstreckbar erklärt werden (vgl. Mock, a.a.O.). Nichts Anderes kann dann geltend, wenn eine Behörde nicht auf die gerichtliche Hilfe angewiesen ist, sondern sich den Vollstreckungstitel selbst schaffen kann. Der Beklagte hat auch Interesse an der Schaffung eines Titels, da es möglich ist, dass die Klägerin ggf. zufällig durch Erbschaft oder Lottogewinn vor Abschluss der Restschuldbefreiung wieder vermögend wird.

Der Einwand des Vollstreckungsverbots nach § 89 InsO bzw. § 294 InsO kann mithin nicht im Rahmen einer Klage gegen den Titel, sondern nur im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Vollstreckung des Titels nach Bestandskraft ggf. mit Erfolg eingewandt werden. Darüber ist hier nicht zu entscheiden.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S.1 SGG und berücksichtigt das Unterliegen der Kläger in der Sache.

C.

Dieses Urteil ist mit der Berufung anfechtbar.

I. Die Berufung ist nach § 144 Abs. 1 S.1 Nr. 1 und S. 2 SGG zulassungsbedürftig. Bei der vorliegenden Klage gegen den Erstattungsbescheid handelt es sich um eine Klage im Sinne des § 144 Abs. 1 S.1 Nr. 1 SGG, die eine Geldleistung betrifft (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage 2014, § 144, Rn. 10) und bei der der Wert des Beschwerdegegenstandes (auch Rechtsmittelstreitwert/-gegenstand) den Betrag von 750 Euro i.S.d. § 144 Abs. 1 S.1 Nr. 1 SGG nicht überschreitet. Dieser ist nach § 202 S. 1 SGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO danach zu bestimmen, was das Gericht in erster Instanz den zukünftigen Rechtsmittelklägern versagt hat (sog. Beschwer) und was von diesem mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt werden kann (vgl. BSG Urteil vom 4. Juli 2011, Az.: B 14 AS 30/11 B), mithin vorliegend die Aufhebung der Erstattung in Höhe von 127,68 Euro (56 Prozent der Bedarfe der Kosten der Unterkunft, mithin 228 Euro (184,50 Euro des Klägers zu 1. und 43,50 Euro des Klägers zu 2.). Da auch die Ausnahme des § 144 S. 2 SGG nicht greift, weil jedenfalls die Dauer von einem Jahr nicht überschritten ist, ist die Klage mithin zulassungsbedürftig.

II. Das Gericht hat die Berufung zugelassen, da das hiesige Gericht von der Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt abweicht. Überdies hält das Gericht die Klärung der Frage des Einflusses der Insolvenzverfahrenseröffnung auf die Erstattungsbescheide durch höchstrichterliche Rechtsprechung für geboten, da nicht selten Leistungsberechtigte im SGB II eine Privatinsolvenz erfolgreich beantragt haben.